Rauher Stein

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Rauher Stein

"Rauher Stein" (Rough Ashlar) mit freundlicher Genehmigung von Cantonviadukt

Die Freimaurer verwenden viele Symbole in ihrem Brauchtum. Der 'rauhe Stein' steht für den Menschen, wie er ist, solange er nicht beginnt, an sich zu arbeiten. In der symbolhaften Sprache des überkommenen freimaurerischen Rituals ist der 'rauhe, also unbehauene, unbearbeitete Stein' damit auch das Symbol für den Freimaurer-Lehrling. In dieser Sprache ist der 'Stein' der einzelne Mensch, der sich zum Kubus zu wandeln hat, damit er beim symbolischen Tempelbau (die freimaurerische Utopie einer harmonischen Vereinigung aller Menschen als Brüder) als passender Teil in das Gesamtkunstwerk eingefügt werden kann. Der selbstkritische Freimaurer wird sich sein Leben lang als 'rauher Stein' begreifen, denn Vollkommenheit ist uns Menschen nun mal leider nicht gegeben.

Aus der Festschrift der Loge "Kosmos"
Aus dem eigenen rau(h)en Stein, der man ist, durch Arbeit an sich selbst einen Behauenen, einen vollkommeneren Stein wachsen zu lassen, das ist vielleicht die wichtigste Aufgabe jedes Bruders: Es geht darum, ein besserer Mensch zu werden.


Stein, Rauher

Quelle: Internationales Freimaurer-Lexikon von Eugen Lennhoff und Oskar Posner (1932)

(auch roher), (frz. Pierre brute, engl. Rough Ashlar), gilt in manchen freimaurerischen Systemen neben dem Kubischen Stein und dem Reißbrett als "Unbewegliches Kleinod". Er ist das Sinnbild der Unvollkommenheit und des Verstandes, vor allem aber des Lehrlings, des neu in den Bund Aufgenommenen, der, wie der Stein, der eben aus dem Steinbruch kommt, noch voll Unebenheiten ist; diese müssen verschwinden, wenn der Stein tauglich zum Bau werden soll. Wer nicht nur rein äußerlich Freimaurer sein will, muß darum bemüht sein, die Kanten und Ecken zu beseitigen, die seine Schwächen und Leidenschaften und üblen Gewohnheiten darstellen. Wer zur Freimaurerei kommt, ist noch keineswegs ein vollkommener Mensch. Die Erziehung in der Loge soll dazu dienen, den rauhen zum behauenen, zum kubischen Stein zu gestalten, an den erst das Winkelmaß gelegt werden kann.

Der rauhe Stein kommt schon in Prichards "Masonry Dissected" (1730) vor. Dort heißt es in den Fragen 46 und 47:

"Welches sind die unbeweglichen Kleinodien?"
Antwort: "Zeichenbrett, rauher Stein (rough ashlar) und Broached Thurnel".
"Wozu dienen sie?"
"... der rauhe Stein für die Gesellen, damit sie ihre Kleinodien darauf prüfen." (Rough ashlar for the Fellowcraft to try their Jewels upon.)

Seltsamen Deutungen des rauhen Steines begegnen wir in manchen Systemen des 18. Jahrhunderts: Melissino in Rußland war ganz im Banne der Alchimie, wenn er bei Erklärung des Teppichs im geistlichen (VII.) Grade sagte (etwa 1765):

"Der rauhe Stein ist das mineralische Elektrum, mit welchem wir die vollkommenen Metalle und Edelsteine kochen. Er enthält jenes Luftfeuer, von dem die Propheten reden.
Dieses war die Feuerwolke und die Feuersäule der Israeliten, das heilige Feuer der Hohenpriester, die Feuerwagen des Ezechiel und der, der Rauch und der Dunst, wovon der heilige Johannes in der ,Offenbarung' redet."

Die Stelle ist besonders darum interessant, weil sie einmal in dem Steine eine Kraftbegabung im Sinne des frühesten Steinkults annimmt, dann aber das im Steine schlummernde Feuer mystisch deutet. Die Tatsache weiter, daß, aus dem "chaotischen oder ersten Wasser, dem Ursprunge aller Wunder der Natur", das graue Salz entsteht, das mineralisches Elektrum genannt wird, umreist die Stellung des Steinsymbols bei Melissino noch deutlicher, denn damit wird der rauhe Stein zum ersten Schöpfungsprodukt, in welchem alles zu Schaffende im Keime verborgen liegt.

Bode, einer der Hauptvertreter der "Jesuitentheorie", schrieb 1791:

"Die Steine sind zwar erst durch das Tempelherrensystem auf den Teppich gekommen, aber auf die Fortpflanzung dieses Ordens haben sie nur höchst gezwungenerweise Bezug.
Nehmen Sie aber den rauhen Stein für den Felsen, worauf nach der Lehre der Katholiken die allein seligmachende Kirche gebauet ist, den behauenen für den Schlußstein der Hierarchie oder die Kirche selbst, und den gespaltenen Stein für die Spaltungen in derselben, so haben Sie die wahre Deutung dieser Figur und einen Beweis mehr, daß die Strikte Observanz von unsichtbaren Händen geleitet wurde und geleitet werden sollte."

In der Strikten Observanz wurde, als zum II. Grad gehörig, ein roher, ein behauener und ein zertrümmerter Stein verwendet; man deutete sie als den unvollkommenen Anfang der Dinge wie auch des Ordens, als des letzteren glücklichen Zustand und endlich als die verschiedenen Änderungen, die der Orden erlitten hat im Laufe der Zeiten. (Vergl. E. Leonhardt, "Das Steinsymbol" in "Zirkelkorrespondenz" 1930.)


Reflexionen von Bruder Michael aus Wien

Die freimaurerische Idee von der Arbeit am eigenen rauen Stein gefällt mir. Es ist ein schönes Bild für das Bemühen, durch Arbeit an sich selbst ein wenig humaner zu werden. Je mehr ich mich aber mit diesem Symbol beschäftige, desto mehr Fragen tauchen auf.

Zunächst: Was passiert mit den Unebenheiten, die wir geglättet haben? Wohin verschwinden diese Eigenschaften, Energien oder auch Leidenschaften und Triebe? Sind die Splitter totes Material? Energie kann nicht verloren gehen meint unser Bruder Gerhard. Werden diese Splitter also umgewandelt in positive Energie/Alchemie? Werden sie als Basis für etwas anderes verwendet, vielleicht als Sand für Mörtel oder Ähnliches? Was passiert mit den zerbrochenen Steinen, an denen wir gearbeitet haben und arbeiten? Führten wir hier unser Werkzeug zu willkürlich oder unsachgemäß?

Eine zweite Überlegung, die ich für mich noch nicht klären konnte, ist der Gedanke an den glatt behauenen Stein. Bearbeiten wir den Stein, weil sich all die unangenehmen Eigenheiten an der Oberfläche befinden, und durch das Behauen das Reine, Wahre und Schöne hervorgekehrt wird? Somit wäre es dann nur eine Frage der Zeit oder auch der Menge, die abgetragen wird, bis endlich alles Negative abgelöst wurde. Da stellt sich aber auch die Frage, wie viel bleibt dann noch übrig, und wie sieht der ursprüngliche Mensch dann aus?


Und schließlich: Feind oder Gegner heißt auf Hebräisch Satan. Gibt es auch den Gedanken, dass sich dieser „Satan“ in uns befindet? Und dass er womöglich immer wieder nachwächst, ähnlich einem Tumor, und daher muss immer wieder am rauen Stein gearbeitet werden, um einen kubischen zu erzielen? Dann bliebe die Menge, die Größe gleich, aber der „Nachwuchs“ wäre das zu Bearbeitende. Wer oder was ernährt aber dieses Nachwachsen? Und kann man es endgültig in uns und um uns beseitigen?

Ich finde den Gedanken sehr schön, zerbrochene Steine, Splitter oder auch runde Steine nicht achtlos wegzuwerfen, sondern als wertvolles Füllmaterial zu verstehen, als Mörtel im Sinne der Brüderlichkeit. Damit meine ich, es sollte keine wertlosen Steine geben, auch wenn sie so klein wie Sandkörner sind. Hier können und sollen die großen, festen und behauenen Steine das Fundament bilden und die etwas weniger starken oder schwachen stützen und ihnen Kraft und Sicherheit geben. Alle sollten ihren Platz haben, beim Bau am Großen Tempel der allgemeinen Menschenliebe.

Zur Abrundung ein Zitat von Marie-Louise von Franz. Die Schweizer Altphilologin, Psychotherapeutin, Mitarbeiterin von Carl Gustav Jung und Dozentin am C.G.Jung Institut, bekannt für tiefenpsychologische Deutungen, lebte von1915-1998: „So wie das menschliche Wesen einerseits vom Stein am Allerverschiedensten ist, so scheint umgekehrt der unbewusste Kern des Menschen dem Stein am nächsten verwandt. In ihm symbolisiert sich eine Bewusstseinsform, die eben ein reines SEIN ist, jenseits der Emotionen, Phantasie, Gefühle und des Gedankenstroms des Ichbewusstseins - eine Einheit, die einfach existiert und unveränderlich immer da war und ist. In diesem Sinne symbolisiert der Stein das einfachste und zugleich tiefste Erlebnis von etwas Ewigem und Unabwendbaren, das der Mensch haben kann.“


Tief drin im rauen Stein ...

Bilder aus ZEIT&MASS, dem Mitgliedermagazin der Großloge von Österreich. Von Rudi Rabe.

Rundherum Steine: Der "freie Himmel" spielt hier nur die zweite Geige

Mehr Symbolik geht kaum!
Eine rituelle Arbeit im Steinbruch: inmitten hoher Felswände und rundherum nichts als Steine. Die deutsche Loge ‚Zur heilbringenden Quelle‘ in Bad Oeynhausen veranstaltet das jedes Jahr im September. Bad Oeynhausen liegt in Nordrhein-Westfalen: zu erreichen über den Flughafen Hannover und von dort eineinviertel Stunden mit der Bahn nach Westen.
Kontakt: http://www.freimaurer-badoeynhausen.de

Apropos: Der RAUE oder der RAUHE Stein?
Heißt nicht die Buchhandlung in der Wiener Rauhensteingasse ‚Zum RAUHEN Stein‘? Und überhaupt: Haben die Freimaurer nicht seit Jahrhunderten den ‚RAUHEN Stein‘ bearbeitet? Schon. Aber die immer noch neue Rechtschreibung hat das H gestrichen. Und zwar ohne die deutschsprachigen Großlogen zu fragen! Es sei veraltet: Künftig heiße es ‚RAU‘.

Ein Vorschlag zur Güte! Jeder wie er will: RAU oder RAUH. Zum Glück kann den Freimaurern ja niemand vorschreiben, wie sie ihren Stein polieren: mit oder ohne „HA“.

Siehe auch