Rezension: Alfred Schmidt - Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei

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Die deistischen Wurzeln der Freimaurerei

Mit diesem Buch unterstreicht der Philosoph und Stuhlmeister der deutschen Forschungsloge ‚Quatuor Coronati’, Klaus-Jürgen Grün, seine These, dass es eine genuin christliche Freimaurerei nicht geben könne.
Eine Rezension von Rudi Rabe.

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Warum Klaus-Jürgen Grün? Heißt der Buchautor nicht Alfred Schmidt? Ja schon, aber wir halten bei 2014, und Alfred Schmidt ist 2012 gestorben. Gemeinsam mit Thomas Forwe hat Klaus-Jürgen Grün, der freimaurerische Nachlassverwalter Schmidts, das Buch aus dessen Hinterlassenschaft zusammengestellt; Alfred Schmidt war einer seiner Lehrer. Er war Freimaurer und von 1996 bis 2011 Präsident der deutschen AASR-Freimaurerakademie. Grün hat dem Buch eine zwanzigseitige Einleitung vorangestellt.

Das Buch beschäftigt sich detailliert mit der Entstehung des Deismus im 17. Und 18. Jahrhundert, also mit einer wesentlichen Voraussetzung für das Aufkommen der Freimaurerei. Auf dem Umschlag wird dieser Prozess und das Anliegen des Buches so gut beschrieben, dass ich es nicht besser könnte:

„Freimaurer sind entstanden wie Mythen: Auf einmal waren sie da. Es gibt keinen Autor, der sie erfunden hat. Sie entstehen im Klima der europäischen Aufklärung. Ihr erklärtes Ziel ist die Humanisierung des Menschen. Fromme Christen fürchteten zu Recht eine Marginalisierung ihrer eigenen Religion durch die Freimaurerei. Daher haben viele von ihnen von Anbeginn an versucht, Freimaurerei selbst zu einer christlichen Religion umzumünzen. Aber dieser Versuch ist gescheitert. Und die geistesgeschichtlichen Quellen aus der Entstehung der Freimaurerei belegen ihre Herkunft aus der Kritik und Abkehr vom orthodoxen Christentum.

Mit filigraner Genauigkeit spürt Alfred Schmidt die Herausbildung der philosophischen Grundhaltung der Freimaurerei aus den Grundlagen des englischen Deismus auf und zeigt dabei, wie sich der Zweifel an metaphysischen Wahrheiten des Christentums in eine Metaphysik der Sitten verwandelt. Sie erweist sich als die Basis humanitärer Geisteshaltung.“

So das von den beiden Herausgebern formulierte Fundament des Buches. Auf diesem stehen dann über einhundertfünfzig Seiten die von Alfred Schmidt zusammengetragene Details, vor allem viele Namen aus jener fernen Zeit mit ihren philosophischen Überlegungen: bekannte Namen wie Isaac Newton, der damals nicht nur als Physiker sondern auch als umfassender Welterklärer wahrgenommen wurde; oder kaum mehr geläufige Namen wie Herbert Cherbury, der Vater der deistischen Bewegung.

Was ist überhaupt Deismus?

Auch wenn es viele Strömungen gab, hatten und haben sie eine Gemeinsamkeit: Der Deist glaubt an einen Gott, der die Welt mehr oder weniger perfekt geschaffen danach aber nicht mehr eingegriffen hat; er verhält sich - eine bekannte Analogie - wie ein Uhrmacher. Anders der traditionell religiöse (theistische) Gläubige: Er glaubt auch an einen Gott, aber an einen lebendigen, ja sogar antropomorphen Gott, einen belohnenden und bestrafenden Gott, der den Menschen ganz persönlich seine Religion ‚offenbarte’, in der auch Wunder und vieles Übernatürliche Platz haben. Für den deistischen Gläubigen muss Religion hingegen ‚natürlich’ sein, also kompatibel mit der menschlichen Vernunft und unserem Wissen von der Welt; für wörtlich genommene Wunder und Heilsgewissheiten ist da kein Platz.

Heute mag das bei vielen gläubigen Menschen Mainstream sein. Aber im 17. und 18. Jahrhundert war es eine umstürzlerische Vorstellung. Dennoch setzte sie sich gegen den erbitterten Widerstand orthodoxer Kreise zuerst unter gebildeten Menschen langsam durch: parallel zur Entwicklung der frühen Naturwissenschaften. Und dies war die entscheidende Bedingung für die Entstehung der Freimaurerei. Schmidt: „Gegenstand der humanitären Freimaurerei ist die materielle und vor allem moralische Perfektibilität Menschen, nicht sein ewiges Heil. ... Man kann die deistische Aufklärung als geglückte Synthese der weltanschaulichen Hauptmotive der Epoche ansehen. Sie verknüpft die streng kausale Auffassung des Naturgeschehens mit dem höheren Gesichtspunkt des religiösen Bedürfnisses.“

Trotzdem entstand vor allem in Deutschland und in Skandinavien neben der humanitären Freimaurerei auch eine Christliche, die sich auf eine göttliche Offenbarung beruft. Den Freimaurerforscher Alec Mellor zitierend führt Schmidt dies darauf zurück, dass im 18. Jahrhundert Vorstellungen mittelalterlicher Ritterorden in die freimaurerische Ritualistik eindrangen: „Die dabei entstehenden, auf den Johannisgraden basierenden Systeme münden ein ins Positiv-Christliche, das heißt in die Glaubensgewissheit, dass sich Gott auf absolute Weise offenbart habe in der Person und den Lehren Christi. Damit geht einher, dass die Rituale etwa des Freimaurer-Ordens geradezu liturgisch–kirchlichen Charakter annehmen. Sie verstehen, in klarem Gegensatz zur humanitären Maurerei, die Bibel nicht in allgemein-moralischen, sondern in spezifisch-dogmatischen, auf übernatürliche Offenbarung und Erlösung abzielenden Sinn.“

Man kann das so lesen: Diese masonische Richtung hat die deistischen Wurzeln der Freimaurerei gekappt.

Deismus und ‚Alte Pflichten’

Sehr interessant, wie sich Schmidt vor dem Hintergrund der deistischen Religionsphilosophie mit der berühmten ‚Urschrift’ der Freimaurerei auseinandersetzt: mit James Andersons ‚Alten Pflichten’ von 1723. Ein ganzes Kapitel widmet er ihnen.

War Anderson ein Deist? Überraschend sagt Schmidt nein. Aber ist das nicht ein Widerspruch zur Vorstellung von den deistischen Wurzeln der Freimaurerei? Schmidt: Es war ja nicht so, „wie von Gegnern und Anhängern unterstellt wird, dass Anderson beabsichtigt habe, den neuen Bund auf den Deismus einzuschwören und die Großloge in ‚eine Art deistischer Kirche’ zu verwandeln. Als gläubiger Calvinist der Presbyterianischen Kirche war Anderson kein Deist im philosophischen Sinn, wohl aber als Angehöriger einer religiösen Minderheit bereit, einen deistischen Mitbruder zu tolerieren. ... Die Zeitgenossen erblickten den epochalen Rahmen des Deismus nicht in dieser oder jener seiner Thesen, sondern darin, dass er eine Diskussion religiöser und theologischer Gegenstände ermöglicht.“

Dieser Gedanke taucht immer wieder auf: Deismus als Schule der Toleranz und der Gedankenfreiheit. Kein Wunder, dass sich der Text der ‚Alten Pflichten’, so schreibt Schmidt, „dem entzieht, was der Leser mit Recht erwartet. Weder definiert er die in der Überschrift genannten Begriffe ‚Gott’ und ‚Religion’ noch gibt er nähere Auskunft über jene ‚Religion, in der alle Menschen übereinstimmen’.“ Anderson lässt das offen.

Die Zeit vor 1717

Was Schmidts Buch über das Deismus-Thema hinaus interessant macht: In mehr als der Hälfte beschäftigt es sich mit der Zeit vor 1717. Auf dieses Jahr wird ja üblicherweise der Beginn der Freimaurerei datiert, weil damals in London zum ersten Mal so etwas wie eine Großloge entstand. Genau genommen ist das Unsinn, Freimaurerlogen gab es in England schon im Jahrhundert davor: oft verbunden mit verwandten Bewegungen, etwa den Rosenkreuzern.

Und so schreibt Schmidt: „Die Frage nach alchemistisch-rosenkreuzerischen Einflüssen auf die Anfänge der Freimaurerei gehört zu den ältesten, noch keineswegs erledigten Themen der Forschung.“ Sie waren „so tiefgreifend, dass im siebzehnten Jahrhundert die Namen Freimaurer und Rosenkreuzer nahezu dasselbe bezeichnen. ... Die schon im frühen siebzehnten Jahrhundert in England nachweisbaren Societies of Freemasons knüpfen zwar an Bräuche der Maurerzünfte an, führen aber eine eigenständige Existenz und sind, im Gegensatz zu jenen, nicht spezifisch religiös, sondern philosophisch orientiert. ... Zugehörigkeit zur Zukunft der Steinmetzen wird in dem sich herausbildenden Bund immer unwichtiger, wenn sie nicht ... nur eine Tarnung war für jene Kreise, die im religiös-politischen Wirrwarr der Zeit nach neuen geistigen und weltanschaulichen Grundlagen suchten.“

Ist es also gar nicht so weit her mit der Entstehung der philosophischen Freimaurerei aus den Dombauhütten, wie es sich die Freimaurer heute vorstellen? War das vielleicht mehr eine Tarnkappe? Ein Schutz gegen die misstrauische Obrigkeit? Ganz genau werden wir es wohl nie ergründen können.

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