Johann Jakob Hottinger

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Johann Jakob Hottinger

(1783-1860)

Ein Porträt des ersten Großmeisters
der Schweizerischen Großloge Alpina
mit zahlreichen langen Auszügen aus seinen Reden
von Heinrich Boos, 1894


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Ausgearbeitet von Dr. phil. Roland Müller, Switzerland / Copyright © by Mueller Science 2001-2015 / All rights reserved - ESOTERIK von Dr. phil. Roland Müller

Biographisches

Eine schöne Würdigung bereits bei:
Joseph Gabriel Findel: Geschichte der Freimaurerei. 2. Aufl. 1866, 637-639; 3. Aufl. 1870, 659-661.

Eugen Lennhoff, Oskar Posner: Internationales Freimaurer-Lexikon. 1932, Sp. 715:

Schweizer Historiker, ursprünglich Theologe, * 1783, † 1860, Erziehungsrat,
1833 Professor der Geschichte an der neuen Universität Zürich, setzte das Werk des Johannes von Müller fort, Verfasser einer zweibändigen "Geschichte der Eidgenossen", Ehrendoktor der Universitäten Zürich und Königsberg,
Züricher Magistrat,
[seit 1813] Mitglied der Loge "Modestia cum Libertate". 1844 erster Großmeister der schweizerischen Großloge "Alpina", führte er sein in der Zeit schwerster politischer Zerklüftung seines Vaterlandes (Sonderbundekrieg!) doppelt schweres Amt erfolgreich im Sinne werktätiger, das Einigende betonender Liebe.

http://de.wikisource.org/wiki/ADB:Hottinger,_Johann_Jakob_(Historiker) (ohne Erwähnung der Schweizerischen Großloge Alpina) http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D27073.php (ohne Erwähnung der Freimaurerei)


Porträt und Reden

Die folgenden Texte und Zitate aus:
Heinrich Boos: Handbuch der Freimaurerei. Aarau: Sauerländer 1894,
(die Seiten 511-516 sind im Exemplar der Zürcher Zentralbibliothek fein säuberlich herausgeschnitten)


[Zwischentitel zur leichteren Lesbarkeit eingesetzt von R. M.]


1817-1824: Redner der „Modestia cum Libertate“

455

… Auch die Loge zur Bescheidenheit lebte nun wieder kräftig unter der energischen Hammerführung des für die königliche Kunst begeisterten Heinrich Gysi auf. Die alten Brüder verschwanden allmählich vom Schauplatz und ein neues Geschlecht mit ändern Idealen regte seine Schwingen.
Eine wahre Zierde der Loge war Professor J. J. Hottinger, der sich als Fortsetzer von J. Müllers Schweizergeschichte einen Namen gemacht hatte. (G. von Wyß in der A. Deutschen Biographie). Vom Jahre 1817-1824 erwärmte er als Redner die Brüder durch seine überaus gehaltvollen Ansprachen. (J. J. Hottinger; Gabe der Freundschaft. Zürich 1860. 4°. Mit seiner Photographie. Seine früheren Reden sind in Schaubergs Alpina 1859 und 1860 abgedruckt.).

Er gehörte der liberal-konservativen Partei an und auch als Freimaurer nahm er eine vermittelnde Stellung zwischen den extremen Anhängern der Hochgradsysteme und der vereinfachten Englischen Freimaurerei ein. (vgl. seinen Vortrag über die Systemverhältnisse und die Angriffe auf die Maurerei. St. Gallen 1854).


Das protestantische Zürich

473

… Nach der Schweiz kam die Freimaurerei als eine exotische Pflanze. Hottinger bezeichnet es mit Recht als eine

„der wunderbaren Anomalien, wie sie bisweilen im menschlichen Leben sich darstellen, daß gerade in demjenigen Lande, dessen nationales Prinzip, dessen eigentümliche Institutionen denjenigen des Tempelordens am fernsten stehen, sich dennoch am längsten das Gedächtnis und eine Art von verschwiegenem Kultus desselben erhalten hat.
Aber eben in diesem Gegensatz liegt hinwieder auch die Unschuld, die Gefahrlosigkeit dieses Spiels mit Formen, wie man höchstens es nennen kann. In der That gerade bei uns, bei der Öffentlichkeit in unserm Nationalleben, gerade von dem protestantischen Zürich aus war wohl am wenigsten zu besorgen, daß unter den Fittigen dieses Tempelherrensystems ein Ableger des Jesuitismus oder päpstlicher Hierarchie oder irgend einer andern unseren freien Staatseinrichtungen feindseligen Tendenz sich einschleichen werde. Wer das Schottische Direktorium solcher beschuldigen will, der thue es, wenn er Beweise findet.“


1843: Die Wahl zum Großmeister

496-498

… Das Repräsentativsystem, dem der Liberalismus seit 1830 in den meisten Kantonen und 1848 im Eidgenössischen Bunde selbst zum Sieg verholfen hatte, wurde auch dem Verfassungsvertrag der Alpina zu Grunde gelegt, doch räumte man andererseits dem Großmeister eine außerordentliche Stellung ein. Hottinger bemerkte hiezu (Bericht über die Verhandlungen der Großloge A. am 29. September 1848 zu Basel. Zürich 1848 p. 16 ff.)

„Die Einräumung einer so bevorzugten Stellung sei aus der Ansicht hervorgegangen, der Großmeister müsse als der eigentliche Träger der Idee des Bundes betrachtet werden, als das geistige Organ, durch welches diese Idee in den einzelnen Mitgliedern zu beleben und anzuregen sei, und zu diesem Ende bedürfe er auch einer gewissen äußern Macht, eines durch die Verfassung selbst ihm zugesicherten und übertragenen Einflusses.“
Diese Ansicht gehört der früheren Zeit an und insbesondere dem rektifizierten System.
„Allein, jenes System ging folgerichtiger zu Werke. So wie der Großmeister von oben her seine Erleuchtung erhielt und dieselbe nach unten ausströmen ließ, so auch seine Gewalt. Er wurde nicht von unten herauf durch die ihm untergebenen Logen und zwar nur auf eine gewisse Zeit gewählt. Die Obern des Bundes, die fortwährend sich selbst ergänzten, wählten ihn auf Lebenszeit, und wie ihm das Licht gewissermaßen durch Überlieferung zukam, so pflanzte sich in demselben traditionell auch die von obenher ausgehende Gewalt fort.
Mit kurzen Worten: die ganze, dem Großmeister angewiesene Stellung, ruhte auf entschieden aristokratischem Prinzip. Sie hat etwas hierarchisches, um nicht zu sagen päpstliches.
Diese Anschauungsweise einer frühern Zeit ist aber nicht mehr diejenige unsers Jahrhunderts, sie ist am allerwenigsten diejenige unsers Schweizerischen Vaterlandes. Dieses hat seinen sämtlichen Staatseinrichtungen bereits seit längerer Zeit eine so durchaus demokratische Grundlage gegeben, daß sich auch unser soziales Leben in keiner seiner Richtungen dem Einflusse derselben mehr entziehen kann. Auch in unserm Verfassungsvertrage macht dieselbe sich geltend in der Weise der Bildung, dem Geschäftsgänge und den Befugnissen des Verwaltungsrates, die vollkommen denjenigen anderer in unserm öffentlichen Leben hervortretender Behörden analog sind.“

Der Verfassungsvertrag war ein in jeder Hinsicht wohldurchdachtes Werk. Laut Beschluß der Versammlung in Locle 1842 wurde er durch die dirigierenden Logen in Locle und La Chaux-de-fonds den Logen zur Annahme übersandt und am 13. April 1843 teilten die genannten beiden Logen den Dreiervorschlag für die Wahl eines Großmeisters von jeder der Logen mit, welche die Verfassung angenommen hatten. Von 14 Logen stimmten 12 für J. J. Hottinger. Roschi von Bern erhielt 10 Stimmen und Jung 9.

In der That, Hottinger war unter den obwaltenden Umständen der gegebene Mann für diesen schwierigen Posten. Er war in den freimaurerischen Fragen, wie in den Geschäften wohl erfahren, besaß eine ungewöhnlich hohe Bildung und Gemütstiefe, und sein milder zur Ausgleichung und Versöhnung der Gegensätze geneigter Geist erleichterte ihm die Amtsführung.

„Ernstes Bedenken,“
sagte er (J. J. Hottinger. Gabe der Freundschaft zu dessen Andenken etc. Zürich 1860. 4°. p. 28 f.)
„erregte in mir die auf mich gefallene Wahl des Großmeisters. Die politischen Parteien im Vaterlande hatten bereits im Anfange des Jahres 1844 sich schroffer gesondert, sie standen mit klarem Bewußtsein dessen, was sie wollten, sich gegenüber und der Ausbruch des entscheidenden Kampfes schien nahe gerückt. Sollte in solchen vaterländischen Verhältnissen von Seiten des Bruderkreises etwas Ersprießliches erzweckt werden können, so mußten die von Zürich und der östlichen Schweiz als die Führer der politischen Parteien anerkannten Brüder (J. K. Bluntschli und Jonas Furrer) für die neue Schöpfung gewonnen werden, und an die Mitwirkung dieser zwei Brüder knüpfte ich meine Zusage zur Übernahme der Großmeisterstelle an.
So, dachte ich, müssen auch die politischen Gegner auf dem Felde der Humanität sich die Hände reichen, und wer einmal dann es ausgesprochen hat vor dem Angesichte des Allmächtigen: ‚Wie unsere Hände vor dir, so sollen auch unsere Seelen in treuer Liebe verkettet sein!‘ der wird, wenn auch später seine politische Überzeugung, Lebensaufgabe und Stellung den Kampf mit einer entgegenstehenden fordern sollte, dennoch jenem Gelöbnis nicht untreu werden.“


1844: Bundesfest

Am 22., 23. und 24. Juni 1844 fand in Zürich das erhebende Bundesfest statt, von den beiden Festlogen Modestia cum Libertate und Acacia vortrefflich vorbereitet. (Das Johannisfest 1844 gefeiert in Zürich etc, Zürich 1844. 121 Seiten. Bericht über die Verhandlungen der am 22., 23. und 24. Juni 1844 versammelten Deputationen der Schweiz. Freimaurerlogen und die Konstituierung der Großloge Alpina. Zürich 1844. 19 Seiten.)

Am 22. Juni Unterzeichneten die Vertreter folgender Logen den Bundesvertrag:
Brudertreue in Aarau.
La Constance in Aubonne.
Freundschaft und Beständigkeit in Basel.
Hoffnung in Bern.
La Réunion in Bex.
L’Amitié in La Chaux-de-fonds.
L’Amitié in Genf.
La Prudence in Genf.
Esperance et Cordialité in Lausanne.
Les vrais frères unis in Locle.
Frédéric Guillaume, La bonne Harmonie in Neuenburg.
La Constante in Vivis.
Acacia in Winterthur.
Modestia cum Libertate in Zürich.

Diese wählten einmütig J. J. Hottinger, ehemaligen Kanzler des Schottischen Direktoriums, zum Großmeister.


Ein Lied von Hottinger wird gesungen

502-503

… Hierauf wurde das von Hottinger gedichtete schöne Lied gesungen:

„Es schwebt in feierlicher Fülle
Der Weihgesang durch heil’ge Stille;
Der Morgen flammt in Siegespracht;
Des Baues großer Meister wacht,
Und aus des Bundes trautem Kreise
Erheben sich nach alter Weise
Der ersten Worte froher Ton
Hinan zu seinem Sternenthron.
Entlediget von eitlem Tande,
Von Erdenschimmer, Rang und Stande,
Nur Brüder, alle, nahen wir
Vertrauensvoll, Allvater, dir.
Dich sieht, gekrümmt zum niedern Staube
Der Pöbelwahn, der Sektenglaube
Durch mitternächtlich Dunkel nicht;
Es strahlt von Morgen nur dein Licht.
Umwallt von reinen Opferdüften
Erglänzet dort aus blauen Lüften,
Wie Sonnenglut im Morgentau,
Des hohen Domes Wunderbau.
Empor durch nie gemess’ne Zonen
Bis, wo von fernen Orionen
Der letzte Strahl erblassend wich,
Schlingt Eine Bruderkette sich.
Ihr wölbt sich Eines Himmels Bläue,
Sie schützet Eines Schwures Treue,
Sie leitet Eines Meisters Hand
An süßer Ahnung Zauberband.
Einst blüht die Ahnung auf zum Schauen,
Es weicht, die Pforte dem Vertrauen,
Und unser trunken Ohr umzieh’n
Des Heiligtumes Harmonien.“

Dann ergriff J. K. Bluntschli das Wort und entwickelte in freiem Vortrag seine Ideen „über das Verhältnis der Maurerei zu Kirche und Staat“.

… Nach einer Pause folgte die Installation und die Vereidigung des Großmeisters J. J. Hottinger, worauf Jonas Furrer von Winterthur die zweite Festrede: „Des Festes Bedeutung für die vaterländische Maurerei und deren Zukunft“ hielt.

1844: Hottinger spricht über die „Aufgabe der Maurerei“

504-522

Am 24. Juni fand die Eröffnung und Installation der Großloge Alpina statt, wobei Hottinger seine überaus bedeutungsvolle Rede über „die Aufgabe der Maurerei in der gegenwärtigen Zeit im Schweizerischen Vaterlande insbesondere,“ hielt.

Er verzichtet darauf, daß der Maurerbund jemals eine Gesellschaft von lauter untadelhaften Mitgliedern sein werde, aber er weist auch die dem Bunde von den Ultramontanen gemachten Vorwürfe mit Entrüstung zurück, als ob aus ihm Verbrecher hervorgegangen seien.
„Im Geiste unserer Ritualien liegen weder laxe Moral noch Frivolität und wir werden für die Zukunft noch strenger darüber wachen, dennoch es nie vergessen dürfen, daß wir Menschen bleiben, die dem Höchsten nachjagen, der Vollkommenheit zustreben sollen, wenn sie auch, so lange sie in diese Erdenhülle eingeschlossen sind, verzichten müssen, sie zu erreichen.“
Er verzichtet auch auf die Entdeckung einer uns eigentümlichen Wissenschaft durch die Freimaurerei, er beruft sich vielmehr auf das Wort Christi:
„Ihr sollet das Licht nicht unter den Scheffel stellen.“
Die Wahrheit gehört Allen, und wahrlich die Geringsten bedürfen ihrer am meisten.
Drittens verzichtet „er auf jede politische Thätigkeit der Maurerei, auf jede Reform des Staates durch unmittelbare Einwirkung derselben. Allerdings ist diese versucht worden. Illuminaten, Carbonari, unbekannte Obern in Menge, politische Geheimbündler haben unlautere Tendenzen mit der Freimaurerei zu vermählen gesucht, derselben neue Grade eingeschoben, Unzufriedene aller Art in verwerfliche Mysterien eingeweiht; aber die echte Maurerei hat dieses unedle Treiben von sich gestoßen, und selbst in den bewegtesten Zeiten hat in den Schweizerischen Logen dasselbe nie Anklang gefunden. Halten wir alle politischen Parteibestrebungen ferne von unserer maurerischen Wirksamkeit und weisen wir jeden Versuch, von welcher Seite und unter welchen Formen er kommen möchte, entschieden zurück, unsern Verein in seiner Gesamtheit oder einzelne Werkstätten desselben für solche zu gewinnen; dann wird manches Mißtrauen, das da oder dort in unserm Vaterlande der Maurerei noch Gegner weckte, schwinden und wir jeder grundlosen Verdächtigung den Schild und die Zuversicht eines reinen Bewußtseins entgegenstellen können.“
Ebenso verzichtet er auf jede unmittelbare Einwirkung in; Angelegenheiten der Religion von Seiten unseres Logenvereins. Unser Streben ist auf Humanität gerichtet. Die Humanität ist die Kunst, Mensch zu sein. Die Maurerei, die uns die Kunst lehren soll, gute Menschen zu sein, ist daher auch für Alle. Wer ein wahrer Meister ist, der weiß es auch, daß seine Kunst erst durch die Religion ihre höchste Weihe erhält. Der, welcher sie stiftete, er hatte und er auch brachte das wahre, das ewige Licht, jenes Licht, ‚welches vom Morgen ausging und dort allein zu finden ist.‘ Dieses Licht soll leuchten in dem Tempel, den er auf Felsen gegründet hat.
Leuchtet es rein in demselben, waltet sein Geist dort, der Geist Gottes, des Friedens, der Liebe: dann müssen auch die Maurer sich freuen, ja, ihre edelsten Meister müssen sich sehnen, aus dem Vorhofe, an dessen Säulen sie arbeiten, in jenen Tempel ebenfalls einzutreten, wo hoch über jeder Flamme, welche die Erde erzeugen kann, das ewige, das himmlische Licht strahlt!
Brennt aber im Tempel selbst ein unreines, ja täuschendes Licht, walten Haß, Verfolgung, Ausschließung, statt Vereinigung, Unterstützung und Liebe; will einer herrschen in demselben, wo selbst derjenige nur dienen wollte, der ihn gestiftet hat, sondern seine Besucher sich in feindselige Parteien, erbauen sie in den Hallen, die zum Himmel reichen sollen, enge Kämmerchen, verbieten sie das Denken, wollen sie den freien Geist in Fesseln zwingen; wie könnten sie sich beklagen, wenn da, wo solches geschehen sollte, die Maurer in dem Vorhofe bleiben würden, den Humanität weihen und zieren, in dem Friede und Freiheit walten soll! “
Von einem Menschheitsbunde unter gemeinsamer Ordensregierung und Oberleitung will Hottinger nichts wissen, denn ein solcher müßte zum Weltstaate werden, und „jeder Weltstaat trägt den Keim seiner Auflösung schon in sich, wie alles irdische Leben ihn trägt. Ewig und einer und derselbe zugleich ist nur der Geist; auch ewig, aber unaufhörlich wechselnd sind die Formen. Je reicher sie sind, desto mehr Leben. Je unabhängiger sie neben einander bestehen, desto mehr Wetteifer, desto mehr Freiheit und Kraft der Entwicklung.
„Am besten entnehme man die Formen der Anschauungsweise, den Bedürfnissen, dem Charakter seines Vaterlandes. Das Schweizerische Vaterland ist eine Republik. Noch mehr. Seit dem Jahre 1830 hat in der Eidgenossenschaft das demokratische Prinzip entschieden obgesiegt.
„Eine Demokratie ist möglich, haltbar, sie kann das Glück eines Volkes befördern, wenn das Volk selbst in seiner Mehrheit unverdorben ist, oder wenn wenigstens der Kern desselben, die Männer, von denen es sich leiten läßt, denen es sein Vertrauen schenkt, dieses Vertrauen wirklich verdienen.
Die Demokratie ist unmöglich, unhaltbar, schlechter als keine Despotie, im entgegengesetzten Falle. Kann also die Schweizerische Maurerei etwas beitragen zur Bildung, zur Verstärkung eines solchen Kernes vertrauenswerter Männer im Vaterlande, so hat sie sich vor demselben gerechtfertigt, sie wird zu dessen wirklicher Wohlthäterin.“
Hottinger beleuchtet sodann die Zustände in Europa, die ungeheure Spannung der Gegensätze, die in der Schweiz am größten ist. Nur in den Logen ist ein neutraler Boden. Hier ruhen die Waffen.
„Wenn aber die Humanität nicht ein leerer Schall sein soll, so muß sie in irgend einer Weise als That sich darstellen. Auf welchem Wege, durch welche Mittel sollen aber die Logen zu solcher gelangen? Ich antworte: Alles, wodurch thatsächlich das Edlere im Menschen angeregt, derselbe weiser, besser, für Anderer Wohl wirksamer werden kann, Wissenschaft, Kunst, Erfindungsgeist, Selbstüberwindung, Barmherzigkeit — Alles ist Mittel dazu.
Sollte nun unter uns Allen einer so arm an Kräften, ich möchte sagen, so von Gott verlassen sein, daß er nicht von einem dieser oder anderer Hilfsmittel in höherem oder geringerem Grade Gebrauch machen könnte? Sollte es unter den sämtlichen Bauhütten unseres Logenvereins eine geben, die nicht, diese in diesen, jene in jenen Talenten ihrer Brüder die Mittel finden würde, in ihrer Umgebung auf irgend eine Weise zur Veredlung der Menschheit, für wahre Humanität thätig zu sein?
Nur die edle That, fruchtbare Wissenschaft, erhebendes Kunstgebilde, Erfindung, welche die materielle Kraft der Völker hebt, Verstand, welcher diese materiellen Kräfte weise anwenden und innerhalb gesetzlicher Schranken wirken lehrt, Aufopferung für Andere, Hingebung für Pflicht, Beseitigung der Armut, Beistand dem Hilflosen, nur solche That ist das für alle gleichmäßig vorhandene, von Niemandem angefochtene, auch unmöglich zu bestreitende Positive im menschlichen Leben, von ihr geht nach allen Seiten eine erleuchtende, erwärmende, vereinigende Kraft aus. Sie nur ist die Brücke, auf welcher Fromme und Philosophen, Glaubende und Denkende, die sonst immer getrennt blieben, sich finden können, und geschieht es immer lieber, geschieht es so, daß sie am Ende freudig und mit dem Bewußtsein beiderseitigen Gewinnes Hand in Hand fürs Gute gehen und dennoch ihren Prinzipien getreu bleiben können, so ist dadurch der Beweis geleistet, der unumstößliche, von der Wahrheit der Prinzipien selbst, von ihrer Wahrheit wenigstens fürs praktische Leben.
Die Versöhnungsweise, die einzig mögliche Versöhnungsweise der Parteien ist gefunden. Einmal — der Allmächtige allein weiß die Stunde -— werden die Strahlen des Lichtes, das ein höherer Meister gebracht hat, den Weg zu Aller Herzen finden. Freudig werden dann alle Maurer sprechen: Er muß wachsen, wir aber abnehmen. Wer die Braut hat, der ist Bräutigam, der Freund aber steht dabei und freut sich des Glückes seines Freundes!“

1844: Hottinger über die „Grundanschauung des Maurertums“

„Diese Worte,“ heißt es in dem ersten Rundschreiben des Großmeisters an die Logen vom 10. August 1844, „mögen die Akkorde bleiben, die uns zur harmonischen Lobpreisung des großen Weltenbaumeisters anregen und befeuern. Uns gelten sie als die Grundanschauung des Maurertums, Euch Allen seien sie das Fundament, auf dem zu bauen Ihr berufen seid.
Das Vaterland, vor dessen Angesicht Ihr Euern Bund geschlossen, will ihn an den Früchten erkennen, und wo Ihr hinaustretet aus der Loge, wo ihr wirkt im öffentlichen Leben, da führen auch Eure Mitbürger Zirkel und Winkelmaß und legen sie an die Handlungen des Bundes und seiner Glieder, und wo eine Werkstätte der Maurer hervortritt aus ihrer stillen Verborgenheit, sind hundert Augen auf sie gerichtet, die keine Maurerpflicht gegen Euch haben.
Darum seien alle Eure Bestrebungen und Handlungen regelrecht, damit die königliche Kunst auch als solche sich bewähre, damit Achtung vor den Werkstätten der Maurer unsere Mitbürger erfülle, daß sie dem Vaterlande zur Zierde gereichen, daß sie ein stilles Heiligtum werden je der besten seiner Söhne. Erhaltet Eure Werkstätten als Tempel reiner Humanität, als das Heiligtum brüderlichen Vertrauens, wo Eure Herzen sich aufschließen in stiller Verborgenheit und die Übereinstimmung schöner Gefühle Euch begeistert zu edler That.
Darum bleiben Euere Hallen dem in Rohheit und Egoismus, in Genußsucht, Eitelkeit und Lüge versunkenen Menschen verschlossen, wo aber ein edles Herz schüchtern in den Wechselwirkungen der profanen Welt zurücktritt, wo ein tiefes Gemüt entschlossen dem Wahne der Menge entgegentritt und verlassen oder verfolgt dasteht, wo eine männliche Brust hoch schlägt für die Wohlfahrt der Heimat und mit Unbill und Kränkung beladen wird, da winke ihm ein Strahl des göttlichen Funkens aus Euren Hallen zu dem Asyle, wo seine wahre Stätte ist.
Eure Lehrlinge lehrt vor allem, Hand an ihre Selbstveredelung zu legen; Eure Gesellen, sich zu erkennen und zu beherrschen; Eure Meister, ihnen Vorbild zu sein, damit sie alle zum harmonischen Bau tüchtige Glieder werden. Eure Beförderungen seien keine bloßen Übungen der Gewohnheit, die Bedingung derselben bleibe die innere Vervollkommnung und voraus die maurerische That, die jedem zu thun gegeben ist je nach seinen häuslichen oder öffentlichen Verhältnissen. Zur Selbstberechtigung der Maurerei aber führe nur die wahre innere Meisterschaft, die Meisterschaft über sich, die Meisterschaft gegen die Irrtümer der Welt, die Meisterschaft gegen alle Niedrigkeit der Gesinnung. Nur solche Meister dürfen es wagen, sich freie Männer und freie Maurer zu heißen. Nur aus solchen Meistern erblüht eine schönere Zukunft der Maurerei und dem Vaterlande.“


1850: Hottinger über die Ritualien

Es wächst der Mensch mit seinen Zielen!
Je mehr Hottinger sich in sein Amt hineinlebte, um so mehr löste er sich aus der Befangenheit, welche ihm früher als Mitglied des Innern Ordens angehaftet hatte. Unbefangen urteilt er nun über die Symbolik und die Ritualien, die für die Johannislogen unter wenig abweichenden Modifikationen so ziemlich die nämlichen seien.(Erster Jahresbericht 1844, p. 44 f.)

„So verschieden auch diese Ritualien, je nach den Systemen, aus welchen sie hervorgegangen, oder nach den Abänderungen, die in der Folge der Zeiten von den Logen selbst vorgenommen wurden, sein mögen: so ruhen sie dennoch alle auf einer und derselben Grundlage; sie gingen alle aus einem und demselben Grundgedanken hervor: demjenigen eines die gesamte Menschheit umfassenden Tempelbaues. Der Baumeister dieses Tempels ist der Allmächtige. Von ihm rührt der Plan her. Dieser Plan liegt geoffenbaret in den Büchern der Natur und Geschichte, in der Geschichte vorzüglich desjenigen, in welchem die Humantät [!] in ihrer reinsten, in ihrer wahrhaft göttlichen Erscheinung ins Leben getreten ist.
Die Maurer betrachten sich gewissermaßen als lebendige Steine, die vom Baumeister selbst eingefügt werden in diejenige Stelle, für welche sie am besten sich eignen. Nicht in der Selbstbestimmung besteht ihre Freiheit, sondern darin, daß sie die Bestimmung, die ihnen der allmächtige Baumeister gibt, erkennen und derselben in der Überzeugung, daß sie die beste sei, mit freiem Bewußtsein sich fügen. Das ist der Kern unserer Ritualien.“
(Vortrag in der Loge Modestia, Sommerjohannisfest 1850).

1844: Hottinger über die Zulassung von Israeliten

Und noch unbefangener urteilt er über die Frage der Zulassung von Israeliten in den Maurerbund, welche in Deutschland zu erbitterten Streitigkeiten und Spaltungen führte, die noch heute nicht gehoben [behoben?] sind.

„Die Maurerei,“ sagt Hottinger, der sich wiederholt als ein Christ aus innigster Überzeugung bekannte, „will erziehen zur allgemeinen Menschenliebe und Humanität. Menschen grundsätzlich ausschließen, welcher Widerspruch! Sie ist ihrer ursprünglichen Bestimmung, ihrer Geschichte und ganzen Entwicklungsweise zufolge ein allgemein menschliches Institut, und zwar in dem Sinne, wie schon vor 1800 Jahren der Apostel Petrus jenem Römischen Hauptmann gegenüber sich aussprach: «Nun erfahre ich in Wahrheit, daß Gott nicht die Person ansieht, sondern aus allem Volk, wer ihn fürchtet und recht thut, der ist ihm angenehm.»“
(Erster Jahresbericht 1844, p. 30 ff.)

1845: Hottinger schreibt „Ein Wort an das Schweizervolk“

Die Begeisterung für die Freimaurerei und ihre Ideale war bei Hottinger kein aufflackerndes Strohfeuer, sondern von derselben Wärme des Gemüts, edler Beredsamkeit und Gedankentiefe sind alle seine Kundgebungen erfüllt und diese Begeisterung durchglühte auch die übrigen Schweizerischen Logen.

Die Nachwirkungen des großartigen Stiftungsfestes in Zürich 1844 und die fruchtbare Thätigkeit Hottingers waren eine Hauptursache, daß der Schweizerische Logenverein in den wilden Stürmen die Feuerprobe bestand. Kurz nach seiner Stiftung trat die längst vorausgesehene politische Krisis ein, und die beiden Extreme, der Radikalismus und der Ultramontanismus, griffen zu den Waffen. Schmerzlich wurde Hottinger von dem ausgebrochenen Bürgerkrieg ergriffen, aber sein Vertrauen zum Vaterland schwankte keinen Augenblick.

„Noch konnte ich nicht glauben, daß der bessere Geist so gänzlich von uns gewichen sei, um nicht für Maßregeln der Verständigung wenigstens eine Mehrzahl aufrichtiger Vaterlandsfreunde zu gewinnen.“

Als nun 1845 ein Artikel in der (Augsburger) „Allgemeinen Zeitung“ erschien, der den baldigen Untergang der Schweizerischen Nation prophezeite, schrieb Hottinger eine Flugschrift: „Ein Wort an das Schweizervolk, von einem Manne, der nicht aufhören kann, an dasselbe zu glauben.“
Auch sonst versuchte er alles, um die Wut der Parteien einzudämmen und der Stimme der Vernunft und Vaterlandsliebe Gehör zu verschaffen, und als dann der Bürgerkrieg vorüber war, bemühte er sich die Wunden zu heilen, und auf seine Initiative ist hauptsächlich im Jahr 1852 der Gedanke einer Nationalsubskription zurückzuführen.


Die Katholiken verunglimpfen die Freimaurerei

Leider griff dieser politische Parteigeist sogar störend in die Geschäftsthätigkeit des Verwaltungsrates der Alpina ein. Einige Mitglieder blieben den Sitzungen fern, die zwei Antipoden Gysi und Furrer traten aus. Hottinger ließ sich dadurch nicht beirren; unverdrossen setzte er sein Werk der Versöhnung fort; die beiden ausgetretenen Brüder erhielten die Ehrenmitgliedschaft und die übrigen Mitglieder des Verwaltungsrates schlossen sich nur um so fester an ihren geliebten Meister an.
Er bedurfte der Ermutigung, denn er wurde nun das Objekt höchst bösartiger und widerlicher Angriffe. In einer Nummer des „Bernischen Verfassungsfreundes“ wurde die Alpina als eine Gesellschaft verunglimpft, deren Organisation mit derjenigen des Jesuitenordens verwandt sei.

Man erinnere sich, daß Schultheis Neuhaus, der Machthaber Berns oder wie ihn Ph. A. Segesser treffend nennt, „der Theaternapoleon", entschlossen war, den Radikalismus nötigenfalls mit den Bajonetten zu stützen, und daher einem Manne, der wie Hottinger sich gegen die Extremen wandte, nicht hold sein konnte; auch machte er Miene, die Freimaurerei im Kanton Bern zu verbieten.
In der Staatszeitung für die katholische Schweiz wurden die Freimaurer als die Urheber aller Revolutionen Europas angeklagt und des Diebstahls von Klostergut bezichtigt. Die Großbeamten seien die vornehmsten Propheten jener sogenannten konservativliberalen oder liberal-konservativen Partei, die da rühmt, daß ihr die Zukunft angehöre, weil sie im Grunde gar nichts will oder nicht weiß, was sie will, weil sie Unmögliches zu bewirken sucht, Wahrheit und Lüge, Gutes und Böses mit einander vereinbaren zu können meint, weder kalt noch warm ist u. s. w.

1846: Hottinger über die Stellung der Alpina zu den Regierungen

Eine würdige Erklärung Hottingers über die Stellung der Alpina zu den Regierungen mit Berufung auf die §§ 6 und 27 des Verfassungsvertrages (Gehorsam gegenüber der Staatsgewalt) brachte die öffentliche Presse zum Schweigen. Er wurde aber dadurch veranlaßt, an der Großlogenversammlung zu La Chaux-de-Fonds am 27. Juli 1846 ernste Worte an die Brüder zu richten.

Der Einzelne kann sich über solche Vorwürfe hinwegsetzen, der Logenverein als solcher dürfe dieses weniger.
„Er muß wenigstens das mögliche thun, um unantastbar dazustehen auch vor der Außenwelt.“
Früher war dies minder nötig als jetzt, „wo der unmittelbare Einfluß des gesamten Volkes auf alle Staats- und Lebensverhältnisse nicht mehr zurückgewiesen werden kann. Man muß sich nötigenfalls auch vor dem Volk selbst rechtfertigen können.“
Das ist bei der oftmaligen Unzuverlässigkeit der Richter, bei der Beweglichkeit des Volkes, bei dem Einflüsse, den auch Tonangeber von zweideutigem Charakter oder schlechter Gesinnung bisweilen auf dasselbe gewinnen können, keine leichte Aufgabe. Die Schwierigkeit ist jedoch nicht unüberwindlich.
„Vier Erfordernisse scheinen mir indessen dabei unerläßlich zu sein:
Zuerst ein reines Bewußtsein,
dann Erhebung über alles Parteiwesen,
drittens eine lebendige Thätigkeit für Aufrechthaltung von Freiheit und Ordnung, sowie für Beförderung wahren Lichtes, gehoben durch aufrichtige Vaterlandsliebe und geheiligt durch religiöse Gesinnung
und endlich der Mut, der aus dem Glauben entspringt, daß der allmächtige Baumeister selbst jeden ihm wohlgefälligen Bau fördern und seinen Segen dazu erteilen werde.“

Dieses Großlogenfest in La Chaux-de-Fonds, welches durch die vortrefflichen Brüder ChalIandes und Jacot-Piaget geleitet wurde, war eines der schönsten Feste, das jemals die Schweizerischen Logen gefeiert hatten. Ein edler Enthusiasmus für die königliche Kunst, eine Gesinnungseinigkeit zwischen den Logen der Romanischen und Deutschen Schweiz gab den Arbeiten eine neue Weihe und Hottingers Bestrebungen fanden ungeteilte Anerkennung. Das ermutigte ihn, auf der bisher innegehaltenen Bahn fortzuschreiten.


1848: „Grundsätze des Schweizerischen Logenvereins“

Doch die gemachten Erfahrungen, wie irrig die öffentliche Meinung sich über den Freimaurerbund in der Presse geäussert hatte, bewogen ihn, in gemeinsamer Beratung mit Bluntschli „Grundsätze des Schweizerischen Logenvereins“ auszuarbeiten als einen Anhang zum Verfassungsvertrag und um das Publikum über die Natur und den Zweck des Logenvereins zu belehren. (1)

(1) Grundsätze des Schweizerischen Logenvereins. Angenommen in der 3. Sitzung der Großloge Alpina den 23. November 1848. Zürich 1848. In dem von der Zürcher Loge 1866 veranstalteten Neudruck sind Aussprüche einzelner Groß-Beamtungen, Logen und Würdenträger beigefügt. 86 Seiten.

Diese Grundsätze wurden 1846 den Logen zur Prüfung vorgelegt, welche meist zustimmend antworteten. Vortrefflich ist die Motivierung Hottingers. (Bericht über die Verhandlungen der 3. Versammlung der Großloge den 24. September 1848 in Basel. Zürich 1848, p. 8 ff.)

„Wir sind bei Entwerfung der Grundsätze von der Ansicht ausgegangen, daß der Freimaurerbund ein Männerverein sei, bestehend aus Individuen, deren Auswahl eine sorgfältige Prüfung vorherging. Diese Prüfung soll sich indessen nur auf einen unbescholtenen Ruf, ein Betragen, das von Gottes-, Menschen- und Vaterlandsliebe zeugt, und ihre bürgerliche Volljährigkeit beziehen. Finden sich diese Haupterfordernisse bei denen, die mit uns in nähere Verbindung zu treten wünschen, so dürfen wir annehmen, daß sie bereits diejenige Bildungsstufe erreicht haben, auf welcher die volle Freiheit des Urteils auch über die höchsten Angelegenheiten des individuellen und sozialen Lebens nicht blos unschädlich, sondern zur Läuterung, Berichtigung und Stärkung dieses Urteils selbst wahres Bedürfnis wird.
Daher denn auch in unsern Grundsätzen neben allgemeiner Achtung der Religion die unbedingte Anerkennung der Glaubens- und Gewissensfreiheit, diesen von ihm und allen seinen Brüdern gemeinsam anerkannten Gott in derjenigen Weise, unter denjenigen Formen, in demjenigen Glaubensverbande zu verehren, welche ihm nach seinem individuellen Gefühl, nach seinem eigentümlichen Bildungsgange und nach seinem freien Urteil als die besten und würdigsten erscheinen.“
Soll und muß im Gebiete des religiösen und geistigen Lebens Freiheit herrschen, so bedarf hingegen das soziale Leben, bestehe es für Zwecke des Staates, der Kirche, der Humanität, ja selbst bloßer Erholung oder des Vergnügens, des Gesetzes.
„So entschieden daher durch unsere Grundsätze den Mitgliedern unsers Vereins die Freiheit des geistigen Lebens, des Urteils und die Äußerung desselben gewahrt wird, ebenso entschieden anerkennen dieselben wieder die Berechtigung des Gesetzes als des unumgänglichen Bedürfnisses zur Erhaltung des allgemeinen Wohls. Der allgemeine Freimaurerbund steht in der Menschheit. Für diesen gilt kein anderes Gesetz, als das allen Menschen gemeinsame der Sittlichkeit und der Liebe. Dieses Gesetz, als Gottes Stimme unveränderlich, ist in unser Gewissen niedergeschrieben.
Die Alpina aber steht im Schweizerischen Vaterlande, und das Gesetz dieses Schweizerischen Vaterlandes ist daher ebenfalls unser Gesetz. Jedes Staatsgesetz ist aber Menschenwerk, als solches auch menschlicher Unvollkommenheit unterworfen und periodischer Veränderung bedürftig. Erfolgen diese Veränderungen nicht zu der Zeit, wo ihr unabweisbares Bedürfnis eintritt, auf gesetzlichem Wege, so führt die Macht der Umstände sie auf ungesetzlichem herbei, es tritt Revolution ein.
Dieser Gefahr ist für unser Vaterland, wir wollen es hoffen, durch die neueste Annahme seiner Bundesverfassung auf längere Zeit vorgebeugt. Schließen daher auch wir als Bürger, die ihr Vaterland lieben, uns den Gesetzen desselben an, verpflichten wir uns zu deren Aufrechthaltung und Verteidigung. Es ist diese durch Gesetzlichkeit und Treue geadelte Vaterlandsliebe eine Eigenschaft wahrer Humanität so gut, wie Sittlichkeit und allgemeine Menschenliebe es sind, und daher auch durch unsere alten Vorschriften, wie jetzt durch die für die Alpina entworfenen Grundsätze gefordert.
Verschiedenheit der Ansichten und der Bestrebungen ist eine notwendige Bedingung alles geistigen wie materiellen Lebens. Im Kampfe erwacht und stählt sich die Männerkraft. Der selbständige Mann soll eine Überzeugung haben und er soll einstehen können für diese Überzeugung, sobald es Ehre oder Pflicht gebeut.
Wenn es sich daher um solche Dinge handelt, worüber das Urteil aller Ehrenmänner unter allen Umständen nur eines sein kann, um Sittlichkeit, Gerechtigkeit, Hingebung für Pflicht, Gehorsam gegen die Gesetze, dann sollen wir für diese Güter mit Mut in die Schranken treten in der Loge, wie außer derselben; ist aber die Rede von solchen Dingen, die mehr einen relativen Wert haben, von politischen oder kirchlichen Angelegenheiten, über welche auch Ehrenmänner gar wohl abweichender Ansicht sein dürfen, über die aber der betreffende Staat oder die betreffende Kirche für ihr Verfahren dennoch ins Reine kommen müssen und den Entscheid daher der Mehrheit anheimstellen, eben dadurch aber bisweilen neben einer befriedigten Mehrheit auch eine unbefriedigte Minderheit pflanzen, Parteibestrebungen oder Reaktionsgedanken rufen, dann gerade ist es für den Staat und die Kirche notwendig und wohlthätig, daß es noch ein neutrales Gebiet gebe, auf welchem zwar diese Angelegenheiten ebenfalls frei besprochen werden können, darüber aber nicht abgestimmt, das Protokoll ohne ungesucht hervortretende freiwillige Übereinstimmung nicht geschlossen werden darf; ein Gebiet, das sich über den Parteien hält, ein Gebiet der fortwährend möglichen Versöhnung und Verständigung, und dieses eben soll die Loge sein. In dieser Weise, ohne die geistige Freiheit aufzugeben und der eigenen Überzeugung untreu zu werden, dennoch auf Eintracht im Vaterlande hinzuwirken, ist Maurerpflicht.“

Hottinger freute sich dieser seiner Arbeit (ln seinen Denkwürdigkeiten I, 398 schreibt sich Bluntschli die Autorschaft dieser Grundsätze zu) und hoffte von ihr viel gutes. Die Hauptsache aber sei, daß diese Grundsätze befolgt werden.

„Denn von dem Augenblick an, wo auch das nichtmaurerische Publikum es wissen kann, wozu wir uns selbst verpflichtet haben, wird es nach diesen übernommenen Verpflichtungen uns richten.“
(Dritter Jahresbericht 1848, p. 6 f.)

1844-1850: Aufbau der Alpina

Bewunderungswürdig ist die außerordentlich umfassende Thätigkeit, welche Hottinger während seiner Hammerführung von 1844-1850 entfaltete, bewunderungswürdig in -Anbetracht seines hohen Alters und der Schwäche eines kränklichen Körpers, und trotzdem zeigen alle seine Äußerungen herrliche Geistesfrische. Gerade in jene Jahre, wo er durch seine maurerische Würde vollauf in Anspruch genommen war, fallen seine besten Arbeiten über die Schweizerische Geschichte.

Von 1844-1850 hielt der Verwaltungsrat der Alpina unter dem Vorsitze Hottingers über 100 Sitzungen ab. Galt es doch zuerst eine Organisation zu schaffen, in umfangreichen Korrespondenzen Beziehungen zu den Schweizerischen und auswärtigen Logen anzuknüpfen und zu unterhalten.
Infolge der politischen Wirren traten vielfache Störungen in den Arbeiten der einzelnen Logen ein, und die politischen Parteibestrebungen nahmen viele Brüder so sehr in Anspruch, daß die Loge darüber in den Hintergrund trat.

Gleichwohl „bewährte die Maurerei insofern ihre Kraft, daß es in ihren Kreisen besser, als in irgend einem andern gelang, Spaltung zu verhüten und Ausbrüche der Leidenschaft fern zu halten, daß den Arbeiten ihre Würde, den gesellschaftlichen Zusammenkünften ein Charakter der Traulichkeit blieb. “


1848: Hottinger bemüht sich um Versöhnung

Stets war Hottinger bereit, seine milde versöhnende Stimme zu erheben und das Übermaß der Leidenschaften zu dämpfen. Große Schwierigkeiten boten die Verschiedenheiten der Systeme, noch mehr die Verschiedenheiten der Ansichten über die Freimaurerei und das Logenleben.

„Germanische und Romanische Abstammung, Sprache und Anschauungsweise begegnen sich in denselben und scheinen die Verbindung in einem gemeinsamen Logenbunde und unter den nämlichen Gesetzen zu erschweren; aber in der gemeinsamen Nationalität, im Eidgenössischen Bundesverein, dem die sämtlichen Oriente angehörten, in der gemeinsamen Erziehung zur konstitutionellen Freiheit fand sich dann wieder eine verbindende Zentralkraft, stark genug, um bei gehöriger Schonung und Pflege die anscheinend so fremdartigen Teile beisammen zu halten.
Von selbst ergibt sich daraus für die Schweizerische Maurerei das Bedürfnis, bei ihren Mitgliedern wahre Vaterlandsliebe zu beleben, und für die leitende Behörde die Pflicht, in sämtlichen Brüdern, so sehr sie auch als freie Männer in ihren Ansichten über politische und kirchliche Dinge von einander abweichen mögen, dennoch gleichberechtigte Eidgenossen desselben Bundes zu erblicken, ohne deren gegenseitige Achtung, Duldung und Unterstützung so wenig wie das gemeinsame Vaterland auch die Alpina bestehen kann.“
(Vierter Jahresbericht des Verwaltungsrates der Alpina vom 1. Januar 1848 bis 31. Dezember 1848. Zürich 1850, p. 9.)


1850: Hottingers maurerisches Vermächtnis

Als ein teures Vermächtnis hinterließ Hottinger die an der vierten Großlogenversammlung zu Bern den 4. Oktober 1850 gesprochenen Abschiedsworte den Mitgliedern der Alpina zu dauernder Beherzigung.

Der Grundgedanke der Freimaurerei bleibt unveränderlich, die Formen und die Einrichtungen des Bundes hingegen wechseln und müssen sich den Zeitverhältnissen anschmiegen. Irrig sind vielfach die Ansichten über die Freimaurerei im Publikum.
„Zum Charakter der Maurerei, wie sie in früherer Zeit bestand, gehört das Geheimnisvolle. Wir mögen nun annehmen, daß die Entstehung unseres Bundes schon in der vorchristlichen Zeit oder daß sie erst nach Christus im frühem oder im spätem Mittelalter zu suchen sei: immer wurden der Grundgedanke, die Zwecke, die Ritualien, als Geheimnis betrachtet, das nur nach sorgfältiger Prüfung den Eingeweihten mitzuteilen sei.
Es läßt sich auch nicht leugnen, daß dieses gemeinsame Geheimnis als ein Band betrachtet werden konnte, welches die Brüder um so inniger mit einander vereinte, daß die Arbeiten im geschlossenen Lokal einen Charakter der Traulichkeit, Feierlichkeit und Eigentümlichkeit erhielten, der denjenigen nicht geschlossener Gesellschaften abgehen muß, daß es in der That Wahrheiten geben kann, für deren rücksichtslose und allgemeine Mitteilung eine Zeit noch nicht reif ist, zu deren näherem Verständnis und heilsamer Anwendung es vorbereitender Umstände und gehörig vorgebildeter Individualitäten bedarf, daß die edelsten Gedanken, die reinsten Gefühle des Menschen sich oft am liebsten nur im vertrauten und verschwiegenen Kreise aufschließen und daß vollends über Handlungen der Barmherzigkeit und Menschenliebe in wahrhaft christlichem Sinne der Schleier des Geheimnisses gezogen werden darf.
Auf der andern Seite ist es ebenso wahr, daß gerade in diesem mysteriösen Charakter der Maurerei und in den Mißbräuchen, die hie oder da an denselben sich knüpften, unsere Gegner die Hauptmaterialien zu ihren Angriffen fanden, und daß er es vorzüglich war, der manchen denkenden, gebildeten und fühlenden Mann, von dessen Beitritte unser Bund großen Gewinn hätte ziehen können, von uns fern hielt.“ —
Fordert uns daher die Macht der Umstände zu Reformen auf oder bietet sich dazu ungesucht günstige Gelegenheit dar, so muß man vorsichtig die Bedürfnisse und die Fortschritte der Zeit berücksichtigen; man muß zwischen würdigem und männlichem Schweigen, wo Sprechen nicht not thut, und eitler Geheimniskrämerei unterscheiden lernen und so für den Bund um so eher die Achtung des gebildeten und denkenden Teils der nichtmaurerischen Welt gewinnen.


„Der zweite Hauptpunkt ist die notwendige Schonung der Zeit und der Kräfte der Brüder. Gerade die tüchtigsten derselben sind in unsern Tagen durch Berufs- und Pflichtarbeiten in der Regel so in Anspruch genommen, daß ihnen mit Billigkeit für den Bund nur solche Opfer an Muße und Kräften, auch an ökonomischen, zugemutet werden dürfen, von denen irgend ein der Menschheit oder dem Vaterlande heilsamer Erfolg in Aussicht steht, der dem edlen Manne solche Opfer erleichtert. Auch in dieser Beziehung hat die Zeit mächtige Änderungen herbeigeführt.
Als die Maurerei noch weit weniger in Europa verbreitet war, als sie die Mehrzahl ihrer Mitglieder noch aus den hohem Ständen erhielt, als das Berufsleben überall in engern und abgemessenen Schranken in hergebrachter Ordnung und einer gewissen bequemen Behaglichkeit sich bewegte, als es noch möglich war, der Arbeit ihre genau abgegrenzten Stunden und eben solche der Erholung anzuweisen, als auch die konventionellen Formen der Gesellschaft ausgeprägter, weitläufiger, bindender waren, da fanden sich Muße und Veranlassung zu vielfachen mehr der Form als dem Wesen geltenden Arbeiten auch im Maurertempel.
Das geheimnisvolle Dunkel, in welches die Obern jener Zeit den Zweck und die Regierung des Bundes zu verhüllen verstanden, der Reiz der Neugier, eine künstlich unterhaltene Spannung, kamen hinzu, und wenn auch aus den Verhandlungen selbst kein unmittelbar praktisches Ergebnis hervorging: man rechnete auf idealen Gewinn und hielt die darauf verwendete Zeit durchaus nicht für verloren.


Wie anders sind die Verhältnisse der Gegenwart! Das öffentliche Leben hat alle Stände, alle Berufsarten sich näher gebracht, das Maß der Kenntnisse, das man von dem tüchtigen Manne bald in jedem Fache fordern muß, wird täglich größer, die Arbeit anstrengender. Wer nicht selbständig mit eignen Kräften sich Bahn zu brechen weiß, bleibt zurück. Selbst Rang und Reichtum vermögen nicht mehr vor diesem Schicksal zu schützen.
Auch im Gebiete der Wissenschaft reichen zunftmäßige Methodik und die Autorität der Schulen nicht mehr hin, sie wird immer stärker in den Strom des Lebens, der Anwendung für dasselbe und seine Kämpfe herüber gerissen.
Eine rastlos arbeitende, durch keine Gewaltmaßregeln mehr zu fesselnde Presse zieht die höchsten Aufgaben des Geistes wie die geringfügigsten Ereignisse des Alltagslebens vor ihren Richterstuhl. So ist vor unsern Augen ein Schauplatz unaufhörlicher Bewegung eröffnet, auf dem wir, um aufrecht bleiben zu können, des unermüdlichen Aufbietens aller unserer Kräfte bedürfen. Hiezu kommt die Störung des Gleichgewichtes zwischen den Vorteilen und Lasten des materiellen Lebens: Armut, Mißbehagen, Begehrlichkeit auf der einen Seite im Wachstum; Übermaß, Härte, Furcht auf der andern; ein allgemeiner Ruf nach Rettung, die nur hingebender Bruderliebe und weise geleiteter Thatkraft möglich ist.


Das muß auch die Maurerei sich sagen, dem Geiste und der Liebe Leben und Wärme sichern und erhalten, von Buchstaben und Formen nur dasjenige in die neue Zeit hinübernehmen, was den Geist nicht tötet und was die Wärme nicht auslöscht.“
Wenn es der Maurerei gelingt, ihre Einrichtungen mit Rücksicht auf diese Hauptpunkte mit den Forderungen der Zeit in Einklang zu bringen, so wird „dadurch zugleich für das dritte Bedürfnis am besten gesorgt: Für das Wachstum und die Veredelung des Bundes durch den Beitritt würdiger Glieder.“
„Es ist eine ganz natürliche Schlußweise der nichtmaurerischen Welt, wenn sie ihr Urteil über den Wert oder Unwert unseres Vereins hauptsächlich auf die nähere Kenntnis von dem Charakter seiner Glieder begründet. Gehöre der Maurer dieser oder jener Kirchengemeinschaft an, bekenne er sich zu der oder jener politischen Ansicht, darum handelt es sich keineswegs. Es fragt sich: ist er in seinem sittlichen Leben ein Ehrenmann, treu seinen Pflichten als Familienglied und als Bürger, kein Sklave einer gemeinen Leidenschaft, stimmen Worte und Thaten überein bei ihm, schlägt ein warmes Herz in ihm für sein Volk und die Menschheit.
In diesem Fall sieht sich die Außenwelt unwillkürlich zur Achtung eines solchen Charakters gezwungen, und in eben dem Maße wird eine Werkstätte, in welcher die Zahl solcher Mitglieder an wächst, auch in der Achtung ihrer Umgebung steigen und Leben und wohlthätiger Einfluß derselben auf dem einfachsten Wege gesichert sein. Dahin muß unsere vorzüglichste Hoffnung gehen, nur in ihrer Verwirklichung hat die Maurerei eine Zukunft.“
„Ein Feld bleibt für alle Brüder gleichmäßig geöffnet, dasjenige der liebenden That, auf welchem die verschiedenen Kräfte sich am leichtesten immer in Eintracht wieder finden. In der liebenden That auch liegt die einzige Bettung aus den Wirren der Gegenwart und sie bleibt die höchste Aufgabe, die Krone des Maurertums.“


„Das Schönste aber ist die werkthätige Liebe“

Getrosten Mutes konnte Hottinger am 5. Oktober 1850 zu Bern die Insignien seines Amtes in die Hände des Professors Jung von Basel übergeben, da er wußte, daß dieser für die freimaurerischen Ideale begeisterte Mann die Leitung der Alpina in seinem Geiste fortführen werde. Lebhafter, als zur Zeit, als die Last seines Amtes ihn drückte, nahm er nun wieder an den Arbeiten und geselligen Zusammenkünften in der Modestia teil und besprach mit den Brüdern vertraulich seine Lebenserfahrungen und geistigen Errungenschaften.

Als Krankheit ihn dann ans Zimmer fesselte, freute er sich der Besuche seiner Freunde und erkundigte sich jeweilen nach den Angelegenheiten der Loge und der Alpina.
Am Himmelfahrtstag den 17. Mai 1859 [besser: 1860] flog seine edle Seele dem ersehnten Lichte entgegen. Als der Todesengel in der letzten Nacht seine sterbende Hülle berührte, war es die Geschichte der Schweizerischen Reformation und Zwingli und Bullinger, die in seinen Phantasien emporstiegen und zuletzt noch die Loge. Es gebe jetzt ein großes Fest, sprach er, es werden viele Brüder kommen, es müsse in Allem die größte Ordnung beachtet werden. Man .solle nun ein Licht und sechs Stühle zu ihm hinstellen, daß die Vorsteher Platz nehmen könnten, er habe vieles mit ihnen zu besprechen; seine letzten Worte waren:
„Das Schönste aber ist die werkthätige Liebe.“