Traktat: Rainer Hubert - Freimaurerei: Versuch einer Beschreibung

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Dieses Traktat ist ein interessanter Versuch, das flüchtige Wesen der Freimaurerei zu beschreiben. Wir entdeckten ihn im Katalog des Freimaurermuseums Rosenau aus dem Jahr 2005. Geschrieben hat es Rainer Hubert, ein Bruder in der Loge ‘Libertas’ der Großloge von Österreich.

Rudi Rabe dankt dem Autor für die Genehmigung, seine Reflexionen in das Freimaurer-Wiki übernehmen zu dürfen.

Traktat: Rainer Hubert - Freimaurerei: Versuch einer Beschreibung

Könnte es sein, dass die Freimaurerei gar nicht existiert? Ist sie vielleicht eine geschickt ersonnene Fiktion aus einem Roman von Umberto Eco oder Robert Anton Wilson, eine literarische Erfindung, wie es - vielleicht - einst die Rosenkreuzer waren, eine Fiktion mit der Eigenschaft, sich selbst zum Faktum zu machen?

✿ Die schillernde Vielzahl einander widersprechender Vorstellungen

Solche Überlegungen sind nicht nur vom literarischen Spiel mit der Verschwörungstheorie, mit Templern, Freimaurern und Illuminaten beeinflusst, sondern auch vom Umstand motiviert, dass in der Öffentlichkeit die unterschiedlichsten, einander oft aufs absurdeste widersprechenden Ansichten über die Freimaurerei zusammenstellen ließen: die Freimaurerei als immens mächtige geheime Organisation mit Fingern in allen politischen und wirtschaftlichen Suppen, als harmlos-veraltete Vereinsmeierei, die Freimaurerei als Gegenkirche, als jüdisch-bolschewistische oder -kapitalistische Verschwörung, als kindische Selbstinszenierung nur scheinbar Erwachsener oder auch als Satansbruderschaft.

Selbst wenn man die offenkundig unseriösen Meinungen beiseite tut, ist die Bandbreite dessen, was über die Freimaurer und ihren Bund gesagt wird, ungewöhnlich breit. Diese Unklarheit übt dabei einen gewissen Reiz aus; die schillernde Vielzahl einander widersprechender Urteile wirkt provozierend, und die Geheimhaltung, die zurecht oder zu Unrecht mit ihr assoziiert wird, gibt ihr für viele Betrachter einen geradezu obszönen Haut gout.

Freimaurerei ist so ein Thema, das Interesse weckt, das neugierig macht und zu sensationellen Enthüllungen und Interpretationen herausfordert, auch wenn diese "Sensationen", näher betrachtet, enttäuschen und nichts oder wenig mit dem Phänomen der Freimaurerei zu tun haben.

Gewiss trägt die geringe Öffentlichkeitsarbeit der Freimaurer selbst, gerade in Österreich, einen Teil der Schuld an dieser Situation. Dieses unklare Erscheinungsbild der Freimaurerei ist dabei aber nicht nur Ergebnis dieser Verschlossenheit, auf deren Gründe noch näher einzugehen ist, sondern auch strukturell bedingt, das heißt, dass es sich bei der Maurerei um eine Sache handelt, über die man schwer objektiv berichten und diskutieren kann, weil ihr eigentlicher Inhalt das Erleben der einzelnen Freimaurer ist. Wer ein Erlebnis von außen schildert, bleibt an der Oberfläche, wer es von innen darzustellen versucht - und vor diesem Problem steht auch der Autor - kann nicht distanziert und objektiv sein, sosehr er sich darum bemüht.

Darin liegt auch eine der Hauptschwierigkeiten, wenn man die Freimaurerei zum Gegenstand einer Ausstellung macht: Man zeigt allerlei seltsame Objekte, von denen viele schön, formal und kunsthandwerklich interessant, historisch bedeutsam sein mögen, die das eigentliche Phänomen aber nicht erklären. Das ist etwa so, wie wenn jemand, der nie Musik gehört hat, durch eine Ausstellung von Musikinstrumenten geführt wird: worum es bei dem ganzen eigentlich geht, wird ihm, unklar bleiben.

✿ Freimaurerei als Erlebnis

Die häufigen Fehleinschätzungen der Freimaurerei haben unter anderem den Grund, dass man über Erlebnisse schwer adäquat berichten kann. Wer von einem faszinierenden Frühlingsspaziergang durch einen Wald zurückkehrt, wird Schwierigkeiten haben, Zuhausegebliebenen eine Vorstellung vom Reiz dieser Tour zu geben. Ein schriftlicher Bericht darüber ist - wenn einem nicht gerade dichterische Fähigkeiten zu Gebote stehen - noch schwieriger. Das Wesentliche ist in diesem Fall, selbst den Wald, den Frühling, zu erleben, und ähnlich ist es mit den freimaurerischen Ritualen und Arbeiten: die Beteiligung, das selbst-Mittun ist das wichtigste. Von außen betrachtet ist die masonische Arbeit eine komplexe Interaktion von Personen, die verschiedene Funktionen ausüben und sich bestimmter Regeln bedienen, ohne dass der Sinn des Ganzen offensichtlich wäre. Den daran Teilnehmenden hingegen erscheint sie sinn- und bedeutungsvoll.

Freimaurerei ist nicht geheim, aber sie ist privat

Dieses Geschehen im Tempel ist keine religiöse Zeremonie, kein Kult, sondern eine Art von geistig-spiritueller Übung, von der die Beteiligten glauben, dass sie ihnen bei ihrer Persönlichkeitsentfaltung hilft. Ob dies stimmt, bzw. in welchem Ausmaß dies zutrifft, ist eine andere Frage. Jedenfalls ist es keine Sache, die für Zuschauer gedacht ist. Wenn ältere Leute gymnastische Übungen durchführen, kann dies für Betrachter lächerlich wirken und hat doch für die Übenden einen guten Sinn. Darin liegt ein wesentliches Motiv dafür, warum die Freimaurer im geschlossenen Kreis arbeiten, nicht, weil es so schrecklich geheim wäre, was im Maurertempel geschieht: Wer sich ernstlich dafür interessiert, findet in den großen öffentlichen Bibliotheken die kompletten Texte der Rituale, Aufschluss über Symbole, über masonische Organisationsformen usw. Die maurerische Arbeit ist nicht geheim, sondern sie ist privat. Wenn man sich vornimmt, an sich selbst zu arbeiten, kann man das nicht vor Publikum durchführen, und sei dieses auch wohlgesinnt. Ein solches Beginnen ist privat wie das Gespräch mit dem Arzt, die Beichte, das vertraute Gespräch im Freundeskreis.

Wenn dennoch immer wieder von einem „Geheimnis der Freimaurerei" die Rede ist, so ist damit nicht irgendwelches Geheimwissen, irgendwelche esoterischen Schätze, gemeint, sondern eben der Umstand, dass man Freimaurerei adäquat nur begreift, wenn man sie selbst ausübt. Es ist dies eine Problematik der Optik, die ja auf vielen Gebieten auftritt, oft aber nicht in ihrer ganzen Schwere erkannt oder akzeptiert wird. Es ist etwas ganz anderes, ob man z. B. wissenschaftliche Schmerzforschung betreibt, oder ob man selbst Schmerzen hat. Der Schmerzforscher mag noch so viel über das Phänomen des Schmerzes wissen, - er bleibt doch an der Außenseite des Phänomens und vermag die Innenseite erst wahrzunehmen, wenn er selbst Schmerzen hat.

Erlebnisse prägen; sie üben oft stärkere Wirkung als Wissen und Vorsätze. Im Alltag des Menschen geben oft weniger rationale Erwägungen als persönliche Erfahrungen, Eindrücke, bildhafte Vorstellungen und Assoziationen den Ausschlag. Es ist daher nicht ausreichend, nur den Verstand zu schulen.

Die Freimaurerei wirkt also, freilich in einer etwas anderen Art, als meist angenommen wird. Sie wirkt nicht als Kollektiv, als Verein, sondern sie wirkt auf den einzelnen Freimaurer, und durch den einzelnen Freimaurer.

Wirksame Selbsterziehung ist nie öffentlich

Die geistigen Übungen, die das masonische Ritual ausmachen, zielen darauf ab, dass der einzelne Bruder an sich selbst arbeitet. Er ist der „rauhe Stein“, den er bearbeiten muss. Das Ziel ist dabei ein durchaus konkretes: Der Maurer soll im Alltag humaner agieren. Ob dies nun erreicht wird oder nicht, - es ist jedenfalls der Sinn der masonischen Bemühungen. Die Loge ist eine Art Übungsstätte für den Alltag, keineswegs ein Wolkenkuckucksheim, in das man sich verkriecht, um die böse Welt zu vergessen. Die Rituale dienen dazu, die daran Teilnehmenden sensibler zu machen und es ihnen zur Gewohnheit werden zu lassen, in humanen Bezügen zu denken. Die Loge ist ein Modell der Welt, und das Verhalten in der Loge soll ein Training für das Verhalten in der Welt sein. Diese Intention wird freilich oft nicht oder in nicht befriedigendem Ausmaß erreicht.

Freimaurerei ist eine bestimmte Methode der Selbsterziehung, ein geistiges Handwerk. Sie ist Methode, - eine Methode unter vielen, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sie ist kein Heilsweg, keine Königsstraße zum richtigen Verhalten. Sie ist ein Weg unter vielen möglichen. Wenn man diesen Weg wählt, muss einem die Methode, die sie hat, liegen. Wenn daher jemand neu beitreten möchte, ist neben anderem eben auch darauf zu achten, ob den Kandidaten ihre widerspruchsvolle Mischung von Rationalismus und Symbolik anspricht, ganz abgesehen vom Bekenntnis zu Menschlichkeit und Toleranz. Vielen Menschen sind andere Wege adäquater, und man kann glücklicherweise auf sehr verschiedene Weise ein humaner Mensch sein. Um die freimaurerische Methode mit Erfolg anwenden zu können, muss man außerdem wohl ein "Suchender" sein, also jemand, der mit sich und für seine Mitmenschen etwas tun will, jemand der aktiv sein und über die bloße Bedürfnisbefriedigung hinausgehen möchte. Man muss etwas wie einen spirituellen Mangel fühlen, der nach Gleichgesinnten, nach anderen Suchenden, und nach humanen Aufgaben suchen lässt.

✿ Die Inhalte der Freimaurerei

Es war schon viel die Rede vom humanen Verhalten, von Menschlichkeit und Arbeit an sich selbst. Das sind vielgebrauchte, vielleicht auch stark abgebrauchte Formulierungen, die phrasenhaft anmuten. Man muss versuchen, näher zu beschreiben, was darunter im Sinne der Freimaurerei zu verstehen ist.

Immer schon hat die kritische Analyse für die Freimaurer eine wesentliche Rolle gespielt. Die Welt soll mit Mitteln des Verstandes ausgelotet werden. So gesehen stehen die Logen in der Tradition des Rationalismus und der Aufklärung. Sie haben ihre Rolle in der Entwicklung des modernen aufgeklärten Weltbildes gespielt. Es wäre aber ein großer Irrtum, zu glauben, dass damit die Bemühung des Freimaurers um Aufklärung schon erschöpft wäre. Aufklärung ist nicht etwas, das ein für allemal erworben wird und das dann unangefochten seinen Bestand hat. Wir merken dies gerade heute allerorten. Neben den äußeren Bedrohungen, denen Aufklärung zu allen Zeiten ausgesetzt ist, kommt jene innere Dynamik von Aufklärung, jene Gefahr ihrer Verdünnung, ihres Umkippens ins Gegenteil, die Horkheimer und Adorno so eindrucksvoll und drastisch beschrieben haben: Den Weg von der Vernunft zur Rechenhaftigkeit, vom Sinn zum Nutzen, zur Zerstörung der Qualitäten, zur Entfremdung von der Natur und zur völligen Abstraktion.

Freimaurerei will den Verstand mit dem Fühlen und Erleben verbinden

Deswegen ist es so wichtig, dass in der Maurerei mit Symbol und Ritual versucht wird, Verstand an Fühlen und Erleben zu binden. Das Menschenbild der Freimaurerei wird nicht allein vom Verstand definiert wird, ja es wird überhaupt nicht definiert; jeder muss für sich mit Hilfe seines kritischen Verstandes und unter Verwendung der geistigen Werkzeuge, die Symbol und Ritual darstellen, darüber nachdenken. Symbole sind dabei nicht einfach Zeichen, die man vereinbart hat und deren Inhalt genau angegeben werden kann. Symbole komprimieren wie Modelle komplexe Grundgegebenheiten der Welt und des Lebens und drücken sie in einer Weise aus, die die Sinne, das Gefühl, das ästhetische Empfinden anspricht. Wenn man sich mit ihnen beschäftigt, so haben sie eine sehr konkrete, sehr individuelle, sehr verbindliche Aussage.

Das Instrumentarium von Symbol und Ritual bezieht den Menschen in seiner Ganzheit ein: dass also der Mensch nicht nur ein Denkender, sondern auch Fühlender, Schauender, Hörender ist. In der Loge werden diese Seiten des Menschen durch Worte, durch Zeichen und Objekte und Geräusche angesprochen und geübt. Die Maurerei zielt so auf den ganzen Menschen.

Trotz, oder vielleicht auch gerade wegen ihres kritischen Rationalismus, enthält die Maurerei auch das Wissen, dass der Mensch mehr ist als sein Verstand. Das alle masonischen Vorstellungen zusammenbindende Bild vom "Tempel Salomos", den es zu errichten oder wiederzuerrichten gilt, bringt dies vielleicht am besten zum Ausdruck: es ist ein gemeinsames Werk der Freimaurer, ja eigentlich aller Menschen; die Menschen werden hier als kreative, an Schönheit und Weisheit orientierte Wesen aufgefaßt, die nicht den Himmel stürmen wollen - wie dies beim Gegenbild des "Turmbaus zu Babel" der Fall ist -, sondern dem Menschen ein menschliches Haus schaffen möchten.

Dies ist aber kein Programm, dass sich allein mit dem Verstand bewältigen ließe. Es bedarf einer Vernunft, die Verstand und Gefühl, Analyse und Intuition in einer fruchtbaren Spannung integriert. Der Turmbau zu Babel scheitert im Chaos und in Sprachverwirrung, weil die Bauleute rein verstandesmäßig miteinander kommunizieren. Die Freimaurer meinen, dass ihr Tempelbau einer solchen Gefahr nicht unterliegt, weil neben den verbalen Informationsaustausch auch die brüderlichen Gefühle füreinander treten. Zeichen, die vom Herzen kommen. ermöglichen eine Verständigung, wenn Worte nicht mehr durchdringen.

Bilder und Gleichnisse können prägender sein als Worte

Die Maurerei schafft mit ihren Symbolen und den rituellen Abläufen im Tempel konkrete Modelle, Bildwelten, gleichnishafte Eindrücke, die prägender sein können als verbale Appelle. Sie können für den einzelnen Bruder verbindlicher sein als ein bloß verbaler Verhaltenskodex. Sie definieren nichts und geben doch Richtungshinweise. Sie wirken nicht nur auf den Verstand, sondern sprechen den ganzen Menschen an.

Ritual und Symbole sind verbindlich - und doch nicht eindimensional, sondern sehr differenziert, etwa in dem Sinn, in dem ein guter Roman mehr ist und weit vielschichtiger ist, als die kurze Zusammenfassung seiner "Aussage", seines "Anliegens". Aus diesem Grund ist der ständige Bezug der Freimaurerei auf ihre Steinmetztradition nicht Verbrämung, sondern etwas Zentrales: sie bedient sich der Formen dieses Handwerkes, um Modelle der Welt und des Arbeitens in ihr zu haben, - Modelle, die durch ihre Schönheit, Vielschichtigkeit, Funktionalität so eindrucksvoll sind, dass sie die einzelnen Freimaurer besonders verpflichten, besonders motivieren und aktivieren.

✿ Die historische Entwicklung der Freimaurerei

Die masonischen Rituale und die Symbole, die den Freimaurertempel zieren, wurden nicht erst vor kurzem ausgedacht und zusammengefügt, sondern sie haben sich innerhalb einer langen Tradition entwickelt. Sie reichen tief in Zeiten zurück, die von ganz anderen Vorstellungen geprägt waren als die letzten zwei, drei Jahrhunderte. Diese Formen aus einer vor-cartesianischen Zeit, die gleichwohl in vieler Hinsicht den Weg des neuzeitlichen Weltbildes ebnen halfen, sind in gleichem Maße wertvoll wie Gebäude aus diesen frühen Jahrhunderten.

In den alten Bauhütten also wurde unter Beachtung bestimmter Formen über die Schöheit des zu errichtenden Baus, über das Zusammenwirken der Bauleute nachgedacht und technische Fertigkeiten und ästhetische "Geheimnisse" und Lebensregeln weitergegeben. Die einzelnen Abschnitte des Lebensweges wurden feierlich überhöht, um dem einzelnen Bruder zu Bewusstsein zu führen, dass das, was er tut und erlebt, von Belang ist und von ihm Bedacht verlangt. Die Stufen des Lernens wurden zelebriert - vom Lehrling zum Gesellen, vom Gesellen zum Meister. Vor allem aber der Beginn, der Eintritt in die Gemeinschaft der Bauenden, die Reception, die die Form einer Initiation hatte.

Man könnte diese rituellen Abläufe mit einer Theateraufführung ohne Zuschauer vergleichen, bei denen jeder Anwesende aktiv mitwirkt und eine bestimmte Rolle zu erfüllen hat. In diesem Rahmen wurden zum Beispiel die damals in Handwerksberufen üblichen tatsächlichen Gesellenreisen gleichnishaft im Tempel wieder vollzogen und dabei feierlich überhöht: bestimmte Prüfungen, Erfahrungen, Erlebnisse und Lehren wurden den auf diesen symbolischen Reisen mitgegeben, damit der Lehrling, der Geselle, bei seiner Beförderung und Erhebung in höhere berufliche Sphären nicht nur äußerlich, beruflich, vorankäme, sondern sich auch innerlich fortentwickle und veredle.

In der Freimaurerei überdauerten alte Lehr- und Lernrituale

Diese spezifische Metaphorik ging am Ausgang des Mittelalters nahezu überall zugrunde und wurde eigentlich nur in England tradiert, wo sie allmählich eine Veränderung erfuhr: aus der Gemeinschaft von tatsächlichen Bauleuten, die ihre praktische Tätigkeit ideell zu vertiefen trachtete, wurde allmählich eine Vereinigung von Leuten unterschiedlichster Herkunft und Profession, die fanden, dass die Rituale der Bauhütten eine allgemein-menschliche Bedeutung hatten und als Werkstätte für alle Menschen taugten.

Dieser Übergang von der sogenannten „operativen“ zur „spekulativen“ Freimaurerei vollzog sich im Laufe des 17. Jahrhunderts, also einer Epoche, die man als Inkubationszeit des modernen wissenschaftlich-technischen Zeitalters bezeichnen könnte. Gerade am Beginn des Zeitalters der Aufklärung fand die Maurergemeinschaft, die so sehr Traditionen und alten esoterischen Denkweisen verbunden war, von England aus eine reissende Verbreitung. Ein wesentlicher Grund dafür war wohl die schon in den alten Ritualen enthaltene Interpretation des Menschen als einen gemeinschaftlich Bauenden. Da die Logen vom Gedanken des gemeinsamen Baus durchdrungen waren, erschien diese Gemeinsamkeit des Arbeitens viel wichtiger als alle Unterschiede der Beteiligten; als Bauende waren sie Gleiche unter Gleichen. So implizierten die Bauhütten jene Toleranz, die im 18. Jahrhundert allerorten expressis verbis zum Ausdruck kam. Die Logen waren folglich ein Hauptbegegnungsort von Angehörigen verschiedenster Stände und unterschiedlicher Religionen - und auch ein Vehikel der Emanzipation von Unterdrückten und An-den-Rand-Gedrängten. Die Toleranzidee, der Gedanken der Menschenbrüderschaft und die hohe Rolle des kritischen Verstandes, der überkommene Vorurteile auflöst, standen im Mittelpunkt der meisten Bauhütten.

Wesentlich erscheint mir auch, dass in der Zeit der Aufklärung als Ergänzung der rituellen Arbeit sogenannte „Zeichnungen oder Baustücke“, also Vorträge einzelner Brüder über bestimmte Themen, in vielen Logen Einzug fanden. An dieser Entwicklung war die Wiener Loge "Zur wahren Eintracht" gegen Ende des 18. Jahrhunderts mit ihren "Übungslogen" bahnbrechend beteiligt. Auch heute werden in vielen Bauhütten - so etwa in Österreich - solche Baustücke im Rahmen der Logenarbeit gehalten. Nach der Arbeit und nach dem Brudermahl - der "Weißen Tafel" - erfolgt die Diskussion dieses im Tempel gehaltenen Vortrages.

✿ Freimaurerei als Wagnis

Die masonische Vernunft, die Verstand und Gefühl, Ratio und Intuition integriert, ist dabei ein Ideal, dem man sich realiter nicht leicht und mühelos annähert, - wenn überhaupt. Auch die Brüderlichkeit der Freimaurer ist leicht zu fordern und schwer zu verwirklichen.

Nach dem vorhin über den Tempel Salomonis und den babylonischen Turm Gesagten dürfte aber verständlich sein, dass die Konzeption der Freimaurerei als Bruderschaft nicht zufällig ist, sondern ein notwendiges Erfordernis. Die besondere Atmosphäre, in der man zusammenkommt, vertrauensvoll und freundschaftlich miteinander umgeht, ist unter anderem auch modellhaft zu verstehen: ein solches brüderliches Verhalten wird im Tempel gleichsam geübt und soll auch im Leben zur Gewohnheit werden.

Eine Kunst, die nicht immer glückt

Nicht immer glückt das freimaurerische Anliegen - und wohl selten in einem Ausmaß, das zufriedenstellt. Es ist ja überhaupt so, dass Freimaurerei in vielfacher Weise mißglücken kann - die Logen können in sich zerfallen, Mitglieder können, von allen weisen Gleichnissen und Regeln unbeeinflußt, menschlich versagen, Bauhütten in vereinsmeierischer Kleinkariertheit versinken und so fort.

Freimaurerei ist eigentlich immer eine Art von Wagnis und gleicht keineswegs einem Unternehmen, dessen Fortgang sicher vorhersagbar ist. Sie ist keine Rechenaufgabe, die stets aufgehen muss, kein Experiment, das stets gleiches Ergebnis hervorbringt. Sie ist eben eher eine Kunstfertigkeit, ja der Kunst selbst zu vergleichen, die glücken kann, aber nicht muss, - ebenso, wie auch ein Leben sinnvoll geraten oder scheitern kann.

Die Bezeichnung der Freimaurerei als einer „königlichen Kunst“, die sie mit der Alchemie teilt, hat damit zu tun - und mit der Herkunft aus den Bauhütten der mittelalterlichen Kathedralen. Diese Benennung deutet weiters an, dass der maurerische Weg unter anderem ein ästhetischer ist, der die Wirkung bestimmter Symbole auf das Augen und Ohr des Menschen einbezieht, - und dass er mit dem kostbarsten Material arbeitet, das es gibt, - mit dem Menschen und am Leben des Menschen.

Da die Freimaurerei, wie gesagt, den Menschen möglichst unreduziert, möglichst umfassend sehen und verstehen will, gehört dazu, dass der Mensch sterblich ist und dass er Anlage zum Guten wie Bösen besitzt. Die Problematik des Todes wird daher im Ritual in einer Form behandelt, die jeden Bruder persönlich und individuell mit der Tatsache seiner Sterblichkeit konfrontiert und ihn auffordert, dem in seiner Weise Rechnung zu tragen.

Das masonische Ritual führt dem einzelnen Bruder auch nachdrücklich zu Bewusstsein, wie leicht er Opfer von Unrecht und Inhumanität sein kann, und zeigt ihm zugleich, dass er selbst es sein könnte, der Unrecht tut, - dass er also potenziell Opfer und Täter sein kann. Es ist nicht angenehm und bequem, diese Abgründe in sich selbst auszuloten, doch um sie zu vermeiden, ist es wesentlich, sie zu kennen.

✿ Die Umsetzung des masonischen Anliegens

Es gehört wohl zur Eigendynamik jeder Art des Zusammenschlusses, die eigene Rolle zu positiv zu sehen und in der Selbstanalyse nicht kritisch genug vorzugehen. Sicherlich kann sich dem auch die Maurerei nicht entziehen, obwohl die kritische Nabelschau eine masonische Veranstaltung ist, die sich ständig auf dem Programm befindet. Die eigentlich kardinale Frage dabei, - ob die Freimaurerei in der Regel dem ihr Angehörenden einen wirksamen und erkennbaren humanen Impetus verschafft -, lässt sich zwar heiß diskutieren, aber kaum ernsthaft beantworten, denn solche Evaluierung hängt zu sehr vom verwendeten Maßstab und persönlichen Erfahrungen ab.

Es gibt nicht die eine, sondern viele Freimaurereien

Immer wieder Kritik innerhalb und außerhalb des Bundes der Freimaurer findet der Umstand, dass es nicht eine, sondern mehrere "Weltfreimaurereien" gibt. Ich spiele damit insbesondere auf das Konzept der sogenannten Regularität an, also den Unterschied zwischen der "englischen" und der "französischen" Freimaurerei. Nahezu alle Großlogen und Logen gehören einer der beiden genannten Spielarten an, die sich inhaltlich und stilistisch nicht unbeträchtlich unterscheiden.

Anfechtbarer als die inhaltlichen Gegensätze scheint mir dabei, dass nicht trotz Unterschieden ein brüderliches Zusammenwirken gefunden werden konnte, - etwa in dem Sinne, dass Unterschiede auch eine Bereicherung darstellen können. Während die von der „Vereinigten Großloge von England“ als Muttergroßloge abhängenden Großlogen traditionelle rituelle Formen strenger übernehmen und insbesondere die Bibel als Zeichen der geheiligten Tradition und Weisheit als Symbol im Tempel verwenden, wird dies bei den Großlogen, die sich an den „Grand Orient de France“ angeschlossen haben, nicht getan. Abgesehen von solchen allgemeinen Unterschieden ist der Stil der Maurerei von Land zu Land sehr unterschiedlich, auch die soziale Zusammensetzung der Logen und der geistige Inhalt der Arbeiten.

Von ‘blauen’ und ‘roten’ Systemen

Wenn man von der Verwirklichung der masonischen Ideen heute spricht, muss man auch erwähnen, dass das Gedankengut der Maurerei in den drei Graden der Johannesmaurerei und den weit zahlreicheren Graden der Hochgradmaurerei umgesetzt wird. Diese Hochgradsysteme und die dreigrädige Maurerei stehen dabei nicht im Gegensatz, sondern ergänzen einander. So ist etwa beim "Alten und angenommenen Schottischen Ritus", dem wichtigsten Hochgradsystem, die Mitgliedschaft in einer "blauen", das heißt in den drei sogenannten „Johannisgraden“ arbeitenden Logen, Voraussetzung. Der Ausdruck "blaue Freimaurerei" für die dreigrädige Johannesmaurerei und "rote Freimaurerei" für die Hochgradmaurerei bezieht sich auf die in diesen Systemen dominierenden symbolischen Farben.

Was aber ist der Sinn dieser Differenzierung? Nun, die ursprüngliche Einteilung in die Grade Lehrling, Geselle und Meister dient dazu, den Lebensweg in Erkenntnisstufen aufzuteilen. Jede Entwicklung, insbesondere jede Persönlichkeitsentwicklung, braucht Zeit und vollzieht sich Schritt für Schritt. Diese Art des menschlichen Fortschrittes wird durch die Gradeinteilung unterstützt. Das masonische Denkgebäude kann nun in die drei klassischen Grade oder in mehr und kleinere Stufen aufgeteilt werden, - und dies ist die Erklärung der vielen Grade.

Allerdings können die drei ursprünglichen Grade niemals wirklich überwunden werden, sondern sie kehren auf höherer Ebene immer wieder. Man hört nie auf, Lehrling zu sein und es besteht immer von neuem die Möglichkeit, einen weiteren Schritt nach vor zum Gesellen und Meister zu machen, um doch, von höherer Warte aus betrachtet, Lehrling zu bleiben. Der Weg des Maurers ist in diesem Sinn nie zu Ende, und die Hochgrade sind kein Gegensatz zu den ursprünglichen Graden, sondern ihre Ergänzung und weitere Interpretation.

Freimaurer und Freimaurerinnen

Besondere Kritik findet heute der Umstand, dass Freimaurerei - zumindest bis in die unmittelbare Gegenwart - eine reine Männersache geblieben ist. Tatsächlich scheint mir durchaus diskutierbar, ob Maurerei nur als Männerbund sinnhaft ist. Dies ist wohl nicht der Fall. Die in Symbol und Ritual entworfenen Inhalte sind allgemein-menschlicher Natur und nicht geschlechtsspezifisch.

Die Umsetzung der maurerischen Ideen lässt sich sowohl in reinen Männerlogen, wie Frauen- und gemischten Logen denken. Tatsächlich gibt es Freimaurerei heute - auch in Österreich - in allen diesen drei Formen. Die Atmosphäre einer reiner Männergruppe, einer reinen Frauengruppe und die einer gemischten Loge werden dabei sicherlich unterschiedlich sein, doch vermutlich dürfte es sich dabei um bereichernde, ergänzende Unterschiede handeln.

Wahrscheinlich ist dabei für eine Frauenloge der Umgang mit der masonischen Tradition und manchen masonischen Formen, die eben von Männer geprägt wurden, nicht problemlos, doch handelt es sich dabei um ein sehr allgemeines Problem, das ja für weite Teile des kulturellen Erbes überhaupt gilt. Es scheint mir wichtig, dass die erwähnten drei Modelle miteinander koexistieren, wenngleich offizielle Beziehungen zwischen ihnen nicht bestehen. Eine reine Männer- oder Frauenloge ist meines Erachtens nicht als diskriminierend anzusehen, solang sie eben nicht in Gruppen- und Geschlechtschauvinismen verfällt.

Über die Außenwirkung der Freimaurerei

Wenn nun schon ganz pragmatisch von verschiedenen Erscheinungsformen heutiger Maurerei die Rede war, so muss die Frage nach der Wirkung des Freimaurerbundes nochmals gestellt werden. Die Rolle der Loge und des masonischen Rituals für die Persönlichkeitsentwicklung des einzelnen Bruders wurde schon erwähnt und in diesem Zusammenhang auch festgestellt, dass die Wirkung nach außen nicht kollektiv erfolgt, sondern durch den einzelnen Bruder. Diese Behauptung lässt sich dabei an Hand der Inhalte der Freimaurerei sicherlich belegen, doch schließt das nicht aus, dass darüber hinaus oder auch im Gegensatz zum eigenen Programm doch eine gemeinsame Außenwirkung der Logen gegeben wäre. Das ist ein häufiger Vorwurf, der nicht immer nur polemisch gemeint ist.

Sie wirkt nicht als Kollektiv, sondern nur auf den einzelnen Bruder

Hier muss man nun zwei Dinge säuberlich trennen: Es lässt sich nicht ausschließen, dass zum Beispiel durch eine Diskussion an der "Weißen Tafel" über ein bestimmtes Thema die Meinungen der daran teilnehmenden Brüder stark verändert wird und die Meinungsänderung dann außerhalb des Tempels ihre Wirkung hat oder dass sich Menschen auf dem Boden der Freimaurerei kennen lernen und sich diese Kontakte auch außerhalb fortsetzen. Das verhindern zu wollen, wäre ebenso unsinnig wie unmöglich. Jedes Kaffeehausgespräch kann in ähnlicher Weise Wirkung haben, jede Freundesrunde, jeder Verein, die Familie.

Falsch ist hingegen die Annahme, dass sich etwa eine Loge darauf einigen könnte, in irgendwelchen wirtschaftlichen oder tagespolitischen Angelegenheiten eine konzertierte Aktion zu starten. Dies ist nicht nur durch verschiedene Regeln der Maurerei untersagt - etwa das Verbot, über Parteipolitik zu reden -, sondern insofern schwer möglich, weil die Bauhütten aus sehr unterschiedlich orientierten Personen zusammengesetzt sind, - unterschiedlich, was die Weltanschauungen, politischen Orientierungen, Religionsbekenntnisse, Interessen, ja auch das Lebensalter betrifft. Diese meist eher ausgeprägten Individualisten zum Beispiel zu einer einheitlichen politischen Linie zu bringen, ist daher geradezu aussichtslos. Dass Einzelne die Maurerei als Deckmantel verwenden oder dass vielleicht einmal auch eine Loge durch irgendwelche Umstände in ein anderes Fahrwasser gerät, lässt sich natürlich nicht völlig ausschließen, ebensowenig wie dass etwa ein Polizist stiehlt.

Die verpönte Geschäftsmaurerei

Die in der Öffentlichkeit oft angestellten Spekulationen, dass Zugehörigkeit zu den Freimaurern Vorteile in Bezug auf Karriere und Geschäft bringe und es sich eben um ein „Netzwerk“ wie viele andere handele, können nicht einfach vom Tisch gefegt werden: das ist für viele wohl ein wichtiger Aspekt – und zugleich ein klarer Missbrauch der Maurerei, ein Widerspruch zu ihrem eigentlichen Sinn. In der Regel finden allerdings „Geschäftsmaurer“ bald, dass sie für ihre „Interessen“ anderswo besser bedient sind. Denn der spezielle Zuschnitt freimaurerischer Arbeit fördert beruflich-materiellen Ehrgeiz nicht gerade. Die Atmosphäre der Loge ist darauf angelegt, geistige und ethische Belange über materielle Interessen und eine materialistische Orientierung zu stellen und Selbsterkenntnis zu erleichtern. Alles in der Bauhütte und im Ritual dient dazu, einem die eigenen Motive und Antriebe besser erkennen zu lassen und darüber auch mit den Mitbrüdern freier zu sprechen, als dies andernorts üblich und möglich ist. Ein bloßer an „Verbindungen“ Interessierter sollte sich dabei bald in peinlicher und exponierter Lage finden. Immerhin, - ganz ausschließen lässt sich eine solche missbräuchliche Verwendung der Maurerei, wie gesagt, nicht.

Eine andere, allen vereinsartigen Verbünden inhärente Gefahr ist das Abgleiten in Vereinsmeierei und kleinkarierte Wichtigmacherei einzelner oder vieler ihrer Mitglieder. Auch davor ist die Maurerei nicht gefeit. Ein solches Versanden kann nur immer wieder auf Neue bekämpft, aber nicht ein für allemal überwunden werden.

✿ Die Öffentlichkeitsscheu vieler (österreichischer) Freimaurer

Ein guter Teil der Verdächtigungen, die die Maurerei betreffen, sind wohl von der Verschlossenheit veranlasst, die die Brüder und Logen gewöhnlich an den Tag legen. Zwar wurde schon gesagt, dass es sich nicht eigentlich um eine geheime, sondern geschlossene und private Gesellschaft handelt, doch betrifft die "Zugeknöpftheit" der Maurer ja nicht nur das rituelle Geschehen im Tempel, sondern geht darüber hinaus und verbirgt insbesondere die Zugehörigkeit zum Bunde selbst. Die Folge sind immer wieder Spekulationen in der Öffentlichkeit, dass eine bestimmte Person "dabei" sei, eine andere auch, eine dritte ebenfalls und so weiter.

Dazu ist nun zu sagen, dass Öffentlichkeitsscheu keineswegs ein allgemein-masonisches Signum ist. In den angelsächsischen Ländern etwa ist von solcher rigoroser Verschlossenheit keine Rede. Es steht außer Zweifel, dass besonders in Österreich die Freimaurer das Licht der Öffentlichkeit noch mehr scheuen als sonstwo. Das hat freilich Gründe, die in den historischen Erfahrungen der Maurer in unserem Lande begründet sind.

Nachwirkende Erinnerungen an Metternich und die Nazis

Die masonische Geschichte Österreichs ist eigentlich eine Kette von Verfolgungen und Unterdrückungen: Schon die erste Loge in Österreich - "Aux trois canon" - wurde im Jahr 1743, ein Jahr nach ihrer Gründung, auf Befehl der Kaiserin Maria Theresia ausgehoben (obwohl deren Gemahl, Franz Stephan von Lothringen selbst Freimaurer, ja der erste gekrönte Monarch überhaupt war, der dem Bunde angehörte). Wenige Jahre später, in den siezbiger und achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts, blühten die Logen neu auf. In dieser Zeit fungierten die Wiener Bauhütten als eine Art Akademieersatz und als ein Zentrum aufklärerischen Denkens.

Schon von Joseph II. reglementiert, erfolgte unter Franz II. in den neunziger Jahren das Verbot der Maurerei. In den folgenden Jahrzehnten bis 1848 bestand keine Maurerei in Österreich. Für die Metternich'schen Geheimpolizisten stellten dennoch gerade "maurerische Umtrieben" ein besonderes Feindbild dar.

Während der Revolution von 1848 gab es kurz eine Loge, die nach der Niederschlagung der Revolution wieder zu Bestehen aufhörte. Erst mit dem Beginn der Demokratisierung der Monarchie ab 1867 waren wieder Voraussetzungen für Logengründungen gegeben, - allerdings nur im ungarischen Teil der Monarchie. Die Wiener Freimaurer hatten daher bis 1918 ihre „Grenzlogen“ im grenznahen ungarischen Raum, vor allem in Pressburg (heute Bratislava). Noch immer befand sich die Maurerei in halber Verbannung, Beamte musste per Eid versichern, ihr nicht anzugehören.

In diesen Jahrzehnten mussten die Logen eine besondere Selbstdisziplin in Bezug auf die Öffentlichkeit lernen. Neben dem Unwillen des Staates selbst, die Freimaurerei, die de facto bestand, auch wirklich anzuerkennen wie jeden anderen Verein, gab es immer wieder Angriffe verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, um die Jahrhundertwende insbesondere von Klerikalen, später vor allem durch völkisch-nationale Kreise.

Nach 1918 konnte sich die Freimaurerei einige Jahre hindurch ungestörter Existenz erfreuen, doch schon 1934 griff der autoritäre Staat wieder ins Logenleben ein, und mussten Beamte aus den Logen austreten, um nicht ihre Arbeit zu verlieren. 1938 schließlich wurden die Logen vom Nationalsozialismus, der sie als einen Hauptfeind ansah, brutal und sofort zerschlagen. Unzählige Freimaurer wurden in der Folge von dem Unrechtsregime verfolgt und ermordet.

Nach diesem Abriss der jüngeren Geschichte dürfte klar sein, dass ein solcher Hintergrund Auswirkungen hat und auch auf die heutige Freimaurergeneration mitprägend wirkt. Zwar wird im Freimaurermuseum Schloss Rosenau bei Zwettl seit vielen Jahren versucht, über die Maurerei zu informieren, und es gibt auch eine recht große Literatur zu diesem Thema in den Buchhandlungen, aber Vorurteile bestehen weiter. So könnten immer noch viele Freimaurer berufliche Nachteile erleiden, würde ihre Mitgliedschaft bekannt. Sicherlich ist dies kein idealer Zustand, und es ist wohl zu wünschen, dass die masonische Verschlossenheit einmal aufgegeben werden kann. Wahrscheinlich wird dies aber noch einige Zeit dauern.

Freimaurerei als karitative Einrichtung

In den Kontext des Verhältnisses des Bundes zur Öffentlichkeit gehört auch, dass Freimaurer immer karitative Unternehmungen unterstützt und betrieben haben, ohne dass davon viel gesprochen wurde. Dies galt insbesondere für die Frühzeit der industriellen Revolution, als keine oder kaum sozialpolitische Netze zur Verfügung standen und Kirche und Private einsprangen.

Im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert gab es in Österreich eine große Zahl von masonischen Wohltätigkeitseinrichtungen und –initiativen. Für diese Fülle sei als Beispiel nur das erste österreichische Findelkinderasyl im Kahlenbergerdörfl genannt, das bis in die dreißiger Jahre betrieben worden ist.

Sozialpolitische Reformen, an denen auch viele Freimaurer – wie Ferdinand Hanusch und Julius Tandler – beteiligt gewesen sind, haben „Wohltätigkeit“ im alten Sinn zurück treten lassen. Immer noch sind aber viele Logen bemüht, in Not Geratenen oder an den Rand Gedrängten beizustehen. Neben der humanitären Selbstverständlichkeit dessen ist das auch für die Freimaurerei selbst wichtig. Die konkrete Bemühung, zu helfen, bindet die Brüder an die reale Situation hier und jetzt. Das kann verhindern, dass bei der Bemühung um Menschlichkeit, Menschenbrüderschaft und andere hehre, aber ferne Ziele der ganz konkrete Mensch nebenan vergessen wird.

Ein letzter nicht unwichtiger Aspekt der Umsetzung der Freimaurerei heute ist ihre altersmäßige Zusammensetzung. Wenngleich sicher der größte Teil der Mitgliedschaft, bzw. jener Brüder, die auch regelmäßig am Logenleben teilnehmen, "mittleren" Lebensaltern zuzuzählen ist, sind doch auch junge Menschen, ab Mitte Zwanzig, ebenso in den Bauhütten vertreten wie alte und ganz alte. Dies ist in vieler Hinsicht, zum Beispiel auch bei Diskussionen, wichtig und zeitigt positive Ergebnisse. Die Freimaurerei ist auch ein Ort der Begegnung zwischen jung und alt.

✿ Von der Widersprüchlichkeit und Aktualität der Freimaurerei

Die Freimaurerei wurde von mir als Wagnis bezeichnet und als eine Sache, die glücken kann, aber nicht muss. Dies trifft dabei meiner Meinung nach nicht nur im kleinen Maßstab zu, indem eben eine bestimmte Loge oder Großloge besser oder schlechter den masonischen Idealen nachstreben kann, sondern auch im Großen: Nicht für jede Generation, nicht in jeder Zeit, kann sich die Freimaurerei gleich günstig entfalten. Das hängt von den äußeren Verhältnissen ab, also dem Maß an Liberalität im eigenen Land, und von der Ernsthaftigkeit ihrer Mitglieder, besonders aber auch von der allgemeinen Zeitcharakteristik, also welche Probleme und Aufgaben der jeweiligen Epoche gegeben sind.

Die Freimaurerei hat sich im ausgehenden 18. Jahrhundert, im Zeitalter der Aufklärung, als ungemein funktionell erwiesen. Ihre Methode konnte damals besonders nutzbringend angewendet werden. In den darauf folgenden Zeitperioden war dies nicht mehr im gleichen Ausmaß der Fall. Ich halte es für möglich, dass in unserer Gegenwart und unmittelbaren Zukunft das masonische Instrumentar wieder besondere Attraktivität und Funktionalität gewinnt.

Gerade ihre Widersprüchlichkeit, ihr Rationalismus verbunden mit ihrer spezifischen Esoterik, die sich in Symbol und Ritual manifestiert, ihre Verbindung von Ratio und Gefühl, scheint mir geeignet, vielen Menschen Orientierungshilfe in einer sehr schwierige Lage zu geben: Die Entwicklung, die mit der Begründung der modernen Wissenschaft und Technologie sowie des aufgeklärten Denkens im 17. und 18. Jahrhunderts eingeleitet wurde, hat großartige Resultate gezeitigt, doch wissen wir heute, dass wir für sie einen sehr hohen Preis zahlen, einen Preis, der bald zu hoch sein wird, oder vielleicht jetzt schon zu hoch ist.

Was also ist zu tun, wie also kann man eine Kurskorrektur vornehmen und von der geradezu manischen Instrumentalisierung der Natur und des menschlichen Verstandes wegkommen, ohne deshalb die aufgeklärt-humanistischen Grundlagen, auf denen wir stehen, aufzugeben? Darauf kann es wohl keine einfachen und leichten Antworten geben. Die Freimaurerei hat dabei überhaupt keine Antworten, kann sie gar nicht haben. Sie besitzt aber Werkzeuge, Methoden, Modelle, die nicht-reduktionistisch sind und die sich für verführerisch einfache, einseitige Lösungen nicht eignen. Sie könnten hilfreich sein, wenn man versucht, einen Bau, der immer mehr dem Turmbau zu Babel gleicht, in ein menschliches Maß zu bringen.

Literatur (Auswahl/Stand 2005))

  • Balasz, Eva H. u. a. (Hrsg.), Beförderer der Aufklärung in Mittel- und Osteuropa. Freimaurer, Gesellschaften, Clubs (Studien zur Geschichte der Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa 5), Berlin 1987
  • Biedermann, Hans, Das verlorene Meisterwort. Bausteine zu einer Kultur- und Geistesgeschichte des Freimaurertums, Wien 1986
  • Bokor, Charles von, Winkelmaß und Zirkel. Die Geschichte der Freimaurer, Wien 1980
  • Dierickx S. J., Michel, Freimaurerei. Die große Unbekannte, Hamburg, 3. Aufl. 1975
  • Frick, Karl R. H., Die Erleuchteten. Gnostisch-theosophische und alchemistisch-rosenkreuzerische Geheimgesellschaften bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, Graz 1973
  • Frick, Karl R. H., Licht und Finsternis. Gnostisch-theosophische und freimaurerisch-okkulte Geheimgesellschaften bis an die Wende zum 20. Jahrhundert, Graz 1978
  • Kuess, Gustav, und Bernhard Scheichelbauer, 200 Jahre Freimaurerei in Österreich, Wien 1959
  • Lennhoff, Eugen, Die Freimaurer, Wien 1930
  • Lennhoff, Eugen und Oskar Posner, Internationales Freimaurerlexikon, Wien 1932 (Reprint Wien 1975)
  • Lindner, Erich J., Die königliche Kunst im Bild. Ikonographie der Freimaurerei, München 1927
  • Mellor, Alec, Logen, Rituale, Hochgrade. Handbuch der Freimaurerei, o. O. 1985
  • Mellor, Alec, Unsere getrennten Brüder die Freimaurer, Graz 1964
  • Naudon, Paul Geschichte der Freimaurerei. Berlin 1982
  • Österreichische Freimaurerlogen. Humanität und Toleranz im 18. Jahrhundert, Katalog des Österreichischen Freimaurermuseums, Schloss Rosenau bei Zwettl, Wien 5. Auflage 1987
  • Reinalter, Helmut (Hrsg), Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, Frankfurt 1983
  • Verbotene Freimaurerei 1848-1918, Katalog zur Sonderausstellung 1978/79, *Österreichisches Freimaurermuseum Schloss Rosenau bei Zwettl, 1978
  • Zirkel und Winkelmaß. 200 Jahre Große Landesloge der Freimaurer. Katalog der 86. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Wien 1984
  • 250 Jahre Freimaurerei in Österreich. Katalog der Sonderausstellung 1992/93 des Österreichischen Freimaurermuseums, Schloss Rosenau bei Zwettl, Wien 1992
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