Kabbalistische Lehrtafel in Bad Teinach

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Kabbalistische Lehrtafel in Bad Teinach

von Giovanni Grippo

Kabbalistischer Bilderschrein in Bad Teinach

In der evangelischen Dreifaltigkeitskirche in der Stadt Bad Teinach-Zavelstein befindet sich die kabbalistische Lehrtafel der Prinzessin Antonia von Württemberg (1613–1679). Sie ist als Triptychon mit Motiven der Heilsgeschichte der Menschheit ausgestaltet, beginnend bei der altestamentlichen Paradies-Erzählung bis zum Jüngsten Gerichts nach der Beschreibung der Offenbarung des Neuen Testaments. Das alles miteinander Verbindende und der Lehrtafel den Namen gebende ist die jüdische Mystik, das System der Kabbalah.

Die Lehrtafel wurde nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) von der herzoglichen Prinzessin Antonia veranlasst. Sie wurde unter Mithilfe eines gelehrten Beraterkreises ab 1652 entworfen und von 1659 bis 1663 von Johann Friedrich Gruber (um 1620–1681), dem Maler am Stuttgarter Fürstenhof, nach detaillierten Vorgaben der Prinzessin umgesetzt. 1673 erfolgte die Schenkung und Aufstellung des Gemäldeschreins in der Dreifaltigkeitskirche im Ferienort der Fürstenfamilie. Das Gesamtaußenmaß des gewaltigen Bilderschreins beträgt 5,10m in der Breite und 6,50m in der Höhe.

Auf ihm ist ein symbolträchtiges biblisches Geschehen in jüdisch-christlicher sowie kabbalistischer Ausdeutung zu sehen. Dabei stammen Personen sowie Ereignisse aus dem Alten und Neuen Testament. Einzige Ausnahme ist die Reihe der 12 Apostel (Epheser 2,19-22), deren Ausgestaltung zumeist aus Legenden entnommen ist, weil zu ihnen nicht viel im Neuen Testament zu finden ist.

Der Gestalterin war das alles miteinander verbindende System der Kabbala zu einem Weltganzen wichtig und dabei wurden besondere sowie mystische Bibelstellen, die ausgiebig in kabbalitstischen Schulen studiert wurden, genauso berücksichtigt wie die Atbash-, Gematria-, Temurah-, Tzeruph- und Notarikon-Methode. Verblüffenderweise finden sich viele Symbole wieder, die mit der Freimaurerei korrelieren und besonders in ihren Hochgraden eine Rolle spielen.

Monument der Weiblichkeit Gottes

Deckblatt (16. Jdt.): "Tore des Lichts"; Hebr. Scha'are Orah; Lat. Portae Lucis

Der Bilderschrein in Bad Teinach ist ein einzigartiges Monument zur Ehre der Weiblichkeit Gottes. Die dort ausgestaltete Kabbala geht auf das Buch Scha’are Orah von Josef ben Abraham Gikatilla (1248-1325) zurück. Für den kabbalistischen Hintergrund wurde vor allem der Hebraist Johann Jacob Strölin (1620-1663) herangezogen auf den wahrscheinlich die Erweiterungen mit christlichen Inhalten zurückzuführen sind. Die Sephiroth-Lehre der Kabbala sowie die Kabbala nach der Schule von Josef ben Abraham Gikatilla werden mit Aspekten pietistischer Frömmigkeit verbunden.

Gikatillas Hauptwerk Scha'are Orah erörtert in zehn Kapiteln die zehn Sephiroth, aber entgegen der sonst üblichen Reihenfolge: von Malkuth (10. Sephira) nach Kether (1. Sephira). Zu den darin zitierten Quellen gehört neben dem Sohar auch das Sepher Jesirah. Der Sohar ist das heilige Buch der Kabbala und stammt ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert. Das Sepher Jesirah ist das älteste Buch der Kabbala (2. bis 6. Jahrhundert n. Chr.). Heute weiß man, dass das Buch Scha'are Orah eine der besten Einleitungen in die Symbolik und Emblematik des Sohars ist. Der Sohar wird darin nach den Regeln der Wort- und Namensrekombination systematisiert. Von anderen Kommentar-Werken unterscheidet es sich durch die veränderte Reihenfolge der Sephiroth und der Betonung der Bedeutung der Gottesnamen. Gikatilla favorisiert im Gegensatz zu anderen Kabbala-Meistern eine aufsteigende Reihenfolge der Sephiroth.

Nach der kabbalistischen Schule Abulafias (einem anderen Kabbala-Meister) versucht der Theosoph die absteigenden Emanationen der Schöpfung nachzuvollziehen, während hingegen der Ekstatiker gerade die Rückkehr zum Beginn der Schöpfung erarbeitet. Das hat eine enorme Auswirkung auf die Lehrtafel, die genau das gleiche Ziel verfolgt. Eins mit allem zu werden indem man zum mystischen Existenzhorizont zurückkehrt und zur extatischen Gottesschau gelangt. Es handelt sich um ein Hinabsteigen obwohl es nach oben führt (vgl. Gershom Scholem, Ursprünge der Kabbala, 2. Auflage, 2001, S. 115).

Gikatilla hatte eine große Wirkung auf die christliche Kabbala der Renaissance. Seine Werke gelten als wichtigste Nachschlagewerke. Johannes Reuchlin wird ebenfalls aus seinem Vermächtnis zitieren.

Dreieinigkeit und Imitatio Christi

Es gibt einmalige Besonderheiten, die von Prinzessin Anines geletonia und ihrem Beraterkreises auf dem Bilderschrein verewigt wurden, wie zum Beispiel:

  • die Dreieinigkeit wird mit den ersten drei Sephiroth identifiziert,
  • die Geschlechtlichkeit der Sephiroth wurde verkehrt,
  • die Personifizierung der Sephiroth und ihre Darstellung,
  • die Reihenfolge der Sephiroth ist von unten nach oben konzipiert.

Eine besondere Rolle nimmt das System der Kardinaltugenden und der christlichen Tugenden (nach Korinther 13,13) auf die Lehrtafel in Bad Teinach ein. Die ersten drei Sephiroth werden in Folge dessen mit Sephiroth ist die hebräische Bezeichnung für die zehn göttlichen Emanationen, Abglänze, Wirkungen im kabbalistischen Baum des Lebens. Diese Emanationen verkörpern je nach kabbalistischer Schule wie z.B. der von Isaak Luria (einem weiteren Kabbala-Meister) in ihrer Gesamtheit Adam Qadmon, den himmlischen Menschen.

Links unten 3. Sephiroth, rechts unten 2. Sephiroth und Mitte oben 1. Sephiroth
  • Liebe (1. Sephira = Gott = weißes Gewand & goldene Krone),
  • Hoffnung (2. Sephira = Jesus Christus = rot-blaues Gewand & grüne Krone) und
  • Glauben (3. Sephira = Heiliger Geist = gelb-grünes Gewand & blaue Krone) gleichgestellt.

Die 10. Sephira (Malkuth aber auch zugleich Schechina genannt) wird Jesus Christus zugeordnet. Das führt dazu, dass er zweimal dargestellt wird und sogar einmal davonn weiblich. Gott-Vater, der Heilige Geist und Gott-Sohn werden als weibliche Personen abgebildet; nur die unterste Sephiroth wird männlich dargestellt nämlich als der vom Kreuz herabgestiegene Jesus mit Dornenkrone. Damit findet sich Jesus als unterste, 10. Sephiroth (Malkuth) und als 2. Sephiroth (Chokma) im Bad Teinacher Lebensbaum zweimal wieder. Dabei wird deutlich, dass der Dornenkronen-Jesus ein Mensch ist und der gekrönte Jesus zur Linken Gottes (heraldische Sicht) zum Gott-Menschen geworden ist. Jener Gott-Mensch Jesus Christus (rot-blaues Gewand), der vom Betrachter her zur Rechten Gottes sitzt, während das traditionelle Bild des Messias im Alten wie im Neuen Testament eigentlich von Gott aus betrachtet (heraldische Sichtweise) zur Rechten Gottes sitzt (Psalter 110,1). Folgt der Mensch dem Weg Jesu Christi im Sinne der imitatio Christi kann er zu einem verklärten Menschen, zu einem Bürger des Gottesreiches und zu Gottes Hausgenossen werden (Epheser 2,19).

Rätsel und Auffälligkeiten

Links: Jesus Christus und Rechts: Gott-Vater; Abbildung aus dem 15. Jahrhundert.

- In der jüdischen Mystik wurden die Sephiroth nie als Personen dargestellt, weil über alle kabbalistischen Gedanken das Darstellungsverbot des 2. Gebots schwebte:

  • Exodus 20,4: Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.

Dieses Gebot wurde von Prinzessin Antonia nicht nur auf dem Hauptbild missachet, sondern bereits auf der geschlossenen Triptychon-Tür. Es wird der Brautzug der Sulamtih dargestellt und auch dort sind die Sephiroth bereits wiederzufinden, wobei sich Antonia selbst durch Jesus Christus krönen lässt. Sulamith ist jene Frau die im Hohelied von König Salomon verehrt, begehrt und bezierzt wird. Sulamith ist apropos die weibliche Variante des Namen Salomon (Hebr. der/die "Friedfertige").

- Obwohl von der Vermählung von Prinzessin Antonia als Seele mit Jesus Christus als Bräutigam in den dort stehenden Texten die Rede ist, so handelt es sich um eine Krönung. Denn Jesus trägt seine Dornenkrone nicht, sondern sie liegt ihm zu Füßen. Zudem representiert Antonia nicht nur Sulamith, die eigentlich eine dunkle Hautfarbe haben müsste, sondern zugleich die Seele und die höchste christliche Tugend die Liebe. Alle Frauen zumindest der obersten Reihen können mit Personen aus dem Umfeld der Prinzessin identifiert werden. Ihre Mutter sowie ihre beiden Schwestern um nur ein paar Beispiele zu nennen. Jesus hat das Abbild des Vaters von Antonia, was einer Vermählungsszene ebenfalls widerspräche.

- Die Reihenfolge der neun Figuren in der obersten Reihe entspricht dem Rhythmus kurz-kurz--lang (AT = Altes Testament und NT = Neues Testament):

  • Sarah, Rebekka und Maria = AT, AT und NT
  • Eva, Asenat und Glaube = AT, AT und NT
  • Hoffnung, Sulamith/Liebe und Jesus Christus = AT, AT und NT

Der Glaube wird dem Neuen Testament zugeordnet, weil im Vergleich zum Alten Testament das im Umfang kleinere Neue Testament relativ selten von Glaube (Hebr. emuna) spricht. Während das Neue Testament 243 Belege für das Verbum pistéuein für "glauben" und fast genau ebenso viele Belege für das Nomen "pistis" "Glaube" aufweist. Im Alten Testament gibt es lediglich 51 Vorkommen der Verbalform und des Nomen für Glaube.
Die Hoffnung wird dem Alten Testament zugeordnet, weil die Hoffnung auf das Kommen des Messias ein prinzipales Begehren des Alten Testaments darstellt und im Neuen Testament der Messias in Form von Jesus Christus gekommen ist.

- In der obersten Reihe auf der Tritptychon-Tür wird Sarah, die Frau des Stammvaters der Israeliten Abraham, hinter einer Tür stehend dargestellt. In der Bibel (AT) handelt es sich aber um einen Zeltvohang, der als Zelttür dient. In allen Details der Bad Teinacher Lehrtafel wurde sehr behutsam darauf geachtet, nicht vom Bibeltext abzuweichen. Es scheint hier eine Anspielung auf das Werk "Tore des Lichts" bzw. "Scha'are Orah" zu sein.

- Traditionell wird der Messias mit dem Glauben (3. Sephira = Binah), der Heilige Geist mit der Hoffnung (2. Sephira = Chokma) und Gott mit der Liebe (1. Sephira = Kether) assoziert. Das würde zum traditionellen Bild des Messias im Alten wie im Neuen Testament passen, wo er eigentlich von Gott aus betrachtet (heraldische Sichtweise) zur Rechten Gottes und aus Sicht des Betrachters zu seiner Linken sitzt. Zudem kann man aus dem hebräischen Namen der Sephira Binah (bestehend aus den Buchstaben B-I-N-H) durch Umstellung B-N I-H, d.h. Ben Jah - Sohn Gottes - bilden.


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