Alfred Schmidt: Vorstufen des Systems von 1717

Aus Freimaurer-Wiki
Version vom 16. Februar 2017, 09:58 Uhr von Urbantactics (Diskussion | Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Alfred Schmidt: Vorstufen des Systems von 1717

Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei
Deistische Wurzeln und Aspekte
von Alfred Schmidt
Medium: Buch
ISBN: 978-3-943539-40-0
Auflage: 1. Auflage 2014
Einband: Softcover
Seitenzahl: 196
Format: 12 x 19 cm
12,00 €


In den hermetischen Gesellschaften des siebzehnten Jahrhunderts, die – wie bereits dargelegt – als weitere Quelle der freimaurerischen Ideologie gelten können, bahnt sich, parallel zur fortschreitenden Naturwissenschaft, insofern ein Wandel an, als hier die okkulten Inhalte zwar nicht verschwinden, aber nur noch in symbolisch-allegorischer Form dargeboten werden.

Dem entspricht kultur- und mentalitätsgeschichtlich die mit der englischen Frühaufklärung anhebende, sich europäisch durchsetzende Tendenz, Religion auf Moral zu reduzieren. Im Katechismus des Lehrlingsgrades der Großloge von England wird denn auch Freimaurerei gekennzeichnet als „eigenartiges System der Sittlichkeit, eingehüllt in Allegorien und erleuchtet durch Sinnbilder“209. Von Anbeginn steht hier allgemeine Menschenliebe über dem Glauben, die menschenfreundliche Tat über der Lehre. So verschiedene Interpreten wie Bloch und Schick stimmen darin überein, dass die Anfänge und Frühformen der Freimaurerei in England ihre „stärkste Wurzel“210 im Rosenkreuzertum haben. Auch das spätere „System“ der englischen Großloge, schreibt Schick, „hat sich vor dem Einströmen des Rosenkreuzertums, sei es durch personelle Bindungen, sei es durch die Erbschaft ideologischer Gehalte, organisatorischer Formen und kabbalistischer Symbolik, nicht zu bewahren vermocht“.211

Dieser Einfluss ist so tiefgreifend, dass im siebzehnten Jahrhundert die Namen „Freimaurer“ und „Rosenkreuzer“ nahezu dasselbe bezeichnen.212

„Das Geheimnis der alten Freimaurerei“, betont Schick, „war dasjenige der Rosenkreuzer, nämlich die alte Weisheit von Adam her über Moses, Salomon, Christus, Johannes, durch welche das innerste Wesen der Natur erschlossen und das wahre göttliche Licht erblickt wurde, das Licht aus dem Orient.“213

Die schon im frühen siebzehnten Jahrhundert in England nachweisbaren Societies of Freemasons knüpfen zwar an Bräuche der Maurerzünfte an, führen aber eine eigenständige Existenz und sind, im Gegensatz zu jenen, nicht spezifisch religiös, sondern philosophisch orientiert. Soweit Werkgenossenschaften beim Entstehen der Societies mitwirken, spielen sie eine zweitrangige Rolle. Zugehörigkeit zur Zunft der Steinmetzen wird in dem sich herausbildenden Bund immer unwichtiger, wenn sie nicht, was Schick zu bedenken gibt, „nur eine Tarnung war für jene Kreise, die im religiös- politischen Wirrwarr der Zeit nach neuen geistigen und weltanschaulichen Grundlagen suchten“214. Damit ist eine wechselseitige Durchdringung von Werkgenossenschaften und spekulativen Zirkeln nicht ausgeschlossen. Dass die Steinmetzenzunft ihre Geschichte und Symbole der Bibel entnahm, ist angesichts ihres häufigen Gebrauchs gerade in England nicht verwunderlich.

Da sich die Societies of Freemasons zunächst der Versammlungsräume dieser Gewerkschaft bedienten, fanden sie hier eine handwerkliche Symbolik vor, die sich durch ältere, kosmische Symbole (Sonne, Mond und Sterne) erweitern ließ und geeignet war, ihnen ihr eigenes Wollen allegorisch zu verdeutlichen. Angesichts der Quellenlage erscheint es Schick evident, dass die Entwicklung von jenen Kreisen vorangebracht wurde, „die im Schutz der Steinmetzenzunft ihre Zusammenkunft und ... Tätigkeit gegen unliebsame Störung durch behördliche Einmischung zu tarnen suchten“ 215.

Dass sie zu den Steinmetzen gingen, erklärt sich zum einen aus der Parallelität handwerklicher und materieller Ziele zu den geistigen Zielen, die sie selbst verfolgten, zum anderen daraus, dass ihnen die Steinmetzenzunft wegen ihrer „privilegierten Stellung“, ihrer „Freizügigkeit“ und ihres „organisatorischen Zusammenhalts“ 216 besonders günstig erschien.

Die naheliegende Frage nach Beschaffenheit, Zweck und Arbeitsweise jener philosophischen Zirkel und Gesellschaften, die am Anfang der Societies of Freemasons stehen, lässt sich kaum befriedigend beantworten. Da Urkunden und Berichte hierüber fehlen, sind wir darauf angewiesen, die ideologisch- zeitgeschichtlichen Umstände zu untersuchen. Wenn Mitgliedern hinsichtlich der Bräuche und Absichten der Societies strengste Verschwiegenheit abverlangt wurde, so nötigte dazu wohl nicht nur die Intoleranz einer religiösweltanschaulich aufgewühlten Zeit, sondern auch das nur indirekt erschließbare Selbstverständnis der Societies selbst. Deren Weg und Ziel dürften keineswegs von Anbeginn festgestanden haben. Ebensowenig können wir davon ausgehen, dass schon zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts eine deistische Religionsphilosophie, das Ideal der Humanität oder soziale Tugenden es vermocht hätten, einem Geheimbund so viele Mitglieder zuzuführen.

Vielmehr – so lautet Schicks These – „zog der Glaube, daß es in der Society wirkliche Geheimnisse gab, Lords, Gelehrte, Militärs und Männer des öffentlichen Lebens an“217. Letzten Endes, behauptet Schick, wurde die Neugier Außenstehender dadurch angestachelt, dass „das Geheimnis der ursprünglichen Society unzweifelhaft in ihrer Beschäftigung mit Alchimie und Rosenkreuzerei (lag)“218.

Schicks These verweist auf die geistesgeschichtliche Situation. Alle philosophischen Zirkel suchen damals nach einer mystischen Einheit von Mensch und Natur; sie treiben, was man Geheimwissenschaft, Theosophie, später auch „Königliche Kunst“ nennt.219 Das gilt selbst noch von der 1662 gegründeten Royal Society, der neben den bedeutendsten Gelehrten Englands namhafte Freimaurer wie Desaguliers angehören. Hier (wie in ähnlichen, weniger bekannten Zirkeln) werden neben Experimentalphysik und Astronomie vorzugsweise Kabbala und Astrologie gepflegt. Unbeschadet der bahnbrechenden Leistungen Bacons, Newtons und anderer Forscher ist im frühen siebzehnten Jahrhundert, woran Schick erinnert, „die ganze alchemistisch-theosophische Naturanschauung in den Gelehrten- und Aristokratenkreisen Englands vorherrschend“ 220.

Die fortschreitende Erschütterung des kirchlichen Autoritätsglaubens durch rationale Einsicht fördert nicht nur die (häufig amateurhafte) Beschäftigung mit physikalischen, sondern auch mit alchemistischen Experimenten. Beide stehen gleichberechtigt, aber unvermittelt nebeneinander. 221

Der erstarkende Geist des Empirismus kommt gegen die Zählebigkeit okkulter Zeitmoden nicht auf. Selbst Bacon, der das induktive Schlussverfahren preisende Methodologe, lässt eine magia naturalis gelten. Paracelsus, Böhme und ihre Schüler werden im damaligen England eifrig studiert. Schick erklärt es für hinreichend belegt, „daß auch Außenstehende die Society of Freemasons mit Rosenkreuzern, Adepten und Alchemisten in Verbindung brachten“ 222.

Siehe auch