Anonymous - System der Freymaurer-Loge Wahrheit und Einigkeit zu den drey gekrönten Säulen in Prag

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System der Freymaurer-Loge Wahrheit und Einigkeit zu den drey gekrönten Säulen in P*** (Prag)

Philadelphia (= Prag: von Schönfeld) 1594 (= 1794)

„… aus Grundsätzen moralisch seyn“

Ueber die vorzüglichsten Tugenden und Eigenschaften des Freymaurers

Seiten 79-85

I. Daß der würkliche Maurer mit allen den Tugenden geschmückt seyn müsse, ohne die der Suchende der Aufnahme nicht würdig wäre, ist die billigste Forderung der Loge. Sie verbindet einen Jeden bey seiner Aufnahme zur Ausübung der vorzüglichsten aus ihnen durch die mit Bedacht gewählte Eidesformel, die die Pflicht des Maurers im Allgemeinen enthält.

II. Treue gegen Gott und die Religion steht in dieser Verbindungsformel mit Recht oben an; denn Gottesverehrung muß der Freymaurer als die Quelle aller übrigen Tugenden ansehen. Er hüte sich aber, die Religion durch Aberglauben zu schänden, oder auch sie bloß in Zeremonien bestehen zu lassen. Er erinnere sich, daß er der Gehülfe des allerhöchsten Baumeisters sey, und demselben also kein angenehmeres Opfer bringen kann, als seine Mitwirkung bey der Ausführung des erhabenen Planes zum Glücke der Geschöpfe.

III. Gewisse Logen haben durch ein Gesetz auf Gotteslästerungen eine Geldstrafe gesetzt. Die Rohheit jener Zeiten mag ihre Entschuldigung seyn. Ein weiser Gesetzgeber des Alterthums setzet keine Strafe auf den Vätermord; und eben so setzt die Loge Wahrheit und Einigkeit keine auf Gotteslästerung. Und eine Geldstrafe steht mit einer Raserey in gar keinem Verhältnisse. Sie begnügt sich also zu sagen: daß sie keinen Rasenden einen Augenblick unter ihren Gliedern dulden könne.

IV. Der Orden, heißt es in alten Konstitutionen, läßt ein jedes einzelne Glied für sein Schicksal in der andern Welt selbst sorgen. Das ist: es ist dem Orden gleichgültig, zu welcher der christlichen Kirchen sich ein Bruder bekennt. Da aber von denkenden Männern nicht zu vermuthen ist, daß sie anders als nach ihrer wahren Ueberzeugung handeln werden; so folgt daraus für jeden Maurer eine zwiefache Pflicht.

a) Seiner eigenen Ueberzeugung durch Handlungen, die sträfliche und Aergerniß erweckende Gleichgültigkeit gegen das Wesentliche seiner Religion verrathen, nicht zu widersprechen.
b) Die Ueberzeugung seines Bruders durch polemische Diskurse, und satyrische Bemerkungen nicht zu stören.

V. Weiter verspricht der Maurer Treue gegen den Landesfürsten. Da die Loge nur gute Bürger aufnimmt, so hat sie den Fall des Hochverraths gegen Monarchen und Vaterland nicht zu befürchten. Indessen machte bey so einem ganz unwahrscheinlichen Fall die Sicherheit des Ordens selbst augenblickliche Trennung nöthig, und es bleibt bey dem alten Gesetze, dem zufolge ein Jeder alle ihm bekannte gefährliche Anschläge wider den Staat dem Obern zu eröffnen hat, der sie dann dem Landesfürsten anzeigen muß.

VI. Die in Staatsdiensten stehenden Brüder sollen wissen: daß vorzüglicher Eifer in denselben ihnen als Verdienst um die Loge angerechnet werde; so wie diese den Mangel dieses Eifers an ihnen immer rügen wird.

VII. Daß nach den alten Gesetzen, alle politische auf die Partheyen im Staat sich beziehende Diskurse in maurerschen Versammlungen verbothen waren, war bey der Verfassung Englands und der dortigen Nazionaldenkungsart nöthige Fürsorge für die Sicherheit der Loge und des Ordens; mehr noch für die Erhaltung der brüderlichen Eintracht. Für unsere Lage scheint es hinreichend zu seyn, daß es den Obern zur Pflicht gemacht werde: Brüder, die in ihren. politischen Räsonnements die Grenzen der Bescheidenheit überschreiten dürften, mit guter Art auf dieselben zurückzuführen.

VIII. Die Tugend der Bruderliebe, wenn sie nach dem Ausdrucke der Formel von ganzem Herzen seyn soll, muß in Thaten bestehen. Der Noth des Bruders durch Unterstützungen abzuhelfen, ist nur eine Aeußerung derselben. Guter Rath, Fürsprache und Verwendung, Beförderung seiner gerechten Absichten, Trost und Theilnahme in seinen Leiden, Vertheidigung seiner Ehre wider Verläumdungen, sind die Hauptzüge derselben. Vor allem müssen die Brüder auch außer der Loge einander nicht fremde seyn; und dann wird es ihnen nicht an Gelegenheiten fehlen, einander wechselseitig zu verbinden.

IX. Aus diesem folgt die Pflicht, alles das sorgfältig zu vermeiden, was den Bruder auch nur wahrscheinlich beleidigen könnte. Weislich haben unsere Alten dem Neuaufgenommenen das Versprechen abgefordert: die Frau, die Tochter, die Freundinn des Bruders in Ehren zu halten. Sie wollten dadurch die Quelle der bittersten Feindschaften verstopfen.

X. Die in der Eidesformel anbefohlene Weisheit der Aufführung, deutet auf Moralität im ausgebreitetesten Verstande: und erinnert den Maurer, auch den Schein des Bösen zu vermeiden; da durch die Nachrede, mit dem Ruf des einzelnen Bruders, der Ruf des Ordens und der Loge leiben könnte,

XI. Nur die vorausgeschickte Ueberlegung giebt in den Augen des Denkers den Handlungen jenen Werth, nach dem der Maurer streben soll. Nicht aus Temperament oder Gewohnheit moralisch scheinen, sondern aus Grundsätzen moralisch seyn, zeigt den bessern Menschen an, und ist die Pflicht des Freymaurers.

Xll. Herr über seine Zunge soll der Maurer in jedem Falle seyn. Vorzüglich, wenn es die Ehre seines Bruders gilt. Hitzige und unbedachtsame Ausdrücke in Gesellschaften ziehen oft dem ganzen Orden Feindschaften wichtiger Profanen zu.

Xlll. So wie die Maurerey den Genuß der Vergnügungen des Lebens nicht verdammt; so empfiehlt sie, als die wahre Würze desselben, Mäßigkeit; und dieses in einem höhern Grade bey jenen Vergnügungen, die, im Uebermaße genossen, die Vernunft benebeln, und den Menschen zum Thier erniedrigen.

XIV. Glieder eines menschenfreundlichen Ordens müssen in ihren Absichten sowohl, als in ihrer Verfahrungsart immer die Tugend der strengsten Gerechtigkeit vor Augen haben; und sich die äußerste Schonung der Rechte des Nebenmenschen zum Hauptgesetze machen. Wer verabscheut nicht ein Ungeheuer, das auf dem niedergestürzten Mitmenschen emporsteigt? Die Obern der Loge müssen jede sich hierauf beziehende Klage wider einen Bruder genau untersuchen, ihn zu bessern suchen; und wenn das nicht von statten geht, auf seine Trennung von uns antragen, um die Loge nicht des auf ihn liegenden Hasses des Publikums theilhaftig zu machen.

XV. Seinem Nebenmenschen nicht schaden, ist die niedrigste Stufe der Menschenliebe. Der Freymaurer darf also auf ihr nicht stehen bleiben. Er muß als Oberer und Vorgesetzter gegen seine Untergebene menschlich, gegen den Notleidenden mildthätig, liebreich gegen Jedermann, und selbst gegen seine Feinde edelmüthig seyn, und sie durch ein großmüthiges Betragen nicht so zu beschämen, als sich und dem Orden zu gewinnen suchen.

XVI. Die Menschenliebe ächter Art fängt bey denen an, die uns die nächsten sind. Die Loge erklärt denjenigen Bruder ihrer Mitgliedschaft unwürdig, der die Seinigen darben ließe, mittlerweile er anderstwo freygebig wäre. Die Pflichten des guten Hausvaters im ganzen Umfang« müssen uns über alles heilig seyn.

XVII. Der Gehorsam gegen die Gesetze und die Obern als Handhaber der Gesetze ist zur Erhaltung des Ganzen, unumgänglich nöthig; und wird jedem Bruder um so leichter fallen, da nach der Verfassung der Loge W. u. E. der Obere nie nach Eigendünkel handeln kann.

XVIII. Die Angelobung einer ewigen Treue gegen den Orden legt einem jeden Gliede die Pflicht auf, auch nach der Deckung der Loge die einem jeden frey stehet, demselben geneigt zu bleiben, und nichts zu seinem Nachtheil zu unternehmen, oder auch nur zuzulassen.

XIX. Das Gesetz der Verschwiegenheit erstrecket sich besonders auf alles, was in Konferenzlogen verhandelt wird, selbst die Namen der zur Aufnahme oder Affiliazion Vorgeschlagenen darf man nicht bekannt machen. Nicht nur gegen Profane, sondern auch gegen alle Brüder anderer Logen hat man das Stillschweigen zu beobachten. Auch handelt man dawider, wenn man außer der Loge maurerische Zeichen macht, sich maurerischer Benennungen bedient; oder maurerische Schriften zu sorglos aufbewahrt.

XX. Nur umsonst würde man die Erfüllung aller dieser Pflichten selbst unter eidlicher Verbindung demjenigen auflegen, dem sein Wort nicht heilig wäre. Es versteht sich also von selbst: daß das einmal gegebene Wort des Maurers in jedem Falle unverbrüchlich seyn muß; so wie jeder Bruch desselben, unter die qualifizirten Verbrechen gehört. Es wäre der schönste Ruhm für den Orden, es dahin zu bringen: daß selbst die profane Welt sich dabey sicherer glaubte, als bey dem Eide eines Andern.

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