Frederik: Harpokrates. Das Bild der Verschwiegenheit

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Harpokrates

Vortrag von Wolfgang Dittrich, gehalten anläßlich der Jahreshauptversammlung 2010 der Forschungsvereinigung Frederik am 23. und 24. Oktober im Logenhaus Moorweidenstraße 36 in Hamburg.

Das Bild der Verschwiegenheit
Autor: Wolfgang Dittrich Hannover

Beim Übergang von der Johannis- in die Andreasloge und damit von der ersten in die zweite Ordensabteilung begegnen dem Suchenden und Fortschreitenden neue, bisher unbekannte Symbole. Aber auch die Art, in der sich diese Symbole darbieten, ändert sich. Die Johannis-Lehrlings- und die Johannis–Gesellenloge sind zwar schon reich an Sinnzeichen, deren Gehalt – dem Aufgenommenen noch verborgen - sogar weit über den Lehrinhalt ihres Grades hinausweist, aber es handelt sich zum größten Teil um Abbildungen.

Zwar liegen auf dem Altar von Anfang an als konkrete, symbolhaltige Gegenstände Bibel und Schwert, der Meister führt den Hammer, Säulen und Leuchter tragen die Kerzen, aber der Arbeitsteppich selbst ist eine reine Zeichnung ohne einen einzigen konkreten Gegenstand.

Das erinnert an frühe Zeiten der Freimaurerei, als es Teppiche oder Arbeitstafeln noch gar nicht gab und die Symbole, in ein Rechteck eingeschlossen, mit Kreide auf den Fußboden gezeichnet und nach Schließung der Loge wieder gelöscht wurden. - In der Meisterloge erscheinen dann erstmals Gegenstände auf dem Arbeitsteppich, als erstes, dem Eintretenden befremdlich genug, Sarg und verschränkte Gebeine. In der zweiten Ordensabteilung dagegen wird die reiche und sich immer mehr ausfaltende Symbolik dem Fortschreitenden nicht mehr in Abbildungen, sondern ganz überwiegend in sinntragenden Gegenständen präsentiert, wobei es sich schnell erweist, dass ein solcher Gegenstand in seiner Konkretheit weitaus befremdlicher und rätselhafter und in der Deutung schwieriger sein kann als ein gemaltes oder gezeichnetes Bild.

Der suchende Johannismeister wird, nachdem er den Dunklen Gang durchschritten und die Akazie gefunden hat, rückwärts in die Dunkle Halle geführt, wie schon der suchende Johannisgeselle den Meistertempel rückwärts betrat. Als erstes erblickt er in der Dunkelheit eine im Licht stehende Figur, die ihm den Eindruck vermittelt, er stehe, wie es ein Bruder in der Zirkelkorrespondenz ausgedrückt hat (Stülpnagel) , vor dem Exponat eines ägyptischen Museums. 1992

Der Eindruck ist, historisch gesehen, nicht falsch. Was es mit dieser Figur auf sich hat und welche moralisch-symbolische Bedeutung ihr zukommt, ist Gegenstand dieses Vortrages. Die Figur stammt in der Tat aus der ägyptischen Mythologie und stellt den Gott Horus, den Sohn der Isis und des Osiris, dar. Auf den in Ägypten verbreiteten Urbildern erscheint Horus als kleines Kind. Der ägyptische Name „Hor-pa-chered“ bedeutet „Horus, das Kind“. Die Griechen formten diesen Namen um zu „Harpokrates“.

Fehldeutung

Die Übernahme der Gestalt und die Adaption des Namens unterlagen allerdings einem Missverständnis. Auf den weit verbreiteten ägyptischen Darstellungen wird Horus nämlich wie alle kleinen Kinder nackt, mit der so genannten Jugendlocke und dem Zeigefinger am Mund dargestellt. Die Griechen und ihnen nachfolgend die Römer (Ovid, Metamorphosen) deuteten diese Geste fälschlich als Schweigegebot, das in der ägyptischen Kultur jedoch durch andere Zeichen und Haltungen ausgedrückt wurde. Diesem Irrtum der alten Griechen verdankt Harpokrates also für alle nachfolgenden Zeiten seine Rolle als Sinnbild des Schweigens oder der Verschwiegenheit.

Erbteil

Wie aber kommt Harpokrates aus der ägyptischen Mythologie auf dem Weg über die griechisch-römische Antike in die Freimaurerei? Es ist davon auszugehen, dass es sich hier um ein Erbteil der Zeiten des Humanismus und der Renaissance handelt, das wie andere Vorstellungen und Symbole aus dieser Zeit in die schottische Andreasmaurerei eingeflossen ist. Die so genannten Eckleff’schen Akten allerdings, also die Gesamtheit dessen, was an Ritualen und Erklärungen ursprünglich durch die Große Landesloge aus Schweden übernommen wurde, kannten die Figur noch nicht.

Erst die 1801 gedruckten Umarbeitungen und Erweiterungen des Herzogs Carl von Södermanland, der 1809 als König Karl XIII. den schwedischen Thron bestieg, fügten die Figur in das Ritual der Andreasloge ein. Der Herzog wurde dabei offensichtlich von der gelehrt-antiquarischen Literatur des 18. Jahrhunderts beeinflusst, in der Harpokrates als Gott der Verschwiegenheit ein geläufiges Thema war.

Nettelbladt und Feddersen

Wegen zeitweiliger logenpolitischer Irritationen in den Beziehungen zwischen der Großen Landesloge und Schweden kamen die erweiterten Akten erst 1819 nach Deutschland Auf deren Grundlage überarbeitete Christian Karl Friedrich Freiherr von Feddersen (1770-1843)[Vgl. F S.227] in den 30ger Jahren des 19. Jahrhunderts die Rituale der Großen Landesloge (die so genannte Nettelbladt’sche Redaktion). Für die Andreasgrade liegt eine handschriftliche Fassung von 1841 vor. Im Zuge dieser Redaktion wurde die Figur in das Ritual der Andreasloge eingefügt, der Name Harpokrates jedoch getilgt und mit „Bild der Verschwiegenheit“ bezeichnet. Nettelbladt fügte außerdem in einem mit der Spitze nach oben weisenden Dreieck das Tempelkreuz hinzu (Wolfskehl, Feddersen, Schwartz) 1965 ; F S.256 ; S

Beschreibung der Figur

Der Schurz ist als solcher kaum zu erkennen, die Klappe fehlt noch. 1968, T.2, Bl.10 In der unter dem Ordensmeister Ziegler zwischen 1877 und 1882 erarbeiteten Fassung erscheint im unteren Teil der Figur das scharfkantige, hermen- oder auch sargartige Gebilde und ersetzt die mumienartige Umhüllung. Erst die Fassung von 1892 zeigt dann das heute bekannte Erscheinungsbild. Der Schurz ist deutlich als solcher erkennbar geworden, das Tempelkreuz rückt auf die dreieckige Klappe, deren Spitze naturgemäß nach unten weist. Auch die goldene Krone mit der Flamme und der Kubus als Grundlage der Figur erscheinen überraschenderweise erst in dieser seither nicht mehr veränderten Fassung von 1892. Vorher zierten lediglich Binde und Flamme den Kopf und die Figur stand auf einer nichtkubischen Unterlage. Ihre Füße ragten in den Beschreibungen vor 1892 lediglich hervor, erst jetzt werden sie in einen rechten Winkel gestellt. Damit scheint die Entwicklungsgeschichte der Figur innerhalb des Rituals einen Endpunkt erreicht zu haben.

In der Neufassung des 5. Logenbuches von 2005 wurden der zuletzt 1912 gedruckten älteren Fassung allerdings zwei relativierende Klammerzusätze beigefügt. Demnach können die vorher eindeutig als T und P definierten Buchstabenjetzt auch als griechisch Tau und Rho gelesen werden, zweifellos ein Reflex auf die schon in den 70ger Jahren des 19. Jahrhunderten einsetzende lebhafte Diskussion um die Deutung gerade dieser Zeichen.

An der Entwicklungsgeschichte der Beschreibungen und Abbildungen des Harpokrates über 90 Jahre hin wird eine schrittweise Anpassung der Figur an die inzwischen erarbeiteten Sinndeutungen erkennbar, das tradierte Bild wird mehr und mehr überformt durch eine maurerisch-christliche Neuinterpretation. Die überlieferten Akten, Rituale und Fragebücher enthalten zwar eine Beschreibung der Figur, geben für eine solche Interpretation aber nur wenige Anhaltspunkte. Im Fragebuch wird zwar auf ihre allgemeine Bedeutung als Mahnung zur Verschwiegenheit und Aufforderung zu Selbstbetrachtung und Selbstprüfung hingewiesen, die einzelnen Zeichen werden aber kaum näher erläutert. Der Phantasie der Interpreten sind daher an dieser Stelle weniger als anderswo Grenzen gesetzt. Das drückt sich auch in der Vielzahl überlieferter Zeichnungen und plastischer Ausformungen aus, die in unwesentlichen, aber auch wesentlichen Punkten sehr häufig Unterschiede aufweisen. Bei der Bewertung der Argumente besonders älterer Interpreten ist immer im Blick zu halten, auf welche Redaktion der Akten sie sich beziehen und welche Abbildungen ihnen möglicherweise vorschwebten.

Hieber

Daneben stellt sich ein grundsätzliches methodisches Problem: Otto Hieber war der Auffassung, dass „die Frage , was die Figur eigentlich ist, und wie sie in unsere Akten gekommen ist“, für das „Verständnis des Bildes und seiner Zeichen“ ganz belanglos sei Er will die Geschichte des Bildes mit ihren [Zitiert nach Lühr, 1956, S.30]. religionsgeschichtlichen und antiquarischen Aspekten und deren Wandlungen den „Gelehrten im Orden“ überlassen und mit seiner Interpretation, Sinndeutung und Symbolentziff erung gewissermaßen „auf der grünen Wiese“ neu und unbelastet von allem historischen Wissen ansetzen. Dem hat 1956 schon Heinrich Lühr vorsichtig widersprochen. Abgesehen davon, dass das Bild des Harpokrates wie oben dargestellt schon in der Freimaurerei einem längeren Entwicklungsprozess unterworfen war, so dass eine objektive Grundlage für eine ahistorisch-symbolisch-moralische Ausdeutung kaum existiert, könnte eine Bezugnahme gerade auf die weit in die Menschheitsgeschichte zurückweisenden religionsgeschichtlichen Bezüge die Willkür mancher Interpreten heilsam beschränken und viele Deutungen, so überzeugend moralisch sie sich auch geben mögen, als konstruiert und abwegig erkennbar werden lassen.

Feddersen

Eine konsequente Verbindung der religions- und kulturhistorischen Traditionen der Harpokrates-Figur mit einer maurerisch-symbolischen Ausdeutung im Sinne der Ordenslehre der Großen Landesloge hat erst Klaus Feddersen 1992 in einer grundgelehrten und bewundernswerten Arbeit vorgenommen. Das Bild der Verschwiegenheit ist das erste Symbol, das dem suchenden Johannismeister nach seinem Eintritt in die Stille Halle begegnet. Während er betrachtend, Leuchte und Glocke in der rechten und die Akazie in der erhobenen linken Hand, davor steht, richtet der Meister eine mahnende Rede an ihn, in der er die Entschlossenheit der hier versammelten Auserwählten verkündet, „in der Finsternis das Licht zu bewahren, und das Heilige, das uns anvertraut ist, zu schützen, zu verteidigen, zu erhalten, wie vormals Adoniram“. Der Suchende wird aufgefordert, sich diesem Ziel in gleicher Weise zu widmen und sich dabei der Werkzeuge Vernunft und Gewissen mit Kraft und Ausdauer zu bedienen. Danach stellt der Meister langsam und feierlich vier gewichtige Fragen:

nach den Absichten, mit denen der Suchende diesen dunklen Raum betreten hat,
nach der Schuld in seiner Brust,
nach seinem Mut, eher Tod und Gefahren zu trotzen, als von dem Wege der Wahrheit ... abzuweichen , und
nach seiner Bereitschaft, sich im Streben nach Licht und Wahrheit dem Dienste des Ordens zu widmen.

Danach beginnen die vier Reisen des auserwählten Andreas-Lehrlings. Die Betrachtung der Figur des Schweigenden, die Ansprache des Meisters und die vier Fragen stehen offensichtlich in engem Zusammenhang und erzeugen in ihrer feierlichen Gleichzeitigkeit eine existentielle Entscheidungssituation.

Die Fragen sind die ernsthaftesten, die überhaupt gefragt werden können, sie zielen auf den Kern der Person, können nur einmal gestellt und nur einmal beantwortet werden. Die ehrliche Antwort entscheidet über den Vollzug der Umkehr und des neuen Lebensweges. Auf höherer Ebene wiederholt sich hier die Entscheidungssituation des Suchenden und Beharrenden in der Johannis-Lehrlingsloge, bevor er in den Orden aufgenom- men wird. Während aber so gewichtige Fragen gestellt werden, schaut der Suchende auf die Figur der Verschwiegenheit. Ihr auffälligstes Kennzeichen ist der die Lippen verschließende Zeigefinger der rechten Hand. Sie soll uns mahnen, wie es im Fragebuch heißt (....) , stille Selbstbetrachtung und Selbstprüfung V, 6. Kap., 1. Art., § 10 unablässig zu üben, als Vorbedingung und Grundlage fortschreitender Selbstveredelung.

Schweigen ist die Botschaft des Horus/Harpokrates. Schweigen bedeutet, dass sich das Denken, die Aufmerksamkeit nicht mehr nach außen, sondern nach innen wendet. Wird durch Reden und Fragen die Welt erkundet, so erforscht schweigen- des Nachdenken das eigene Innere, Denkkräfte, die durch die Vielfalt und den Lärm der Außenwelt zersplittert werden, konzentrieren sich im Schweigen auf das Wesentliche der Person im Inneren.

Im Schweigen und in der Wendung nach Innen vernehmen wir Gottes Wort. Von den Heilkräften des Schweigens wissen auch Mönchsorden und Psychotherapeuten. Die Betrachtung des Bildes der Verschwiegenheit, die ernsthafte Ansprache des Meisters, seine schicksalhaften Fragen und die Aufforderung zu beständiger Selbstprüfung gehören also zusammen und bilden den großartigen Eingang der zweiten Ordensabteilung.

Betrachten wir das Bild der Verschwiegenheit, wie es sich dem Blick des suchenden Johannismeisters darbietet, noch weiter. Dabei beginnen wir sinnvollerweise mit der Basis. Die Figur steht auf einem Kubus. Dieser gilt wegen seiner mathematischen Eigenschaften, der in allen Dimensionen gleich langen Erstreckung und der ausschließlich rechten Winkel als Zeichen der Vollkommenheit und in letzter gedanklicher Konsequenz als Hinweis auf unseren Obermeister. Dieser (Lühr, 1956, 36) Kubus bildet das feste Fundament der hoch aufragenden Gestalt. Die Füße der Figur stehen im rechten Winkel zueinander. Es ist die rituelle Fußstellung und in der Bewegung die rituelle Gangart, die bewusst von der natürlichen, durch unsere Physis gegebenen abweicht. In ihr ersteigt zum Beispiel der Johannis- Geselle die sieben Stufen des Tempels. In den ersten beiden Ordensabteilungen gehört sie zu jeder Aufnahme oder besser: Einweihung. Wer sich nicht wie von der Natur vorgegeben bewegt, sondern auf kunstvoll in einen rechten Winkel gestellten Füßen schreitet, stellt sich unter ein besonderes moralisches Gesetz und bekennt sich zu einer von Gott gegebenen moralischen Weltordnung.

Die untere Körperhälfte der Figur scheint bewegungsunfähig eingeschlossen in eine feste sargartige Umhüllung. Historisch lässt sich das leicht erklären, denn das Bild des Horus ist in Form einer Herme überliefert. Darunter versteht man einen rechteckigen, nach unten sich verjüngenden Pfeilerschaft, der einen Kopf oder eine Büste trägt.

Der Name kommt von den in der Antike an den Kreuzungen aufgestellten Kultbildern des Wegegottes Hermes. Die Beschreibung des Pfeilers als bewegungshindernde, sargartige Ummantelung der Figur ist aber schon der erste Schritt zu einer moralischen Neuinterpretation. In diesem Sinne könnte sie auf die Körperlichkeit und Erdverhaftung der Figur und damit auf die Natur des Menschen deuten, der an seine natürlichen Grenzen, Schwächen und Bedingungen immer gebunden bleibt und ihnen nicht entrinnen kann. Eine andere Deutung nimmt das Sarg- und Mumienhafte wörtlich und deutet es als Todeszeichen, aus dem sich der muskulös wirkende und als unbekleidet zu denkende Oberkörper der Figur frei erhebt. Damit kommt die Symbolik der Wiederauf erstehung ins Spiel. Eine Entscheidung zwischen den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten lässt sich nur aus einer alle Zeichen zusammenfassenden Gesamtdeutung der Figur heraus treffen.

In der linken Hand trägt die Figur einen Akazienzweig, jedoch anders als der vor ihr stehende Suchende. Hält dieser den Zweig an vom Körper abgewinkelten Arm empor, trägt ihn die Figur an abgesenktem Arm in Ruhestellung. Der Akazienzweig gilt wie überall in unserem Ritual als Zeichen des Sieges und des ewigen Lebens. Die Unterschiede deuten die H altung an einerseits des noch währenden Kampfes und andererseits des siegreich beendeten Kampfes und des erreichten Zieles (Vgl. Metzener S.218).

Das Haupt ist mit einer Binde umwunden und trägt eine Krone mit einer aus der Spitze aufsteigenden Flamme. Die Binde galt in alten Geheimkulten als Zeichen eines Eingeweihten, der alle Wanderungen und Wandlungen durchgemacht und alle Prüfungen bestanden hatte (Lühr 1956).

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Siehe auch

Weitere Vorträge

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