Jan A. van der Brugge: Die Wiederbelebung der Freimaurerei in Ungarn im Jahr 1989: Unterschied zwischen den Versionen

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Aus Gründen der (auch politischen) Diskretion war klar, dass die Namen der ungarischen Brüder und ihre Adressen nicht in unser Mitgliederverzeichnis aufgenommen würden. In Ungarn war die politische Entwicklung damals noch sehr ungewiß. Wir mußten unter strengster Vorsicht und Deckung vorgehen. Jedes Mal, wenn wir in Hotels und Restaurants saßen, machten uns die Brüder aufmerksam, daß überall Mikrophone seien, bis dann irgendwann die erlösende Meldung kam: keine Mikros mehr.  
 
Aus Gründen der (auch politischen) Diskretion war klar, dass die Namen der ungarischen Brüder und ihre Adressen nicht in unser Mitgliederverzeichnis aufgenommen würden. In Ungarn war die politische Entwicklung damals noch sehr ungewiß. Wir mußten unter strengster Vorsicht und Deckung vorgehen. Jedes Mal, wenn wir in Hotels und Restaurants saßen, machten uns die Brüder aufmerksam, daß überall Mikrophone seien, bis dann irgendwann die erlösende Meldung kam: keine Mikros mehr.  
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===VI. 14. Jänner 1989: Aufnahme 14 ungarischer Brüder in die Loge 'Gleichheit'===
 
===VI. 14. Jänner 1989: Aufnahme 14 ungarischer Brüder in die Loge 'Gleichheit'===

Version vom 21. Oktober 2020, 19:06 Uhr

Logo der 'Symbolischen Großloge von Ungarn': erstmals gegründet 1886 (= 5886/Zeitrechnung)

Einführung von Rudi Rabe:

Die Entwicklung der Freimaurerei in Ungarn vom 18. bis ins 21. Jahrhundert war ein ständiges Auf und Ab. Hoffnungsvolle Anfänge und dann wieder Verbote wechselten einander ab.
Sehr detailreich wird das hier beschrieben:
Zwei Jahrhunderte Ungarische Maurerei – eine Achterbahn.

Das letzte Verbot wurde 1950 ausgesprochen als die Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig die Macht übernahmen. Es galt vier Jahrzehnte bis das kommunistische System gegen Ende 1989 eher überraschend innerhalb kurzer Zeit zusammenbrach und einen Neubeginn möglich machte.

Geburtshelfer dieser Wiederbelebung waren österreichische Freimaurer: allen voran die Brüder der Wiener Loge ‚Gleichheit‘ der Großloge von Österreich sowie deren Großmeister, und zwar schon Anfang 1989 als noch keineswegs abzusehen war, wie schnell sich die politischen Ereignisse wenige Monate später regelrecht überschlagen sollten.

Der österreichische Großmeister war damals Franz Hausner, und Stuhlmeister der ‚Gleichheit‘ war Jan van der Brugge. Dreißig Jahre später übergab dieser dem Freimaurer-Wiki seine Notizen aus jener Zeit: ein Vortrag, den er fünf Jahre nach den Ereignissen gehalten hatte. Wir von der Redaktion bedanken uns dafür und stellen Jans Aufzeichnungen einer interessierten Nachwelt in einer leicht gekürzten Fassung zur Verfügung.


Jan A. van der Brugge:
Die Wiederbelebung der Freimaurerei in Ungarn im Jahr 1989

Eine Reihung meiner Notizen und eine Deutung der Tatsachen: in alter Freundschaft zugeeignet den Brüdern István Galambos (damals Großmeister der wiederbelebten Symbolischen Großloge von Ungarn/SGLvU), Franz Hausner (damals Großmeister der Großloge von Österreich/GLvÖ) sowie Otto Balázs, Gründungsmeister der Wiener „Ungarn-Loge“ ‚Helikon‘).

Dies ist ein Bericht nach meinen Aufzeichnungen. Zur Zeit unseres Engagements in Ungarn war ich Meister vom Stuhl der Loge ‚Gleichheit‘. Wir erkannten damals die Möglichkeiten, fanden Begeisterung in den eigenen Reihen, und hatten vor allem auch die volle Unterstützung unseres damaligen Großmeisters Franz Hausner, der ebenfalls die Zeichen der Zeit erkannt hatte. Ohne ihn wäre die SGLvU nicht in dem Tempo und mit dem Erfolg als erste Gründung im ehemaligen Ostblock zustande gekommen; ohne die Loge ‚Gleichheit‘ auch nicht.

Es gab auch skeptische Stimmen, manche wollten die weitere Entwicklung abwarten, wollten neu aufgenommene ungarischen Brüder vorerst lieber auf verschiedene Logen in Wien aufteilen und dachten nicht an eine autonome Körperschaft in Budapest. Kein Wunder: Auch wichtige politische Kommentatoren sahen das Ender der kommunistischen Herrschaft in Ungarn und im Ostblock damals 1988/89 noch nicht gekommen. Das Gewicht der Geschichte war schwer. Wir konnten uns leichter bewegen.

I. Kurzfassung

14. Jänner 1989: 
Die Wiener Loge ‚Gleichheit‘ mit Zweitsitz in Breitenbrunn im Burgenland affilierte an diesem Tag in ihrem dortigen Logenhaus 14 ungarische Brüder. Diese waren entweder schon vor 1950 in Ungarn oder später woanders aufgenommen worden (daher: affiliert). Breitenbrunn hatte bis nach dem Ersten Weltkrieg als Westungarn zum ungarischen Teil der habsburgischen Doppelmonarchie gehört.

In weiter Ferne lag damals noch der Gedanke an eine Rückkehr des freimaurerischen Lichts nach Ungarn. Doch plötzlich im Lauf des Jahres 1989 ging alles sehr schnell, und schon am 15. August fand in Obuda (Teil von Budapest) die Neugründung der SGLvU statt: noch nicht als rituell eingesetzte Großloge, sondern vorerst nur als Verein nach dem staatlichen ungarischen Vereinsrecht.

18. November 1989: 
Die Zeichen der sich schnell verändernden Zeit erkennend gründeten wir von der Loge ‚Gleichheit’ an diesem Tag mit den im Jänner aufgenommenen ungarischen Brüdern in Breitenbrunn vier Tochterlogen. Unter der Schirmherrschaft der Loge ‚Gleichheit‘ und mit tatkräftiger Unterstützung des Großmeisters Franz Hausner konnte so eine historische Tat gesetzt werden: 75 Jahre nachdem die ‚Gleichheit‘ selbst als Grenzloge in der damaligen ungarischen Reichshälfte der Habsburger-Monarchie in der ungarischen Krönungsstadt Pozsony (Preßburg, heute Bratislava) gegründet worden war - wie der Name besagt: als Symbol der GLEICHHEIT aller Menschen, unabhängig von Religion und Rasse - konnte unsere Loge das damals ihr übertragene Licht wieder nach Ungarn zurückbringen: an ungarische Brüder auf ehemals ungarischem Gebiet!

Diese vier Grenzlogen - wie wir sie in Erinnerung an die Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg nannten - konnten sich schon sechs Wochen später am 27. Dezember 1989, in Budapest unter den Schutz der SGLvU stellen, die sich damit endgültig als Großloge konstituieren konnte.

Das Eiltempo der Neugründung war aus drei Gründen möglich: wegen der sofortigen und sehr aktiven Unterstützung durch Großmeister Hausner, wegen des energischen und einstimmigen Willens der Brüder der ‚Gleichheit‘ sowie ihrer ungarischen "Partner-Brüder", und schließlich durch den sich schnell wandelnden Zeitgeist - in Ungarn fand ja die Demokratisierung innerhalb kürzester Zeit statt.

Hiemit wäre alles schon gesagt, wenn es nicht die Einzelheiten gäbe, und unsere freimaurerischen Nachkommen würden es uns später nie verzeihen, hinterließen wir ihnen keine entsprechenden Notizen und Aufzeichnungen. Eines gleich vorweg: Es herrschte nicht immer und überall Einstimmigkeit über den von der Loge ‚Gleichheit‘ eingeschlagenen Weg, weder innerhalb der österreichischen Kette noch im Ausland. Doch er hat sich als richtig erwiesen.



Diese beiden Fotos zeigen das (ehemalige) Breitenbrunner Logenhaus der 'Gleichheit', von dem in diesem Text immer wieder die Rede ist. Heute gehört das unter Denkmalschutz stehende Jahrhunderte alte Gebäude einem Verein, welcher der 'Gleichheit' nahesteht. Die Räume können auch für nichtfreimaurerische Feste angemietet werden (siehe den Link ganz unten). Die Bilder wurden drei Jahrzehnte nach den beschriebenen Ereignissen aufgenommen.



II. Präludium 1988

Im Juni 1988 stand in den "Blauen Blättern" (damals das interne Magazin der GLvÖ) ein Artikel von einem Bruder István Galambos unter dem Titel "Gedient und Gelitten: Die ungarische Freimaurerei besteht seit langen Jahren nicht mehr … die Geschichte der ungarischen Freimaurerei begann paradoxerweise in Wien während der Herrschaft Maria Theresias, unter der seit 1741 oder 1742 die erste Freimaurerloge 'Aux Trois Canons' schon tätig war."

Der mir damals persönlich noch unbekannte Bruder Galambos erwähnte in dem Artikel auch, daß, nachdem etwa 300 Brüder den Zweiten Weltkrieg in Ungarn überlebt hatten, schon im April 1945 neue Aufnahmen erfolgten, die Mitgliederzahl sich Ende 1947 auf über 1300 belief, sich das Regime in Ungarn aber 1949 von der bürgerlichen Demokratie abwandte. Im Juni 1950 hielt ein Führer der Kommunistischen Partei Ungarns eine Rede, in der er feststellte, daß obwohl die Freimaurerei einst eine fortschrittliche Institution gewesen sei, sich jetzt aber Amerika-Freunde in ihr duckten. Drei Tage später erschienen im Logengebäude in Budapest Angehörige des Staatssicherheitsdienstes mit der Verordnung zur Auflösung und Beschlagnahme des Gebäudes. Es war der 12. Juni 1950.

Im selben Monat Juni 1988 hörte ich bei einer Stuhlmeister-Konferenz in Wien von Bruder Stephan, Meister vom Stuhl der damaligen Deputationsloge ‚Helikon‘, die in Wien in ungarischer Sprache und nach ungarischem Ritual arbeitet, daß es in Ungarn eine Gruppe von Brüdern gebe, die gerne mit österreichischen Brüdern in näheren Kontakt treten würden. Er fragte mich, ob wir das nicht in Breitenbrunn machen könnten. Für mich war das wie eine Nachricht aus einem Jenseits: "Es gibt noch Freimaurer östlich unserer Grenzen!“

Natürlich wußten dies viele besser Informierte als ich schon lange, vor allem jene, die schon Jahre hindurch für die Witwen ungarischer Brüder gesammelt hatten. Aber für mich war die Nachricht neu und faszinierend, die Informationen wirkten ansteckend: im Juni 1988.

III. Vor 1989 gab es in Ungarn vier kleine Gruppen (heimlicher) Freimaurer

Bald danach fragte mich Otto Balázs, der Gründungsmeister der ‚Helikon‘, ob wir nicht etwas für die Brüder in Ungarn tun könnten. Es gäbe da nämlich eine Gruppe, die regelmäßig heimliche Treffen in Budapest bei einem Bruder zuhause veranstaltete, die aber einen wesentlichen Nachteil habe - sie sei nicht homogen! Er zählte mir die folgenden vier Gruppen auf:

  • Die Gruppe der "alten" Brüder, noch aus der Zeit von vor 1950, die einen "Verwaltungsausschuss" gegründet habe und das Erbe hüte, das sie vom letzten gewählten Großmeister Marcel Benedek übernommen habe. "Unerschütterlich", nach diesem Appell ihres letzten Großmeisters, als die kommunistische Diktatur die Freimaurerei in Ungarn untersagte, harre sie der Dinge, in Erwartung der Rückkehr des freimaurerischen Lichts, und sie kümmere sich um die Witwen ungarischer Brüder.
  • Eine zweite Gruppe von Brüdern war in den Jahren der "Finsternis" im Rahmen einer zwar vollkommenen, aber nicht "rechtmäßig" eingesetzten Loge in einer Arbeit in Budapest in den 70er Jahren aufgenommen worden.
  • In jüngerer Vergangenheit waren dann auch noch Brüder in bundesdeutschen Logen in Ludwigshafen und in Hamburg rezipiert worden.
  • Und eine vierte Gruppe hatte das freimaurerische Licht in der Exil-Loge ‚Martinovics’ in Paris (Grand Loge de France) erblickt.

Diese Brüder hatten eines gemeinsam: Sie wurden von den ungarisch-sprachigen Brüdern in Wien als solche anerkannt, und manche von ihnen waren in Wien schon öfters auf Besuch gewesen. Die Anerkennung war also, zumindest de facto, vorhanden. Was auch heißt, daß nicht die Gefahr bestand, es könnten sich unter ihnen "Agenten des Regimes" befinden.

IV. Für die Loge ‚Gleichheit’ ein Geburtstagsgeschenk zum 75er

Die Loge ‚Gleichheit‘ konnte zu jeder Zeit schnell Beschlüsse fassen: Wir wollten helfen. In einem Schreiben vom 31. August 1988 an Großmeister Hausner teilte ich ihm folgendes mit:

In unserer Loge ist eine Idee entstanden, wie wir nächstes Jahr in würdiger Form unser 75-Jahre-Jubiläum feiern könnten. Als letzte (recte: vorletzte) 1913/14 unter der Obhut der SGLvU gegründete Grenzloge wäre es uns ein Anliegen, ein historisches und symbolhaftes Geschenk zu schaffen: 1913/14 wurde der Loge ‚Gleichheit‘ in Preßburg das Licht erteilt. Wir möchten dieser Tatsache gedenken, und allen ungarischen Brüdern, in Ungarn und woanders aufgenommen, eine, wenn auch nur vielleicht vorübergehende Heimstätte geben, indem wir sie zu uns affilieren.

Die Affiliationsansuchen der vier sogenannte "alten“ ungarischen Brüder an die Loge ‚Gleichheit‘ wurden uns bald übergeben. Es war der allgemeine Wunsch, die Affiliationen von Gruppe zu Gruppe nicht auf einmal, sondern allmählich durchzuführen, sozusagen gruppenweise, wobei die Gruppe der vier Brüder "aus dem 50er Jahr" die einfachste war, und die Gruppe der mittlerweile in Deutschland aufgenommenen Brüder als nächste ins Auge gefaßt werden konnte. Die sogenannten "Ungerechten" (= in Budapest "nicht gerecht“ Aufgenommen) wären entsprechend heikel, und die Gruppe der "Franzosen" in der Grand Loge de France schon gar, denn die waren von einer „falschen" weil von unserer Großloge nicht anerkannten Großloge initiiert worden.

Eine erste Affiliation wäre schon im November 1988 möglich, hatten alle Beteiligten vereinbart. Im entsprechenden Protokoll meiner Loge wird auch festgehalten, daß mit dem Großmeister besprochen wurde, daß alle ungarischen Brüder nur in die ‚Gleichheit‘ affiliert bzw. aufgenommen werden. Und die neuen ungarischen Brüder sollen als auswärtige Mitglieder geführt werden, so daß keinerlei finanzielle Verpflichtung gegenüber der Großloge entstehe. Außerdem bestehen wir darauf, daß der spätere Logenaufbau in Ungarn dann von der ‚Gleichheit‘ ausgehe, in historischer Umkehr zu Preßburg 1913/14. Gleichzeitig wird in dem Protokoll auch schon unsere Vorliebe für historische Daten festgehalten: die Affiliation der ersten vier ungarischen Brüder soll nicht schon im November stattfinden, sondern am 14. Jänner 1989 zum Stiftungsfest unserer Loge: zur 75-Jahresfeier!

V. Der Plan: eine neue Grenzloge

Die Affiliation sollte zur Gründung einer ungarischen Grenzloge führen, welche die Loge ‚Gleichheit‘ in Breitenbrunn, also nächstmöglich zur ungarischen Grenze, errichten wollte. Im Laufe der nächsten fünf Jahre, so stellten wir uns das damals vor, könnte diese Grenzloge sich verselbständigen und langsam die Rückkehr nach Ungarn vorbereiten.

„Alle ungarischen Brüder“, so schrieb ich im Bericht an den Großmeister, „sind sich darüber einig, daß das neue Vereinsgesetz in ihrer Heimat durchaus eine Möglichkeit bieten könnte, humanitäre Vereine zu gründen. Sie - die ungarischen Brüder - sind besonders angetan von der Idee, als Gruppe eine eigene Loge (unter den Fittichen der Loge ‚Gleichheit‘ und in deren Rahmen) zu bilden, die sich, auch symbolisch, auf ehemals ungarischem Boden, in Breitenbrunn, ansäßig macht, darauf wartend, daß in ihrer Heimat sich die Gesetzgebung in der Richtung ändert, daß die Gründung von Freimaurerlogen möglich ist. Wir werden mit ihnen regelmäßig in Breitenbrunn arbeiten, um ihnen das österreichische Ritual und Wissen beizubringen. Auch werden wir die Brüder regelmäßig in Ungarn besuchen, damit der Kontakt dichter werde."

Aus Gründen der (auch politischen) Diskretion war klar, dass die Namen der ungarischen Brüder und ihre Adressen nicht in unser Mitgliederverzeichnis aufgenommen würden. In Ungarn war die politische Entwicklung damals noch sehr ungewiß. Wir mußten unter strengster Vorsicht und Deckung vorgehen. Jedes Mal, wenn wir in Hotels und Restaurants saßen, machten uns die Brüder aufmerksam, daß überall Mikrophone seien, bis dann irgendwann die erlösende Meldung kam: keine Mikros mehr.


VI. 14. Jänner 1989: Aufnahme 14 ungarischer Brüder in die Loge 'Gleichheit'

Die Loge ‚Gleichheit‘ feierte ihr 75. Stiftungsfest, und zwar in dreifacher Weise: am Samstag, dem 14., in Breitenbrunn in ihrem eigenen Logenhaus, am Tag darauf im Haus der Großloge in der Wiener Rauhensteingasse, damit unsere "neuen" ungarischen Brüder das Haus kennen lernen konnten, und am Montag noch einmal bei einer normalen Arbeit auch im Großlogenhaus.

Das Fest in Breitenbrunn: Um 16.00 Uhr begann die feierliche Arbeit. In einer kurzen Ansprache erinnerte ich daran, daß 1950 beim Erlöschen der freimaurerischen Lichter in Ungarn der damalig Großmeister Benedek die Parole „Rendületlenül“ („Unerschütterlichkeit“) ausgab, und daß jetzt einige Brüder von damals hier in Fertöszeleskut (Breitenbrunn) als Sinnbilder dieser Unerschütterlichkeit stünden.

Die ungarischen Brüder überreichten uns einen Silberpokal mit der Widmung "Der Grenzloge Gleichheit von den ungarischen Brüdern am 14. Jänner 1989."

Ein weiterer Schritt zur Wiederherstellung der Freimaurerei in Ungarn war damit getan. Anwesend waren 51 Brüder der eigenen Loge und 28 Gäste. Bruder Galambos hielt ein Baustück (Vortrag) über die Geschichte der ungarischen Freimaurerei, in dem er u.a. ausführte: "Jetzt scheint es, als ob wir beim Anfang eines neuen Kapitels angelangt wären; das Ende unserer Wanderung in der Wüste, die erste war 1920 bis 1945; 25 Jahre - die zweite, die wir 1950 antreten mußten, dauert nun schon fast so lange, wie die der Juden in der Bibel … das Ende dieser zweiten Wanderung scheint in Sicht zu sein."

Vier Monate danach am 12. Mai 1989 - die Entwicklung begann sich zu beschleunigen - ein Aktenvermerk der Loge ‚Gleichheit’: In Budapest wird an der Gründung eines eingetragenen Kulturvereins Pannonia gearbeitet, wobei man über glaubwürdige Aktivitäten nachdenkt, was aber nicht nötig ist, da der dortigen Vereinsbehörde gegenüber schon einige Museumsbesuche genügen. Derzeit gibt es unter den ungarischen Brüdern etwas Unruhe, da die 'alten Brüder' für die Jüngeren zu festgefahrene Meinungen hätten. - In Ungarn ist auf Grund der neuen Vereinsgesetze und der wieder zugelassenen politischen Parteien jetzt doch eine schnelle Entwicklung zu erwarten. Man kann annehmen, daß ähnlich wie 1945, als das Verbot von 1919 als gesetzwidrig aufgehoben wurde, auch jetzt wieder eine Aufhebung des Verbotes von 1950 kommt, womit die Großloge nach einer vierzigjährigen Unterbrechung wieder - und zwar ohne neues Gründungsverfahren - weiter bestehen könnte.

Als wir am 3. Juni 1989 ein erstes gemeinsames Treffen mit unseren Brüdern und deren Frauen in Ungarn mit einem Johannis-Baustück bei Bruder Lászlo zu Hause feierten, lag der Gedanke noch fern, bald der Gründungssitzung des Vereines ‚Symbolische Großloge von Ungarn’ beiwohnen zu können. Fast die gesamte Gruppe war zum Bahnhof gekommen, um die Gäste aus Wien abzuholen. Nach einem gemeinsamen Mahl wurde von Bruder Janos ein Vortrag über die "Humanitas Ecologica" von Vergil gehalten.

Doch der Zeitgeist wehte dann noch schneller als wir es für möglich hielten.

VII. August 1989: Gründung des Vereins ‚Symbolische Großloge von Ungarn‘

Inzwischen liefen die Vorbereitungen für die Gründung der SGLvU auf Hochtouren. Großmeister Hausner verfasste Statuten des Vereines unter Berücksichtigung der österreichischen Satzungen.

Und so ging es rasant weiter. Bei strahlender Sonne und heißem Wetter - es schien damals so, als ob in Budapest immer Schönwetter herrschte, wenn Freimaurer arbeiten - trafen einander an die sechzig Brüder aus Ungarn, Österreich und Italien im Palais Zichy im alten Kern von Obuda, in einem dafür viel zu kleinen Raum, wo Statuten vorgelesen und diskutiert wurden, und um einen ersten Vorstand zu wählen.

Bruder Galambos wurde zum Vereinsobmann und somit künftigen Großmeister gewählt. Der Verein SGLvU verfügte damit über mehr als 43 Gründungsmitglieder, die sich aus den 13 ungarischen Brüdern der Loge ‚Gleichheit‘ und den inzwischen aus allen Ecken und Enden des Landes (auch mittels Annoncen "an die Freunde von Marcel Benedek") herbeigerufenen Brüder rekrutierten. Ich fühlte mich an den Beginn meiner eigenen Lehrlingszeit zurückversetzt, als das Durchschnittsalter unserer Loge bei ca 75 Jahren lag.

Am 17. August teilte ich den Brüdern der 'Gleichheit' mit, daß wir alle wegen der behördlichen Genehmigung sehr optimistisch sind. In der Tat wurde keine zwei Wochen später die Legitimität des neuen Vereins bestätigt: Ein weiterer Schritt zum neuen Licht ward getan. Nur wurde damals von den ungarischen Brüdern unsere Empfehlung nicht angenommen, für das Handelsregister alle erdenklichen freimaurerischen Namen zu reservieren, so daß kommende Konkurrenten es schwerer haben würden, eine Großloge zu gründen.

VIII. Jetzt endlich die Rückkehr des freimaurerischen Lichts nach Ungarn

Ab 1. September 1989 bestand er also wieder: der Verein SGLvU. In einem Artikel für die freimaurerische Presse in Österreich informierte ich noch, daß zu einem späteren Zeitpunkt darüber diskutiert werden solle, ob es sich schlußendlich um eine Gründung oder eine Neu- oder eine Wiedergründung der SGLvU handle. Beschlossen wurde dann, daß es sich um die Rückkehr des freimaurerischen Lichtes handle, da die SGLvU niemals zu bestehen aufgehört habe, es nur unmöglich gewesen sei, Arbeiten durchzuführen.

Der Termin der Rückkehr war eindeutig. Wir wollten so schnell wie möglich abschließen, der Johannistag war prädestiniert, der Winter stand bevor, also der 27. Dezember.

Da es sich aber um ein freimaurerisch-historisches Ereignis erster Größenordnung handelte, nämlich die erste "Neugründung" einer Großloge im ehemaligen Ostblock, wenige Monate nachdem der Eiserne Vorhang zwischen Österreich und Ungarn durchgeschnitten worden war und wenige Wochen nach dem Sturz der Berliner Mauer, wäre zu einem „so günstigen" Termin zwischen Weihnachten und Neujahr ein Ansturm auf Budapest vorhersehbar gewesen. Einen solchen Raum, mit einer Fassung von bis zu 800 bis 1000 Personen, der noch dazu als Tempel dienen sollte, hätten wir in der Eile nicht auftreiben können. Zwar war noch die Rede von Sälen in Budapester Palästen oder Schlössern, aber lieber wollten wir die ganze Angelegenheit in kleinerem Rahmen halten. Wir ernten darob viele heftige Beschwerden, und wahrscheinlich hat man uns Unfähigkeit vorgeworfen.

Also gingen wir es anders an: Noch vor (!) Weihnachten eine nicht zu große gemeinsame Johannisfeier der beiden Großlogen unter der Hammerführung der Großloge von Österreich. Dabei sollte die GLvÖ der Ungarischen SGLvU die Anerkennung aussprechen. Doch diese wiederbelebte ungarische Großloge hatte ja noch keine Logen. Also gaben wir den ungarischen Brüdern den Auftrag, aus den affiliierten und damit offiziell anerkannten Brüdern unverzüglich jeweils drei Logen zu bilden - es wurden dann sogar vier daraus - wobei es natürlich auch zu Doppelmitgliedschaften kommen mußte. Es soll sogar in einigen Fällen auch Dreifachmitgliedschaften gegeben haben, nur mit dem Zweck, möglichst vollständige, ordentliche Logen zu gründen, die aber nur aus der Loge ‚Gleichheit‘ hervorgehen konnten. Wir waren ja die einzige dazu befähigte und als solche legitimierte Organisation. Diese vier Logen mußten noch vor dem Dezember gegründet werden, sodaß wir wieder einmal eine Festarbeit ansetzten, um die Gründung von vier Tochter-Logen vornehmen zu können.

IX. November 1989: Vier Grenzlogen der Loge ‚Gleichheit‘

Es wurde dann beschlossen, alle vier Grenzlogen in Breitenbrunn auf einmal zu gründen, die dann nach Budapest und Szeged auswandern würden, um sich dort unter den Schutz der SGLvU zu stellen. Diese Lösung schien die geeignetste.

Gründung der Grenzlogen in Breitenbrunn: Das vollzogen wir am 18. November in einer Festarbeit. Zum ersten Mal wurden die beiden Großmeister Hausner und Galambos in einem Ritual gemeinsam eingeholt.

Vorgang: Bruder Hausner ruft die vier designierten Stuhlmeister der vier neuen Logen auf, um ihnen das Gelöbnis abzunehmen und ihnen dann die Arbeitsgenehmigungen zu übergeben. Es sind die Logen Egyénlöség (Gleichheit), Deák und Galilei für Budapest und die Loge Arpád für Szeged. Ausgestattet mit dem Hausgesetz der Mutterloge ‚Gleichheit‘ erhalten diese vier Logen die Arbeitserlaubnis, in dem Sinne, daß sie vorläufig, bis zur vollkommenen Arbeitsfähigkeit der SGLvU, am 27. Dezember als Grenzlogen in Breitenbrunn arbeiten würden, um sich dann nach Weihnachten bei der gemeinsamen Johannis-Arbeit in Budapest unter den Schutz der SGLU zu stellen.

Auf dem Weg nach Budapest: Seltsame Winterreise eines einsamen Stuhlmeisters mit einem Kombi voller freimaurerischer Ritualgegenstände in einer geschichtsträchtigen Nacht. Weihnachten 1989 ist wohl das kürzeste private Fest, das ich je erlebt habe. Mit einem Leihwagen hole ich am 26. Dezember sämtliche notwendigen Tempeleinrichtungsgegenstände vom Logenhaus in der Rauhensteingasse ab. Durch die Finsternis fahre ich zur Grenze hin, mit dem festen Vorsatz, die Utensilien den ungarischen Behörden als Theatergegenstände zu "verkaufen". Unbehelligt lassen sie mich einreisen. Wie sich die Zeiten ändern!

Es ist wie im Film: Wenn ich im Novotel ankomme, sehe ich im TV den Prozess gegen Ceausescu und dann sein Ende. Auch das sehr bedeutsam und symbolträchtig! Kaum ist der Kommunismus tot, sind die Freimaurer schon wieder da … oder ist es umgekehrt? Europa kommt mit Schurz nach Ungarn, und der Kommunismus wird erledigt? Mit Bruder Mariano, der wie immer für die künstlerische Gestaltung der Festarbeit zuständig ist, versuche ich, mir der Tragweite bewußt zu werden.

X. Dezember 1989: Finale bei der gemeinsamen Johannisfeier in Budapest

Am nächsten Tag, dem 27. Dezember: an die 400 Brüder aus aller Welt, von Argentinien bis Kanada und aus ganz Europa sind nach Budapest gekommen. Wie viele wären es erst gewesen, wenn der Termin nicht so sehr ins Weihnachtliche gekommen wäre?! Sogar ein "falscher" Großmeister wird gesichtet: er ist von einer unsererseits nicht anerkannten Großloge im Südwesten Europas, erscheint im Prachtkostüm und wird von mir gebeten, nichts von seiner Anwesenheit kundzutun, also wohnt er der Arbeit in brüderlicher Toleranz unauffällig in den Reihen bei. Die anerkannte Großloge seines Landes war in der Eile wohl gar nicht eingeladen worden!

Großmeister Franz Hausner eröffnet die Arbeit und „übergibt“ den Ungarn gleichsam als „Johannis-Geschenk" die von der ‚Gleichheit’ in Breitenbrunn gegründeten vier ungarischen Grenzlogen. Er wendet sich an deren Stuhlmeister: "Ihr habt das Gelöbnis in meine Hand geleistet. Auf Euren und Eurer Brüder Wunsch entlasse ich Euch aus dem Verband der GLvÖ und stelle Euch unter den Schutz der SGLvU."

Danach spricht er die Anerkennung der SGLvU als reguläre Obödienz der Weltenkette durch die GLvÖ aus. Nach einer Ansprache von Großmeister Galambos und weiteren Programmpunkten übergibt Hausner den Hammer an Galambos und schließt die Arbeit.

Der letzte Schritt ward getan!

XI. Post Festum

In den Budapester Neuesten Nachrichten vom 30. Dezember 1989: Auf Seite 1 wird berichtet, daß Vaclav Havel in der CSSR zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Und auf Seite 3 heißt es: „Die Freimaurer sind wieder da“, und es wird dann berichtet, daß nahezu 500 Teilnehmer aus 16 Ländern nach Budapest gekommen sind, um an der Wiedererrichtung der SGLvU teilzunehmen.

Wir hatten finanziell gut kalkuliert. Nachdem wir mit ermäßigten Hotelpreisen rechnen konnten, blieben von unserem Gründungsbudget noch ca. 100.000 Schilling übrig, die den ungarischen Brüdern als Startsumme zur Verfügung gestellt wurden. Dreißig Jahre später und unter Berücksichtigung des niedrigeren ungarischen Preisniveaus wären das wohl mehrere zehntausend Euro.

Während der Arbeit wurde mit großer Freude ein Schreiben der englischen UGLE, von Großsekretär Higham, zur Kenntnis genommen, in dem "ihre große Sympathie" zum Ausdruck gebracht wurde, in der Hoffnung, "daß man in London demnächst ein Ansuchen auf Anerkennung aus Budapest erhalten würde." Der Über-Schritt wurde damit erreicht!

Am 21. Mai 1990 vollendete die Loge Gleichheit den Zyklus der Feierlichkeiten anläßlich ihres 75jährigen Bestandes. 111 Brr aus dem In- und Ausland erlebten dabei im Großen Tempel der Rauhensteingasse zu Wien auch den ersten offiziellen Besuch des neuen ungarischen Großmeisters István Galambos, der feierlich, Arm in Arm mit dem österreichischen Großmeister Franz Hausner eintrat - wie damals in Breitenbrunn.

Am 22. Mai fand in Budapest unter großer internationaler Beteiligung die erste feierliche Rezeption statt: im restaurierten Festsaal des Hauses der Kleingewerbetreibenden wurden sechs Suchende in die vier Logen aufgenommen. Und bei der Johannis-Arbeit am 26. Juni erhielten jene Brüder, die von Österreich aus maßgeblich an der Rückkehr der Freimaurerei nach Ungarn mitgewirkt hatten, die Ehrenmitgliedschaft überreicht.

Innerhalb eines Kalenderjahres hatte sich ein Zyklus geschlossen, der am 14. Jänner 1989 unter noch höchst unsicheren Umständen begonnen hatte. Elf Monate später war die Welt eine andere, das Licht hatte die Finsternis verdrängt, vielleicht versteht sie "Es" doch einmal. Es möge nie wieder erlöschen!

In Memoriam meiner Freunde und Brüder Franz Hausner, Istvan Galambos und Otto Balázs. Alle drei waren bei der erstmaligen Verlesung dieses Textes fünf Jahre nach dem Geschehen anwesend und bestätigten den Inhalt desselben.




Nachtrag von Rudi Rabe: Die Basis dieses Textes von Jan van der Brugge ist der leicht gekürzte Vortrag, den Bruder Jan am 27. Dezember 1994 bei der Fünfjahresfeier des Geschehens hielt. Fast drei Jahrzehnte später fällt auf: Der immer wieder durchschimmernde politische Optimismus gibt recht gut die Stimmung jener Zeit wieder.


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Siehe auch

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