Traktat: Stein Macht Arbeit

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Stein. Macht. Arbeit.

Gedanken zur Arbeit am rauen Stein

Lehrlings-Zeichnung zur TA am 28. September 2016
Sr. Katja (Kontakt zur Autorin ist über die Loge UNITAS möglich.)


Musik: kurzer Ausschnitt aus „Steinar“ von Ondřej Adámek


"Steine seien tot, doch aneinandergeschlagen klingen sie."
Dr. Hanspeter Rings


Es gibt wenig Dinge, die uns so alltäglich erscheinen und in denen zugleich so viel Potenzial verborgen liegt wie in Steinen. Das gilt für den Stein als Bausubstanz ebenso wie für den Stein als Symbol. Selbst als Musikinstrument wird der Stein unterschätzt, dabei mag es das erste Instrument des homo sapiens gewesen sein.
Nach meiner Aufnahme war es der Stein, als er mir übergeben wurde, der mich die Stirn runzeln ließ. Wohin damit? Kann ich das offen hinlegen oder weiß dann jeder Besucher, dass ich Freimaurerin bin? Wie macht er sich überhaupt als Deko? War das jetzt nicht schon total verkehrt, an Deko zu denken? Habe ich ihn dadurch nicht entweiht? Er soll mich doch an meine Arbeit am rauen Stein erinnern!
Doch was bedeutet eigentlich die Arbeit am rauen Stein im symbolischen wie im handwerklichen Sinne?
Der raue Stein symbolisiert das bewusste geistige Innere des Menschen. Gleich einem rauen Stein, der behauen werden muss, um sich in den Bau einfügen zu lassen, soll der Freimaurer seinen Geist von Unebenheiten befreien. Ein Kubus soll ich werden und mich in ein großes Bauwerk einfügen. „Erkenne Dich selbst“, lautet mein Leitspruch dabei und Horaz folgend begann ich das Denken mit einem Schalk. Wenn ich als Stein in einem Bauwerk eingebaut werde, dann bitte nicht ganz unten. Erstens habe ich da keine Aussicht und zweitens werde ich ständig von Hunden angepinkelt.
Aber nun ganz im Ernst: sind denn nicht die unteren Steine diejenigen, die das Bauwerk halten, die Substanz bilden, die auch Erdbeben trotzt? Kann man sich überhaupt aussuchen, wo man verbaut wird? Was macht den behauenen Stein aus? Inspiriert von der Frage „Was ist Freimaurerei?“ und Gegenfrage „Was ist Freimaurerei nicht?“ begann ich meine Suche genauso: Was ist ein behauener Stein nicht?
Will man sich nicht mit der Wirklichkeit konfrontieren, geht man ins Theater. Ein Blick zu Shakespeare und schon habe ich Charaktere, die ich keinesfalls in ein großes Gebäude einfügen will: Macbeth, Othello und die Figuren darin sind alles andere als das Ziel des Freimaurers. Da könnte man noch sagen: dumm gelaufen, aber der Regisseur hatte interessante Ansätze.
Nur leider sieht es im echten Leben nicht schöner aus. Alexander der Große, Napoleon, Franco, Stalin und viele weitere Tyrannen, auch heute, finden wir als Beispiel für Steine, die sich im großen Bauwerk denkbar schlecht gemacht haben. Mittlerweile sind es auch Unternehmen, die seltsame Züge von Expansion annehmen und damit ein ganzes Geröll von Steinen mitziehen, aus denen hätten wundervolle Kuben werden können.
„Wenn das Ego zu sehr anschwillt, entstehen Größenwahn und Schwerhörigkeit. Fehler werden nicht zugegeben, und andere Menschen werden herabgemindert.“, schreibt Ari Turunen in seinem Buch „Kann mir bitte jemand das Wasser reichen?“, einer kurzen Geschichte der Arroganz. Ob es mit dem Wort Arroganz getan ist? Ist es nicht doch vielmehr Macht und Machtstreben, die ein gemeinsames Blicken in die gleiche Richtung und genug Raum für andere verhindern?

In der Musik, sofern es gute Musik ist, funktioniert das mit dem Raum immer. Der britische Forscher Alan Wing hat mit seinem Team Streichquartette und deren Zusammenspiel untersucht. Es gab Streichquartette, die synchron gespielt haben, weil sich drei Leute nach der ersten Geige gerichtet haben. Die wirklich Guten aber lieferten ein Teamwork: alle Instrumente passten sich ungefähr gleich oft in der Geschwindigkeit an ihre Partner an. In der Kammermusik, unabhängig welcher Besetzung, muss man sich musikalisch lieben, selbst wenn man sich im echten Leben unter Umständen nicht so nahesteht. Es gibt Ensembles, die übernachten auf Tournee nicht nur in unterschiedlichen Zimmern, sondern sogar in unterschiedlichen Hotels. Doch wenn sie zusammen musizieren, lässt jeder dem anderen Raum, sie unterstützen das Spiel des jeweiligen Partners und das ist nicht nur einfach dahin gesagt, denn es erfordert Kraft. Aus der eigenen Erfahrung kann ich sagen: nichts wäre leichter, als einen Kammermusikpartner, vor allem Bläser, musikalisch komplett im Musizieren zu behindern. Es reicht schon, ihn einfach total schlecht zu finden, er wird es sicher spüren. Noch besser aber ist es, ganz miserabel –also unnatürlich- zu atmen und dem Anderen somit auch jegliche Luft zu nehmen.
Das erstrebenswerte Gegenteil davon ist, die Soli des Partners auch körperlich mit zu begleiten, so wie er es im Idealfall für einen selbst tut. Ebenso wichtig ist es, sein Spiel zu mögen oder sogar bewundern zu können. Die Quintessenz der Forscher in der Untersuchung der Top Streichquartette war, dass sich die Partner musikalisch toll finden und für eine gemeinsame Sache kämpfen. Das heißt, jeder handelt innerhalb der Macht, die ihm zusteht und die gut für das gemeinsame Ziel ist.

Das Thema Macht hat mich in diesem Lehrlingsjahr sehr beschäftigt. Das hat natürlich und offensichtlich derzeit mit der weltpolitischen Lage zu tun, die mich teilweise so schockiert, dass ich eine Weile bewusst keine Nachrichten höre. Oft denke ich, das letzte, was ich sein wollte, ist eine Maus bei einem NATO-Gipfel. Ich würde es nicht aushalten.
Auch die Flüchtlingslage und Flüchtlingsdiskussion sowie die „Ohnmacht“ in diesem Zusammenhang war genau in diesem Jahr ein Thema, das eng in Verbindung mit meinem Leben als Freimaurerin stand. Ich weiß noch, wie ich meine Freundin, Pianistin, recht bald nach meiner Aufnahme anrief und sagte: „Nadine, da sind Menschen, die haben komplett ihre Heimat verloren. Wir müssen was tun!“ Der Tatendrang hatte unmittelbar mit meiner Aufnahme zu tun, denn sie lieferte mir die Energie, sich nicht mit Zuständen abzufinden, sondern etwas zu unternehmen. Ich wusste damals noch nicht, wie schwer es künftig sein würde, Anfeindungen Stand zu halten und wie viele Schmerzen mir das Wissen bereiten würde, aus der persönlichen Lage heraus nicht noch mehr leisten zu können. Nicht noch mehr leisten zu können dafür, dass Menschen in einer fremden Umgebung die Möglichkeit haben, zumindest zunächst als Persönlichkeit gleichgestellt mit den Einheimischen zu sein.
Was mich zur Freimaurerei geführt hat, war tatsächlich das Streben nach gleicher Augenhöhe und gerechten Machtverhältnissen, obwohl ich genau in diesem Punkt von Freimaurern bisher am häufigsten enttäuscht wurde. Aber wir arbeiten ja nun am eigenen Stein und nicht an dem des anderen.

Für mich als Musikerin hat gute Kammermusik, ein aufrechtes Leben und Freimaurerei viel gemeinsam. Schon beim Üben denke ich als Lehrling an meine Pflichten: verschwiegen zu sein und duldsam, außerdem ausdauernd. Verschwiegenheit bedeutet dann, dass ich nichts anderes tun kann, wenn ich an einem neuen Musikwerk sitze, als das, was der Spruch „Keep calm and carry on“ so schön zum Ausdruck bringt. Es ist sinnlos, sich andauernd zu beklagen, wie viele schwere Läufe noch zu üben sind. Duldsam zu sein bedeutet, dass ich für Kritik offen bin und tolerant gegenüber den Gedanken meiner Musikpartner. Ausdauer ist unverzichtbar, denn immer und immer wieder muss geprobt werden. Aber auch im Leben ohne Cello in der Hand frage ich mich oft: wie kann ich andere Menschen immer schätzen, ihnen die Möglichkeit und Raum geben, sich mit mir auf der Ebene zu treffen, die sie präferieren? Ebenbürtig zu sein obliegt doch beiden Gesprächspartnern. Wie kann ich die Arbeit anderer wertschätzen, wenn ich manchmal den Eindruck habe, ich hätte es besser gemacht? Wie kann ich anderen noch mehr das Gefühl geben, dass ich ihnen zuhöre und sie verstehe, obwohl ich manchmal schnell bin und kompakt?
Ich finde, in der Loge und bei den Tempelarbeiten findet man genügend Spiegel, die einem helfen, Antworten auf solche Fragen zu finden. Und letztendlich hilft nur eines: immer wieder geduldig den Spitzhammer anzusetzen. Man ist ja nicht alleine, gerade einem Lehrling wird doch zur Seite gestanden. Glücklicherweise habe ich auch oft die Musik als persönliche Rückenstärkung: wenn mir mal wieder danach ist, die Hände über dem Kopf zusammen zu schlagen, lasse ich mein inneres Ohr die „drei Knaben“ aus Mozarts Zauberflöte singen: „Drum höre unsre Lehre an: Sei standhaft, duldsam, und verschwiegen!“ Sogar die Zeile dieser Arie „sei ein Mann“ hat etwas für sich. Der Mann als Jäger und Sammler hatte doch viel Übung darin, sein Ziel im Auge zu behalten. Welches in diesem Fall wäre: Steine sind nicht nur zum aufeinander Stapeln und Verbauen da, sondern noch schöner wäre es doch darauf hin zu arbeiten, dass sogar noch ihr Klang harmoniert.

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