Rezension: Wolfram Frietsch: Die Illuminaten

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Illuminaten: ein Sittenregiment, keine Weltverschwörung

Wolfram Frietsch: Die Illuminaten. Geschichte, Herkunft, Ziele.

Graz: Verlag für Sammler 2011, 160 Seiten.


Die Fakten sind weitherum bekannt

Das ganze geistige Abenteuer dauerte 11 Jahre! Die „Illuminaten“ wurden 1776 von Adam Weishaupt gegründet. Die ersten vier Jahre handelte es sich um einen winzigen studentischen Lesezirkel. Nach einer ausserordentlich erfolgreichen Kampagne der Mitgliederwerbung wurde der Orden bereits nach wiederum vier Jahren erstmals verboten.


Wolfram Frietsch bemüht sich um Sachlichkeit und Ausgewogenheit

Der Literaturwissenschafter Wolfram Frietsch ist durch sein Buch über „die Geheimnisse der Rosenkreuzer“ (1999) bekannt geworden. 2006 hat er am Beispiel namhafter Forscher und Philosophen des 17. Jahrhunderts wie Kepler und Newton, Descartes und Leibniz dargelegt, dass Wissenschat und Esoterik zusammen gesehen werden müssen; es sind „Zwei Seiten einer Medaille“. 2010 hat Frietsch Mozarts „Zauberflöte“ psychologisch, nach C. G. Jung, gedeutet.

Nun hat er zusammengestellt und auf 160 grossformatigen und zweispaltig bedruckten Seiten weit ausgebreitet, was zum Thema und zur Frage der „Illuminaten“ gehört. Er bemüht sich um äusserste Sachlichkeit und Ausgewogenheit. Das ist ihm hervorragend gelungen.

Das im doppelten Sinne gewichtige Buch ist grosszügig mit vielen farbigen und schwarzweissen Abbildungen ausgestattet.


Der bescheidene Anfang: ein Studierzirkel als „Schule der Vernunft“

Die Behauptung zu Beginn des Textes auf dem rückwärtigen Buchumschlag ist nicht übertrieben: „Spannung pur bietet die (wahre) Geschichte des geheimnisumwitterten Illuminatenordens.“

Den Auftakt macht Wolfram Frietsch mit einer plastischen Schilderung der geistigen, politischen und wirtschaftlichen Situation des „Zeitalters der Vernunft“, des Jahrhunderts der „Aufklärung“. Nüchtern, aber sehr anschaulich beschreibt er hernach die Entwicklung eines despotisch geführten kleinen Lese- und Studierzirkel im Universitätsstädtchen Ingolstadt (31ff) zu einer über ganz Deutschland verbreiteten Organisation, welche die herrschenden Kreise zu bedrohen schien (56f).

Es fing ganz harmlos an: Der frisch gebackene Professor für Kirchenrecht, Adam Weishaupt, erst 28jährig, ärgerte sich, dass sich seine Studenten von einer alchemistisch arbeitenden Geheimgesellschaft angezogen fühlten. Er wollte sie auf den Pfad der Aufklärung führen. Zwar verfocht er damit Ideen, welche die (fiktiven) Rosenkreuzer 150 Jahre vorher bewegt hatten, doch wandte er sich heftig gegen Aberglauben und alles Esoterische (22, 47ff). Während der ganzen Zeit seines Bestehens kannte der Orden keine Symbole und praktizierte keinerlei Rituale (siehe noch 147). Die einzigen Werkzeuge zur Erziehung waren schriftliche Unterweisungen, Lesehinweise und ausgedehnte Korrespondenzen. Mit dem drei Jahre zuvor verbotenen Jesuitenorden hatte er nur die hierarchische Struktur gemeinsam (21, 26, 128). Sonst sah Weishaupt in den Jesuiten und der Kirche, wie im Adel eine „Gefährdung für die Vernunft“ (29).


Die Absicht: Reform der Gesellschaft, nicht Revolution

Auch von Weltherrschaft und Verschwörung gegen die Obrigkeit kann nicht die Rede sein. Die Organisation gedieh bloss „zu einer Geheimgesellschaft mit ausdrücklichem Machtanspruch auf Umgestaltung der gesellschaftlichen Ordnung“ (34). Es ging also um zweierlei: um eine „Schule der Vernunft“ (37ff) und die Einführung eines „Sittenregiments“ mit friedlichen Mitteln (22, 24f, 39f, 70, 79). Es ging nicht um Umsturz, sondern um Erziehung (48), ja Selbsterziehung (21) auf der einen, und Reform (30, 39f) der Gesellschaft oder „Revolution von oben“ (22) – wenn man will, „eine Aristokratie des Geistes“ (70, 135). „Im Geiste sah sich der zukünftige Illuminat den Mächtigen an die Seite gestellt, als Ratgeber, Ideengeber, unbekannter Oberer, Lenker und Leiter“ (48).


Rasche Ausbreitung und abrupte Wende

Zwei Jahre nach der Gründung hatte der Studentenverein erst neun oder zehn Mitglieder (36, 86), ein Jahr später 30 (43; anders 37). Da trat der junge, noch nicht 28jährige Hochgradfreimaurer Adolph Freiherr Knigge ein und startete einen regelrechten Werbefeldzug. In vier Jahren warb er 500 Mitglieder (43). Da er aus dem Orden ein esoterisch ausgerichtetes System machen wollte, geriet er bald in Konflikt mit Weishaupt, der sich auch als Oberhaupt des Ordens bedroht sah. Es entstand „eine wütende Feindschaft“ (51, 93f). 1783 entmachtete er den forschen Knigge, wurde aber seinerseits vom kürzlich auf Veranlassung von Knigge aufgenommenen Freimaurer (und Freiherr, 87, 90, ?) Johann Joachim Christian Bode entmachtet (54, 87, 97). Knigge trat im Juni 1784 „sozusagen freiwillig gezwungenermassen“ aus (24, 75, 90, 94).

In den besten Zeiten hatte der Orden je nach Schätzung 1500 bis 2500 Mitglieder (107; 94). Im Internet werden manchmal 4000 oder 6000 angegeben. Marian Füssen hat 1400.

Leider vermag Frietsch nicht überzeugend darzustellen, warum es bereits am 22. Juni 1784 zu einem Verbot der Illuminaten durch den bayrischen Kurfürsten Karl Theodor von Pfalz-Sulzbach kam (56) und warum bis 1790 (23, 66) vier weitere Verbote folgen mussten. Er erwähnt nur, dass der Intendant der kurfürstlichen Theatergesellschaft, Joseph Marius Babo, 1784 in einem Büchlein „Über Freymaurer“ behauptete, die Freimaurer würden als gefährliche Illuminaten eine Verschwörung gegen den Staat planen (vgl. auch 129). Zur gleichen Zeit wurde Weishaupt seines Professorenamtes enthoben, weil er die Anschaffung von Büchern von Aufklärern für die Universitätsbibliothek gefordert hatte. Er floh aus Ingolstadt zuerst nach Regensburg, dann nach Gotha (61, 86f).

1785 erfolgten zwei weitere Verbote der Illuminaten, mehr und mehr Originaldokumente fielen in die Hand der Behörden (57-63), und viele Buchveröffentlichungen erschienen, darunter viele von Weishaupt und Knigge selbst.


Wann war der Illuminatenorden wirklich am „Ende“?

Bemerkenswert ist, dass ausserhalb Bayerns noch zwei Jahre lang zahlreiche Aktivitäten der Illuminaten in ganz Deutschland dokumentiert sind (60f; 58). 1787 erfolgte ein weiters Verbot und Weishaupt wurde offiziell aus dem Orden ausgeschlossen (63 – aber kaum vom dreijährigen Herzog Ernst I.); der Orden war zu Ende (70). Leider ist auch hier Frietsch zu wenig konsequent, denn andernorts sieht er ein Ende erst in der Mitte der 1790er Jahre (7, 23, 58). Nochmals anderswo behauptet er, das erste Verbot sei 1790 erfolgt (86; vgl. 23). Lennhoff / Posner hatten einst behauptet (1932, Sp. 732): „Als letzte schloss die Weimarer Minervalkirche unter Bode ihre Pforten. 1785 fand die Ordenstätigkeit ihr Ende.“ (Zur Weimarer Minervalkirche: 102ff).

Jedenfalls gelang es Bode 1787 in Frankreich einen Ableger unter dem Namen „Philadelphen“ im Rahmen der Freimaurerei einzurichten (66, 97, 114-118, 128, 133). Bode arbeitete auch daran, die Freimaurer zu reorganisieren (68f). Doch es blieb ihm nicht viel Zeit und Gelegenheit. Nach seinem Tod (1793) kamen seine Dokumente über 200 Jahre Umwege als sogenannte „Schwedenkiste“ in die Obhut der „Grossen National-Mutterloge Zu den drei Weltkugeln“ (Genaueres: 98f).

Zwei Lehrer Beethovens, die den Illuminaten angehörten, gründeten nach dem Verbot eine „Lesegesellschaft“ (70, 128f) und beeinflussten vielleicht den grossen Musiker (111f).

Bemerkenswert bleibt, dass die Ideen und Ziele der Illuminaten einer breiteren Öffentlichkeit erst bekannt wurden, als sie bereits am Ende waren, nämlich erst seit die bayrische Regierung die Dokumente publizierte (24, 36).


Einzelne Biographien

Wenig glücklich ist das Vorhaben Frietschs, nach der chronologischen Schilderung der Geschichte des Ordens den Lebensgang einzelner Mitglieder näher zu schildern. Dabei ergeben sich bei Weishaupt, Knigge und Bode zahlreiche Wiederholungen mit früheren Formulierungen und Zitaten, ja sogar Abbildungen.

Trotz der Gegenstellung gegen Kirche und Adel wurden einige Fürsten Mitglieder des Illuminatenordens, und zwar folgende Mitglieder der Strikten Observanz:

  • Herzog Karl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (96, 100-105),
  • Herzog Ferdinand von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel, (49),
  • Herzog Ernst II. Ludwig von Sachsen-Gotha (61, 87) und
  • Landgraf Karl von Hessen-Kassel (22, 51, 105f).


Gab es Drahtzieher der Französischen Revolution?

In mehreren Anläufen bemüht sich Wolfram Frietsch zu erklären, wie es zu den Verschwörungstheorien kam, insbesondere zur Behauptung, die Französische Revolution sei von den Illuminaten angezettelt worden (114-140; vgl. 68f). Die Argumentation ist eher psychologisch als sachlich – weil man vieles einfach nicht weiss. Nach Frietsch besteht jedenfalls im geistigen und politischen Hintergrund eine heftige Auseinandersetzung zwischen Aufklärung und Gegen-Aufklärung, also zwischen „Vernunft und Aberglaube, fortschrittlichem und rückschrittlichem Denken, Bürgertum und Adel“ (116). Daraus, allein, die Französische Revolution abzuleiten wäre jedoch zynisch (vgl. 13, 18, 97f).

Um Verständnis für die „Gegen-Aufklärung“ zu wecken, schildert Frietsch in knappen Bildern die Lebensgeschichten und Ideen von Emanuel Swedenborg (118-126), Louis Claude de Saint-Martin, Franz Anton Mesmer und Cagliostro – freilich wurden sie aus aufklärerischer Sicht „als Platzhalter dunkler, obskurer und bedrohlicher Mächte angesehen“ (126).

Ausführlich geht Frietsch auch auf die bis heute einflussreichen Schriften unter der Gleichung „Enzyklopädisten + Freimaurer + Illuminaten = Jakobiner“ ein (126-140), also auf die (seit Babo, 1784, erschienen) Werke des Illuminaten Karl von Eckartshausen sowie der Freimauer (!) Edmund Burke (auch 17), Leopold Alois Hoffmann, Abbé Barruel und John Robison. Sorgfältig vermeidet es Frietsch, von Pamphleten, Machwerken, Verleumdungen, Enthüllungen oder Verräterschriften zu sprechen.


Über die USA zum Verdacht einer „weltweiten Verschwörung“

Wenig bekannt ist, dass und wie die Verschwörungstheorien um 1800 auch in die Vereinigten Staaten von Amerika drangen. Die Behauptungen Robisons fielen auf fruchtbaren Boden und führten sofort zu einer grossen Angst vor Anarchie und Umsturz. Barruells Bände wurden übersetzt, und bald wurde jede geheimnisvolle Vereinigung als solche von „Illuminaten“ verdächtigt (136f). „Der Begriff Illuminat wird sukzessive zum Selbstläufer“ (137). Gegen 1900 kam die Idee der „jüdischen Weltverschwörung“ dazu, und so „entwickelte sich ein Cocktail aus Illuminaten, Jakobinern, jüdischer Verschwörung und Kommunismus, der bis heute einflussreich bleiben sollte. Sogar der Ku-Klux-Klan ging davon aus, dass die weltweite Verschwörung von den Illuminaten ausging und Weishaupt "Vater des Bolschewismus’ sei“ (139).

Und heute?

„Die bis heute populäre Illuminatus-Trilogie von Robert Shea und Robert Anton Wilson, die zwischen 1969 und 1971 entstand und ab 1978 auf Deutsch erschien, kann als Keimzelle illuminatischen Verschwörungsdenkens in Romanform gelten“ (141).

Fazit

Das ist ein überaus nützliches Buch, umfassend, differenzierend und klärend! Es hilft, manche Vorurteile auszuräumen. Der Autor versucht stets, Verständnis für alle Seiten zu wecken; er verurteilt nicht und benutzt keine verletzenden Begriffe. So spricht er von Thesen, Meinungen und Sichtweisen, von Vermutungen und Spekulationen, selten von Unterstellungen.

Das Buch ist klar, verständlich und flüssig geschrieben. Es liest sich leicht.

Einige Ungenauigkeiten und kleinere Fehler wurden bereits erwähnt. Unrichtig ist auch, dass sich 1717 fünf Logen in London zur ersten Grossloge der Freimaurer zusammenschlossen (156) und dass diese „Vereinigte Grossloge von England“ (135) hiess. Überhaupt besteht eine Schwäche dieses sonst interessanten und informativen Buches darin, dass die Beziehungen der Freimaurerei zu den Illuminaten oder umgekehrt wenig erhellt wird, insbesondere was philosophische und moralische Grundlagen, Absichten und Formulierungen betrifft.