Traktat: Hochgrade – die Herausforderung

Aus Freimaurer-Wiki
Das Logo des AASR Österreich. Die Embleme der 'Schotten' zeigen immer einen doppelköpfigen im Detail aber verschiedenen Adler.
Logo des österreichischen York Ritus: in der Mitte die drei Abstufungen 'Royal Arch' (oben), Konzil (rechts) und Komturei (links).

Der folgende Text ist ein Vortrag, den der österreichische Freimaurer Vitus C. Lambert in Wien bei einer gemeinsamen rituellen Arbeit des ‚York Ritus’ und des ‚Schottischen Ritus’ gehalten hat. In seiner Zeichnung beschäftigte er sich in sehr persönlicher Weise mit dem Sinn der Freimaurerei im allgemeinen und der Hochgrade im besonderen.

Unter den Hochgraden in Österreich sind der AASR und der York-Ritus die bedeutendsten. Sie sind mit der Großloge von Österreich verbunden und nehmen nur Mitglieder der "blauen" Logen dieser Großloge auf. Anders als früher, als die beiden Systeme ziemlich beziehungslos nebeneinander arbeiteten, ist es in den zweitausend-zehner Jahren zu einer Vertiefung der Kontakte gekommen: am sichtbarsten durch eine gemeinsame Arbeit einmal im Jahr. Ein System richtet die Arbeit aus, und das andere stellt den Vortragenden: im Dezember 2016 Vitus C. Lambert vom AASR. Er hat den folgenden Vortrag (freimaurerisch: Zeichnung) gehalten.

Für das Freimaurer-Wiki dankt Rudi Rabe Vitus C. Lambert dafür, dass er uns seinen Vortrag mit der Genehmigung, ihn hier wiederzugeben, überlassen hat.



Vitus C. Lambert: Hochgrade – die Herausforderung

Wenn ich mich heute bei einer gemeinsamen Arbeit der beiden Hochgradsysteme, die in Österreich durch Konkordat mit der GLvÖ verbunden sind, mit dem Thema „Herausforderung“ beschäftige, so tue ich dies, weil es mir, auch in Hinblick auf mein Amt als Deputierter Großmeister der 'Großloge von Österreich|Großloge von Österreich/GLvÖ' die Möglichkeit gibt, auf unser aller Verantwortung für die Freimaurerei heute und in Zukunft einzugehen. Meine Zeichnung wird daher von der Verantwortung, von den Herausforderungen und von der Ernsthaftigkeit unserer Arbeit handeln, die wesentlich die Zukunftsaspekte der Freimaurerei in Österreich berühren.

Wer vielleicht erwartet hat, dass es heute um eine Art Match, also um eine Herausforderung des einen gegen das andere Hochgradsystem gehen wird, der wird enttäuscht werden. Nein, es wird keine Darstellung einer Auseinandersetzung geben, kein Aufrechnen von Verdiensten, von höherer Stellung oder eines Vorrechts größerer Einflussnahme des einen oder anderen Systems, keine Betonung des Trennenden, kein Aufzeigen von Unterschieden. Genau darum soll es nicht gehen. Es wird vielmehr um Gemeinsames gehen, um die gleichartige Herausforderung für beide Hochgradsysteme; um die Herausforderung, die in gleicher Weise an uns alle gerichtet ist, die wir Brüder sowohl der Hochgradsysteme, wie der „blauen“ Maurerei sind.

Worum geht es denn grundsätzlich bei unserer Arbeit in den Hochgraden? Es geht, wie es im Internetauftritt des AASR heißt (s.u. Link), um die ständige Herausforderung an das „Selbst“, also letztlich um die Entscheidung zu einer weiteren, anderen Form der Arbeit an der Selbsterkenntnis und darum, wie sich diese Arbeit in den Hochgraden auf unser Leben auswirkt. Aber es geht eben auch um eine Verantwortung für das Gemeinsame in der österreichischen Freimaurerei, in unseren eigenen „blauen“ Logen.

In diesem Sinne ist „Herausforderung“ in meiner heutigen Zeichnung zu verstehen: als das Einsetzen aller Fähigkeiten und Kenntnisse zur Bewältigung einer außergewöhnlichen, einer anspruchsvollen Sache. In unserem Sinne: mit all unserer Kraft tätig zu sein, zunächst in seiner eigenen Entwicklung und dann in und für die Freimaurerei in Österreich.

Sucht man eine kurze prägnante Beschreibung der Hochgrade, so findet man sie zu Beginn einer eingehenden Darstellung von Herwig Stage im Freimaurer-Wiki: Hochgrade? Vertiefende Grade? Was ist das?. Dort heißt es, dass „als Hochgrade (auch: Seitengrade) Logen-Systeme bezeichnet werden, welche die sogenannte blaue Johannis-Freimaurerei (Lehrling-Geselle-Meister) ergänzen“.

Ich wähle dieses Zitat, weil es mir erlaubt, eine für die heutige Zeichnung wichtige Frage aufzuwerfen: Benötigt die Johannis-Freimaurerei eine Ergänzung? Ist die Johannis-Freimaurerei also nicht vollständig? Wir hören und wissen, dass die gesamten Lehrinhalte in den ersten drei Graden abgeschlossen sind, so beispielsweise ausgeführt im Internationalen Freimaurer-Lexikon von Lennhof-Posner 1932 (jedoch nicht mehr in Lenhoff-Posner-Binder 2006): „Dass der Lehrinhalt der Freimaurerei in den drei symbolischen Graden vollkommen enthalten ist, wird überall zugestanden.“

Und doch hinterlassen andere Ausführungen dazu einen eigenartigen Beigeschmack: „Diese (die Hochrade, Anm.) werden damit begründet, dass eine Weiterleitung besonders Beflissener und eine philosophische Vertiefung in einzelnen Speziallehren der Freimaurerei notwendig sei“ (Lenhoff-Posner-Binder 2006). Oder „Die höheren Grade bilden (insofern) eine Fortsetzung der Johannisgrade …“ (Schottischer Ritus, Lenhoff-Posner-Binder 2006). Und zuletzt das gelegentlich angeführte Zitat von Edouard Quartie-La-Tente: „die Symbolischen Grade seien die Elementarschule, die Hochgrade die Hochschule der Freimaurerei" (zitiert nach Lenhoff-Posner-Binder, 2006).

Was soll man davon halten? Ist es tatsächlich so, wie es an einer Stelle der Literatur zu Hochgraden, im Speziellen zum AASR heißt: „Die blauen Grade sind nichts anderes als der äußere Vorhof des Tempels …“ (Albert Pike: Morals and Dogma).

Kann das zutreffend sein, nämlich, dass die Hochgrade herausgehoben wären, dass die blauen Grade einer Ergänzung bedürften, dass sie eine Fortsetzung nötig hätten, dass sie nur die Vorschule seien?

Meine Brüder, der 25. Jänner 1992 hat mein Leben verändert. Es war ein kalter Wintertag als kurz vor 18:00 Uhr meine Aufnahme in ritueller Weise erfolgte und der Bund fürs Leben geschlossen wurde. Von Anfang an hat mich das Gedankengebäude der Freimaurerei, die Beschäftigung mit der Bildung der Seele des Menschen als Grundlage für eine Änderung der Welt begeistert. Ich habe gesucht, habe gelesen und versucht in der Kunst voranzukommen. Ich habe meinen Einstieg über C.G. Jung und die Individuation gefunden und war fasziniert von der starken Wirkkraft der Bilder, der Rituale und der Symbole - und bin es bis heute. Und wie damals, so heute, bin ich davon überzeugt, dass in der Freimaurerei eine Kraft zur Veränderung der Welt liegt. Eine besondere Kraft, die aus jedem einzelnen kommt. Deshalb, weil unser Tun nicht mit Ich-Zentriertheit und Kontemplation endet, sondern weil wir daran gemessen werden, was wir in die reale, von uns so genannte profane Welt tragen. Weil also jeder einzelne tätig ist. Es erfordert persönliche Entwicklung, Offenheit und dann aktives Tun auf der Basis unserer masonischen Werte, auf der Basis von Freiheit, Gleichheit, und brüderlicher Liebe. Den Rahmen für diese Arbeit schaffen unsere Logen, Werkstätten, Ateliers, Kapitel, und wie sie immer heißen mögen. Also die Zusammenkünfte der Brüder zur gemeinsamen rituellen, symbolischen Arbeit.

Hochgrade waren für mich damals als Lehrling, als Geselle, als junger Meister, etwas Unerreichbares, Geheimnisumwittertes, Verborgenes. Wenn uns die Zugehörigkeit eines Bruders bekannt wurde, so wurde sie bestenfalls beflüstert. Es war als elitär, besonders, exklusiv, auszeichnend, geheimnisvoll angesehen. Und auch ich fühlte mich, als ich berufen wurde in den Schottische Ritus aufgenommen zu werden, als ausgezeichnet. Ich gestehe: Ich hatte eine unbeschreibliche Freude. Eine Freude, die unterbrochen von einer mittlerweile vollständig überwundenen Periode der Gleichgültigkeit bis heute anhält.

Ich verhehle aber nicht, dass ich gleichzeitig von Stolz erfüllt war, Stolz darüber, gleichsam aus der „Masse“ der Brüder der Johannislogen herausgehoben zu sein. Dieses Gefühl der Auszeichnung der Berufung zu Besonderem entsprach durchaus dem, was man als „gewöhnlicher“ Bruder einer Johannisloge den Hochgraden gegenüber entwickeln konnte. Das Gefühl, es handle sich um eine Auszeichnung: Hochgrade als die höhere Stufen des maurerischen Lebens.

Da klingt etwas an von dem an, was ich bereits vorher gesagt habe: Alleine die Berufung, der höhere Grad, macht in diesem Verständnis den Fortschritt! Meine Brüder, ich weiß aus Gesprächen, die sich mit den jungen Brüdern, aufgrund meines Arbeitsfeldes der masonischen Bildung in der GLvÖ ergeben, dass diese Einstellung auch heute oft anzutreffen ist. Die Hochgrade als elitäre Zirkel, vielleicht sogar als Parallelsysteme zur blauen Maurerei, deren Aufgaben nicht ganz klar sind, deren Mitglieder vermutlich mehr wissen, Geheimes wissen, jedenfalls andere höhere Grade besitzen und vielleicht doch auch eine Möglichkeit für weitere Ehrungen und Ränge.

Ich bin mit der Einweihung in den 18. Grad zur regelmäßigen Arbeit in den Hochgraden zurückgekehrt. Diese Einweihung war für mich ein tief bewegendes Erlebnis, ein Schlüsselerlebnis. Dieser Grad, der erfüllt ist von Symbolik und vor allem getragen ist von intensiver Liebe zum Bruder, von intensiver Liebe zum Menschen, hat mir Neues eröffnet. Zum einen eine Sehnsucht nach weiterer Vertiefung in die Beschäftigung mit dem Selbst, also die weitere in den unterschiedlichen Stufen stattfindende Herausforderung an das Selbst. Zum anderen ein Bewusstsein dafür, dass es auch darum geht, das hier Gelernte, das hier Erfahrene in arkangerechter Weise in die Johannisgrade zu tragen. Ich habe die Überzeugung gewonnen, dass es wichtig ist, diese Erfahrungen, dieses Erleben mitzunehmen in unsere eigenen Johannislogen, zu unseren Brüdern, deshalb weil es für die zukünftige Gestaltung der masonischen Arbeit in unseren Logen, in der GLvÖ Österreich von Bedeutung sein kann.

Warum erzähle ich euch das? Weil ich glaube dass dieses, mein eigenes Beispiel, darauf hinweisen kann, worin die Herausforderungen für die Arbeit in den Hochgradsystemen bestehen. Da ist einerseits die ständige Herausforderung an sich selbst und andererseits die Herausforderung, die Arbeit in den Johannisgraden zu gestalten. In einer Art zu gestalten, die frei ist von Überheblichkeit, frei von Geheimniskrämerei, frei ist von ritueller Besserwisserei, aber bestimmt vom Bedürfnis, die Brüder teilhaben zu lassen an eigenem Erlebnis. Johannisfreimaurerei und Hochgrade sind nicht nebeneinander, nicht übereinander schon gar nicht gegeneinander zu denken, sondern nur miteinander.

Die Grundlage der Freimaurerei ist die Beschäftigung mit dem Selbst, die Entwicklung der Seele, als des göttlichen Funkens in uns. Denn diese Entwicklung befähigt uns zu Leistungen, zur Arbeit in der Welt, zur Liebe zu den Menschen.

Nikos Katzanzakis schreibt im Angesicht des Todes, beim Abschied nehmen von dieser Welt und in Rechenschaft vor El Greco: „Ich bewundere die Seele des Menschen, keine Macht des Himmels und der Erde ist so stark; wir verdecken unsere Seele mit Fett und Fleisch und sterben, ohne zu wissen wer wir sind und was wir vermögen. Wir tragen in uns die Allmacht und wissen es nicht!“ (Rechenschaft vor El Greco, 1956, dt. 1961)

Wir, meine Brüder, haben jedoch eine großartige Möglichkeit unser Wissen um die Seele, um unser Selbst zu erweitern, indem wir uns mit der geistesgeschichtlichen Entwicklung der Menschheit beschäftigen. Die Symbolik der Hochgrade bietet uns Fortschritte in der Erkenntnis um uns selbst, um unser Handeln und um die Wirkung unseres Handelns in der Welt. So führt uns der Weg nicht weiter hinauf, sondern eher in uns hinein. So entsteht das Paradoxon, dass die Hochgrade nicht nach oben, sondern nach unten, in die Tiefe führen. In die Tiefe der Seele.

Die Allmacht, die wir in uns tragen ist verbunden mit der Entwicklung zum freien Menschen. Der Mensch, der frei ist, weil er sich seines Verstandes bedient, weil er sich aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit befreit hat (Kant), wird mit Allmacht zum Gestalter der Welt.

Das ist schon viel Anspruch. Denn in all unserem Tun sind wir notwendigerweise immer von Sorgen und Selbstzweifeln geplagt, ob es denn auch das Richtige ist, in Hinblick auf das eigene Wohl oder das eines anderen. Daher geht es hauptsächlich um das Gute der Tat selbst, also um die „intellektuelle Redlichkeit“ (Ernst Tugendhat, Egozentrizität und Mystik, 2003). Es geht darum, das Tun selbst gut oder besser zu tun, jedenfalls aber ohne auf Beifall zu hoffen, weil es aus einem selbst kommt.

Dieses Konzept sollte uns gerade hier in den Hochgraden beschäftigen: Neues Erleben, neue Ausrichtung, Zweifel, Sorgen, Nachdenken auf dem Wege zur Selbsterkenntnis, zum Verständnis der Welt und daraus abgeleitet die Aufforderung, das was man tut noch besser zu tun.

Mein Brüder, das ist ein Anspruch, eine Herausforderung, die an jeden von uns bei unserer Arbeit in den Hochgraden gerichtet ist. Es geht um die Sache, es geht um die Arbeit, es geht um das Tun und es geht nicht um das Lob und die Anerkennung oder den Grad oder den Rang. Ja es geht auch nicht um eine Form der Erlösung, die man hier oder in der Transzendenz erhält.

Hier können wir auch eine Begründung für unser Handeln finden: Wenn man nicht auf Belohnung in irgend einer Art hofft, sondern sie aus einem inneren Wertverständnis bezieht, so gibt es letztlich nur zwei Möglichkeiten, auf die hin man sich ausrichten kann: „… entweder man versteht sich auf etwas hin, was ‚von dieser Welt‘ ist, eine andere Person oder eine Gemeinschaft oder eine Sache, für die man tätig ist, oder zweitens einfach auf sich." (E. Tugendhat, Egozentrizität und Mystik, 2003). Für uns gesprochen: Man richtet sich aus auf den Bruder, auf die Menschheit, auf die Bruderschaft der Freimaurer oder zumindest auf seine eigene Entwicklung.

Die Hochgradsysteme und die in ihnen vermittelten Bilder und Symbole geben uns Hilfe und regen uns zu stufenweiser geistiger Entwicklung an. Die Vielfalt der Bilder, die dabei gezeigt und entworfen werden, seien es die Anrufung ritterlicher Tugenden, die Auffindung eines neuen, alten Wortes, die Zerstörung und der Wiederaufbau eines Tempels, die Prüfung und Bewertung eines für den Bau bedeutsamen Werkstückes, sie alle sind das treibende Agens der Entwicklung. Sie sind in ihrer Fülle der Schatz, der durch die Wirkung, das gute Tun besser und letztlich den Funken in der Seele zur Flamme werden lassen kann.

Es braucht dazu jedoch die Bereitschaft in sich zu gehen, tief hinein zu steigen, dorthin, wo der vollendete Meister H in jedem von uns Söhnen liegt. Aus der Trauer über den Tod desjenigen, der den Plan für den Tempel kannte, der wusste wie der Tempel der Menschenliebe zu bauen ist, entsteht zunächst Sehnsucht, dann Eifer, dann Freude zur Arbeit und letztlich kann die zum Feuer erweckte Flamme in Liebe das Werk, die Welt neu erschaffen.

Die Herausforderung an uns selbst lautet also, tätig zu sein, hier in der Arbeit an sich, dann in der Welt und in unseren Johannislogen.

Denn auch das ist der Auftrag an die Brüder der Hochgrade: Tätig zu sei in den eigenen symbolischen Johannislogen. Der Auftrag an die Brüder der Hochgrade lässt sich durch Stellen unserer Texte belegen: „Brüder Freimaurer heranzubilden, die mit Eifer und Entschiedenheit an der Verbreitung der Wahrheit und der uns leitenden Prinzipien arbeiten.“ Und an anderer Stelle: „Er (der entsprechende Hochgrad, Anm.) lehrt die, die sich ihm gewidmet haben, sich zu Menschen zu entwickeln, die durch ihr Beispiel andere, ja die ganze Menschheit mitreißen sollen“. Und „Du bist in der Welt um Zeichen zu geben… als höchstes der Zeichen gelte dein Leben.“

Wir erkennen eine weitere Herausforderung: Unsere Verantwortung für unser Handeln. Das kann und soll sich nicht im Wirken in der profanen Welt erschöpfen. Es betrifft auch unser Arbeiten in unseren Johannislogen. Ein Handeln, das beispielgebend sein soll, das Brüder mitreißen soll, das als Zeichen wirken soll. Dem „sapere aude!“ folgt das „agere aude!“ – Wage zu handeln! - Handle!

Nehmen wir diese Verantwortung ausreichend war? Wie sehr tragen wir das hier in den Hochgraden Erarbeitete wieder in unsere Johannislogen zurück? Erliegen wir womöglich der Gefahr, der Verlockung, hier tatsächlich ein, nur mehr wenig mit der „blauen“ Maurerei zusammenhängendes Gebäude zu errichten und zu pflegen? Vielleicht weil wir auch der Meinung sind etwas „Besseres“ schaffen zu müssen, schaffen zu können?

Spricht man mit Brüdern in den Logen, so dürften sich Wissen und Einstellung zu den Hochgraden in den Johannis-Logen in den letzten 20 Jahren nicht wesentlich verändert haben. Dabei wäre doch dies gerade eine Aufgabe, ja eine Herausforderung für das Gedeihen und die Zukunft der Freimaurerei in Österreich. Johannisfreimaurerei und Hochgrade sind ja in unseren Definitionen untrennbar miteinander verbunden. Die Arbeit in den Hochgraden kann sich nicht im Fortschreiten von Stufe zu Stufe erschöpfen. An mehreren Stellen der Hochgrad-Rituale wird auf die besonderen Aufgaben hingewiesen, die wir, die wir aus den Hochgraden kommen, haben: Licht und Wissen unter den Brüdern zu verbreiten und weiterzugeben.

Das ist eine wahre Herausforderung, fordert sie doch Besonnenheit - und Demut. Von unserem Verhalten unseren Brüdern in den Johannislogen gegenüber, von unserer Arbeit in den „blauen“ Logen hängen unsere Wirkung und gleichzeitig die Wirkung und die Zukunft der Freimaurerei ab. Wir sehen uns in allen Bereichen, im Profanen, wie auch innerhalb der Maurerei, mit einer Entwicklung konfrontiert, in der nicht Ränge und Stellung Bedeutung haben, sondern Wissen und Überzeugung und Vorbild. Masonisches Wissen weiterzugeben gelingt nicht durch die Berufung auf Einweihungen und den Besitz höherer Grade, sondern nur durch Beispiel. Treffend hat unser Alt- und Ehrengroßmeister Bruder Alexander Giese dazu angemerkt: „…Personen, die in unserem Kreis eine Ersatzkarriere aufbauen wollen, die unsere symbolischen Grade als Ränge empfinden, die ihnen Bedeutung verleihen sollen; die Überheblichkeit, die sich bei manchen Brüdern mit der Zeit einschleicht, die Geheimniskrämerei, die oft läppische Formen annimmt und eines Freimaurers nicht würdig sind, das alles sind Erscheinungen, die nicht Ergebnis einer maurerischen Bildung, sondern bloß Missbildung sind.“ (Grundsteine 2010, S 27) Das ist eine ernste Mahnung. Man kann sie wegwischen, man kann aber hineinhören in sich selbst, so auch ich, um Neues daraus zu entwickeln.

Denn zweifellos werden junge Männer, junge Brüder eine andere Art der Fragestellung nach Sinn und Begründung der Freimaurerei haben. Man mag dem Konzept einer Generation Y folgen oder nicht, es ist jedoch unschwer zu erkennen, dass die Frage „Why? Warum?“ einer neuen Beantwortung bedarf. Wenn heute Enddreißiger/junge Vierziger in den Logen der Johannisfreimaurerei aufgenommen werden, so werden wir sie aufgrund der Lebenssituationen noch nicht so bald in den Hochgraden erwarten können. Wenn es aber um Vorbild und Wissen geht, um Begriffe wie Freude und Erfüllung in der masonischen Arbeit, so können wir aus den Hochgraden kommend versuchen durch unser Handeln in den Logen Antworten und Beispiele zu geben.

Wir haben mit unseren Hochgradsystemen wunderbare Werkzeuge zur Entwicklung zur Hand. Wie in einem Kaleidoskop werden Aspekte des Lebens, des Sterbens und der Transzendenz vorgestellt. Wir sollten diese Möglichkeiten bestmöglich nutzen, um den Herausforderungen, denen jeder einzelne von uns und die Freimaurerei in ihrer Gesamtheit in der Zukunft gegenüber stehen, zu begegnen. Indem wir auch anerkennen, wie sehr das gesamte freimaurerische Lernfeld des Lebens eins ist, dass die Hochgrade und ihr Wissen aus dem Großen der Johannisfreimaurerei hervorgehen und wirksam in der Johannisfreimaurerei wieder aufgehen.

Die Hochgrade sind wesentlich für die Förderung der Freimaurerei, nicht weil sie parallele Strukturen zur Johannisfreimaurerei aufbauen und unterhalten, sondern, weil die Brüder, die hier in den Hochgraden tätig sind, mit ihrem Wissen, ihrem Empfinden in ihren Logen mit ihren jungen Brüdern arbeiten. Wenn es uns also gelingt, die uns gestellte Aufgabe, nämlich außerhalb der Hochgrade zu wirken, voller Demut zu erfüllen, so werden wir dazu beitragen, die Freimaurerei in ihrer Gesamtheit in ihrem Gedeihen und in ihrem Blühen zu fördern.

In Abwandlung von Lessing möchte ich sagen: „Die Lehren der Hochgrade sind nichts Willkürliches, nichts Entbehrliches, sondern ein Notwendiges, das im Wesen des Freimaurers gegründet ist“.

Die Hochgrade stellen mit ihrem Lehrgebäude eine Herausforderung an den Willen zur Entwicklung und zur Arbeit jedes einzelnen Bruders dar. In der Fülle ihre Symbolik, ihrer dadurch vorhandenen Möglichkeiten zur Wirkmächtigkeit gründet eine besondere Chance für den einzelnen Bruder. Aber nicht nur. In den Hochgraden liegt auch eine besondere Chance für das Erleben und Wirken der gesamten Freimaurerei.

Um die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Hochgrade sollten nicht als Weiterführung, als Ergänzung, schon gar nicht als Hochschule der Johannisfreimaurerei bezeichnet werden. Es handelt sich um eine besondere Form der maurerischen Arbeit an sich selbst, an der Entwicklung des Selbst, die jeder einzelne aus unterschiedlichen Motiven heraus für sich gefunden hat. Wesentlich ist, dass sie eine stete Quelle von Inspiration und geistiger Entwicklung innerhalb der Freimaurerei sind, aus der sich ein reicher Strom an Erfahrung und Wissen in die Johannisfreimaurerei ergießen kann.

Wir haben alle einmal den Entschluss gefasst, Freimaurer zu sein. Wir haben „Ja, ich will es!“ gesagt, zu einer besonderen Lebensform. Freimaurer zu sein ist in jedem Grad, je nach Kenntnis, mit dem Auftrag zur Arbeit verbunden.

Wir, die Brüder der Hochgrade, haben einen besonderen Auftrag: mit unseren Kenntnissen, mit unseren Fähigkeiten, die sich aus dem vielfältigen symbolischen Erleben, aus der geistigen Beschäftigung in den Hochgrad-Systemen ergeben, in Demut in unseren Logen der Johannisfreimaurerei tätig zu werden. Denn das ist unsere wahre Herausforderung: gemeinsam, jeder an seinem Platz, an der Zukunft der Freimaurerei, an unserem gemeinsamen großen Werk zu arbeiten.

„Sapere Aude!“ - „agere aude!“ - sei tätig für das Werk!


Siehe auch

Links