England - FM-Report 2017/4 Ritual

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England - FM-Report 2017/4 Ritual

Report: 'Die Zukunft der Freimaurerei'

Auftraggeber: Vereinigte Großloge von England (UGLE)
Originaltitel: 'The Future of Freemasonry'
Durchführung: Sozialforschungsinstitut SIRC, Oxford: http://www.sirc.org/
Gekürzte Übertragung aus dem Englischen von Rudi Rabe:
Dazu Details bei England - FM-Report 2017/1 Einleitung

Teil 4/5: Ritual

(Links zu den anderen Teilen: Siehe unten)

Mit Ausnahme religiöser Organisationen unterscheidet das die Freimaurer von allen anderen Vereinigungen. Bei vielen Außenstehenden dominiert es die Wahrnehmung der Freimaurerei.

Masonische Rituale gehen meistens weiter als die Rituale sonst im Leben. Symbolisches Verhalten und Texte begleiten das junge Mitglied bis es Meister wird. Er muss viel auswendig lernen, ziemlich lange allegorische Geschichten rezitieren und die symbolischen Handlungen einüben. (Fußnote im Bericht: Wir haben nicht vor, die masonischen Rituale detailliert zu beschreiben. Es gibt aber viele Quellen, in denen sie genau dargelegt werden.) In unserer modernen Gesellschaft des einundzwanzigsten Jahrhunderts kann das alles überholt wirken, ein Relikt aus früheren Zeiten, vielleicht sogar wie simpler Aberglaube.

So eine Sicht blendet jedoch aus, wie sehr unser Alltag von wiederholten symbolischen Handlungen durchwirkt ist, und wie sehr diese ritualisiert sind. Für die Sozialwissenschaften ist das heute eine Binsenweisheit. Ohne ein Verständnis der Bedeutungen, die mit interaktiven Handlungen verbunden sind, können wir soziales Handeln nicht erklären und die wahre Natur des Menschen nicht begreifen. Die sozialwissenschaftliche Richtung ‚symbolischer Interaktionismus‘ begann in den dreißiger Jahren in den Werken des (amerikanischen) Soziologen Herbert Blumer, der großen Wert auf die Erkenntnis legte, dass Menschen ihre Aktionen interpretieren, bevor sie reagieren. Und die Reaktion hängt davon ab, welche Bedeutung sie einer Aktion beimessen. …

Zitat William Shakespeare: „All the world’s a stage, And all the men and women merely players: They have their exits and their entrances; And one man in his time plays many parts.“ …

Ein Beispiel: das Grüßen. Wir sagen ‚Guten Morgen‘ ohne zu erwarten, dass die gegrüßte Person das Wort ‚guten‘ für sich genau definiert. Genauso ist ‚how are you‘ keine Frage, keine ernsthafte Beschäftigung mit dem gesundheitlichen Status des anderen, sondern ein Gruß zur Einleitung der weiteren Kommunikation.

In unserem alltäglichen Verhalten können wir viele Rituale erkennen. Wie wir Status ausdrücken, Respekt und Benehmen – durch subtile nonverbale Verhaltensweisen von der Körperhaltung bis zur Blickrichtung: Das alles sind symbolische Gesten, die eher gefühlsmäßig verstanden als kognitiv wahrgenommen werden. Wir werden uns der genau definierten Regeln dieser Rituale nur bewußt, wenn sie verletzt werden, was zu verschiedenen Emotionen bis hin zum Ärger führen kann. Wenn Menschen an diesen symbolischen Handlungen nicht teilnehmen können oder wollen, werden sie zu Außenseitern, die entweder als asozial oder als verschroben gelten.

Die Allgegenwart von Ritualen wird noch deutlicher bei sozialen Anlässen und Zeremonien, mit denen wir Lebensübergänge markieren: Hochzeiten, Geburten, Beförderungen, Begräbnisse und so weiter. Sie sind auch groß eingeschrieben in die religiösen Kalender: Ostern, Weihnachten und die neuen Kalendertermine unserer multikulturellen Welt, in der wir jetzt leben. Während die Mehrheit der Briten sich von den Religionsgemeinschaften entfernt, schätzen wir weiterhin die Rituale, die zu den Höhepunkten der christlichen Religion gehören; und wir wandeln sie oft in vorchristliche, heidnische Zeremonien um. Durch den symbolischen Austausch von Geschenken und Wertgegenständen bestätigen wir unsere sozialen und familiären Bindungen, wir essen gemeinsam und verlassen die Routine des Alltagslebens.

Woanders in der Welt fallen uns diese Rituale mehr auf, weil sie für unsere Augen fremd sind: wie zum Beispiel die japanische Teezeremonie. …

Rituale und Gewohnheiten: die Sicht der Öffentlichkeit

An der Spitze stehen ‚private‘ Rituale … oft weil sie ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. … In den Fokusgruppen erzählen Gruppenmitlieder von ihren privaten Ritualen. …

Natürlich muss hier unterschieden werden zwischen Ritual und Aberglaube. Ein Ritual ist ein eingeübtes Verhalten, mit dem (zum Beispiel) ein Sportler seine Leistung verbessert. Aberglaube ist etwas, das meistens erst hinterher gedeutet wird: ein gutes Ergebnis wurde erreicht nach bestimmten Handlungen; und diese werden dann wiederholt in der Erwartung, daß sich das Resultat wiederholt. Trotz dieser Unterschiede verwenden die Teilnehmer der Fokusgruppen die Ausdrücke mehr oder weniger beliebig.

Es gibt auch einen Unterschied zwischen Ritual und Routine, obwohl wieder viele diesen nicht machen. Einer Routine fehlt das emotionale Element eines Rituals, und wenn sie abgespult ist, gibt es wenig oder nichts zum emotionalen Nachempfinden. Anders beim Ritual: Die Menschen tendieren dazu, solche Aktionen in ihrer Erinnerung zu wiederholen und die Gefühle, die sie empfanden, nachzuerleben. …

Die Verbindung von Sport und Ritual betrifft über die Sportler hinaus die viel zahlreicheren Fans: Gesänge, Gesten und so weiter dienen dazu, eine hochemotionale Atmosphäre aufzubauen, wodurch die Verbindung der Beteiligten gestärkt wird. …

Wenig weltliche Rituale haben eine so tiefe soziale Bedeutung wie Hochzeiten oder Erinnerungstage. … In allen Kulturen sind das besondere Höhepunkte die dazu dienen, familiäre und freundschaftliche Bindungen ebenso zu stärken wie das Bewusstsein der sozialen Identität.

Heute haben wir zudem Facebook und andere Formen von Onlineverbindungen, wo auch formalisierte Begegnungen zu beobachten sind: etwa die besonders codierte Sprache, die jene ausschließt, die eigensinnig an ihrer Technikablehnung festhalten. Aber weder ersetzen diese Websites die mehr traditionellen persönlichen Begegnungen noch hat das Handy, entgegen anderer Behauptungen, die Kunst der Konversation zerstört. In Wahrheit dient beides mit eigenen rituellen Formen der Erleichterung sozialer Begegnungen und dem Gefühl dazuzugehören. …

Wenn Rituale im menschlichen Leben so allgegenwärtig sind, wie unterscheiden sie sich dann von masonischen Ritualen? Sind diese einfach Erweiterungen des tiefgehenden menschlichen Bedürfnisses nach symbolischer Kommunikation oder etwas anderes?

Rituale: Die Sicht der Freimaurer

Die meisten Menschen kennen zumindest einige Aspekte des masonischen Rituals. Aber sie haben kaum Einblick in dessen symbolische Bedeutungen. Doch warum gibt es diese Rituale? Wozu dienen sie?

Nach den Worten des Großsekretärs ist „das Ritual wirklich eine unserer großen Besonderheiten, die uns von anderen Vereinigungen unterscheidet, aber es sind nur Aufführungen, schöne Spiele, Parabeln. … Sie sind jedem zugänglich, der sich Kopien besorgt; sie können über die Straße gehen und sie kaufen. Das ist nichts Geheimes.“

In einem gewissen Sinn sind freimaurerischen Rituale theatralische Versionen der Initiationsriten, die für die Gesellschaften immer typisch waren, und die es bis heute gibt. In traditionellen Gesellschaften, selbst in jenen, die westliche Einflüsse aufgenommen haben, gibt es weiterhin Initiationen für den Übergang vom Knabenalter zum Mannesalter.

In unseren Interviews mit den Freimaurern konzentrierten wir uns auch auf die rituellen Aspekte des Logenlebens. Inwieweit motivierte sie ihr Vorwissen über das Ritual, sich der Freimaurerei anzuschließen? Oder war ihnen die Aussicht auf Gemeinschaft wichtiger?

Eher überraschend waren es die jüngeren Freimaurer, die das Ritual betonten, das sie von Anfang an als attraktives Alleinstellungsmerkmal der Freimaurerei empfanden. … Manche jungen Männer haben ein Bedürfnis nach Formalität, nach einem gewissen Glanz in ihrer sonst so informellen und zwanglos-lässigen Welt. Angesichts des Verschwindens formeller Rituale im Leben der Briten – etwa Kirchgang, Dinnerkleidung, der ‚Sonntagsanzug‘ – wird für manche die Möglichkeit, sich in einer Gruppe gut gekleidet zu allegorischen Geschichten und moralischen Legenden zu treffen, zu einer besonderen Attraktion. …

Viele Freimaurer wiesen auch auf den tieferen Sinn ihrer Rituale hin, also die Vermittlung moralischer Regeln. Für Außenstehende mag es ungewöhnlich erscheinen, dies in einer Aufführung zu tun, aber für die Freimaurer ist das wertvoll und befriedigend. Über allem liegt ein Gefühl, dadurch ein besserer Mensch werden zu können. … Die Veränderung eines Freimaurers, auch das Gefühl, in der Öffentlichkeit selbstbewußt auftreten zu können, all das entsteht nicht über Nacht, auch nicht durch den bloßen Aufstieg durch die masonischen Grade. Es kommt langsam durch das Üben und das Reflektieren des Rituals. …

Die Bewertungen des Rituals in den Interviews führten oft zu breiteren Diskussionen darüber, ob sich die Freimaurerei ändern müsse, um im einundzwanzigsten Jahrhundert attraktiv zu bleiben. Darauf gehen wir gleich im Schlusskapitel über die Zukunft der Freimaurerei ein. …

Die Freimaurer weisen auch Angriffe religiöser Gruppen zurück: ursprünglich vor allem der Römisch-Katholischen Kirche, im zwanzigsten Jahrhundert aber auch vom evangelikalen Flügel der Anglikanischen Kirche. Und sie weisen darauf hin, daß sie keine Religion sind, weil ihnen deren Basiselemente fehlen: Sie haben keine theologische Lehre und keine Sakramente. Dennoch verlangt die Freimaurerei vom Beitrittswerber den Glauben an ein ‚devine being‘ (in den ‚basic principles der UGLE heißt es: „supreme beeing“; R.R.).

Während manche Freimaurer aktive Mitglieder verschiedener Kirchen sind, äußerte die Mehrheit diesbezüglich wenig Engagement. Doch sie sind damit einverstanden, dass das masonischen Ritual viele quasi-religiöse Belehrungen enthält, und daß das ‚Buch des Heiligen Gesetzes‘, das im Ritual wichtig ist, in England meistens die Bibel ist. Sie machten auch einen klaren Unterschied zwischen Loge und Kirche.

Die weiteren Kapitel: