Traktat: Walter Plassmann: Corona - Reifeprüfung nicht bestanden

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Reifeprüfung nicht bestanden

Von Br. Walter Plassmann

Die Corona-Pandemie nähert sich ihrem Ende. Unsere Gesellschaft hätte manches besser machen können – und auch wir Freimaurer. Lernen wir daraus, denn dies war nicht die letzte Prüfung für uns.

Die Pandemie zerbröselt. Wer erwartet hatte, dass sie mit einem Schlag als „freedom day“ endet, wird ebenso enttäuscht wie derjenige, der auf eine ordentliche „Abwicklung“ gehofft hat. Die verhängten Einschränkungen lösen sich auf, bevor sie aufgehoben werden, und die immer verzweifelter klingenden Statements der Politiker können nicht mehr verdecken, dass sie genau wissen, wie ihnen gerade die Macht zwischen den Fingern zerrinnt.

„Europa lockert – Deutschland streitet“ titelte die Süddeutsche Zeitung. Fürwahr: während unsere näheren und entfernteren europäischen Nachbarn erkannt haben, dass es keinen Grund mehr gibt für Grundrechtseinschränkungen, hält Deutschland tapfer Kurs. Kleinbonum mitten in Europa.

Damit begleiten politische Fehler auch das Ende der Pandemie – wie wir es in den vergangenen beiden Jahre erleben mussten. Völlig unnötigerweise ist unserer Wirtschaft ein schwerer Schlag versetzt worden – vor allem dem für uns überlebenswichtigen Mittelstand –, und die Gesellschaft ist in einer Art und Weise auseinandergetrieben, wie es seit den Studentenunruhen Ende der 60er Jahre nicht mehr der Fall war. Nötig war das nicht. Es waren vor allem zwei Fehler, die die Bemühungen der Politik, die Bürger vor einem neuen Virustyp zu beschützen, diskreditiert haben. Zum einen verharrte die Kommunikation zwei Jahre lang auf einem schrillen, teilweise hysterischen Kurs. Keine Gefahr war zu groß, keine Erwartung düster genug, als dass sie nicht zur Legitimation von Einschränkungen herhalten konnte. Nichts von den Schreckensszenarien ist eingetreten – und so wandten sich die Bürger zunehmend ab von den Cassandras.

Walter Plassmann

Zum anderen wurde die Impfkampagne nachgerade systematisch vor die Wand gefahren. Impfen schützt Menschen mit einem geschwächten Immunsystem. Doch anstatt diese simple Tatsache in den Mittelpunkt der Kampagne zu stellen, wurde das Impfen absurd überhöht. Da schwadronierte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther davon, Impfen sei eine „absolute Bürgerpflicht“, während der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gleich einen „Corona-Patriotismus“ empfahl. Wie man es besser machen kann, bewiesen viele andere Völker, beispielsweise die Spanier. Sie behielten die Ruhe, obwohl es auf der iberischen Halbinsel im Gegensatz zu Deutschland Anfang 2020 in der Tat zu einer Überforderung des Gesundheitswesens gekommen war – weil die Versorgungs-Strukturen dort deutlich schwächer ausgebildet sind. Trotzdem ging die spanische Gesellschaft das Impfen ganz ruhig und simpel an: es wurde strikt nach Alter geimpft.

Beginnend mit den über 80jährigen, erhielten die Bürger Einladungen zum Impfen. Wenn sie die nicht wahrnahmen, kamen zweite und dritte Einladungen. Es gab keine absurden Priorisierungsdebatten wie hierzulande. Noch wichtiger war, dass die Impfung positiv verkauft wurde. Jeder freute sich, wenn er diesen individuellen Schutz erhalten hatte. Und so nahm man auch Wartezeiten in Kauf, die hierzulande in der Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gemündet hätten. In Deutschland dagegen waren die ersten Spritzen gerade gesetzt, da begann schon das Expertengezänk über die Frage, wann eine ausreichende Impfquote erreicht wäre. So war das Impfen von Anfang an mit Druck belastet, es war eine Pflicht und keine Freude, es war Dienst am Vaterland und nicht schlichter individueller Schutz. Verschlimmert wurde dies durch die Verabsolutierung des Impfens. Gebetsmühlenartig verkündeten Politik und Medien, dass einzig und ausschließlich die Impfung aus der Pandemie führe. Was für ein grotesker Unsinn! Es hat in der Geschichte der Menschheit noch niemals ein Virus gegeben, das schlußendlich nicht durch die Natur, durch den menschlichen Organismus hätte eingehegt werden können. In früheren Zeiten hat dies einen enormen Blutzoll gefordert – bei der Pest-Epidemie im Mittelalter starb ein Drittel der europäischen Bevölkerung –, aber schlußendlich siegte der Mensch. Die Impfung hebelt diesen Mechanismus nicht aus, sondern senkt lediglich den Blutzoll.

Mittlerweile ist auch nicht mehr zu verbergen, dass es die Mischung aus einer auf natürlichem Weg erreichten Grundimmunität und dem Impfschutz für Menschen mit verminderter Immunkraft ist, die die Pandemie zum Ende bringt. Allen Experten war dies immer bewußt gewesen, trotzdem stimmten sie in den Chor derjenigen ein, die die Impfung zum alleinbringenden Heilsbringer stilisieren wollten.

Wer da nicht mitsang, wurde in die Ecke gestellt. Dieser Effekt ist unausweichlich, wenn in der Gesellschaft irgend etwas absurd überhöht wird. Das haben wir in der Geschichte immer wieder erlebt – von den Religionskriegen über die Diktaturen alter und neuer Prägung bis hin zu gesellschaftspolitischen Dogmen aller Art. Schon leiseste Kritik an den Glaubenssätzen wird als Majestätsbeleidigung aufgefaßt, und wer nicht mitmachen will, wird ausgegrenzt. So wurden Menschen, die nichts anderes wollten, als von ihrem Recht Gebrauch zu machen, sich ohne künstlichen Schutz der Bedrohung durch das Virus entgegenzustellen, wahlweise zu Impfgegnern, Coronaleugnern, Reichsbürgern, Rechtsradikalen oder – was offenbar besonders schändlich ist – Esoterikern erklärt. Dies ging so lange, bis manche von ihnen in der Tat radikalisiert waren. Auch dies ist eine Parallele zu der „68er Zeit“ als aus friedlichen Protesten erst Krawalle und dann Terrorismus wurde.

Jetzt stehen Politiker und Meinungsmacher ratlos unter den turmhohen Bäumen und rätseln, wie sie die Menschen, die sie dort hinaufgetrieben haben, wieder herunterbekommen können, ohne selbst beschädigt zu werden. Einen Weg dazu hatte Spahn bereits im Sommer 2020 aufgezeigt: „Wir werden uns noch viel um Verzeihung bitten müssen.“ Wäre mal ein Anfang.

Das nachgerade blindwütige Auseinandertreiben der Gesellschaft hat auch vor der Freimaurerei nicht Halt gemacht. Wir sind eben ein Teil der Gesellschaft und bilden sie in unseren Logen ab. Und so gibt es bei uns ebenso Brüder, die kein Verständnis für jemand haben, der eine Impfung ablehnt, wie Brüder, die kein Verständnis dafür haben, dass man dafür kein Verständnis haben kann.

Eigentlich sollte die brüderliche Toleranz auch Brücken schlagen können zwischen derart weit auseinanderliegenden Positionen. Doch nicht jeder Loge ist dies gelungen. Jedenfalls ist die Zahl der Deckungen in den vergangenen Monaten stark angestiegen, viele Logen müssen mühsam ihre Arbeitsfähigkeit wieder herstellen. Dies liegt auch daran, dass viele Brüder den Kontakt zur Loge und auch zur Freimaurerei verloren haben. Auch hierin folgen wir einem allgemeinen gesellschaftlichen Trend. Während der Zeiten der „Ausgangssperren“ (was „Lockdown“ übersetzt eigentlich heißt), haben die meisten Bürger auf Dinge verzichtet, die ihnen zuvor selbstverständlich erschienen. Dies reichte vom allwöchentlichen Besuch beim Italiener über das Kino bis hin zum Fußballstadion. Sehr viele haben die alten Gewohnheiten nicht mehr aufgenommen, auch wenn dies wieder möglich gewesen wäre. Gastronomie, Kultur und Sport schauen mit Bangen auf die nächsten Monate, n denen sich zeigen wird, wie die „neue Normalität“ aussehen wird.

Offenbar muss sich die Freimaurerei in diese Kette einreihen. Offenbar waren viele Brüder mehr aus Gewohnheit und vielleicht auch aus Pflichtgefühl zu den Logenabenden gekommen, denn aus einem inneren Antrieb. Als diese Abende nicht mehr stattfinden konnten, bemerkten sie, dass ihnen eigentlich nichts fehlt – und schon beginnt die Entfremdung.

Damit zeigt sich auch an dieser Stelle ein Effekt, der dem SARS CoV2-Virus ganz allgemein anzuhaften scheint: es deckt schonungslos die Schwächen auf. Im Körper greift es das Organ an, das am schwächsten ist, in der Gesellschaft hat es uns gezeigt, wie morsch unser gesellschaftliches Selbstvertrauen ist, wie gerne wir Verantwortung an den Staat abschieben, und nun wird es die Aktivitäten, die nicht mehr mit der notwendigen Begeisterung getragen werden, ins Leere laufen lassen. Vielleicht auch die Freimaurerei.

Das kann man als Katharsis sehen. Der Bund trennt sich von den Brüdern, die mit dem Her-zen schon nicht mehr dabei gewesen waren. Das könnte ein ähnlicher Schnitt sein, wie ihn viele Logen vollziehen, wenn sie die Brüder aus der Kette entlassen, die schon sehr lange nicht mehr am Logenleben teilgenommen hatten. Man kann das aber auch als Weckruf .verstehen. Wie bei vielen anderen Dingen, die wir als Selbstverständlichkeit angesehen haben, denen man keine großartige Aufmerksamkeit mehr schenken muss, könnte dies der Anlass sein, die eigene Motivation zu überprüfen und neu anzufachen.

Das Corona-Virus und vor allem die Reaktionen von Politik, Medien und Gesellschaft haben praktisch unser ganzes Leben in Frage gestellt. Jeder von uns wurde auf sich selbst zurück-geworfen und grübelte darüber, was das eigentlich Essentielle in seinem Leben darstellt. Da wird es viele geben, die beispielsweise den direkten Austausch mit anderen jetzt für wichtiger erachten, als dem neuesten kulinarischen oder kulturellen Trend nachzulaufen. Es dürfte mehr Menschen geben, die im (freiwilligen!) Rückzug mehr Befriedigung finden, als im besinnungslosen Aufgehen in einer Masse.

Mit dieser neu erwachten Bewusstheit sollten wir auch der Freimaurerei neues Leben einhauchen. Sie ist mehr als der wöchentliche Logenabend, der irgendwie ein fester Punkt im Wochenablauf darstellt („Der Montag gehört der Loge“). Sie ist Ausdruck und Praxis einer bestimmten Lebenshaltung. Und die beschränkt sich nicht auf einen Abend.

Die Ermahnung des Meisters am Ende des Rituals, sich als Freimaurer in der Welt zu bewähren, ist die Erinnerung hieran: Du bist Freimaurer geworden, weil Dich bestimmte Werte angezogen haben, weil Du im Leben einen Sinn siehst oder wenigstens erahnst, der mehr ist als Arbeiten und Feiern. Du hast diese Werte bestätigt gefunden, vertiefst sie im Ritual und im brüderlichen Zusammensein. Nun lass‘ sie auch in Deinem Leben Wirkung entfalten, lass‘ sie Dein tägliches Tun durchdringen. Diese Durchdringung haben viele nicht verinnerlicht. Sie teilen das Leben auf: hier die Arbeit, dort das Privatleben und zwischendrin die Logenabende. So ist Freimaurerei aber nicht gemeint. Sie durchzieht unser gesamtes Leben, gleich, was wir gerade äußerlich tun. Die ethischen Leitlinien, die wir für uns aus der freimaurerischen Arbeit ziehen, verlieren ihre Wirkung nicht an der Tempeltür.

Viele haben in den vergangenen Monaten die Erwartung geäußert, dass die Freimaurerei den Menschen gerade in diesen Zeiten eine gute Orientierung geben könne, dass sie viele Wege aufzeige, die die Menschen beschreiten könnten, um Antworten auf ihre Fragen zu erhalten. Und es ist gerätselt worden, warum es uns scheinbar nicht gelingt, dies verständlich zu machen. Eigentlich, so heißt es verwundert, müssten wir uns doch Interessenten gar nicht retten können.

Wer so argumentiert, übersieht, dass keine Lehre nur dadurch wirkt, dass sie irgendwo auf-geschrieben ist. Viel wichtiger ist, dass sie gelebt wird, dass sie ehrlich und mit Begeisterung vorgelebt wird. Genau daran hat es in der Vergangenheit häufig gemangelt. Wie nutzlos ist ein Gästeabend, wenn ein brillanter Vortrag sich in sich selbst verliert – und wie wirkungsvoll, wenn die Gäste spüren, mit welcher Begeisterung die Brüder der Königlichen Kunst frönen. Das aber funktioniert nur, wenn die Begeisterung auch echt ist.

Wir werden die Hilfe der Freimaurerei noch benötigen. Denn die Zeit der Prüfungen ist nicht vorbei. Man kann es zwar auch aus den Kräften der Zeitläufte ablesen, aber man kommt auch mit intellektuellen Mitteln dahin, zu erkennen, dass die Pandemie nur die erste der großen, weltumspannenden Probleme war, die wir überwinden müssen. Denn wir werden unweigerlich Zusammenbrüche erleben in der Finanzwirtschaft, in der Ernährung und in der Umwelt. Wenn uns darauf wieder nur einfällt, mit Kriegen, Gewalt und Bevormundung zu reagieren, werden wir auch diese Prüfungen nicht bestehen.

Stattdessen sollten wir uns fragen, warum wir diesen Prüfungen ausgesetzt werden. Solche Prüfungen bezeichnen wir gerne als „Schicksal“ und wollen damit ausdrücken, dass uns et-was sinnlos und zufällig ereilt hat. Dabei schwingt sogar häufig der Vorwurf der Ungerechtigkeit mit. Die Mystiker wissen es besser. Sie übersetzen das Wort „Schicksal“ mit „geschickt“ und „Sal“ = „Heil“. Schicksal ist demnach geschicktes Heil. Ein Schicksalsschlag soll uns aufrütteln, weil wir offenkundig von einer inneren Spur abgewichen sind.

Wir Freimaurer versuchen, dies zu lernen, indem wir uns zunächst die Aufgabe stellen „Schau in Dich“ (lerne Dich, Deine Anlagen, Stärken und Schwächen kennen), dann dem „Schau um Dich“ (lerne Deine Mitmenschen, aber auch den Dich umgebenden Kosmos kennen) und schließlich dem „Schau über Dich“ (verbinde dieses Wissen mit dem Transzendenten). Mit diesen Kenntnissen schlüsselt sich jedes Schicksal auf. Wir erkennen in allem, was uns zustößt, die verborgene Botschaft. Diese Arbeit hört niemals auf. Niemand ist darin ein vollendeter Meister. Wir können uns die-sem Ziel nur nähern – und je mehr wir auf die Schicksalsschläge „hören“, um so stärker reduzieren wird deren Zahl und Stärke. Diese Gesetzmäßigkeit gilt aber nicht nur individuell, sondern auch für die Kollektivebene, also für die Gesellschaft.

Das Corona-Virus war ein Schicksalsschlag. Es sollte uns gemahnen, der Natur wieder mit mehr Ehrfurcht zu begegnen. Denn wenn das Virus eine Zoonose ist, also ein „Überspringen“ vom Tier auf den Menschen, dann ist dies ein Hinweis darauf, dass der Mensch nicht in jede Ecke der Natur vordringen darf. Das Virus sollte uns aber wohl auch daran erinnern, demütiger zu sein. Die Hybris, dass der Mensch und die Wissenschaft alles und jedes im Griff hätte, ist gründlich widerlegt worden. Und schließlich hat es uns gezeigt, dass nur wahre Liebe zum Mitmenschen weiter hilft, befohlene Solidarität dagegen die Gesellschaft nur weiter auseinandertreibt. Insofern haben wir als Gesellschaft die Prüfung des Corona-Virus nicht bestanden. Wir müssen es bei der nächsten Prüfung besser machen. Die Zeit bis dahin sollten wir nützen, indem wir uns – einzeln wie gemeinsam – darauf vorbereiten. Wenn es uns beim nächsten Mal gelingt, schneller von den äußeren auf die inneren, auf die wahren Gründe der Probleme zu schließen, dann können wir diese Gründe angehen. Sie werden es sein, die uns den Schlüssel zur Bewältigung des Problems zeigen – und nicht das vordergründige Herumdoktern an den Symptomen.

In solchen Situationen zeigt sich die wahre Kraft der Freimaurerei. Im Ritual beschwören wir dies, wenn wir dem Aufzunehmenden zurufen, er solle auch „in den Stürmen des Lebens die Freiheit und Unabhängigkeit (seines) Geistes“ bewahren. Es hat gerade mächtig gestürmt und es wird wieder mächtig stürmen. Gehen wir die nächste Herausforderung mit größerer innerer Stärke an, schöpfen wir Kraft aus der Freimaurerei, beleben wir sie durch wahre Begeisterung. Sie wird es uns danken.