Spiritualität im Ritual

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Eine wunderbare Zeichnung zum Thema Spiritualität min der Freimaurerein von der Schweizerischen Grossloge Alpina SGLA, Jupiterstrasse 40, CH-3015 Bern


Es war André Malraux, der gesagt hat, entweder sei das 21. Jahrhundert spirituell oder es werde es gar nicht geben. Spiritualität ist also gefragt. Oskar Ruf, der immer auf der Seite der Spiritualität stand und sich für mehr Spiritualität in der Freimaurerei eingesetzt hat, hat diese Arbeit wenige Monate vor seinem überraschenden Tod am 16. Dezember 2000 verfasst. Wir veröffentlichen seine Arbeit ungekürzt im Sinne einer Hommage.

Ich stellte schon länger fest, dass im Freimaurer- Bund viele Brüder nicht wissen, was Spiritualität ist. Viele kennen nur den Gegensatz zwischen Materialismus und Spiritualismus. Spiritualität ist ein relativ neues Wort, aber aus dem lateinischen spiritualis abgeleitet. Es meint, dass allem Materiellen, allem Sichtbaren, etwas Geistiges, Unsichtbares zugrundegelegt sein muss, und dass dieses Wissen im Bewusstsein auch gelebt wird.

Es bedeutet, dem Prinzip Vielheit der sichtbaren Welt gehe das Prinzip Einheit voraus. Spirituell ist also jenes Denken, das die Vielheit auf eine Einheit zurückführt. Materie wird auf Geist zurückgeführt. Das ist ein schöpferisches Prinzip. Die Vielheit fliesst aus der Einheit. Welt und Weltall ist eine Emanation aus der ursprünglichen geistigen Einheit. Diese ist in den Hochreligionen Gott, bei uns Freimaurern der Allmächtige Baumeister aller Welten. Spiritualität im Denken bedeutet also, die Vielheit der Erscheinungswelt auf ihre zugrundeliegende Einheit zurückzuführen. Spiritualität im eigenen persönlichen Sein bedeutet dann, sich selber auf dem Wege von der unendlichen Vielheit der geschaffenen Welt zurück zur Einheit zu befinden.

Ich wähle zur Erläuterung dieses Weges entsprechende Hinweise aus dem Ritual der Freimaurerei aus. Ich greife grundlegende Aussagen auf, welche die Rahmenbedingungen unseres zeremoniellen Tuns bestimmen.

Dazu noch eine kurze Überlegung zum Thema Symbol. Der Lehrgehalt der Freimaurerei wird über Symbole vermittelt. Es gibt statische Symbole, zum Beispiel die drei grossen und die drei kleinen Lichter. Es gibt aber auch dynamische Symbole, nämlich zeremonielle Abläufe. Symbole vereinigen immer Vieles in Einem.

Die Zurückführung der Vielheit auf die Einheit In der Eröffnung der Tempelarbeit heisst es, die Brüder Freimaurer würden ihre Arbeit Hochmittag beginnen und anlässlich der Schliessung des Rituals heisst es, die Arbeit würde Hochmitternacht beendet. Wir wissen, dass diese Zeitangaben symbolische Bezeichnungen sind.

Erster Gedanke: Es heisst nicht einfach, die Arbeit beginne um Mittag und ende um Mitternacht, es wird das Wort «Hoch» hinzugefügt. Diese Bezeichnung stammt von der alten Benennung von zwei Koordinaten des Sonnenlaufs, nämlich vom Namen Solstitium. Gebräuchlicher als für den Tageslauf der Sonne ist der Ausdruck Solstitium für den höchsten und tiefsten Stand im Jahr, das Sommersolstitium und das Wintersolstitium. Diese tragen in der Freimaurerei die Namen Sommer- Johanni und Winter-Johanni (21./22. Juni und 21./22. Dezember). Das ist jeweils Sommerrespektive Winterbeginn auf der nördlichen Halbkugel unserer Erde.

Es gibt nun aber nicht nur diese beiden Sonnenlaufwendepunkte im Jahr, sondern es gibt sie genau so auch am Tag, das Mittagsund das Mitternachtssolstitium. Die Mittagszeit ist der höchste Stand der Sonne, darum ist der Ausdruck Hochmittag verständlich. Warum es aber auch Hochmitternacht heisst, das ja zu diesem Zeitpunkt der tiefste Stand der Sonne am Tag erreicht ist, das haben wir noch herauszufinden.

Das freimaurerische Ritual wiederspiegelt symbolisch einen Teil des täglichen Sonnenlaufes Wir haben nun von dem Befund auszugehen, dass unser Ritual mit der symbolischen Zeitangabe Mittag und Mitternacht operiert und diesen eine bestimmte Höhe zubilligt, indem wir sie Hochmittag und Hochmitternacht nennen. Unsere Versammlungen im Tempel zum Zwecke der Durchführung von Zeremonien haben für deren symbolischen zeitlichen Rahmen den Abschnitt des täglichen Sonnenlaufes von Mittag zu Mitternacht gewählt.

Damit ist der Sonnenlauf überhaupt der symbolische Rahmen für den zeitlichen Ablauf der zeremoniellen Handlung. Diese Feststellung hat Konsequenzen.

Nun geht es zuerst darum, die Bedeutung des Arbeitsbeginnes um Hochmittag zu verstehen. Den höchsten Stand der Sonne während ihres täglichen Laufes ist gewählt. Das hat manchen Bruder auch schon überrascht, weil er dachte, wir hätten doch besser als symbolische Zeitangabe für unseren rituellen Arbeitsbeginn den Sonnenaufgang wählen können. Oder man könnte auch symbolisch um Mitternacht beginnen, um die Arbeit dann um Mittag zu beenden. An dieser Stelle gilt es noch darauf aufmerksam zu machen, dass zu den symbolischen Rahmenbedingungen unseres Rituals nicht nur diese Zeitangabe vom Anfang und vom Ende, sondern auch die Koordinaten des Raumes gehören, nämlich Osten und Westen und Norden und Süden. Im symbolischen Osten thront der Meister vom Stuhl, der Leiter der Zeremonien. Diese räumlichen Koordinaten vereinigen sich mit den zeitlichen insofern, als der Osten der Ort des Sonnenaufganges, also des Morgens, der Westen der Ort des Sonnenunterganges, also des Abends darstellt. Entsprechend vergegenwärtigt der Meister vom Stuhl die wieder neuaufgegangene oder die wieder neugeborene Sonne.

Und überhaupt: Warum sprechen wir hier von Arbeit und nicht vielmehr von Feier? Worin besteht denn die Arbeit? Von welcher Arbeit ist hier die Rede?

Ich behaupte nun, der Beginn der rituellen Arbeit am Mittag enthalte einen wesentlichen Teil der spirituellen Lehre der Freimaurerei. Es gibt immer wieder Brüder, die sagen und schreiben – auch in der Zeitschrift Alpina – es gebe die Freimaurerei nicht, es gebe nur den Freimaurer, den einzelnen Bruder, der dann eben ein wirklicher Freimaurer sei oder auch nicht. Ich vertrete die Auffassung, dass dies nicht ganz richtig sei. Es gibt die Freimaurerei als Ideengut. Es gibt die Freimaurerei als ideelle Gemeinschaft von Männern, die ihre Ideen zu Idealen erhoben haben. Richtig ist: Es gibt die Freimaurerei nicht, wenn wir damit eine festgeschriebene Lehre meinen, die als Argument gegen andere Lehren eingesetzt werden könnte. Genau so richtig aber ist: Es gibt eine freimaurerische Lehre über unsere Entwicklung. Sie ist im Ritual niedergelegt. Ihr will ich mich jetzt widmen.

Um der Weisheit, die in diesem Zeitablauf von Mittag zu Mitternacht herrscht, auf die Spur zu kommen, verwende ich jetzt einen Spruch des griechischen Philosophen Heraklit:

Die Wachen haben eine einzige gemeinsame Welt, im Schlaf wendet sich jeder der eigenen zu Wenden wir den Inhalt dieses Spruches auf unsere Sache an. Während des Tageslaufes der Sonne sind wir wach, also in der gemeinsamen Welt mit allen anderen Menschen. Beginnt nun die rituelle Arbeit der Freimaurer am Hochmittag, so beginnt sie in der gemeinsamen Welt, welche wir Freimaurer die profane Welt nennen, und endet in der eigenen Welt, die für alle Menschen und in der Regel im Schlaf oder in der Nacht erreichbar ist, nämlich dann, wenn die physikalische Sonne untergegangen ist.

Endet das maurerische Tempel-Ritual um Hochmitternacht, so genau dann, wann die eigene Welt jedes Menschen erreicht ist, denn die gemeinsame Welt fällt natürlicherweise in der Nacht weg. Ich sage: Sie fällt natürlicherweise weg. Sie fällt dann nicht weg, wenn wir mit unseren künstlichen Beleuchtungen den Tag in die Nacht hinein verlängern. Durch die Elektrizität kann die Nacht in den Innenräumen unseres Lebens- und Tätigkeitsbereiches taghell erleuchtet werden. Gehen wir also von der natürlichen Nacht aus.

Die Nacht ist gekennzeichnet durch die Abwesenheit der Sonne. In der Zeit der Abwesenheit der Sonne ist in unserem Leben nicht mehr das äussere Licht, eben die physikalische Sonne, wirksam, sondern das innere Licht, das sich in unseren Träumen manifestieren kann. Das innere Licht von uns Menschen nennen wir die Phantasie. Bei den alten Griechen war sie eine Göttin. Die Phantasie ist die Herrscherin über die eigene Welt. Fassen wir einmal kurz zusammen, so lautet der Befund: Das Ritual der Freimaurerei führt die am Ritual beteiligten Freimaurer-Brüder von Mittag zu Mitternacht, von der gemeinsamen Welt in die eigene. Das ist der Entwicklungsweg: Hin zum inneren Licht. Bevor wir diesen Entwicklungsweg vollends zu verstehen versuchen, wenden wir uns weiteren Analogien zu. Wir Menschen können auch untertags jederzeit die Augen schliessen, und wir befinden uns augenblicklich in der eigenen Welt. Dazu brauchen wir uns nicht einmal in einen Meditationssitz zu begeben, bei dem wir häufig die Augen schliessen. Wir wenden uns oft auch mit offenen Augen unserer inneren Bilderwelt zu, träumen oft vor uns hin, sind in Gedanken anderswo.

Dies ist eine besondere Begabung des Menschen, in Gedanken anderswo sein zu können, als wo er mit dem Körper gerade ist. Das ist eine wunderbare Freiheit, welche allerdings auch gegen uns verwendet werden kann, zum Beispiel als Unfreiheit, das heisst, wenn wir von einem Gedanken besessen sind, der zur Gegenwart, wo wir uns mit dem Körper gerade befinden, gar nicht gehört. Auf Grund dieser Begabung können wir eben auch seelisch- geistig abwesend sein.

Konzentrieren wir uns nun aber auf das Gesunde, das Positive und Schöpferische an unserem Thema, das heisst: Nicht nur in der Nacht im Schlaf und in den Träumen – dort aber auf natürliche Weise und wie von selbst – befindet sich der Mensch in seiner eigenen Welt, sondern auch am helllichten Tag, sofern er die Augen schliesst.

er die Augen schliesst. Dieses Thema kennen wir Freimaurer bestens aus unserem Aufnahme-Ritual. Dem Neophyten werden die Augen verbunden. Es wird ihm das Sonnenlicht, das Tageslicht und die gemeinsame Welt, insofern sie über den Gesichtssinn erlebt wird, genommen. Mit dem Körper, dem Tastsinn, dem Geruchsinn und dem Atem sind wir in der gemeinsamen Welt, nicht aber mit dem Sehen. Wenn dem neuaufgenommenen Bruder dann die Binde weggenommen wird, dann soll das Licht, das er jetzt erblickt, nicht mehr das Licht der profanen Welt sein, sondern das Licht im Bruderbunde, und dieses ist das nicht-profane Licht, das ist das innere Licht, das ist das geistige Licht, das ist das Licht durch die Symbole und ist immer das Licht, das Vieles in Eines wendet und vereinigt.

Die eigene Erfahrungswelt als Durchgang zum ewigen Osten Das Aufnahmeritual führt den neuen Bruder symbolisch zum geistigen Licht. Das ist ein Weg von der äusseren Welt, die durch die physikalische Sonne erhellt ist. Das ist ein Weg nach Innen. Warum? Weil es um die eigene Erfahrung geht. Und zwar um die eigene Erfahrung von etwas, das nicht durch die äusseren Sinne vermittelt werden kann, sondern durch eine innere Erfahrung, die eine eigene, innere Gewissheit werden soll.

Nun gilt es zu unterscheiden: Beginnt der symbolische Weg um Hochmittag, so ist die halbe Wegstrecke, nämlich von Mittag bis Abend oder Sonnenuntergang, noch in der gemeinsamen Welt zurückzulegen. Die gemeinsame Welt ist also auch Unterweisung, ist auch Belehrung, nämlich vor allem zum Thema «Werden und Vergehen». Aus der Naturbeobachtung können wir bereits die Gewissheit von der ewigen Wiederkehr des Gleichen ableiten. Aus der Naturbeobachtung können wir auch den Gedanken der Wiedergeburt ableiten. Aber dieser abgeleitete Gedanke ist noch nicht erlebt. Er ist eben nur beobachtet und gedacht. Doch dieser gedachte Gedanke über Werden und Vergehen, über die Veränderlichkeit und Vergänglichkeit der sichtbaren Welt und die Frage nach dem, was unveränderlich in uns sei, das ist die Vorbereitung innerhalb der profanen Welt, die notwendig ist, damit ein Mensch sich auf die nächste Wegstrecke begeben will, nämlich jene der Dunkelheit, der Nacht, der Abwesenheit der Sonne und des äusseren Lichtes, um geführt vom inneren Licht, die Erfahrung zu machen, dass das Unvergängliche das innere Licht des Menschen ist.

Dieser Erfahrung weiht sich die Freimaurerei, indem sie die Möglichkeit einer solchen Erfahrung symbolisch einleitet.

Die Freimaurerei ist in diesem Sinne eine Nachfahrin der antiken Mysteriengemeinschaften Diese Mysteriengemeinschaften haben für ihre Mitglieder zeremoniell und rituell die Einweihung in die Gewissheit der seelischen Unsterblichkeit des Menschen praktiziert. Diese Gewissheit kann nur jeder für sich selber erlangen. Diese Gewissheit ist nichts, was sich wissenschaftlich beweisen lässt, entstammt nicht der Erfahrung der gemeinsamen Welt, ist nicht kollektiv vermittelbares Wissen. Sie ist einzig und allein eine persönliche, individuelle Erfahrungstatsache. Diese Gewissheit entstammt nur der Erfahrung der eigenen Welt. Und die eigene Welt ist der Bereich der eigenen, einmaligen, einzigartigen, nicht wiederholbaren, eben individuellen Wegbeschreitung. Die eigene Erfahrung führt zur Türe zum überindividuellen, allgemeingültigen Wissen. Nur mittels der eigenen Erfahrung kann diese Türe erreicht und dann auch durchschritten werden. Darüber kann man keine Vorlesungen abhalten. Das ist nicht verstandesmässig und logisch zu vermitteln. Dieses Wissen ist intellektuell. Dieses Wissen ist nicht wissenschaftlich im gesellschaftlichen, das heisst profanen Sinne. Dieses Wissen ist ein Wissen durch eigene Erfahrung. Wir nennen dieses Wissen Weisheit.

In den antiken Mysterien- und Einweihungsgemeinschaften wurden den Neophyten die Augen vielleicht gar nicht verbunden, sondern es wurde alles in der Nacht oder in einer Höhle in der Dunkelheit vollzogen oder in gewissen ägyptischen Initiationsritualen lag der Initiand bei einem bestimmten Grad der Einweihung in einem Steinsarg, solange, bis sich seine Seele aus dem Körper hinaus bewegte und er die Erfahrung von ihrer Existenz unabhängig vom Körper konkret machen konnte. Auf Grund dieses Sarges werden die Pyramiden, die solche Einweihungsorte waren, als Grabmäler missdeutet. Man muss sich dies aber so vorstellen: Durch die Pyramidenspitze verliess der Seelenvogel des Menschen die körperliche Welt auf ihrem initialen Erfahrungsweg in die Gewissheit nicht-körperlicher Existenz. Anschliessend kehrte die Seele in den Körper zurück.

Was ist das Ziel jeglicher Einweihung? Letztlich die Erfahrung: Ich existiere unabhängig von meinem Körper.

Hochmitternacht Die rituelle Arbeit endet symbolisch zur Zeit von Hochmitternacht. Nehmen wir die Mitternacht als die Mitte zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang, als die Mitte des Weges, den wir den unteren Lauf oder den Nachtlauf der Sonne nennen, so haben wir die Mitte zwischen Untergang oder Tod und Wiedergeburt der Sonne. Der abendliche Untergang der Sonne ist dann nicht das letzte Wort. Ihr täglicher Tod ist nur ein scheinbarer. Aber um Mitternacht hat die Sonne nach den Vorstellungen der antiken Mysterien den Drachen zu besiegen, der ihr Leben gefährdet. Er wird regelmässig besiegt. Nach diesem Sieg ist die Bahn der Sonne frei, dass sie den Menschen am Morgen wiederum von neuem aufgeht. Im Jahreslauf ist dieser Punkt am 21./22. Dezember, das Wintersolstitium, das Fest der unbesiegten Sonne. Im antiken Rom war das das Fest mit dem Namen «Sol invictus».

Der Meister vom Stuhl ist der Repräsentant der wiederaufgegangenen, das heisst der wiedergeborenen Sonne. Warum? Weil er im Osten sitzt und weil Osten der Ort des Sonnenaufganges ist.

Hochmitternacht ist der symbolische Zeitpunkt, an dem die zeremonielle Arbeit der Freimaurer endet. Das ist der Zeitpunkt des Sieges der Sonne. Das ist der Zeitpunkt der Erfahrung der unsterblichen Seele, die wiedergeboren wird oder reinkarniert werden kann. Bis hierher will der spirituelle Lehrgang in der Freimaurerei durch das Ritual führen.

Das Ritual führt nur bis zu diesem Zeitpunkt hin. Ein Ritual, das von Mitternacht zum Sonnenaufgang führt, würde eine höhere Einweihungsstufe beinhalten als sie in der Johannismaurerei vorgesehen ist.

Aber selbst das Ritual I der Freimaurerei kann uns mit dem Wissen darum konfrontieren, dass es eine noch viel höhere Einweihung gibt, als wir sie durchführen. Ich denke da etwa an das Aufnahmeritual der Loge «Wahrheit in Liebe» in Islikon, das aus der Loge «Zu den sieben Rosen» in Basel stammt. Da wird dem Neophyten gesagt, er werde auf den Gang der Sonne durch die Dunkelheit geführt, damit er einst selber Sonne werde.

Mit dieser Botschaft will ich meine Betrachtung über die Spiritualität in unserem Ritual und wie wir uns darauf sensibilisieren können, abschliessen. Dies allerdings nicht, ohne auch diese Aussage einer Exegese zu unterziehen.

Der symbolisch-rituelle Rahmen der freimaurerischen Zeremonie, Hochmittag und Hochmitternacht, steckt einen Erfahrungsbereich der Spiritualität ab, der mit der Gewissheit der Unsterblichkeit der Seele enden soll.

Dazu noch kurz folgende Ergänzung: Nicht nur Heraklit, den ich zitierte, sondern die Griechen der Antike insgesamt fassten die Nacht, in der die Menschen schlafen, als jenen Lebensbereich auf, der Sinnbild für das Jenseits ist, während der Tag, der durch die Sonne beschienen ist, das Diesseits darstellt. So stehen Jenseits und Diesseits in einer Polarität zueinander. Innerhalb dieser Polarität wird der Dualismus bewahrt, der darin besteht, dass die unsterbliche Seele das Ewige des ewigen Ostens noch nicht völlig erreicht hat. Innerhalb dieser Dualität wird die unsterbliche Seele ja wiedergeboren. Aber die Seele hat mindestens innerhalb dieser körperlichen «Stirb- und Werde»-Polarität die Gewissheit und das Wissen um ihre Unsterblichkeit erreicht.

Mit dem Wissen um die unsterbliche Seele ist Spiritualität erreicht Nun wissen aber die Freimaurer um einen noch höheren Grad des Wissens und der Weisheit, nämlich in der zitierten Aussage, es gelte, dereinst selber Sonne zu werden. Ich will dies erklären: Es gilt dann, nicht nur von unserem irdischen Standpunkt aus der Sonne nachzudenken, was sie wohl zwischen ihrem Untergang und ihrem erneuten Aufgang am nächsten Morgen erlebe, also sie als Wanderer durch die Dunkelheit zu denken, sondern selber Sonne sein bedeutet, sich mit der eigenen schöpferischen Kraft so identifizieren, so selber dieser unbesiegbare Sonnenheld zu werden, dass immer Licht herrscht, wo ich bin. Wo die Sonne ist, da ist immer Licht. Da gibt es gar keine Dunkelheit. Da ist die Polarität von Licht und Dunkel überstiegen. Wenn dieser Zustand erreicht ist, bin ich mit dem Ewigen Osten identisch. Lassen wir das Wort Osten jetzt weg, weil ich dann nicht mehr in den irdischen Kreislauf zurückkehren muss. Es heisst dann: Jetzt bin ich mit dem Ewigen identisch.

Ich behaupte nicht, die Freimaurerei führe uns dorthin – überhaupt nicht. Ich sage bloss: Innerhalb der Freimaurerei, wie das Ritual von Islikon uns aufzeigt, weiss man davon, worum es allerletztlich geht, nämlich selber Sonne zu werden, um damit jenseits der Spaltung von Licht und Dunkel, von Jenseits und Diesseits, jenseits aller Dualität zu leben, weil die Seele mit dem Einen identisch geworden ist.

Warum heisst es in unserem Ritual «Hochmitternacht », wenn es sich doch um die tiefste Stelle der Sonne auf ihrem 24-stündigen Lauf handelt? Hochmitternacht ist hohe Zeit für die Seele. Das ist ihre Hochzeit mit der vergänglichen, sterblichen Körperwelt.

Durch diese Untersuchung über die Grundgegebenheiten unseres Rituals gelange ich zu demselben Schluss wie Bruder Hans-Dieter Leuenberger in seinem Artikel in «Alpina» Nr. 1/2000. Darin fasst er in verdankenswerter Weise die Beiträge zum letztjährigen Studienthema zusammen und zwar unter dem Titel: «Wir können die Welt nicht verändern.» Er schliesst seinen Artikel so: «Was bleibt der Freimaurerei angesichts der uns über den Kopf wachsenden Probleme? Ein Bruder hat es in seinem Beitrag auf den Punkt gebracht: Das Ziel der freimaurerischen Arbeit ist die Verbesserung und Veredelung der eigenen Persönlichkeit... Das einzige, das zu verbessern in unserer Macht steht, das sind wir selbst. Wenn unser Beispiel ausstrahlt und andere Menschen sich ihm anschliessen, dann kann die Welt, die Menschheit sehr wohl etwas besser werden.»