Interview: John Dickie über die Freimaurerei und ihr Selbstbild

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John Dickie schrieb den 2020 veröffentlichten Beststeller „Die Freimaurer. Der mächtigste Geheimbund der Welt“. Das folgende Interview mit dem Autor und die Einleitung dazu entnahmen wir dem Magazin "Humanität" (2021/2) der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland/AFAM. Wir danken dem Chefredakteur Bastian Salier, der das Exklusiv-Interview führte, für sein OK. Wer das Buch nicht gelesen hat, ist gut beraten, vor dem Interview die von uns gesammelten Rezensionen zu durchzulesen.
Rudi Rabe

Prof. Ph.D. John Dickie wurde 1963 im schottischen Dundee geboren. Seit 1993 lehrt er am University College in London, mittlerweile als Professor für italienische Studien. Vor allem bekannt wurde er – neben seinen universitären Forschungsarbeiten – mit seinen journalistischen Arbeiten über die italienische Mafia. Der Präsident der Italienischen Republik ernannte ihn 2005 zum Commendatore des „Ordens des Sterns von Italien“. Die Auszeichnung wird für besondere Verdienste um die Beziehungen zwischen Italien und anderen Staaten vergeben. John Dickie ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in London.


Bekannt wurde der britische Historiker, Romanist und Journalist John Dickie mit seinen kenntnisreichen Schriften über die Mafia. Sein Buch mit dem Titel „Cosa Nostra“ wurde auch hierzulande zum Bestseller.

Nachdem er in einem Radiointerview die Bemerkung fallengelassen hatte, Mafia sei Freimaurerei für Kriminelle, wurde er von englischen Brüdern eingeladen, um über diesen vermeintlichen Affront zu reden. John Dickie, dessen Großvater selbst Freimaurer war, begann, sich mit dem Thema näher zu beschäftigen und legte 2020 die Ergebnisse seine Arbeit in Buchform vor: „The Craft. How the Freemasons Made the Modern World“. In deutscher Sprache erschienen im S. Fischer Verlag unter dem Titel „Die Freimaurer. Der mächtigste Geheimbund der Welt“.

Auch dieses Buch wurde ein Bestseller. Kurzfristig kam es sogar auf die Sachbuch-Bestsellerliste des Magazins „Der Spiegel“. Auch innerhalb der Bruderschaft der Freimaurer stieß der Band auf großes Interesse. John Dickie räumt in dem lesenswerten Werk mit überkommenen Mythen und den – wie er es nennt – „Identitätsnarrativen“ auf, die vor allem von Freimaurern selbst im Laufe der Geschichte in die Welt gesetzt wurden. Er vertraut ausschließlich den Fakten, die er in den Archiven, vor allem der Großloge von England, und in Bibliotheken fand: wissenschaftlich untermauert und ohne Pathos und falsche Rücksichtnahme.

Übrig bleibt dennoch eine großartige Erzählung von der Erschaffung der modernen Welt, die allerdings der Freimaurerei nicht immer zur Ehre gereicht. Das musivische Pflaster bestehe nun einmal aus schwarzen und weißen Karos, sagt John Dickie. Freimaurer sollten das erkennen und mit ihrer eigenen Geschichte kritischer umgehen, um eine Perspektive für die Zukunft zu entwickeln.

Das englische Original …
… und die deutsche Ausgabe.
Während das Layout in beiden Fällen dasselbe ist, wird für die deutsche Ausgabe im Haupttitel der bekannte Ausdruck "Freimaurer" verwendet und dann im Untertitel das Reizwort "Geheimbund" (was die Freimaurerei eigentlich nicht ist: hier), und dann auch noch "der mächtigste". Ganz anders der englischen Buchcover: Oben steht "The Craft", ein Wort das im Englischen alles mögliche heißen kann (Zunft, Handwerk, Kunst, Bruderschaft usw.), und das von vielen englischen Freimaurern im Innenverhältnis tatsächlich oft als Kurzbezeichnung für "die Freimaurer" verwendet wird. Und im Untertitel steht dann das Wort "Freemasons" und überhaupt das, was den Inhalt des Buches am besten wiedergibt. - All das wird schon seinen Sinn haben. Verlage wählen Titel verständlicherweise so, dass sie das Buch gut verkaufen können. So gesehen erzählen uns die unterschiedlichen Titel auch etwas über die Verschiedenheit, wie die Freimaurer in den beiden Sprachräumen wahrgenommen werden. R.R.

Das Interview

Humanität: Viele deutsche Freimaurer haben Ihr Buch bereits gelesen und es wurde vor allem der deutsche Untertitel kritisiert: „Der mächtigste Geheimbund der Welt“. Das englische Original lautet: „Wie Freimaurer die moderne Welt erschufen“. Das ist sehr viel schmeichelhafter für uns. Der deutsche Titel hingegen spielt mit Klischees, mit alten Stereotypen. Aber ist es dennoch wahr, ist die Freimaurerei der mächtigste Geheimbund der Welt?

John Dickie: Meine Bücher sind in viele Sprachen übersetzt worden. Ich bin Professor für Italienisch und kann mich mit dem italienischen Verlag und natürlich auch mit den Verlagen in Großbritannien und den USA über die Übersetzungen und den Untertitel unterhalten. Für Deutschland kann ich das leider nicht, deshalb habe ich dem Verlag die Entscheidung alleine überlassen. Es ist ja auch nicht ganz falsch. Nennen Sie mir eine andere Organisation – ob geheim oder nicht – die über einen so langen Zeitraum eine so zentrale Rolle für die Moderne gespielt hat.

Allerdings wurde auch der englische Untertitel kritisiert, weil mit ihm die Rolle der Freimaurer zu übertrieben dargestellt sei. Sicherlich gab es Dinge, die auf dem Capitol Hill, dem Sitz der US-Regierung, wichtiger waren als die Freimaurerei. Aber die Freimaurer waren für die Geschichte der modernen Welt schon relevanter als man glauben möchte. Das ist es auch, was mich überhaupt an dem Thema Freimaurerei interessiert hat: Ihre Beziehung zur Gesellschaft.

H: Haben die Freimaurer tatsächlich die moderne Welt erschaffen oder hat die moderne Welt die Freimaurer gemacht? Wäre die Welt nicht auch ohne Freimaurer eine moderne?

JD: Auch der englische Untertitel sollte nicht allzu wörtlich genommen werden. Es wäre etwas pedantisch. Der Punkt ist natürlich, dass dieser Untertitel auch eine Diskussion hervorrufen soll. Er ist natürlich Absicht. Paternalistische Organisationen haben die moderne Welt – genauso wie die alte Welt – absolut beeinflusst. Die organisierte Kriminalität genauso wie die Religion. Sicherlich wäre die Welt eine andere, wenn diese Sozietäten und Bünde nicht rein männlich gewesen und damit das paternalistische Denken weiter zementiert hätten.

Und die Freimaurerei hat als „bürgerliche Religion“ zum Beispiel das Entstehen der amerikanischen Republik massiv beeinflusst, um nur ein – wichtiges – Beispiel zu nennen. Und sie hatte zum Beispiel eindeutig auch einen Einfluss auf den Indischen Nationalkongress in seinen frühen Jahren, was schließlich zur Unabhängigkeit Indiens führte. Viele Beispiele zeigen, dass die Freimaurerei ein wichtiger Teil der Infrastruktur des britischen Empire gewesen ist.

Es ist eine bestimmte Art des Denkens, eine bestimmte Form von Werten und Fähigkeiten notwendig, um in einer modernen Gesellschaft einflussreich zu agieren. Man denkt da für gewöhnlich an Verschwörungen. Diese Vorstellung davon, dass Menschen hinter den Kulissen die Welt manipulieren, ist recht modern. Doch diese Verschwörungsmythen sind schädlich und gefährlich. Es geht vielmehr um Freiheit, um Vernetzung, die genutzt wird, um Infrastrukturen zu errichten, die Freiheit ermöglichen.

H: Was war Ihr erster Kontakt, Ihre erste Berührung mit der Freimaurerei, außerhalb der Recherche für das Buch. Sie schreiben zum Beispiel, dass Ihr Großvater nach dem Ersten Weltkrieg auch Freimaurer wurde.

JD: Als mein Vater vor etwa neun Jahren starb, haben wir seinen persönlichen Nachlass durchgesehen. Und darunter befanden sich persönliche Dinge von dessen Vater, auch freimaurerische Gegenstände und Dokumente, Bücher und Urkunden. Aber das war nicht der Anlass, mich mit Freimaurerei zu beschäftigen. Wie Sie wissen, habe ich mich vor allem mit der italienischen Mafia beschäftigt. Und da ist mir aufgefallen, dass das freimaurerische Organisationsmodell eine der vielen Zutaten der sizilianischen Mafia Mitte des 19. Jahrhunderts gewesen ist. Mit einem Radiointerview habe ich unter Freimaurern offenbar eine große Panik ausgelöst, als ich sinngemäß sagte, die Mafia sei eine Art Freimaurerei für Kriminelle. Und ich meinte damit wirklich nur die Organisationsstruktur, nicht etwa die Inhalte. Es gibt Initiationsrituale und andere gemeinsame Elemente. Wenn Sie Mitglied der Mafia werden, werden Sie – genauso wie in der Freimaurerei – Mitglied eines viel größeren Netzwerks, das weit über die Vernetzung einzelner Individuen hinausgeht. Und das ist auch kein Zufall, es gibt durchaus auch historische Überschneidungen, die ich in dem Buch beschreibe. Ich erläutere darin, wie es den besonderen Umständen im frühen 19. Jahrhundert in Süditalien anzurechnen ist, dass es ein Teil der Freimaurer-DNA in die Welt der Kriminellen geschafft hat.

Ich war natürlich von Anfang an keineswegs der Meinung, Freimaurerei sei wie die Mafia. Dieses Missverständnis konnte auch sehr schnell aufgeklärt werden. Ich habe sehr lange für das Buch recherchiert und dabei auch die Bibliothek und die Archive der United Grand Lodge of England genutzt. Später wurde ich von der UGLE sogar eingeladen, den englischen Freimaurern einen Vortrag über das Buch zu halten.

H: Wie sind Sie von den Freimaurern aufgenommen worden?

JD: Es war für mich überraschend, aber ich fühlte mich überall willkommen. Es war wirklich großartig, für dieses Buch zu recherchieren. Selbst, wenn ich nur einen Blick durchs Schlüsselloch werfen wollte, wurden mir meist ganze Türen geöffnet.

H: In Ihrem Buch zerstören Sie viele Narrative, Legenden und Mythen über die Freimaurerei. Viele davon sind bei uns Freimaurern höchst beliebt, etwa die Herkunft von den alten Steinmetzen mit ihren alten Kathedralen oder gar die Herkunft von den Tempelrittern. Wie viele Freimaurer haben sich anschließend bei Ihnen beschwert nach dem Motto: „Ich lasse mir doch von den Fakten nicht meine schöne Geschichte kaputtmachen!“

JD: Damit hatte ich gerechnet. Aber tatsächlich: Niemand hat sich beschwert, erstaunlicherweise. Und das zeigt doch, dass Freimaurer sehr interessiert an einem Dialog sind. Ich habe versucht, das Buch so objektiv zu schreiben wie möglich, um den Dialog anzuregen und das Nachdenken für beide Seiten zu befördern. Ich bin froh, dass das offenbar gut funktioniert hat. Insgesamt war ich bisher sehr zufrieden mit der Reaktion auf das Buch. Ich denke, dass viele dieser Mythen von den Freimaurern am Anfang ihrer Geschichte selbst erfunden wurden, um überhaupt ernst genommen zu werden. Die Freimaurerei wurde zu einer wichtigen Institution, weil sie sich selbst eine Geschichte gab.

Es gab natürlich auch verschiedentlich Kritik am Buch, etwa in der Form, dass ich freimaurerische Geheimnisse verraten hätte, indem ich auch die Rituale kurz erläutere und geheime Zeichen und Worte nenne. Andere haben sich beschwert, dass bestimmte Aspekte oder die Geschichte der Freimaurerei in ihrem Land etwas zu kurz gekommen seien. Aber das ist natürlich unvermeidlich.

H: Nachdem Sie aufgrund Ihrer Recherchen als Historiker vermutlich mehr über Freimaurerei wissen als viele Freimaurer selbst: Wäre es nicht an der Zeit, um Aufnahme zu ersuchen? Oder käme das für Sie nicht in Frage?

JD: Wahrscheinlich müsste ich mich dann aufgrund meines Atheismus dem Grand Orient in Frankreich anschließen. Ich weiß nicht. Ich denke aber nicht, dass ich das tun würde. Ich meine, dass man als Historiker einen gewissen Abstand zu dem Gegenstand seiner Forschungen halten sollte. Außerdem hätte ich wohl auch Schwierigkeiten, die notwendige Zeit dafür aufzubringen. Ich schreibe Bücher, zusätzlich zu meiner akademischen Lehrtätigkeit, ich habe drei Kinder. Und dann kommt hinzu, dass die Freimaurerei mit sich selbst sehr viel zu tun hat, was mich ehrlich gesagt, etwas abschreckt, so lange bestimmte Dinge nicht geklärt und behoben sind: In Großbritannien zum Beispiel muss die Freimaurerei eindeutig über ihre Rolle im Empire und dem damit verbundenen Erbe des Kolonialismus und des Rassismus nachdenken. Es genügt nicht zu behaupten, dass man nicht nach der ethnischen Zugehörigkeit eines Menschen fragt, der Freimaurer werden möchte. Man sollte dann auch seine eigenen Maßstäbe an seine eigene Geschichte und Gegenwart anlegen.

H: Auch in Deutschland entwickelte sich die Aufarbeitung des Erbes aus der Zeit des völkischen Nationalismus sehr spät. Wir sind mittendrin und erst seit kurzem gibt es freimaurerische Autoren, die dieses Thema aufgreifen.

JD: Ich habe mich bei meinen Forschungen auch zum Teil auf die ganz hervorragende deutsche Literatur zur Freimaurerei im Allgemeinen gestützt. Es bleibt ja nicht aus: Wenn man in einem solchen Buch wie meinem die Entwicklung der vergangenen 400 Jahre auf dem ganzen Planeten abdeckt, muss man zwangsläufig die Forschungen ganz vieler Menschen zusammenführen. Und da ist mir natürlich auch aufgefallen, dass dieses Thema in der deutschen Literatur erst in den vergangenen zehn Jahren aufgekommen ist.

H: Wir sind in Deutschland nur etwa 15.000 Brüder. Die Freimaurerei spielt hier de facto keine nennenswerte gesellschaftliche Rolle. Ist das in Großbritannien mit einer wesentlichen größeren Anzahl von Freimaurern anders? Oder geht auch dort der gesellschaftliche Einfluss zurück?

JD: Zahlenmäßig ist die Freimaurerei weltweit gesehen eindeutig im Niedergang begriffen. Sie können heute längst nicht mehr mit einer auch nur annähernd ähnlich großen Galerie bedeutender Männer aufwarten wie vor 100 oder 200 Jahren.

Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg zum Beispiel gab es zahlreiche Größen des englischen und schottischen Fußballs, die Freimaurer waren. Heute hätte man aber schon erhebliche Schwierigkeiten, überhaupt irgendeinen Fußballer unter den Freimaurern zu finden. Vielleicht einige ehemalige. Das ist natürlich ein sehr profanes Beispiel, aber es gibt Ihnen einen deutlichen Hinweis darauf, dass die Freimaurerei nicht mehr in den Alltag der Menschen in England eingewoben ist. Vor zwei oder drei Generationen war es das noch. Dieser Einfluss, den man den Freimaurern nachsagt, gibt es nicht. Er besteht wohl nur in den Köpfen der Menschen, die Freimaurerei als verdächtig ansehen, weil es in ihrer Geschichte auch immer Fälle von Korruption und Missbrauch des Netzwerks Freimaurerei gab.

H: Was war bei Ihren Studien das Überraschendste für Sie?

JD: Eine der faszinierenden Beobachtungen beim Studium der Freimaurerei war für mich, dass die Freimaurerei eine Organisation ist, für die Geschichte – also im Sinne der Historie – sehr, sehr wichtig ist. Egal, ob in der Tradition der Mythen und Narrative oder in Form von konkreten historischen Forschungen. Ich habe wochenlang immer und immer wieder in der Bibliothek und im Archiv der United Grand Lodge in London über meinen Dokumenten und Büchern gesessen. Und die ganze Zeit habe ich beobachtet, dass unheimlich viele Freimaurer aus der ganzen Welt hereinkamen, um zu recherchieren, um Forschungen anzustellen. Manchmal ging es nur darum, ob in der Familie der Großvater oder Urgroßvater Freimaurer war, manchmal ging es um die Geschichte der eigenen Loge, manchmal auch um philosophische Themen. Viele Freimaurer verstehen sich offenbar tatsächlich als ein Teil des Mauerwerks ihrer Geschichte. Und das fand ich faszinierend. Und wenn ich mit meinem Buch ein Ziel in Richtung der Freimaurer selbst verfolge, dann, dass ich gerne Freimaurer dazu bringen möchte, ihre Geschichte auf eine etwas andere Art zu schreiben.

Ich habe beobachtet, dass es vor allem zwei Gründe gibt, warum Freimaurer über Freimaurerei forschen und schreiben. Der eine Grund ist, dass sie infolge von Streitigkeiten untereinander nach Beweisen suchen für die Legitimität ihrer eigenen Herkunft, ihrer eigenen Überlieferung, der älteren Rechte ihres eigenen Rituals. Sie wollen sich also selbst bestätigen: Wer ist der wahre Erbe dieser oder jener Tradition? Und der andere Grund ist, dass sie auf der Suche nach ihrer eigenen Identität sind, sie suchen Narrative, Geschichten, um das Gefühl zu bekommen oder zu erhalten, dass Freimaurerei etwas Wichtiges ist.

Und ich denke, es wäre besser, Freimaurer würden eine kritischere Sicht auf ihre Geschichte bekommen. Die wissenschaftlichen Fakten sind ein besseres Instrument als alte Legenden, um darüber nachzudenken, dass die Vergangenheit – und vielleicht auch die Gegenwart – der Freimaurerei schwarz-weiß-kariert ist, so wie der Boden des Tempels.

H: Wird Freimaurerei dann überhaupt noch gebraucht? Und was müsste sich aus Ihrer Sicht innerhalb der Freimaurerei ändern, damit sie eine Überlebenschance hat?

JD: Das ist eine der großartigen Fragen, die mir erstaunlicherweise andauernd gestellt werden. Als ich mein Buch schrieb, hätte ich nie gedacht, dass sich jemals irgendwer vertrauenswürdig an mich wenden würde, um zu erfahren, wie die Zukunft meines Betrachtungsgegenstandes Freimaurerei aussieht. Und ich glaube, dass es für die Zukunft wirklich darauf ankommt – was ich eben sagte – wie Freimaurer über ihre Geschichte nachdenken.

Zudem: Die Freimaurerei hat eindeutig ein Problem mit der Überalterung, ich weiß nicht, ob das auch auf Deutschland zutrifft, aber es scheint mir überall – vielleicht mit Ausnahme Afrikas – der Fall zu sein.

Weiterhin muss sich die Freimaurerei fragen, wie sie es mit dem Rassismus hält. Die Exklusivität für Weiße ist nach wie vor vielfach zu beobachten.

Und letztlich, das erscheint mir sogar am wichtigsten, ist der Genderaspekt eine wesentliche Frage, die für die Zukunft beantwortet werden muss. Geht die Freimaurerei letztlich den französischen Weg, werden Frauen als Freimaurerinnen anerkannt und als regulär betrachtet? Wenn dies Normalität würde, werden sich natürlich unweigerlich zunächst einige bisherige Mitglieder verabschieden. Aber, von außen betrachtet, denke ich, ist das die Zukunft.

Freimaurerei war mit der Aufklärung verbunden, stand für universelle Werte und Weltoffenheit. Das bewundere ich an der Freimaurerei und vielleicht kann sie sich diesen Werten weiter annähern.

H: Haben Sie jetzt Ihre Recherchen über Freimaurerei mit diesem Buch abgeschlossen oder geht es weiter? Was ist das nächste Thema für Sie?

JD: Ich bin mit dem Buch ja doch relativ an der Oberfläche geblieben. Ich würde gerne mehr akademische Forschung zu einigen Bereichen betreiben, etwa zur Freimaurerei vor dem Ersten Weltkrieg in Italien. Im Moment ist leider alles zum Stillstand gekommen, weil auch die Archive und Bibliotheken wegen der Pandemie geschlossen sind. Ich habe also zurzeit nicht so viel zu tun wie sonst und kann deshalb eine Menge Interviews führen und Online-Vorträge über Freimaurerei halten. Das ist immerhin auch eine sehr schöne Beschäftigung.

H: Vielen Dank für das Gespräch!


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