Regius-Poem IV

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Wilhelm Begemann

Inhalt

I. Zum Text und den Übersetzungen

II: Übersetzung der Verse 1-496 durch C. W. Asher, 1842

III. Nacherzählung der Verse 497-794 durch C. W. Asher, 1842

IV. Nacherzählung der Verse 497-794 durch Wilhelm Begemann, 1909


IV.Nacherzählung der Verse 497-794 durch Wilhelm Begemann, 1909, 120-129 (ohne die Fussnoten)

497-534


Es kommen nun verschiedne Stücke, die nicht alle durch äußre Zeichen abgegrenzt sind; nur der erste dieser Abschnitte hat noch eine Überschrift.


V. Ars quatuor coronatorum.

Bitten wir jetzt Gott den Allmächtigen und seine süße Mutter Maria, daß wir diese Artikel und diese Punkte gut halten, wie die heiligen vier Märtyrer taten, die in dieser Kunst in hohen Ehren standen. Sie waren gute masons, Bildschnitzer und Bildhauer und gehörten zu den besten Werkleuten; deshalb wollte der Kaiser von ihnen ein Bild machen lassen, das verehrt werden könnte. Solche Götzenbilder hatte er, um die Leute von Christus abwendig zu machen.

Aber sie waren standhafte Christen, liebten Gott und lebten nach Gottes Gesetz; sie wollten um keinen Preis Götzenbilder machen; sie wollten nicht ihren Gott verlassen und einen falschen Glauben annehmen. Der Kaiser ließ sie in ein tiefes Gefängnis werfen, aber je mehr er sie peinigte, um so größer war ihre Freude über die Gnade Christi; dann ließ er sie sterben.

Wer von ihrem Leben mehr wissen will, mag in der Legende sanctorum die Namen der quatuor coronatorum nachsehen; ihr Fest ist am 8. Tage nach Allerheiligen (V. 497-534).


535-550


Der Beginn des nächsten Stücks ist mit einem roten q zu Anfang der Zeile gekennzeichnet. Wie das Beispiel der 4 Gekrönten zur Nacheifrung anfeuern sollte, beabsichtigte der Verfasser mit dem Turmbau zu Babel offenbar ein abschreckendes Beispiel den Werkleuten vorzuführen. Zu bemerken ist, daß die 4 Gekrönten sonst nirgends in England in der Geschichte der Steinmetzen eine Rolle spielen, in keiner ihrer Verfassungen werden sie erwähnt außer allein in unserm Gedicht.


Sie erscheinen hier auch nicht als Schutzheilige wie bei den deutschen Steinmetzen, sondern lediglich als anfeuernde Vorbilder, selbständig als solche von dem Verfasser ausgewählt, weil sie in der Legende als Bildhauer, als Genossen der Steinmetzen erscheinen und für die Heilighaltung ihrer Kunst freudig den Märtyrertod erduldet haben.


VI. - Ihr mögt hören, daß viele Jahre nach Noahs Flut aus großer Furcht der Turm zu Babylon begonnen wurde, so lang und breit, daß die Höhe 7 Meilen in der Sonne Schatten warf. König Nabugodonosor ließ ihn zum Schutze der Menschen machen, damit eine neue Flut über das Werk nicht hinweggehen sollte, denn sie besaßen solchen Hochmut und Stolz, aber das Werk ging verloren, denn ein Engel schlug sie so mit verschiedner Sprache, daß keiner verstand, was der andre sagte (V. 535-550).


Auffallend ist hier Nabugodonosor als Erbauer des Turms, da sonst nach Josephus (Antiquitates Iudaicae, Lib. I, cap. IX) im Mittelalter überall Nimrod als solcher erscheint, so auch in verschiednen englischen Schriften, wo er meist Nembrot geschrieben wird, z. B. in der „Story of Genesis" und im „Cursor Mundi" (vgl. mich Z.-Cor. 1894, S. 189). Da aber beide bekannt waren wegen ihres Hochmuts in Bezug auf ihre Bauten in Babylon, so hat unser Verfasser die Namen hier vermutlich verwechselt, vielleicht aber auch absichtlich vertauscht, denn in der Genesis wird kein Unternehmer des Turmbaus mit Namen genannt, so daß die Einsetzung des Nabugodonosor ihm wohl als eine Berichtigung erscheinen konnte, zumal da Hochmut und Überhebung bei diesem überall stärker hervorgehoben werden als bei Nimrod.


551-580


Das nächste Stück ist als neuer Abschnitt äußerlich nicht kenntlich gemacht, hebt sich aber dem Inhalte nach so bestimmt ab, daß wir annehmen müssen, der Abschreiber hat das Zeichen am Rande nur vergessen oder durch die Art der Fortsetzung sich zur Weglassung verleiten lassen. Der Übergang wird nämlich durch die Worte „Viele Jahre nachher" gemacht, was auf einen Zusammenhang mit dem Vorhergehenden hinweisen könnte, obwohl ein innrer Zusammenhang nicht besteht, vielmehr etwas ganz Neues kommt.


VII. - Viele Jahre nachher lehrte der gute Gelehrte Euklid die Kunst der Geometrie und auch andre verschiedne Künste; durch die Gnade Christi im Himmel durfte er die sieben Wissenschaften lehren: Grammatik, Dialektik, Rhetorik, Musik, Astronomie, Arithmetik und Geometrie.

(Die dann folgenden Angaben über die Bedeutung der 7 Wissenschaften sind derartig verwirrt und verderbt, daß sie sich gar nicht wiedergeben lassen.)

Dies sind die 7 Wissenschaften, wer sie gut anwendet, kann den Himmel gewinnen. Nun, liebe Kinder, wenn ihr klug seid, mögt ihr Stolz und Habgier fahren lassen und Bescheidenheit annehmen und gute Sitte, wohin ihr auch kommt (V. 561-580).


Der Übergang von Nabugodonosor zu Euklid ist gewaltsam und die plötzliche Einmengung der 7 Wissenschaften nicht minder gezwungen. Die Reihenfolge derselben im Quadrivium ist ganz ungewöhnlich, namentlich begegnet die Geometrie sonst niemals an letzter Stelle. Die Erklärungen der einzelnen Wissenschaften sind meist verfehlt, namentlich gehört das, was der Verfasser der Geometrie zuschreibt, nämlich „Falsches vom Wahren zu unterscheiden", der Dialektik oder Logik zu, die manchmal „Ars" genannt wird, so auch art von unserm Verfasser in V. 567. Ob hier nun der Verfasser selbst so arg gesündigt hat, oder ob der Abschreiber die Sache verdorben hat, läßt sich schwer entscheiden; ich möchte aber glauben, daß der Verfasser selbst der schuldige Teil ist, da die sonstigen Fehler des Abschreibers einfachrer Art sind.


Ich habe früher diese Stelle sehr eingehend behandelt (Z.-Cor. 1894, S. 195-209) und muß darauf verweisen. Betonen will ich hier nur, daß nach damaliger Auffassung ein sehr enger Zusammenhang zwischen den sieben Wissenschaften und guter Sitte bestand. Schon Alkuin bezeichnete jene als sieben Stufen zur Weisheit, und die sieben Gaben des heiligen Geistes werden auch dazu in Beziehung gebracht, so daß die Schlußbemerkung unsers Verfassers, wer die sieben Wissenschaften gut anwende, könne den Himmel gewinnen, durchaus den Anschauungen seiner Zeit entspricht.


Demgemäß passen denn auch die 4 Schlußzeilen, in denen er Bescheidenheit und gute Sitte empfiehlt, vollständig zu diesem Absatze: es liegt darin die Auffordrung angedeutet, durch Anwendung der 7 Wissenschaften Laster ablegen und Tugenden annehmen zu lernen.

Als Beispiele der erstern wählt er die beiden Todsünden Hochmut und Habgier, die besonders oft zusammen genannt werden, als Tugenden Bescheidenheit und gute Sitte ; die letztre, englisch good nurture (gute Erziehung, Zucht), spielt in der Literatur jener Zeit eine große Rolle und wird öfter mit den 7 Wissenschaften in enge Verbindung gebracht, auch gerade in Schriften, die der guten Erziehung dienen sollten (vgl. auch darüber mich a. a. O. S. 206 bis 209).


Die Anrede „liebe Kinder", die unser Verfasser hier anwendet, läßt vermuten, daß er die 4 Zeilen irgend einer solchen Schrift entlehnt hat, die für die Jugend bestimmt war, da sich ähnliche Anreden dort sehr häufig finden, während eine solche in unser Gedicht gar nicht hinein paßt.


581-692


VIII. Die Verse 581-692 enthalten Anweisungen für das Verhalten in der Kirche.


Dieses Stück ist zum größten Teile aus einem Gedicht entnommen, das unter dem Titel „Instructions for Parish Priests" im Jahre 1868 von Edward Peacock für die Early English Text Society zum erstenmal herausgegeben wurde (Vol. 31, London 1868 [als Autor: John Myrc; Neuausgabe bei Boydell & Brewer 2000; Nachdruck auch 2004 bei Kessinger Publishing]).

Woodford entdeckte darin ein längres Stück, das sich im maurerischen Gedicht gleichfalls befindet, und teilte den Wortlaut mit (Mas. Mag. II, I30). Es entspricht den Versen 621-658 des Gedichts und umfaßt in den „Instructions" die Verse 268-303.


Die Übereinstimmungen gehen aber noch viel weiter, wie ich früher bereits gezeigt habe (Z.-Cor. 1894, S. 209 ff.), und ich bin nach erneuter Untersuchung der Frage zu der Überzeugung gelangt, daß unserm Verfasser eine ältre Form der „Instructions" vorgelegen hat als die in den erhaltnen Handschriften befindliche.

Der Verfasser Johannes Myrcus lebte, jedenfalls im 14. Jahrhundert, in einem Kloster im westlichen England, seine Sprache ist auch durchaus die des westlichen Mittellandes und hilft so den westländischen Ursprung von A [also des Halliwell-Manuskripts] noch mit beweisen, obwohl derselbe an sich schon feststeht. Auch für das Alter von A ist dieser Bestandteil eine weitre Stütze.


Bemerkenswert ist nun, daß die ersten 4 Zeilen in der Anredeform vom Verfasser geändert zu sein scheinen. Hier haben wir nämlich die Mehrzahl: „Nun bitte ich euch, gebet gut acht, denn dies müßt ihr notwendig wissen; aber viel mehr müßt ihr wissen, als ihr hierin geschrieben findet" (581-584).

Vom nächsten Verse an aber steht die Einzahl: „Wenn du es darin an Wissen fehlen läßt, bete zu Gott, es dir zu senden, denn Christus selbst er lehret uns, daß die heilige Kirche Gottes Haus ist, das für nichts andres gemacht ist, als darin zu beten, wie das Buch erzählt usw." (585-590).


So geht es immer weiter in der Einzahl bis V. 638, aber dann begegnet wieder in einigen Versen die Mehrzahl: „Knieen müßt ihr, sowohl jung wie alt, und eure beiden Hände hübsch aufheben und dann auf diese Weise sagen, nett und sanft ohne Lärm: Herr Jesu, sei Du willkommen usw. (639--643).


Nach diesem Gebet, welches bis V. 656 reicht, wird wieder die Einzahl aufgenommen: „So möchtest du sagen oder etwas andres, wenn du kniest bei der Weihe usw." bis zum Schluß dieses Stücks (V.692).


Neben dem Verse, mit dem das Gebet beginnt, und neben dem, der die Anweisung fortsetzt, hat die Handschrift das rote Abschnittzeichen. Auf den Inhalt des Stücks weiter einzugehen, halte ich nicht für erforderlich, da diese Anweisung über das Verhalten in der Kirche mit unserm eigentlichen Gegenstande nichts zu tun hat. Ich wende mich daher nun zu dem letzten Stück, welches gleichfalls aus einem zeitgenössischen Gedichte abgeschrieben ist.


693-794


IX. Die Verse 693 bis 794 enthalten eine Anweisung zu anständigem Benehmen.


Es ist eins der zahlreichen Stücke, die im 14., 15. und 16. Jahrhundert in England verbreitet waren, teils in Versen, teils in Prosa, um gute Sitte und Anstand zu lehren. Eine große Sammlung solcher Sachen bildet Vol. 32 der Early English Text Society, herausgegeben von Furnivall (London 1868). Hier ist auch aus dem Cotton MS. Caligula A II im British Museum der „Tractatus Urbanitatis" abgedruckt (S. 13-15), den unser Verfasser in sein Werk mit aufgenommen hat. Furnivall setzt die Handschrift auf etwa 1460, aber nach dem vollständigen Faksimile, welches auch von diesem Stück der Ausgabe unsers Gedichts beigegeben ist, möchte ich ein höhres Alter annehmen, jedenfalls aber muß die von unserm Verfasser benutzte Handschrift erheblich älter gewesen sein.

Die erste Entdeckung dieser Quelle verdanken wir auch Woodford, der das ganze Stück gleichfalls im Masonic Magazine mitteilte (II, 163 f.). An einigen Stellen hat A Abweichungen vom Cotton MS., die einen ältern und bessern Text als Vorlage voraussetzen.


Die 4 Verse 775-778 von A fehlen im Cotton MS., sie sind aber sicher kein eigenmächtiger Zusatz in A, sondern in Cot. nur ausgefallen. Aus einer Handschrift des British Museum aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts teilte Woodford etwas später noch eine andre Anweisung von geringerm Umfang über das Verhalten beim Essen mit (Mas. Mag. II, 194), in welcher auch empfohlen wird, „dieses Buch" zu lieben, und sehr viele andre Stücke dieser Art werden als „Buch" bezeichnet.


Die englischen Ausdrücke für den Begriff, um den es sich hier handelt, sind nurture (Erziehung), courtesy (Höflichkeit), gentleness (feines Benehmen), governance (Selbstbeherrschung), demeanour (feines Betragen) u. a.

Welch hoher Wert auf die Aneignung eines solchen Verhaltens gelegt wurde, bezeugen die Schriften oft selbst mit starker Betonung. So haben die unten in der Anmerkung angezognen „Bücher" übereinstimmend die beiden Verse

Alle Tugenden sind in curtesy eingeschlossen,

Und alle Laster in vilony (Ungeschliffenheit).

Kein Wunder, daß bei so starker und so weit verbreiteter Betonung der guten Sitte unser Verfasser, ganz im Sinne seiner Zeit, sein Werk mit einer solchen Anleitung zur Selbsterziehung schließen zu sollen glaubte.


An die Spitze stellt er als Übergang zwei eigne Verse: „Ferner noch will ich euch predigen, um eure Genossen darin zu unterrichten" (V. 693 f.).


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Siehe auch

  • Regius-Poem mit einer Übersicht über die verschiedenen das Regius-Poem betreffenden Artikel im Freimaurer-Wiki