Traktat: Die Loge zur Einigkeit und der Eklektische Bund zwischen 1900 und 1935: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 21. Februar 2017, 21:55 Uhr

Die Loge zur Einigkeit und der Eklektische Bund zwischen 1900 und 1935

Anne Eckerle, Hans Koller

Zum Umgang mit der NS-Zeit

Über diese schwere Zeit aus den Akten einer einzelnen Loge zu berichten, führt zu einer hohen Auflösung, die Details und Zufälle der Situation greifbar macht und uns das Handeln der Brüder in lebensnahen Zusammenhängen vorlegt. Die Entwicklungen in den deutschen Bundeslogen, der Großloge und dem Großlogenbund scheinen dabei in Form von Schriftwechsel, übergreifenden Aktionen und ständig begleitenden Bezugnahmen mit auf. Aus der Perspektive des Großlogenbundes treten die Besonderheiten zurück und werden überdeckt von der allgemeinen Tendenz des Zeitraums, über den wir berichten, der Anpassung an den Nationalsozialismus in Deutschland.

In dieser Spannung von Singulärem und Allgemeinem steckt eine historisch-methodische Aufgabe, die uns zu dieser Arbeit herausgefordert hat. Das Folgende bewegt sich deshalb auf zwei Ebenen: der Berichterstattung und der Kritik ihrer Interpretation.

Wir kommen zu dem Schluss, dass die Verantwortung von uns Späteren weiter reicht als üblicherweise beschrieben – und dass sie hoch aktuell ist.


Hinführung

Wir beginnen mit einer Unterscheidung:

  • 1. Das Engagement für die Aufarbeitung der Logengeschichte

entsteht aus der Betroffenheit der Nachgeborenen, und zwar über Beides, die historische Annäherung an den Nationalsozialismus und das Schweigen, das in maurerischer Absprache nach 1945 darüber gelegt wurde.

  • 2. Die Aufarbeitung ist eine wissenschaftliche Nachzeichnung des

Geschehenen und eine Auseinandersetzung mit den historisch Handelnden, in der es um deren Verantwortung für die Ereignisse geht.

Dabei ist das Engagement der Nachgeborenen an die Menschen der Jetzt- Gegenwart gebunden. Für (fast) alle gesellschaftlichen Felder liegen inzwischen Untersuchungen über die Entwicklungen zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg vor. Dabei war und ist das leitende Interesse neben einer redlichen Berichterstattung immer auf die Frage gerichtet: Wie können wir Heutigen die Verantwortung dafür übernehmen, dass eine ähnliche Situation nie wieder eintritt? Wir interpretieren die Fakten in unserer Sprache, in unseren Bedeutungsräumen, denn diese sind es auch, die wir im gegenwärtigen politischen Handeln und zur gesellschaftlichen Prävention einsetzen müssen (Interpretation ex post). Dabei ist die Chance zur Prävention (auch) davon abhängig, dass die Ursachen der Katastrophe gut verstanden wurden.

Die Auseinandersetzung mit den historisch Handelnden ist methodisch an ein anderes Vorgehen gebunden. Sie muss die hermeneutische Arbeit im Kontext der Damals-Gegenwart leisten und zu verstehen versuchen, wie Menschen zu ihren Meinungen und Taten kamen. Dabei geht es ebenso um die historischen Umgebungen für Sozialisation, Bildung und Erziehung (soziologische Aspekte) wie um die subjektiven Entscheidungen der vielen Einzelnen im Kontext und auf Grundlage dieser historischen Umgebungen (psychologische Aspekte). Wir interpretieren die Fakten daher nicht in unserer Sprache und deren Bedeutungsräumen, sondern wir begeben uns in die historischen Kontexte (Interpretation ex ante); denn diese sind es auch, die wir zur Erklärung und Zuweisung von Verantwortung an die Handelnden der Damals-Gegenwart einsetzen müssen.

Diese hermeneutische Arbeit ist Risiken „der ersten Art“ und „der zweiten Art“ ausgesetzt:

  • 1. Das Risiko der ersten Art besteht darin, dass die Öffentlichkeit und

die Logen in der Jetzt-Gegenwart die ausstehende Aufarbeitung anmahnen und die Verschleppung gegen den Anspruch der Freimaurerei wenden.

  • 2. Das Risiko der zweiten Art besteht darin, dass die öffentliche

Erwartung an die Ergebnisse der Auseinandersetzung einen Rahmen setzt, in dem die Interpretation ex post immer schon enthalten ist: Die historisch (falsch) Handelnden sind für die Katastrophe verantwortlich. Die methodisch gegenläufige Annäherung ex ante kann daher als ungebührliche Bereitschaft zum Verstehen der damals Handelnden statt als wissenschaftliche Notwendigkeit aufgefasst werden.

Das Risiko erster Art ist nach einer Reihe von einschlägigen Publikationen und zuletzt mit dem Band „Identität und Gedächtnis“ von Br. [[Hans- Hermann Höhmann]] geringer geworden. Mit klarer Sprache und sorgfältiger Dokumentation hat Br. Höhmann die Bewegungen innerhalb der deutschen Großlogen nachgezeichnet und damit der Öffentlichkeit ein verständliches, im Umfang zumutbares und allgemein erreichbares Werk zur Verfügung gestellt. Die aufgezeigten Strukturen sind repräsentativ. Die Dokumente des Archivs der Loge zur Einigkeit könnten seine Belege mit gleicher Tendenz vielfältig weiterführen und bestätigen.

Das Risiko zweiter Art ist Ausgangspunkt für unseren „methodischen Einwand“. Die nachfolgende Erörterung wäre uns kaum möglich, wenn nicht das Risiko erster Art gemindert wäre. Die Arbeit an Vertiefungen und Details wird dadurch erleichtert, dass sie in einem gültigen Gesamten verortet werden können. Daher hoffen wir, unsere Leser gelassen in eine „ex ante“ Perspektive mitnehmen und die Auseinandersetzung um persönliche Verantwortung von da aus prüfen zu können.

In den Akten unseres Archivs treten uns die Brüder der Damals-Gegenwart leibhaftig entgegen. Sie tragen die Verantwortung im Damals, aber wir haben ihnen gegenüber die Verantwortung im Jetzt.


== Das methodische Problem – Weiterführung einer Argumentation von Br. Höhmann ==

Br. Höhmann schickt seiner geschichtlichen Darstellung die Anmerkung voraus, dass wissenschaftliche Sorgfalt keineswegs den Verzicht auf moralisch begründete Urteile über das Gewesene verlange. „Gewiss gilt für den Betrachter immer ‚Ich weiß nicht, wie ich mich in der damaligen Situation verhalten hätte‘. Doch derartige Überlegungen sollten verhaltenskritischen historischen Reflexionen nicht im Wege stehen.

  • (1) Einmal bedeutet, nicht zu wissen, wie man sich selbst verhalten hätte,

keineswegs, dass man nicht wüsste, wie man sich hätte verhalten sollen.

  • (2) Zum anderen haben sich andere Teile der deutschen Gesellschaft und

auch der deutschen Freimaurerei anders, nämlich ablehnend gegenüber aggressiven, judenfeindlichen und zuletzt völkischen sowie nazistischen Strömungen verhalten. Und schließlich

  • (3) zeigen auch die Beispiele einer

Reihe anderer, ebenfalls von Kriegsfolgen und Weltwirtschaftskrise betroffener europäischer Länder, dass Krisenüberwindung ohne Verzicht auf Demokratie, gesellschaftlichen Pluralismus und Friedensorientierung möglich war – und wohl auch in Deutschland möglich gewesen wäre, wenn das deutsche Bürgertum über Kraft und Konzeptionen verfügt hätte, dies wirklich zu wollen.“ Unser Versuch, die Geschichte des Eklektischen Bundes aus der Perspektive ex ante nachzuzeichnen, wird besonders für Urteile entsprechend dem ersten Gesichtspunkt relevant sein. Im gleichen Zug ergeben sich aber Argumente, die auch die beiden anderen Gesichtspunkte mit betreffen.


Das „Völkische“ – ein Schlüsselbegriff der Argumentation

Ende des 18. Jahrhunderts nimmt das Interesse an historischen Forschungen über das Germanische/Deutsche zu. Sie beschreiben Überlieferungen, Bräuche, Entwicklungen der Sprache und des Rechts und tragen so die Inhalte eines kollektiven Bewusstseins zusammen, das sich politisch als „Kulturnation“ formiert und mental als „deutsche Volksseele“ oder „Volksgeist“.

Völkisch, volklich, Volkheit, Volksseele und Volksgeist sind zum Ausgang des 18. Jahrhunderts gängige Wörter.

Zunächst stand „Volk“ als Bezeichnung für die niederen Schichten neben „Nation“ (von natio - Geburt) für die gehobenen Schichten. Doch mit zunehmender politischer Bewusstheit einer über alle deutschen Staaten hinweg reichenden Gemeinsamkeit setzt sich die Eindeutschung durch und nimmt den politischen Gedanken auf: die Zugehörigkeit auf der Basis gleicher Abstammung. „Die Kategorie Volk wird zunehmend eine offensive Kategorie, mit der Identität weniger durch Abgrenzung als durch Zugehörigkeit (zu einer Erzählgemeinschaft, einer Volksgemeinschaft, einer Blutsgemeinschaft) gestiftet wird. Mit dieser neuen Offensivität … wird der Begriff gleichzeitig zu einer brisanten politischen Kategorie.“4 In einem modernen progressiven Sinn steht zu Beginn des 19. Jahrhunderts das Völkische dem Staatlichen gegenüber; der Begriff steht für die neue Macht, die überall in Europa den Fürsten entgegen tritt.

Während der napoleonischen Besetzung wird dieses Bewusstsein zur Aufgabe. Der völkische Gedanke entfaltet seine Kraft - und wird benutzt.

Scharnhorst schreibt 1807/08: „Man muss der Nation das Gefühl der Selbständigkeit einflößen, man muss ihr Gelegenheit geben, dass sie mit sich selbst bekannt wird, dass sie (sich) ihrer selbst annimmt; nur erst dann wird sie sich selbst achten und von anderen Achtung zu erzwingen wissen. Darauf hinzuarbeiten, dies ist alles, was wir können. Die alten Formen zerstören, die Bande des Vorurteils lösen, die Wiedergeburt leiten, pflegen und sie in ihrem Wachstum nicht hemmen, weiter reicht unser hoher Wirkungskreis nicht. … Es scheint bei der jetzigen Lage der Dinge darauf anzukommen, dass die Nation mit der Regierung aufs Innigste vereinigt werde, dass die Regierung gleichsam mit der Nation ein Bündnis schließt, welches Zutrauen und Liebe zur Verfassung erzeugt und in ihr eine unabhängige Lage wert macht.“