Traktat: Die drei Großen und Kleinen Lichter

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Traktat: Die drei Großen und Kleinen Lichter

Diese Seite ist eine Hommage an Peter Österreicher (1921 bis 2010). Er war unglaubliche 62 Jahre lang Mitglied der Loge ‚Zukunft’ der ‚Großloge von Österreich’. Schon mit 27 Jahren wurde er in diese Wiener Loge aufgenommen; er blieb ihr bis zu seinem Ableben treu. Brüder, die ihn gut kannten, beschreiben Peter Österreicher als eine herausragende Persönlichkeit mit einem bemerkenswerten Lebenslauf. Sie charakterisieren ihn als gütigen Menschen, der sehr von den Idealen der Freimaurerei durchgedrungen war. Unterstrichen wird das von der großen Zahl an freimaurerischen Schriften, Vorträgen, ja sogar Gedichten, die er hinterließ, wobei es ihm ein besonderes Anliegen war, seine Erkenntnisse und Erfahrungen an die nächsten Generationen weiterzugeben. Der folgende nur unwesentlich bearbeitete Text – ein Baustück (österreichisch für die masonische Zeichnung) von Peter Österreicher – ist dafür ein schönes und anspruchsvolles Beispiel.

Für das Freimaurer-Wiki dankt Rudi Rabe dem Nachlassverwalter für die Genehmigung, den Vortrag hier online zu stellen.

Während der Tempelarbeit aufgeschlagen: die drei „Großen Lichter“, also das sogenannte ‚Buch des geheiligten Gesetzes’ und darauf in der hier sichtbaren vorgegebenen Anordnung ein Zirkel und ein Winkelmaß. Das Buch kann die Bibel sein; das ist in Europa und Amerika die Regel. Es kann aber ebenso der Koran oder die Thora oder ein anderes „geheiligtes Buch“ sein: Die Freimaurerei schätzt Rituale, aber sie ist undogmatisch. Foto: Großloge von Österreich.
In jedem Freimaurertempel: die drei „Kleinen Lichter“. Das sind immer drei hohe Kerzenleuchter in der Mitte des Raums an drei ganz bestimmten Ecken des sogenannten ‚Tapis’ (‚Arbeitstafel’), so wie hier auf dem Bild aus dem Logenhaus Innsbruck (Foto: Theo Peer).
Rein äußerlich sind die drei Kleinen Lichter also größer als die drei Großen Lichter. Ist das ein Widerspruch? Nein, es zählt eben die symbolische Bedeutung und nicht der bloße Anschein.

Am Beginn steht ein Buch des berühmten Engländers Harry Carr

Der langjährige Sekretär und auch einstmalige Stuhlmeister der englischen Forschungsloge „Quatuor Coronati Nb. 2076“ in London, Harry Carr, hat vor einigen Jahren ein sehr bemerkenswertes, ja einzigartiges Buch herausgegeben, dessen Titel "The Freemason at Work" lautet. Wörtlich übersetzt: "Der Freimaurer bei der Arbeit". Nur ist in diesem Falle nicht die Arbeit im üblichen Sinne gemeint, also die Tempelarbeit, sondern die Lern- und Forschungsarbeit des einzelnen Freimaurers, der in die Königliche Kunst tiefer eindringen möchte, der die Zusammenhänge und Ursprünge ihrer so mannigfaltigen Gebräuche und Symbole besser verstehen lernen möchte.

Das Buch des Bruders Carr ist nicht eigentlich systematisch aufgebaut, sondern behandelt in recht bunter Folge Fragen, die sich dem Freimaurer, der sich für das Ritual und die Symbolik interessiert, von selbst aufdrängen. Viele dieser Fragen wurden tatsächlich von Freimaurern aus aller Welt beigesteuert, und so bestehen die Kapitel des Buches im Wesentlichen aus solchen Fragen und den Antworten, die Harry Carr im Rahmen seiner langjährigen weltweiten Korrespondenz als Herausgeber der Publikationen der "Quatuor Coronati Lodge" darauf angeboten hat, ohne jemals dogmatisch oder apodiktisch zu werden. Im Gegenteil, es werden auch Beiträge von Brüdern, die mit seinen Ausführungen nicht einverstanden waren, wiedergegeben und gewürdigt.

Wie kamen die drei Großen und Kleinen Lichter ins Ritual?

Aus dieser bunt zusammengewürfelten Sammlung von Fragen und Antworten habe ich nun, ebenfalls aufs Geratewohl, ein Kapitel herausgegriffen und zwar jenes, welches von den drei Großen und Kleinen Lichtern in der Freimaurerei handelt.

Die erste Frage, die in diesem Zusammenhang aufgeworfen wurde, lautete: Wie kamen die drei Großen und drei Kleinen Lichter in unser Ritual? Darauf die bemerkenswerte Antwort, dass in den ältesten erhaltenen Ritualniederschriften nur von "drei Lichtern" die Rede ist, nicht aber unterschieden wird in drei Große und drei Kleine Lichter, wie wir sie heute kennen.

Welches sind nun diese "ältesten erhaltenen Rituale?" Darauf müssen wir antworten, dass uns leider bis zum letzten Viertel des 18. Jahrhunderts hinsichtlich der in Anwendung gewesenen Rituale und Gebräuche nur zwei Arten von Quellen zur Verfügung stehen: die gedruckten sogenannten "Verräterschriften" und die handgeschriebenem sogenannten „Katechismen“.

Über die Rituale der Frühzeit gibt es nur wenige Quellen

Weder die erste Grossloge, gegründet 1717, noch die "Antients Grand Lodge" (die Grossloge der "Alten Maurer"), gegründet 1751, veröffentlichten jemals ein Ritual noch verliehen sie irgendeiner solchen Veröffentlichung ihre Anerkennung.

Wir wissen, dass schon geraume Zeit vor 1598 das Zwei-Grad-System in den Logen Schottlands fest etabliert war, obwohl wir erst aus dem Jahre 1696 detaillierte Angaben über Worte und Gebräuche im Zusammenhang mit den Zeremonien zur Verfügung haben. Von diesem Jahre an können wir uns auf vier handgeschriebene Texte stützen, die alle schottischen Ursprungs sind und unter dem Sammelbegriff "Gruppe der Edinburgh Texte" bekannt sind. Der bedeutendste ist das "Edinburgh Register House Manuscript“ aus dem Jahre 1696.

Aus dieser Gruppe von schottischen Texten geht hervor, dass man damals drei Lichter kannte, welche für den Meister, den Aufseher und den Gesellen standen. Das "Sloane Manuscript", um etwa 1700 zu datieren, spricht hingegen von Sonne, Meister und Winkelmass.

Einmal drei Lichter, ein anderes Mal gar zwölf Lichter

Übrigens sei hier zwischendurch angemerkt, dass diese verschiedenen Manuskripte, die alle erst im 19. Jahrhundert aufgefunden und meistens nach ihren Entdeckern benannt wurden, in England als "The Gothic Constitutions" oder auch "Old Charges" bezeichnet wurden, was weitgehend unserem Begriff der "Alten Pflichten" entspricht.

Texte aus den Jahren 1724 bis1726 geben eine Gruppe von zwölf Lichtern an, und zwar Vater, Sohn, Heiliger Geist, Sonne, Mond, Meister, Winkelmaß, Maßstab, Lot, Schnur, Hammer und Meißel. Diese Sammlung von zwölf Lichtern mit den entsprechenden zwölf symbolischen Gegenständen stellen wahrscheinlich alle Werkzeuge dar, die damals in den Ritualtexten der spekulativen Logen aufgezählt wurden. Auffallend ist, dass, obwohl das Winkelmaß angeführt ist, jeglicher Hinweis auf das Buch des geheiligten Gesetzes ("The Volume of Sacred Law", abgekürzt VSL ) und auf den Zirkel fehlt. Dies deutet darauf hin, dass die "drei Großen Lichter" in unserem heutigen Sinne damals noch nicht Eingang in das Ritual gefunden hatten.

Das Wort „Lichter“ bedeutete früher etwas anderes

Andererseits enthält das "Dumfries No. 4 Manuscript" (etwa 1710) Fragen, aus denen deutlich hervorgeht, dass das "Buch des geheiligten Gesetzes", das Winkelmaß und der Zirkel sehr wohl schon damals in Gebrauch standen, aber noch nicht als "Lichter" bezeichnet wurden.
Als Beispiel eine Stelle aus dem „Dumfries“:
Frage: Wie viele Säulen sind in der Loge? Antwort: Drei.
Frage: Welches sind diese? Antwort: Das Winkelmass, der Zirkel und die Bibel.

Wenn also Bibel, Winkelmaß und Zirkel einerseits schon zur Ausstattung der Loge gehörten, andrerseits aber noch nicht als "Lichter“ bezeichnet wurden, gab es doch unabhängig von ihnen "die Lichter" schlechthin, das heißt die drei Kerzen auf den hohen Leuchtern.

Von den ältesten Texten her, also von 1696 an, gab es Fragen über die Stellung dieser Lichter. Die gebräuchlichste Antwort war: Osten, Süden und Westen. In unseren „Katechismen“ lautet die Reihenfolge: Osten, Westen und Süden. Wir werden auf die Probleme, die sich aus diesen Zuordnungen ergeben, noch zurückkommen.

Auf die Frage, was "die Lichter" bedeuten, besteht Übereinstimmung in den Texten von 1730, nämlich in der "Verräterschrift" "Die zergliederte Freimaurerei" („Masonry Dissected"), verfasst von einem gewissen Samuel Prichard, und im "Wilkinson Manuscript". Die Antwort lautet in beiden Fällen: Sonne, Mond und Meister.

Diese "drei Lichter", die also um 1730 herum in allgemeinem Gebrauche standen, entsprechen unseren heutigen "drei kleinen Lichten", obwohl sie damals noch nicht so bezeichnet wurden. Die "Großen Lichter" waren als solche um 1730 ebenfalls noch unbekannt.

Erste Hinweise 1760 in einer sogenannten „Verräterschrift“

Dies blieb so bis zum Jahre 1760, als eine weitere „Verräterschrift“, nämlich „Three Distinct Knocks" ("Drei deutliche - oder starke - Schläge"), erschien. Zwei Jahre später folgte die Verräterschrift "J. & B.". Beide Schriften erfreuten sich großer Beliebtheit und wurden in ganz England weitgehend benützt, etwa so wie unsere heutigen „Katechismen“ oder andere "blaue Büchlein". In beiden Schriften tauchen nun plötzlich die Begriffe der "drei großen" und "drei kleinen" Lichter auf.

Ein Beispiel aus "Three Distinct Knocks":
MvSt. (Meister vom Stuhl): Nachdem Ihr das Licht bekamt, was sahet Ihr zuerst?
Antwort.: Die Bibel, das Winkelmaß und den Zirkel.
MvSt.: Was sagte man Euch, dass sie bedeuten?
Antw.: Die drei Großen Lichter in der Maurerei.
MvSt.: Erklärt dies näher, mein Brüder.
Antw.: Die Bibel, um unseren Glauben zu ordnen und zu regieren. Das Winkelmaß, um unsere Handlungen auszurichten. Der Zirkel soll uns in unseren Grenzen halten gegenüber allen Menschen, besonders aber gegenüber einem Bruder.
MvSt.: Was zeigte man Euch als nächstes?
Antw.: Drei Kerzen, die, so sagte man mir, die drei Kleinen Lichter in der Maurerei seien.
MvSt.: Was stellen sie vor?
Antw.: Sonne, Mond und Meister.
MvSt.: Warum dies, mein Bruder?
Antw.: Die Sonne regiert den Tag, usw.

Wir können also resümieren, dass die drei Kerzen, die später zu den "drei Kleinen Lichtern" wurden, von ältesten Zeiten an in Gebrauch standen. Bibel, Winkelmaß und Zirkel gehen wahrscheinlich ebenfalls auf alte Zeiten zurück, erlangten aber ihren Status als die "drei Großen Lichter" erst irgendwann zwischen 1730 und 1760.

Die Verwirrung mit den Himmelsrichtungen

Und nun zu dem bereits an früherer Stelle angedeuteten Problem, welches sich aus der Zuordnung der "drei kleinen Lichter" zu den Himmelsrichtungen Osten, Süden und Westen (laut englischem Ritual) bzw. Osten, Westen und Süden wie bei uns ergibt. Die Interpretation auf die Frage: "Was stellen sie vor?" lautet nämlich in beiden Systemen: "Die Sonne, den Mond und den Meister vom Stuhl", was aber offenbar mit den angegebenen Himmelsrichtungen nicht übereinstimmt.

In dem entsprechenden Kapitel von Harry Carr heißt es dazu: "In der Initiationszeremonie durchläuft der Kandidat, bevor er das Licht erhält, eine höchst eindrucksvolle und sorgfältig vorbereitete Prozedur, welche ihren Höhepunkt in dem Augenblick erreicht, da er, nach Ablegung des Gelöbnisses, zum ersten Mal die Loge erblickt. Unmittelbar darauf wird seine Aufmerksamkeit auf die "drei großen, wenngleich emblematischen Lichter" gelenkt, nämlich das Buch des geheiligten Gesetzes, das Winkelmaß und den Zirkel. Sie werden benannt und erklärt und dann wird in der korrekten Reihenfolge ihre Bedeutung erläutert: Die Bibel ordnet und richtet unseren Glauben, das Winkelmaß unsere Handlungen, und der Zirkel bestimmt unser Verhältnis zu allen Menschen, besonders zu einem Bruder. Hier kann es keinen Zweifel geben: Die Interpretation der drei Großen Lichter erfolgt in derselben Reihenfolge wie ihre Nennung.

Im Abstand von weniger als einer Minute wird nun der Kandidat mit den drei Kleinen Lichtern konfrontiert. In Analogie zur Erklärung der drei Großen Lichter wird ihm gesagt, sie stellen die Sonne, den Mond und den Meister der Loge vor. Also müsste der Kandidat schließen, das kleine Licht im Osten stelle die Sonne dar, jenes im Süden den Mond und jenes im Westen den Meister der Loge. Gleichzeitig aber sieht er, dass der Meister vor ihm im Osten steht, nicht im Westen. Und später, wenn die Loge geschlossen wird, hört er im englischen Ritual den ersten Aufseher auf die Frage nach seinem Platz in der Loge antworten: "im Westen ". Ein zweiter Widerspruch, denn zuvor hat er doch gehört, dass der Westen dem Meister der Loge zugeordnet ist. Gesehen hat er allerdings, dass der Meister vor ihm im Osten steht.

Letztlich war die Entwicklung widersprüchlich und uneinheitlich

Ich möchte jetzt nicht weiter in Einzelheiten eingehen, sondern nur das Wesentliche aus der Antwort Harry Carrs herausstellen, nämlich, dass die Zuordnungen keineswegs immer so waren, wie wir sie heute haben und dass sie auch heute von Lehrart zu Lehrart unterschiedlich sind.

Dabei gibt es auch rühmliche Beispiele dafür, dass die Zuordnungen tatsächlich mit der sichtbaren Position der Gegenstände bzw. Personen, der Interpretation übereinstimmen. So zum Beispiel in einer Variante des englischen "Emulationsrituals", die als "Logic Working" bezeichnet wird, wo es heißt: "im Süden, Westen und Osten". Harry Carr, dessen Mutterloge nach dieser Spielart arbeitet, beeilt sich jedoch zu versichern, dass er es nicht wagen werde, zu behaupten, seine Lehrart wäre die allein richtige und alle anderen falsch. Möglicherweise sei bloß zu empfehlen, dass in den Lehrarten, die etwa die Reihenfolge „Osten, Süden und Westen“ haben, erklärt werde, dass die drei Kleinen Lichter kollektiv Sonne, Mond und Meister der Loge darstellen, ohne eine ausdrückliche gegenseitige Zuordnung zu versuchen.

Er schließt mit der Feststellung, dass die Ritualien selbst nach der Standardisierung im Jahre 1813 (als sich bekanntlich die beiden rivalisierenden englischen Grosslogen der "Antients" und "Moderns" aussöhnten und zur "United Grand Lodge of England" vereinigten) noch anderes
 Widersprüchliches und Unlogisches enthalten. Trotzdem haben sich diese Ritualien seit 1813 über die Zeitläufe hinweg bewährt, weil die Brüder keinen allzu heftigen Eifer entwickelt haben, sie logisch zu machen. Wenn sie einmal von solchem Eifer ergriffen werden sollten, dann müssten die Ritualien so weitgehend geändert werden, dass von ihren alten Formen rein nichts mehr übrig bliebe. Und davor möge uns der Himmel bewahren!

Alles dies, meine Brüder, habe ich aus Harry Carr's Buch, aus unserem Freimaurerlexikon, unseren Katechismen und einigen anderen freimaurerischen Quellen zusammengetragen, um aufzuzeigen, dass unsere Ritualien Vieles enthalten, das zum Nachdenken anregt und dass es sich wahrscheinlich durchaus lohnt, solchen Fragen nachzugehen und dabei auf manches Faszinierende zu stoßen. Der Abstieg in die Tiefen der Symbolgehalte und Wortbedeutungen ist wohl am Anfang beschwerlich und oft scheinbar nicht vielversprechend. Aber es liegt darin ein großer Schatz des Wissens, der Einsicht und der Weisheit verborgen. Er wird sich jedem Suchenden lauteren Sinnes gewiss dereinst erschließen. So kann das "Zusammengelesene" eines Tages zur "Lese" im wahren Sinne des Wortes werden.

Bruder Peter: Persönliche Reflexionen zu den drei Kleinen und Großen Lichtern

Gestattet mir, dass ich jetzt noch einige eigene Gedanken zu den drei Kleinen und Großen Lichtern vortrage.

Es gibt so etwas wie eine "esoterische Tradition", auf die wir immer wieder stoßen, wie weit wir auch in der Geschichte zurückgehen. Wir finden ihre, Zeugnisse in den neolithischen Kultstätten wie zum Beispiel Stonehenge bei Salisbury in England oder in den Externsteinen bei Horn im Teutoburger Wald; ebenso in den Tempeln und Pyramiden Ägyptens und vor allem in der Geschichte der inneren Lehren aller Hochreligionen, die in erstaunlichem Masse miteinander in Einklang stehen.

Ein Aspekt dieser esoterischen Tradition, welcher hier herangezogen werden soll um den Gegenstand unserer heutigen Betrachtung zu erhellen, ist die Vorstellung von den "Entsprechungen", wonach sich der geheime innere Zusammenhang aller Dinge in sinnlich wahrnehmbarer oder gedanklich erfassbarer Weise manifestiert.

lm "Corpus Hermeticum" des Hermes Trismegistos (bei den Ägyptern als der sagenhafte Priesterkönig Toth bekannt) heißt es: "wie oben, so unten, wie innen, so außen". Und an anderer Stelle sagt Trismegistos zu seinem Schüler Asklepios: "Weißt Du nicht, oh Asklepios, dass Ägypten das Bild des Himmels und das Widerspiel der ganzen Ordnung der himmlischen Angelegenheiten hienieden ist?". Nach der Lehre von den Entsprechungen existieren die Dinge und ereignen sich die Vorgänge, mit denen wir Menschen uns auseinander zusetzen haben, auf vielen Ebenen gleichzeitig – wenn es statthaft ist, diese Erkenntnis in die Kategorie der Zeit zu übertragen.

Die Kleinen Lichter bedingen die Großen Lichter

So betrachtet verlangen die „Kleinen Lichter“ geradezu nach einer Entsprechung auf höherer Ebene: eben die "Großen Lichter". Die Kleinen Lichter, das sind Sonne, Mond und Meister der Loge. Zwei Himmelskörper, der materiellen Welt angehörend und ein Mensch, gleichfalls Bewohner der mit Sinnen und Verstand erfassbaren Welt.

Da die Freimaurerei ein Lernprozess ist, können wir annehmen, dass die „Kleinen Lichter“ etwas symbolisieren, das wir lernen sollen, zunächst auf unterster materieller Ebene, an Hand von Objekten, die sichtbar im Raum vor uns stehen: Drei Kerzenleuchter im unmittelbaren Gesichtsfeld; weiters im Wege der Interpretation zwei Himmelskörper, derer wir in unserer täglichen Erfahrung unzählige Male ansichtig werden; und schließlich ein Mensch, der leibhaftig vor uns steht oder, wenn wir wollen, der Begriff irgend eines Menschen in besonderer Funktion, aber ebenfalls im Bereich möglicher Erfahrung.

Die beiden Himmelskörper, mit denen wir es hier zu tun haben, erfüllen aber darüber hinaus auch eine ganz besondere Funktion: Sie sind unsere Zeitmesser, gleichermaßen die Zeiger einer großen Weltenuhr. Die Sonne zeigt uns nicht nur den Tagesablauf, sondern auch den Ablauf des Jahres an, wenn unser Planet einen Umlauf um sie vollendet. Der Mond unterteilt das Jahr in Monate, wenn er seinen Umlauf um die Erde vollendet, und mittels seiner Phasen zerteilt er jeden Monat noch einmal in vier Wochen. Dass das Wort "Monat“ mit "Mond" verwandt ist, bedarf wohl keines besonderen Nachweises. Deutlicher tritt dies noch im Serbischen zutage, wo der Ausdruck für Mond und Monat gleich ist, nämlich "mesec"; ebenso trifft dies auch auf das türkische Wort "ay" und das persische Wort "mah" zu. So weisen uns also Sonne und Mond auf die zweite Kategorie unserer Sinnenwelt hin: auf die Zeit. Wir sollen in der Welt von Raum und Zeit lernen, drei Ideale anzustreben: Weisheit, Schönheit und Stärke.

Von der stofflichen Kleinen Lichtern in die geistige Welt der Großen Lichter

Diesen drei Idealen, die wir im Alltag verwirklichen sollen, entsprechen nun drei Prinzipien im geistigen Bereich, die gleichsam als ihre übergeordneten, überzeitlichen oder außerzeitlichen Quellen angesehen werden können: Die Tugend der Gerechtigkeit (das Winkelmaß ordne und richte unsere Handlungen); die Tugend der Menschenliebe (der Zirkel bestimme unser Verhältnis zu den Menschen); und der aus der Übung dieser beiden Kardinaltugenden erwachsende Glaube (das Buch des geheiligten Gesetzes ordne und richte unseren Glauben). Man kann die Dreiheit „Weisheit, Stärke und Schönheit" auch mit "Glaube, Hoffnung und Liebe" gleichsetzen, wie es im englischen Ritual auch tatsächlich als "Faith, Hope und Charity" zum Ausdruck kommt.

Auch entspricht diese Lektion in der Freimaurerei den zwei ersten Stufen des Yoga, welche lauten: "Yama" - innere Reinigung, entsprechend den Zurufen "Erkenne Dich selbst" und "Beherrsche Dich selbst" und "Niyama" - das "Studium heiliger Bücher", entsprechend dem Zuruf "Veredle Dich selbst".

Und weiter geht es in noch höhere Räume der Hierarchie des Geistes, wenn wir daran denken, dass das "kleine Licht“, welches der Suchende nach dem Gelöbnis erhält, als das "Licht der Natur", also die Vernunft, den Wandel des Maurers auf irdischer Ebene symbolisch begleitet, während das "große Licht" auf etwas hindeutet, das er erst erfahren kann, wenn er die irdische Ebene verlassen hat. So wie er bei der symbolischen Erteilung des großen Lichtes alle Brüder in einer Kette vereint sieht, so mag er dereinst, wenn er in das wahre "große Licht" eingeht, alle Dinge der Welt im weitesten Sinne in ihrem wahren, verborgenen Zusammenhang erfahren, der ihm auf irdischer Ebene ein Geheimnis bleiben musste, das er nicht lüften konnte. Aber dem er sich ehrfürchtig, gleichsam mit verbundenen Augen, zu nähern trachtete.

Zum Schluss eine Ermunterung zum Weiterdenken

Mit dieser höchst persönlichen, keinerlei Anspruch auf objektive Wahrheit oder allgemeine Gültigkeit erhebenden Betrachtung möchte ich nur noch meine Hoffnung verbinden, dass recht viele Brüder, insbesondere unsere jüngeren Brüder, jeder in seiner individuell vorgezeichneten Weise, den Zugang zu den inneren Pforten im Tempel der Freimaurerei suchen und finden mögen.

Wer einmal auf diesem Wege ist, wird darauf immer weiter schreiten, und das ist es, worum es in Wirklichkeit in der Königlichen Kunst geht: UNTERWEGS BLEIBEN!

Harry Carr, "The Freemason at Work“: Das von Peter Österreicher als wichtigste Grundlage seines Vortrags zitierte Buch kam zum ersten Mal 1976 heraus, und dann in einer überarbeiteten Fassung noch einmal 1992. Das Buch enthält mehr als 200 Fragen und Antworten. Es hat 405 Seiten und wird bei Amazon neu oder second hand angeboten und mit dem folgenden Text beworben:

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„This is one of the most successful Masonic Publications in recent times due to the immense knowledge of the late Harry Carr and his entertaining writing style. If you enjoy your masonry then this book will bring a new delight to all that you see and hear in lodge. When Harry Carr became secretary and editor of the Quatuor Coronati Lodge of Research, the answering of lodge questions became a major part of his duties. In a style that became a hall mark of all his masonic writing, he always answered a little more than the original question. In response to hundreds of requests from all over the world, the answers he gave to questions during his twelve years office as editor of Quatuor Coronati Transactions have been collected together in this book. Only the best and most interesting subjects are included and every question will be relevant to most brethren in the course of their work in the lodge. Hence the title ‚The Freemason at Work’. This book was substantially revised by Frederick Smyth, the eminent Masonic author and Past Master of Quatuor Coronati Lodge, in 1992; bringing the text right up-to-date for much had change since the book was first published in 1976. This is a book to be treasured, one that will provide a wealth of knowledge in an easy to read style. A collection of more than 200 questions with comprehensive answers to all manner of masonic subjects.“

Der Text von Harry Carrs Buch kann auch im Netz gelesen werden. Die freimaurerische Online-Bibliothek ‚Phoenixmasonry’ aus den USA bietet es online an: hier.

Weitere Literaturhinweise von Peter Österreicher zum Thema:
Lennhoff-Posner-Binder: "Internationales Freimaurerlexikon"
August Horneffer: "Katechismen"
Edouard Schure: "Les Grands Inities"
Jean Chevalier - Alain Gheerbrant: "Dictionnaire des Symboles"
Marie-Madeleine Davy: "Encyclopedie des Mystiques"

Siehe auch