Traktat: Zeremonien

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Reißbrett des Meisters

Zeremonien

In seiner Vorrede zur Theodizee aus dem Jahr 1744 gibt Leibniz eine Einschätzung der Bedeutung von Zeremonien wieder. Sie seien den tugendhaften Taten ähnlich. Für ihn ist es wichtig, dass Glaubensformeln, die er als Schatten der Wahrheit bezeichnet, zu einer reinen Einsicht führen. “Alle diese Formalitäten würden auch ihr gehöriges Lob verdienen, wenn ihre Urheber sie also eingerichtet hätten, daß sie geschickt wären, diejenigen Dinge, denen sie nachahmen, auszudrücken und zu befestigen.” Sie hätten also das Ziel, “die Kirchendisziplin, die Ordensregeln und die menschlichen Gesetze” so anzusehen als ob sie “allezeit gleichsam ein Zaun um die göttlichen Gesetze wären; um uns von den Lastern abzuhalten, zum Guten anzugewöhnen, und uns die Tugend geläufig zu machen.”

Bei all dem bedauert es der fromme Leibniz, dass die “Heiden, mit welchen die Erde vor Aufrichtung des Christentums angefüllet war, … nur eine einzige Art der Formalitäten” hatten. “Sie hatten wohl Zeremonien in ihrem Gottesdienste, aber von Glaubensartikeln wussten sie nichts: es war ihnen auch niemals in den Sinn gekommen, ihre dogmatische Theologie in gewisse Lehrbegriffe zu bringen. Sie wußten nicht, ob ihre Götter wirkliche Personen, oder bloße Zeichen und Sinnbilder natürlicher Kräfte als der Planeten, der Elemente u. s. w. wären.” Wie viele andere hatte auch Leibniz das Läuten gehört, wusste aber nicht, wo die Glocken hängen. Es war ihm schon aufgefallen, dass die Ausübung der Zeremonien vielfach nicht viel mit den Inhalten zu tun hat. Wie auch die freimaurerischen Rituale ahmen die Zeremonien der Kirchen ein Erlebnis nach. Sie vergegenwärtigen etwas Unsagbares.

Leibniz konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass außer den vermeintlichen Wahrheiten seiner Kirche andere Erlebnisse des Menschen in Zeremonien ihren mimetischen Ausdruck finden können. Doch da kommt ihm der Heide ins Gedächtnis. Heiden haben auch Rituale. Auch sie vergegenwärtigen sich etwas, was sie das Göttliche nennen. Sofort aber wehrt der Philosoph den Verdacht ab, Heiden könnten das gleiche Recht haben wie Christen, ihre Wahrheit in der Zeremonie zum Ausdruck bringen zu können. Zur Erlösung für alle, die bis heute nicht aus der Denkwelt Leibnizens herausgetreten sind, spricht er aus, dass nur das Anrufen von Glaubensartikeln und Glaubensformeln die Wahrheit in Zeremonien zutage treten lassen können.

Wer Freimaurer werden will, muss allerdings aus dem Leibnizischen Ring der Intoleranz heraustreten können. Wer das nicht kann, tut gut daran, in seiner Kirche zu bleiben und seine Kirche im Dorf zu lassen. Andernfalls würde er unglücklich werden. Denn in den Zeremonien der Freimaurer werden keine Glaubensformeln oder Glaubensartikel heruntergebetet mit dem Anspruch, dass sie die Wahrheit verkünden könnten. Freimaurerei hat kein Glaubensbekenntnis. Freimaurerische Zeremonien stehen viel näher am heidnischen Verständnis von Ritual und Zeremonie als die der christlichen Religion. Denn sie vermitteln einen Eindruck, dass durch die Ausübung der Zeremonien auch dann Tugend und Disziplin vermitteln können, wenn sie nicht dem christlichen Dogma dienen.

Klaus-Jürgen Grün

Quatuor Coronati

-Meister der Loge-

September 2013