Rezension: Joachim Berger - Mit Gott, für Vaterland und Menschheit?: Unterschied zwischen den Versionen

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Im Jahr 2020 kamen auf Deutsch drei Bücher heraus, die sich sehr grundsätzlich und zugleich aus verschiedenen speziellen Blickwinkeln mit der Freimaurerei und ihrer Geschichte befassen. <br> Joachim Bergers „Mit Gott, für Vaterland und Menschheit?“ ist eines davon. - Die beiden anderen:

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Im Jahr 2020 kamen auf Deutsch drei Bücher heraus, die sich sehr grundsätzlich und zugleich aus ganz verschiedenen Blickwinkeln mit der Freimaurerei und ihrer Geschichte befassen. <br> Joachim Bergers „Mit Gott, für Vaterland und Menschheit?“ ist eines davon. - Die beiden anderen:

 
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Aktuelle Version vom 16. November 2020, 18:23 Uhr

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Joachim Berger: Mit Gott, für Vaterland und Menschheit?“

Eine europäische Geschichte des freimaurerischen Internationalismus (1845-1935)

Mehr als 10 Jahre Forschungsarbeit stehen hinter Joachim Bergers Buch „Mit Gott, für Vaterland und Menschheit?“, in dem – wie es im Untertitel heißt – „eine europäische Geschichte des freimaurerischen Internationalismus“ von 1845 bis 1935 nachgezeichnet wird. Es stellt dem freimaurerischen Anspruch der Weltenkette den politischen und gesellschaftlichen Internationalismus gegenüber. Und dies gerade in jener Zeitspanne, die nicht nur von steigendem Nationalismus und wirtschaftlichen Verwerfungen, sondern auch von der Zäsur des Ersten Weltkriegs geprägt war. Von Gerd Palka.

Cover Joachim Berger Mit Gott.jpg

Der Autor, er ist Forschungskoordinator am Institut für Europäische Geschichte in Mainz, hat seine umfassende Studie in einem bemerkenswerten Buch verarbeitet, in dem er detailliert und fundiert die verschiedenen Facetten dieses Themas darstellt und bewertet. Er erklärt die Wahl dieses Zeitraums damit, dass sich in jenen Jahrzehnten „in grenzüberschreitenden Begegnungen und Konflikten eine ‚transnational sphere‘“ herausbildete. Und er analysiert die Stellung der Freimaurerei zum Internationalismus und deren Tendenzen aus historisch-wissenschaftlicher Perspektive unvoreingenommen und deutlich.

Ausgangspunkt seiner Studie ist der August 1845, in dem sich in Steinbach bei Baden-Baden etwa 150 Freimaurer zur Feier der Enthüllung eines Denkmals für den Erbauer des Strassburger Münsters, Erwin von Steinbach, versammelt hatten. Berger zitiert dazu den Bericht, der „allgemeine Harmonie“ beschrieb, denn es gab „weder Deutsche noch Schweizer oder Franzosen, weder Katholiken noch Protestanten oder Israeliten; sie waren alle Kinder einer Familie, sie waren M[aurer], sie waren B[rüde]r.“

Er spannt den Bogen zum Jahr 1933, dem Jahr der Eröffnung des neuen Hauptgebäudes der „United Grand Lodge of England“, wo der niederländische Freimaurer Hermannus von Tongeren den Leitsatz vom „gegenseitigen Vertrauen und der brüderlichen Liebe“ in den Mittelpunkt seiner Rede stellt. Doch Berger stellt in seiner kritischen Analyse fest, „dass die europäischen Freimaurer 1933 ebenso weit davon entfernt wie 1845 waren“.

Internationale Kongresse und nationale Prägungen

Auf 648 Seiten untersucht Joachim Berger die angelsächsischen Hegemonialansprüche in der Freimaurerei und auf politischer Ebene ebenso wie die transnationalen Bemühungen, vor allem auch im Ersten Weltkrieg. Allerdings, so der Autor: „Zwischen den universalen Zielen der transnationalen Organisationen und den Einzelinteressen der Verbände zu vermitteln, war konfliktträchtig.“ Immerhin wurden von den Freimaurern zahlreiche internationale Kongresse abgehalten und internationale Verbände gegründet. Dennoch gab es etliche, vor allem auch inhaltliche Streitthemen innerhalb der verschiedenen „Strömungen“ und Nationalitäten der Freimaurerei, auf die in dem Buch ausführlich eingegangen wird.

Ein wesentlicher Aspekt war in jenem Zeitraum, dass die Entwicklungen in und um die Freimaurerei mit wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, gesellschaftspolitischen und künstlerischen Internationalisierungsprozessen verbunden waren. Berger folgt aber in seiner Betrachtung der Argumentation von Jeffrey Tyssens, dass die Freimaurerei „in ihrer vielgestaltigen Praxis ein ‚competition ground where different or even contradictory identity projects confronted each other‘“ war. Es geht ihm daher vorranging um das Darstellen der Diversität der Freimaurereien und des Internationalismus in Europa. Sein – in weiten Teilen sehr eindrucksvoll verwirklichter – Anspruch ist es daher, dass der historische Vergleich nicht bloß dazu dient, Gemeinsamkeiten und Spezifika der untersuchten Freimaurereien herauszuarbeiten, sondern es ermöglicht, das komplexe „Mehrebenengefüge des freimaurerischen Internationalismus“ zu erschließen.

Sehr wesentlich geht es in Bergers wissenschaftlicher Studie ausgehend vom Internationalismus ebenso um die Analyse, inwiefern der Erste Weltkrieg eine Zäsur oder auch Wendepunkt in der internationalen Freimaurerei darstellte. Höchst interessant auch Bergers wissenschaftlicher Zugang zu vielfältigen Diskussionen innerhalb der Freimaurerei über die verschiedenen Perspektiven der Freimaurerei und den Anspruch der Universalität. Nicht zuletzt widmet der Autor auch breiten Raum der Haltung der Freimaurerei zu Religionsfragen.

Ein Überblick über die drei Abschnitte des Buches zeigt die Vielfältigkeit der Untersuchung:

  • Im ersten Teil „Internationale Beziehungen – Mechanismen und nationale Akteure“ geht es unter anderem um Völkerrecht und Diplomatie, aber auch um die konkurrierenden Dachverbände, um die Strategien von Franzosen und Italienern sowie die Stellung der deutschen Großlogen.
  • Der zweite Abschnitt behandelt „Transnationale Bewegungen und Organisationen“ und deren Alternativen, die religiös-säkularen Trennlinien und territorialen Interessenskonflikte bis 1885 sowie in der Folge die erste „Hochphase“ des Internationalismus, deren abruptes Ende durch den Ersten Weltkrieg, den Berger als „Katalysator, Zäsur und Drehscheibe“ analysiert, und danach die neue Ordnung der Welt und der Freimaurerei. 

  • Im dritten Teil, „Streitthemen und Konfliktmuster“, werden die Konfliktlinien der Freimaurerei zu Religion und Politik, Antimasonismus und Altiklerikalismus untersucht sowie gesellschaftliche Stellung und Innenarbeit der Freimaurerei aus wissenschaftlicher Perspektive beleuchtet.

Alles in allem: Ein Wissensschatz, betrachtet aus dem nüchternen Zugang historischer Forschung, der viele interessante Einblicke in die Freimaurerei in der vom Autor gewählten Zeitspanne liefert.

Joachim Berger: Mit Gott, für Vaterland und Menschheit?
Eine europäische Geschichte des freimaurerischen Internationalismus (1845-1935).
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2020

Zu diesem Buch gibt es gegenwärtig (November 2020) auch einen Online-Zugang:

Siehe auch

Im Jahr 2020 kamen auf Deutsch drei Bücher heraus, die sich sehr grundsätzlich und zugleich aus ganz verschiedenen Blickwinkeln mit der Freimaurerei und ihrer Geschichte befassen.
Joachim Bergers „Mit Gott, für Vaterland und Menschheit?“ ist eines davon. - Die beiden anderen: