Rezension: Volk: Menschenähnlichkeit von Klaus-Jürgen Grün

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Klaus-Jürgen Grün, Menschenähnlichkeit

Peter Volk


Zum Unterschied zwischen Freimaurerei und Religion. Edition Temmen : Bremen 2012, 176 Seiten. ISBN 978-3-8378-4041-4 Sonderausgabe für die Freimaurerische Forschungsgesellschaft Quatuor Coronati.


Diese Besprechung ist keine Kritik der philosophischen Aussagen des Autors, der als Professor der Philosophie an der Universität Frankfurt am Main lehrt. Das Buch enthält hierzu einige glänzende Aussagen. Der Titel stammt wohl aus der Terminologie der Chaostheorie, deren fraktale Figuren die Selbstähnlichkeit in der Morphologie der Organismen zu erklären scheint. Zugleich spielt der Titel auf die Gottähnlichkeit des Menschen in der griechischen Mythologie und in der alttestamentlichen Schöpfungsgeschichte an. Entsprechend dem wissenschaftlichen Anliegen dieser Zeitschrift werde ich nur die Bedeutung des Buches für die Freimaurer besprechen. Ich schicke eine Anekdote voraus, die vielleicht das Motiv des Buches zu erklären vermag:

Auf mehreren Tagungen der Forschungsloge war die Thematik Freimaurerei und Religion behandelt worden, auf denen der Verfasser des Buches für eine materialistisch-philosophische Grundlage der Freimaurerei eingetreten war. In einem Gespräch bejahte er die Frage eines Teilnehmers: Darf ich Dich etwas fragen? Du bist doch katholisch sozialisiert? und sagte, dass ihn dies seit seiner Jugend umtreibe.

Das vorliegende Buch spiegelt weit überwiegend die individuelle Auseinandersetzung des Autors mit der Römisch-katholischen Kirche. Allein der Kritik der Römischen Messe widmet der Verfasser ein ganzes Kapitel (S. 27-39), leider nicht im Sinne Hans Hollmanns im Vergleich von Liturgie und Ritual. Viele seiner Problemfelder, z.B. die ausführliche Auseinandersetzung mit der Transsubstantiationslehre, haben die Freimaurer nie ernsthaft berührt und in der Geschichte besonders der deutschen Freimaurer so gut wie keine Rolle gespielt. Dass es im 18. Jahrhundert eine Katholische Aufklärung gab, wird dagegen nicht erwähnt. Diese Spielart der Aufklärung richtete sich gegen die weltliche Macht der Kirche, hielt die Seelsorge aber für notwendig und berechtigt. Allein im Wien Kaiser Josephs II. und Mozarts waren über 60 Priester zugleich Freimaurer, außerdem einige Konvente, z.B. Melk. Der letzte Erzkanzler des Alten Reiches und Kur-Erzbischof von Mainz, Carl von Dalberg, war Illuminat und wollte sein Kurfürstentum in einen aufgeklärten Musterstaat verwandeln. Auch der Gründer Illuminaten, der Ingolstädter Kirchenrechtler Adam Weishaupt, war Katholik.

Kritisch anzumerken ist, dass der Autor bei den Belegen für seinen Standpunkt gegenüber der Katholischen Kirche („Die Religion des Papstes“) auf die Aussagen von zwei (unter hunderten kaum repräsentativen) Bischöfen und auf einen obskuren amerikanischen Fernsehprediger zurückzugreifen? Schon für Johannes Calvin verwandelten sich Brot und Wein nicht mehr in Fleisch und Blut, sondern bedeuteten dies in einem symbolischen Sinne, wie es dem Dies tut zu meinem Gedächtnis entspricht, Martin Luther sprach von der Freiheit eines Christenmenschen.

Ohne diese Vorstufen ist die spätere Aufklärung nicht denkbar. Aber Calvin und Luther kommen im Text des Buches nicht vor. So rennt der Autor an vielen Stellen offene Türen ein. Die Theologie selbst hat längst die archaische Herkunft vieler religiöser Vorstellungen aufgeklärt. Ich erinnere nur an Adolf von Harnack oder an die Entmythologisierung Rudolf Bultmanns.

Was hat es also für einen Sinn, gegen die rituelle Frage im Aufnahmeritual der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland Sind Sie bereit Ihr Blut mit dem Blut der Brüder zu vermischen? zu polemisieren? Ich kann den Verfasser des Buches beruhigen.: wie bei der ebenso archaischen (und blutigen) Herkunft auch seines eigenen Lehrlings-, Gesellen- und Meisterzeichens fließt auch an dieser Stelle des Rituals kein Blut. Es bleibt beim symbolischen Rückgriff ins ursprünglich Archaische, was bedeutet, dass die neue Verbindung wie eine Blutsbrüderschaft fest und unauflösbar sein soll.

Mit seiner naiven Feststellung Es liegt vielfach im Dunkeln, was dort (gemeint ist: in der Großen Landesloge) wirklich geschieht begibt sich der Verfasser des Buches auf die gleiche Ebene, auf der die Freimaurerei als Ganze üblicherweise von der Journaille angegriffen wird. Dies mutet gelegentlich wie Don Quixottes Kampf gegen Windmühlenflügel an, da der angegriffene Freimaurerorden so gut wie nichts mit der Römischen Kirche zu tun hat, von der ständig die Rede ist. sondern in einem reformierten Umfeld entstanden ist, das Vorstufen der Aufklärung einschließt. Die Große Landesloge stand außerdem bei ihrer Entstehung 1770 unter dem Protektorat eines der profiliertesten Aufklärer des 18. Jahrhunderts, Friedrichs des Großen.

Wie der gerade geschilderte Fall zeigt, dient das Buch des Verfassers weniger dem allgemeinen Verhältnis zwischen Freimaurerei und Religion als polemischen Angriffen auf die Große Landesloge und den ganzen Freimaurerorden, dem er mehrfach philosophische Unredlichkeit vorwirft. Doch muss sich der Verfasser fragen lassen, wie redlich es ist, die „humanitäre“ Großloge der alten , freien und angenommenen Maurer von Deutschland als die bedeutendste deutsche Großloge mit über 300 Logen zu nennen, bei der Großen Landesloge aber den zweiten Teil ihres Namens („der Freimaurer von Deutschland“), ihre 100 Mitgliedslogen und die ebenfalls zum Freimaurerorden gehörenden Großlogen von Skandinavien und Island zu verschweigen? Soll der Eindruck einer Splittergruppe erweckt werden? Das Buch belegt den Freimaurerorden zudem mit allerhand unsäglichen Begriffen. Neben der Unredlichkeit hat der Freimaurerorden einen ausgrenzenden Charakter (S. 139) , pflegt ein falsches Bewusstsein, vielleicht sogar eine allgemeine Pflicht zum Lügen (S. 10). Falschheit des religiösen Bewusstseins (S. 145), Pseudodenken (S: 105), falsches Wissen und Feindseligkeit gegenüber Andersgläubigen (S. 22 und passim) gehören ebenso zu seinem Treiben (S. 8) und zu diesem Irrweg (S. 187). Sogar der Mörder Breivik wird in diesem Zusammenhang bemüht.

Der Autor stellt die Frage: Warum beharren sie darauf (gemeint sind die in der Großen Landesloge aufgenommenen Freimaurer) als Freimaurer anerkannt zu werden? Nun, man könnte ihm entgegenhalten, dass sie gar nicht darauf beharren, da sie bereits seit dem 18. Jahrhundert national und international anerkannt sind, nicht erst seit der Magna Charta der deutschen Freimaurerei von 1958. Die Große Landesloge von 1770 hat schlicht festgehalten, was im 18. und 19. Jahrhundert in der gesamten Freimaurerei selbstverständliche Praxis war. Dass es heute in der Freimaurerei, wie der Autor richtig feststellt, zwei verschiedene Spielarten der Freimaurerei gibt, entspricht einem bei geistigen Strömungen und ihren Institutionen allgemein zu beobachtenden historischen Phänomen. Das war in der Scholastik mit der via antiqua und der via nova nicht anders als später in der Royal Society oder in der frühen Freimaurerei Englands des 17. und 18. Jahrhunderts.

In beiden Institutionen standen sich ancients und moderns gegenüber Nur steht sich eben nicht vollkommen Verschiedenes gegenüber, wie der Autor meint. Die Freimaurer auf dem Irrweg bezeichnet er als „Religiöse Freimaurer“, obwohl sie seiner Meinung nach überhaupt keine Freimaurer sind. Es handelt sich bei seinem Begriff um eine einseitige Zuschreibung, die in keinem Selbstverständns und in keiner Selbstbezeichnung wiederkehrt. Wie wir spätestens seit Schopenhauer wissen, ist das Religiöse eine allgemein menschliche Erscheinung und ist sowohl in der humanitären, wie in der christlichen Freimaurerei fassbar. Es hat auch nichts mit Feindseligkeit gegenüber Andersgläubigen zu tun, wenn Leute gleicher Gesinnung unter sich bleiben und ihre Gemeinschaft selbst gestalten wollen, solange sie, wie in der Freimaurerei, bereits sind, alle Freimaurer anderer konfessioneller oder politischer Orientierung als Gäste an ihren Arbeiten teilnehmen zu lassen und selbst an den Arbeiten der anderen teilzunehmen. Aus welchem anderen Grunde sollen unsere Gesellen wandern und sich bei anderen Logen umsehen? Keine Geringere als die Philosophin Hannah Arendt hat sich dagegen gewehrt die Gleichheit vor dem Gesetz und im Staat auf alle gesellschaftlichen und privaten Vereinigungen zu übertragen. Die Freimaurer wären zuallererst von der ideologischen Gleichmacherei der terribles simplificateurs betroffen, von denen schon der große Jacob Burckhardt sprach, nehmen sie doch nur Männer von gutem Rufe auf.

Dem Autor ist zuzustimmen, dass es keinen allgemein anerkannten wissenschaftlichen Beweis der Existenz Gottes gibt, das argumentum unum Anselms von Canterburys „aliquid quo nihil maius cogitari possit vielleicht ausgenommen. Der Autor übersieht aber, dass auch die Nicht-Existenz Gottes erkenntnistheoretisch nicht bewiesen werden kann. Dass wir in einem Universum leben, das vollkommen in sich geschlossen und ohne Anfang und Ende ist, wie es nach de Berechnungen des Physikers Stephen Hawking scheint, ist sinnlich ebenso unvorstellbar wie die Entstehung der Welt unter der Metapher der Schöpfung Gottes. So werden sich wohl auch in Zukunft unter Freimaurern die einen mehr zu dieser, die anderen mehr zur anderen Erklärung hingezogen fühlen. Und warum reitet der Autor eine Philippika gegen die Spiritualität, die er als Scheinrationalität bezeichnet? Ist nicht das Erlebnis, die Symbolik und die innere Resonanz des freimaurerischen Rituals reine Spiritualität?

Bei der Fixierung des Autors auf die Römisch-katholische Kirche, die durch Geschichte und Theologie längst berechenbar geworden ist, übersieht er die unberechenbaren und deshalb wirklich gefährlichen „quasireligiösen“ Strömungen und Heilslehren, wie wir sie im Kommunismus und im Nationalsozialismus erlebt und mühsam überwunden haben.

Fassen wir zusammen: Das Buch behandelt überwiegend die persönliche Auseinandersetzung des Verfassers mit der Lehre der Römisch-katholischen Kirche. Die Freimaurer brauchen keine einheitliche philosophische Grundlage. Ihre Größe besteht gerade darin, dass sie konfessionelle, philosophische und politische Gegensätze ungelöst nebeneinander stehen lassen können ohne die Brüderlichkeit zu verletzen. Dass man ein so tiefgreifendes Problemfeld wie das Verhältnis von Freimaurerei und Religion in aller Sachlichkeit, ohne Polemik und ohne pejoratives Vokabular darstellen und durchdenken kann, zeigt z.B. die gerade erschienene Arbeit von Martin Papenheim über Freimaurerei und Religion.

Natürlich brauchen auch die Freimaurer einige Spielregeln, wie sie in den Alten Pflichten zusammengefasst sind. Zu ihnen gehört, dass in der Loge nicht über Konfession und Politik gestritten werden soll. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass es am Rande des Freimaurerordens tatsächlich Bestrebungen gibt das christliche Erbe dogmatisch zu verstehen. Wenn der Autor aber Freimaurer der Großen Landesloge zitiert, die sich, wie er meint, wegen ihrer Zugehörigkeit verschämt und entschuldigend verhielten, so wären dem die nicht wenigen „humanitären“ Freimaurer gegenüberzustellen, die z.B. an den Kapitelarbeiten des Freimaurerordens teilnehmen, da sie sich von dessen älteren und vielleicht ernster gemeinten Ritualen mehr angesprochen fühlen, als von den in der „humanitären“ Freimaurerei weit verbreiteten Einflüssen des Zeitgeistes. So bleibt am Ende die ratlose Frage, was den sonst klugen und geistreichen Autor bewogen hat ein solches Pamphlet gegen einen Teil seiner freimaurerischen Brüder zu schreiben? Versöhnlich stimmt, dass der Autor am Schluss seines Buches zu einer Apotheose der Freimaurerei zurückfindet und neue totalitäre Entwicklungen beim Namen nennt.. Darin können wir alle mit ihm einig sein und dies kann von jedem, der die Freiheit und die Neutralität der Wissenschaft verteidigt, nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dafür gebührt dem Verfasser als dem Meister der größten deutschen Loge unser brüderlicher Dank.


Literaturhinweis zu den zitierten Arbeiten

Stephen Hawking, A Brief History of Time: From the Big Bang zu Black Holes. New York : Bentam Books 1988.

Martin Papenheim, Freimauerei und Religion – mit Einbezug des AASR, in: Masonica. Revue du Groupe de Recherche Alpina 31, 2012, S. 63-71 (AASR = Alter und angenommener Schottischer Ritus).

Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. Peter Volk Postfach 6451, D-79040 Freiburg im Breisgau pmvolk@web.de

Erschienen in ZK 4/2013, S. 53-58

Siehe auch:

„Menschenähnlichkeit. Zum Unterschied zwischen humanitärer Freimaurerei und Religion“