Traktat: Das Märchen von der Tankstelle

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Das Märchen von der Tankstelle

Von Uwe Kurt Stade


Es war einmal... So fängt auch dieses Märchen an.


Es war also einmal ein Bruder, dem die Arbeitsverhältnisse so, wie er sie in seiner Loge vorfand, nicht richtig erschien und der sich bei seinem Meister vom Stuhl bitterlich über eine nicht zu verschweigende Lethargie seiner Brüder beklagte, bekam aber von diesem folgende Standpauke zu hören:

»Eigentlich, mein lieber Bruder scheinst Du etwas nicht so richtig verstanden zu haben. Ich will Dir gern erklären, wie Du die Einrichtung Loge richtig sehen mußt, nämlich: ... wie eine Tankstelle! «

»Wie eine Tankstelle?« 

»Ja, wie eine Tankstelle! Da kommen - wie in unserer Loge - auch die unterschiedlichsten Typen hin, nehmen den Einheitstreibstoff zu sich, mit kleinen Varianten, wie z.B. Super, mit oder ohne Blei, aber im Prinzip einen Einheitstreibstoff. Mit dieser neuen Energie versorgt setzen sie ihre Reise fort.
Übertrage dies auf unsere Loge und Du wirst nichts Ungewöhnliches finden, sondern erkennen, daß in Wahrheit keine Lethargie vorhanden ist, aber daß diese Treibstoffaufnahme mit unserer Logenarbeit gleichzusetzen ist. Wenn die Brüder nach der Loge mit neuer Energie in das profane Leben zurückkehren, wurde der Zweck der Freimaurerei erfüllt. «

Mit einem unbestimmt unbehaglichen Gefühl ging der Bruder nach Haus und verfiel ins Nachdenken. Zuerst schien es ein einleuchtendes Gleichnis zu sein, das auf den ersten Blick wohl auch zutreffen mag. Er überschlief die Angelegenheit, ließ es erst einmal sacken. Es war, wie ein Gleichnis sein sollte, bestechend einfach und erklärend zugleich, mit hohem Lerneffekt.

Irgendetwas aber in ihm sträubte sich dennoch gegen diese so plausibel klingende Darstellung. Hatte er nicht etwas anderes in den ihm als Suchenden überreichten Schriften gelesen? Hörte sich das auf den Gästeabenden nicht alles viel weniger einfach an? Hatte er also das Angebot der Freimaurerei falsch verstanden? War er doch nur ein Sklave seiner Vorurteile?

Nein, so einfach konnte die Arbeit an der Selbstverkommnung, an sich, an seinem Rauen Stein nicht sein, berichteten doch viele Freimaurer von einem schwierigen Weg, von Rück-schlägen, von dem Sich-Wieder-Hochziehen an Symbolen und Ritual, und von der Suche nach der Erkenntnis des rechten Weges. Seine eigenen Erfahrungen waren nicht anders. Es kam ihm vor, als verwechselten diese Brüder etwas. Hinfahren - Tanken - Wegfahren, so einfach sollte Freimaurerei sein?

Er zweifelte und besprach daher die Tankstellen-Philosophie immer wieder in seiner Bauhütte mit seinen Brüdern. Aber, siehe da, fast alle stimmten der Tankstelle zu. Er war also auf dem falschen "Dampfer", pardon Auto, mit seiner Suche nach dem Weg.

Doch er zweifelte weiterhin. War es das, wonach er gesucht hatte? War es wirklich so ein-fach? Wozu "versprach" man ihm dann harte Arbeit auf dem Weg zur Selbsterkenntnis?

Ihm kam es so vor, als verführte das Tankstellenmodell zur Bequemlichkeit. Er konnte es nicht glauben, fuhr fort, mit den Brüdern zu sprechen.

Aus seinem Zweifel wurde Verzweiflung. Konnte sich eine ganze Gruppe von ehedem doch Ähnliches suchender Brüder auf diese vereinfachte Alibi-Sichtweise zurückgezogen haben?

Maurerisches Sendungsbewußtsein ergriff ihn, sein Bemühen gegen diese Haltung in der Loge begann.

Es war hoffnungslos, er fühlte sich allein gelassen.

»Bruder, Dein ständiges Bemühen gegen unsere Tankstelle ist uns zuviel, Dein Engagement in Ehren! Du suchst etwas, was Du nicht finden wirst. Wir fühlen uns durch Dein unermüdliches Fragen überfordert.« hieß es. »Wir fühlen uns erpreßt durch Dich, mein Bruder!« wurden sogar Stimmen laut und »Wirke im Stillen und laß uns in Frieden unsere Tankstelle!«

Ihm kam es so vor, als kämen die Brüder jeden Mittwoch in die Loge, nur um einen möglichst guten Vortrag zu hören; ihm kam der regelmäßige unterhaltsame Kinobesuch seiner Kinder, die Frage der Arbeitskollegen nach dem abendlichen Fernsehprogramm in den Sinn.

Loge mit Kino, Freimaurer sein mit Fernsehunterhaltung gleichsetzen? Nein, daß kam für unseren Bruder nicht in Frage!

Allmählich waren so die Wertvorstellungen der Brüder seiner Loge mit seinen nicht mehr in Einklang zu bringen.

Er hinterfragte seine Meinung und die Tankstellenphilosophie in anderen Bauhütten, die er besuchte. Er hoffte, Brüder zu finden, die, wie er, diesen Kompromiß nicht als festes Dach, sondern auch nur als Regenschirm sahen, Brüder, die bereit waren, wie er, die "Ochsentour" der Arbeit an sich über kleine Erfolge zu gehen; den Rauen Stein wirklich zu bearbeiten, den 24-zölligen Maßstab wirklich anzulegen.

Seine Enttäuschung über die Freimaurerei war grenzenlos. Auf dieser “Tankstelle” blieb man stehen.

Sollte er der Maurerei entfliehen, oder weiter nach Brüdern zur gemeinsamen Arbeit suchen? Seine Loge verlassen? Er dachte an Deckung. Wie vertrug sich das aber mit seinem Gelöbnis der lebenslangen Bindung an die Loge, an die Freimaurerei, sie nicht ohne gültige Ursache zu verlassen, wenn ihn solche Zweifel plagten?

Auf freimaurerischen Veranstaltungen, wie z.B. dem Collegium Masonicum usw. trug er sein Anliegen vor und ... fand Brüder Meister, Gesellen und Lehrlinge, die ähnlich Erfahrungen hatten und mit ihm austauschen wollten.

Nach einem dieser “Tankstellengespräche” mit Bruder Rolf Appel gab ihm dieser in einem Brief großen Mut, weiterzumachen; dort hieß es:

»Was im Logenleben geschieht und Dich dann und wann enttäuschen mag: an allem reift der Mann, wir dürfen nur nicht an der Freimaurerei verzagen, sondern müssen ausharren, Du und ich.«

Nach einer Arbeit in Berlin bei einer Loge der GL 3WK, schrieb ihm ein Bruder, schon in den Achtzigern, die aufmunternden Worte.

»Bleibe auf dem begonnenen Weg, bleibe ein fragender Bruder! Freimaurerischen Gedankengut bedarf der Tat, um lebendig, um wirksam zu sein.

Wer Gegensätzliches findet, obwohl er Zustimmung sucht, der ist auf dem rechten Weg.«

Bei seiner Beschäftigung mit den Variationen des Buddhismus lernte er:

»... das Leben zu sehen als ein unsagbares immer wachsendes Etwas, welches keinen Augenblick stillstand, nur, um sich in irgendein starres System von Fächern und begrifflichen Schubladen einschachteln zu lassen.«

Ein Bruder, aus Israel zu Besuch in seiner Loge, sagte ihm in einem Gespräch:

»Der Motor der Freimaurerei bist Du selbst.«

Diese Ereignisse in einem Zeitraum von einigen Monaten brachte der Bruder nun in einen Zusammenhang mit seiner Vorstellung davon, Freimaurer zu werden. Die Tankstellenphilosophie waren diese Aussagen nicht! Das war ein Motivationsschub, sich weiterhin mit die-sem Thema auseinanderzusetzen.

Wieder und wieder stellte er sich die Frage nach der Gültigkeit seines Gelöbnisses, in dem er einst, so lieb ihm der Name eines ehrlichen Mannes sei, versprach: »... die Loge nie ohne eine gültige Ursache zu verlassen«. War sein persönliches Unwohlsein eine gültige Ursache? War das, wie seine Brüder in der Loge die Arbeit am Rauhen Stein auffaßten, eine gültige Ursache? Waren die Vorwürfe, die ihn seine Brüder machten, gültige Ursachen? War tatsächlich die Tankstellenphilosophie, die er als Stillstand betrachtete, keine gültige Ursa-che, seine Loge zu verlassen?

Stillstand wollte er aber nicht und trat den Weg nach vorn an. Seine Loge wollte er nicht verlassen, aber er bat um Dispens für einige Zeit, um Abstand zu gewinnen, sich im Klaren zu werden, in anderen Logen das Gespräch zu suchen, sich zu informieren über die Verbreitung der Tankstellenphilosophie. Vielleicht war er im Unrecht!

Die Brüder jedoch gewährtem ihm diesen Dispens nicht, machten ihm erneut schwere Vorwürfe, sprachen von Verrat gar. Er sah keinen Ausweg als den, die Deckung auszusprechen. Er schlief ein paar Nächte über diese schwerwiegende Entscheidung und schrieb dann an seine Brüder, - deckte.

Nun war es geschehen, das, was er nicht wollte und doch tat. Wie aber sollte er ohne seine geliebte Freimaurerei weiterleben.

Er wanderte unter freiem Himmel, wohnte ohne Dach und klopfte eines Tages an die Pforte einer anderen Bauhütte und bat um Annahme. Die Brüder dort waren im ständigen Gespräch über die Tankstellenphilosophie und luden ihn ein, an diesen brüderlichen Gesprächen teilzunehmen.

Hier arbeitet er heute mit Hilfe seiner Brüder weiter an seinem Rauen Stein und an gemeinsamen maurerischen Zielen, mit denen er sich nun nicht mehr allein gelassen fühlt, stellt hier in dieser Bauhütte seine Arbeitskraft zur Verfügung.

Die Arbeit an sich selbst über die “Ochsentour” macht ihm Freude, Pflichterfüllung, geistige Entfaltung und Entwicklung wurde zum Sinn seiner Arbeit.

Und wenn er nicht gestorben ist, dann lebt dieser Bruder noch mitten unter uns.