Traktat: “Wörter machen Götter” – eine orientalische Entgegnung: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 14. August 2018, 11:58 Uhr

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“Wörter machen Götter” – eine orientalische Entgegnung

Noch einmal zu “Wörter machen Götter” – eine orientalische Entgegnung


Vieles wurde schon zu Klaus-Jürgen Grün's jüngstem Buchbeitrag “Wörter machen Götter” gedacht, gesagt und geschrieben. In einschlägigen online-Foren in teils polemischem, teils verbittertertem, aber auch mit durchaus analytischem Ton dekonstruiert, anderenorts als notwendige, gar längst überfällige Publikation gepriesen, übersteigt die Resonanz auf dieses Werk bei Weitem alles, was freimaurerischen Schriften in den letzten Jahren an Aufmerksamkeit zuteil werden durfte. Die Freimaurerei in Deutschland besitzt nun auch zu guter Letzt, wie es scheint, ihre ganz eigenen “satanischen Verse”, über die logen- und lehrartübergreifend kontrovers gestritten werden darf.

So mag berechtigterweise die Frage gestellt werden, warum sich noch eine weitere schriftliche Stellungname anschickt, in das schillerndbunte Gedränge von Rede und Gegenrede zu Br. Grün's “Hetzschrift” (offizielle Verlautbarung der Vereinigten Grosslogen von Deutschland) einzufallen. Zwei Überlegungen haben Verf. hierzu bewogen: zum Einen vertritt Verf. die Überzeugung, das kontroverse Themen nicht unter einem Mangel an kritischem Diskurs leiden sollten, zum Anderen ist die freimaurerische Identität des Verf. durch langjährige, aktive Mitarbeit in der regulären türkischen Maurerei geprägt, die eine alternative Perspektive auf die causa Grün möglich erscheinen lässt. Der zweigeteilte Titel des Werkes ist Programm. Der Dreiklang “Wörter machen Götter” paraphrasiert den -durchaus spannend dargebotenen- Versuch des Autors, mithilfe einer aus historischer Religionskritik, Sprachanalyse, Philosophie und Sozialpsychologie gespeister Methodik die wortgebundenen Rituale der Freimaurerei als einen geschichteten Läuterungsprozess zu klassifizieren, welcher die brüderliche Gemeinschaft auf eine diesseitige, jeglicher eschatologischer Knabenmorgenblütenträume beraubte Lebenswirklichkeit einnorden soll.

Die Hölle ist leer, und alle Teufel sind hier. Und diese sind, ebenso wie Götter, Engel, Elfen, oder die hehre Seele an sich eben nur gesprochene oder geschriebene Lautgebilde ohne wahrhaftige Substanz oder immanentem Wahrheitsgehalt. Die rituellen Übungen dienen somit einzig und allein dem Zweck, die je nach soziokultureller Konditionierung mehr oder minder stark ausgeprägten transzendenten Filter zu entfernen, und den Blick für die Belange unserer Welt zu schärfen, und nur dieser einen, die einer nach derzeitiger Methodik möglichen wissenschaftlichen Prüfung ihrer Wirklichkeit und somit Wahrhaftigkeit standzuhalten vermag. Und worüber man nicht sprechen kann -man vernimmt das Raunen Ludwig Wittgensteins- darüber sollte man bitte tunlichst schweigen. Der kämpferische Zusatz “Der symbolische Bund der Freimaurer und seine Feinde” ist nicht ohne Grund einem Werk Karl Poppers entlehnt, dem wohl einflussreichsten Wissenschaftsphilosophen des vergangenen Jahrhunders, der auch von Br. Grün ausgiebig zitiert wird und neben dem Familientherapeuten und Kommunikationstheoretiker Paul Watzlawick einer der Grundpfeiler seiner Überlegungen ist. Die “Feinde” sind jedoch in vorliegendem Fall sehr konkret gefasst, wird doch dem Freimaurerorden bzw. seinem Dachverband, der Grossen Landesloge von Deutschland -bzw. aller v.a. im skandinavischen Raum beheimateten christlich geprägten Freimaurerlogen- nicht nur ihre freimaurerische Legitimiät abgesprochen, sondern die gesamte Organisation gleich einem Kehrrichthaufen als klandestine Christussekte entsorgt. Ein bitteres Kainsmal, das, einmal eingebrannt, nur schwer zu revidieren ist.

Diese Sezierung der Ordensmaurerei erfolgt im Gegensatz zu Br. Grüns durchaus anregenden Einlassungen zur semiotischen Dimension der Freimaurerei in einer ermüdend polemisch-redundanten Art, die das Lesevergnügen erheblich schmälert. Beherzt Br. Grün im “semiotischen” Teil seiner Arbeit noch die von Karl Popper eingeforderte Klarheit der Sprache und Kohärenz im Argumentationsfluss, nimmt der eingeflochtene Sturmangriff gegen den Freimaurerorden mit zunehmender Dauer bald ehrenrührige, bald hysterische Züge an, verliert aber in seinem Verlauf durch die geradezu gebetsmühlenartige Wiederholung der immergleichen Streitpunkte erheblich an Schlag- und Überzeugungskraft. Bei manchem Leser mag dies eine vom Autor gewiss ungewollte Solidarisierung mit dem so arg gescholtetenen Ordensbund bewirken. Letztendlich ist die Grün'sche Exegese des Rituals nur eine von vielen möglichen Lesarten freimaurerischer Tempelarbeit. Die Reduktion des Symbols auf ein jeglicher Spiritualität entkleidetes Schattenspiel mag für einige Brüder ein reizvolles Unterfangen, für andere Brüder in den Kolonnen jedoch unbefriedigend sein. Durch die bewegten Zeiten freimaurerischen Wirkens in dieser Welt schrieb und schreibt niemand -kein Dachverband, keine Gruppe und kein Individuum- der Ritualgemeinschaft eine präzise Ausdeutung vor, wie das innere Erleben bzw. die emotionale wie intellektuelle Synthese der Arbeit vonstatten gehen soll.

Hierbei ist interessant zu beobachten, das die strikt laizistisch agierende und jedweder Frömmelei gewiss unverdächtige Freimaurerei in der Türkei im Jahreslauf eine ausgeprägte Hinwendung zu dezidiert spirituellen Themen offenbart. Ein Blick in das von der Grossloge der Freien und Angenommenen Maurer in der Türkei herausgegebene Periodikum “Mimar Sinan”, in der sämtliche in regulären türkischen Logen aufgelegte Zeichnungen innerhalb einer Arbeitsperiode minutiös mit Titel und Datum vermerkt sind, belegt dies nachhaltig. An der Diesseitsbezogenheit der türkischen Brüder besteht nach Meinung des Verf. trotzdem kein Zweifel, auch wenn sich eine nicht geringe Anzahl aktiver türkischer Freimaurer dem Bektaşi-Orden, Sufismus oder Schamanismus verbunden fühlt, ja sogar Ämter in den vorab genannten Glaubensgemeinschaften bekleidet. Wogegen andere mit nur einer kielbreit Abstand am alternativlosen Atheismus entlangnavigieren. Oder als Rabbi der örtlichen jüdischen Gemeinde in Ankara vorstehen. Zur Tempelarbeit findet man sich dann in trauter Einigkeit zusammen.

Ein von Br. Grün skizziertes Paradigma ist nach Einschätzung des Verf. den meisten Brüdern hier in der Türkei -und wohl nicht nur hier- vollkommen fremd. Was die hiesigen Logen nicht daran hindert, intensive und fruchbare Beziehungen zu einer Vielzahl von Bauhütten im Ausland zu unterhalten, die weltanschaulich gewiss ähnlich heterogen aufgestellt sind. Persönliche Erfahrungen mögen im Argumentationstrang Klaus-Jürgen Grüns keine Gültigkeit besitzen, jedoch hatte Verf. bei seinen zahlreichen Heimatreisen mehrmals die Gelegenheit, rituellen Arbeiten des Freimaurerordens auch in den höheren, von Br. Grün aufgrund seiner Lehrinhalte gesondert kritisierten Stufen beizuwohnen. Eine freimaurerischer Lehrinhalte komplett fernstehende, sektierische Ritualistik konnte nicht erkannt werden. Eine Gehirnwäsche fand nicht statt. Verf. verliess den Tempel, ähnlich wie nach vollrichteter Arbeit in den Johannisgraden humanistisch orientierter Logen, mit einem Gefühl der Erbauung und Gewissheit, die Zeit wohl genutzt zu haben.


Insgesamt hatte Verf. bislang sowohl diesseits als auch jenseits des Bosporus nie das verstörende Erlebnis, bei seinen Logenbesuchen auf weltabgewandte, pietistische Brüder im Büßergewand zu treffen. Vielmehr ist die Diesseitsbezogenheit des Bruderbundes das allzeit verbindende Element, gepaart mit der tiefen Überzeugung, durch Taten unsere Heimat Erde aktiv mitzugestalten, zu erhalten und ihren Lebenswert zu mehren. Und genau in diesem Punkt ist der irrlichternde, in “Wörter machen Götter” als negatives Leitmotiv eingeführte hypothetische Bruder mit seiner verschlagen-intimen Affinität zum Numinosen ein ebenso wertvoller Baustein für den Tempel der Humanität: Denn ob die oft zitierte “Verschwörung zum Guten” mithilfe eines von Br. Grün skizzierten Symbolverständnisses geschieht, oder durch ein bewusstes oder unbewusstes Hineingeheimnissen religiöser oder transzendentaler Motivik, ist für den sichtbaren Erfolg freimaurerischen Tuns letztendlich vollkommen belanglos.

PD Dr. Thomas Zimmermann

Der Autor ist Archäologe und lehrt an der Bilkent Universität in Ankara

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