Traktat: Was das Ende uns lehrt

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Was das Ende uns lehrt

Von Robert Matthees


Vom Reißbrett. Oder: Was das Ende uns lehrt. Ehrwürdiger Meister vom Stuhl, würdige und geliebte Brüder alle, zuerst: Dem neuen Meister alles Gute!

Heute sah sich unser Bruder N.N. seinem eigenen Ende ausgesetzt. Und fand neues Licht.

Wir alle haben genau das durchlebt, wir alle wurden so in die Meisterschaft erhoben.

Ich spreche nun einen jeden von euch persönlich an:

Mein lieber Bruder, welche Bedeutung hat all das für dich gewonnen?

Was hat es dir genutzt, das Erlebnis des Todes?

Was hat sich dadurch verändert - in deinem Leben?

Bitte erinnere dich an den Eindruck, den du damals hattest.

Oder besser noch, stell dir folgendes einmal vor - schließe dafür bitte deine Augen, damit die kommenden Bilder deutlicher hervortreten und du die Eindrücke ruhiger betrachten kannst:

Stelle dir vor, wie du – heute, in genau drei Jahren – in ein Auto steigst. Du sitzt auf der Rückbank, in der Mitte. Schwarz gekleidet. Der Stoff des Anzugs fühlt sich vertraut an. Angehörige sind bei dir.

Sie sprechen wenig. Sie reden leiser und langsamer als an anderen Tagen. Die Stimmung ist ruhig, gedrückt, besonders. Ihr fahrt zu einer Beerdigung. Die Familie und die Freunde des Verstorbenen sind aus allen Teilen des Landes angereist, einige gar aus anderen Ländern. Sie trauern und wünschen den direkt Hinterbliebenen ihr herzliches Beileid, noch auf dem Parkplatz stehend, auch auf dem Vorplatz der Trauerhalle. Große hohe Bäume spenden Schatten. Das Wetter ist eher kühl. Leichter Wind weht. Alle finden zusammen.

Die Glocken läuten. Tief ist ihr Klang.

Die Zeremonie beginnt.

Es ist deine Beerdigung, mein Bruder.

Fünf Sprecher sind gekommen, fünf Personen, die auf deiner Beerdigung eine Rede halten, einen Nekrolog.

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Der erste Sprecher stammt aus dem Kreis deiner Familie. Er wird berichten, was für ein Vater, Bruder, Ehemann oder Sohn du warst.

Der zweite Sprecher war ein enger Freund. Er wird berichten, was ihr zusammen erlebt habt und was für ein Mensch du dabei gewesen bist.

Als dritter Sprecher tritt ein ehemaliger Arbeitskollege ans Pult, ein Geschäftspartner.

Was wird er zu sagen wissen?

Der Vierte ist ein Mitglied deiner Kirchengemeinde oder eines Vereins, in dem du Mitglied warst.

Er gibt Bericht über deine Aktivitäten und über dein Engagement in der Gemeinschaft.

Zuletzt nun kommt schließlich ein Bruder aus deiner Loge. Auch er wird über dich sprechen, über dich, der du ihm in den ewigen Osten vorausgegangen bist.

Was werden Sie zu berichten haben? Familie, Freund, Kollege, Vereinsgenosse und Freimaurerbruder. Was werden sie über deinen Charakter zu sagen wissen? Sei ehrlich zu dir selbst.

Du kannst die Augen wieder öffnen. Ich empfehle dir, daheim, in ruhiger Minute, derartige Perspektiven und Wahrnehmungen niederzuschreiben. Was werden sie zu sagen wissen?

Ist es das, was du hören willst, mein Bruder?

Bei deiner Aufnahme konntest du das Wort vernehmen, das dich in die Mitte des Tempels führt.

„Erkenne dich selbst.“ Hinein in deinen Charakter. Hinein in deinen Tempel. Hinein in dich selbst.

Nur hier, mein Bruder, kannst du wirklich Einfluss nehmen. Es ist deine ureigene Sphäre. Vor allem als Meister, da du als solcher im Inneren des Tempels den Lohn erhältst. In viel zu viele Nichtigkeiten verlieren wir uns im Alltag, und verlieren so oft unseren eigentlichen Tempel aus dem Blick. Den Tempel, den wir wirklich ausrichten können. Den wir ausrichten müssen.

Darum: Erkenne dich selbst, mein Bruder. Schau in dich. Und sei ehrlich zu dir selbst.

Schau um dich. Wie sieht das Bild aus, das die Trauernden von dir geben? Alle Brüder stehen nach deiner Reise um dein Grab vereint.

Schau über dich. Wie sollte es sein? Was ist dein Ideal? Was sollten die dir Nachblickenden zu sagen haben? Über dich, über deinen Charakter? Daran arbeite, lieber Bruder.

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Sei ein besserer Zuhörer. Nehme Anteil. Sei aktiv. Achte darauf, wie du wahrnimmst. Achte auf deine Sicht. Und resigniere nicht vor Problemen, die von außen auf dich zu wirken und dich zu hemmen scheinen.

In deinem Inneren ist der Tempel, den es zu erbauen gilt. Vergesse vor allem psychologische Lehrmeinungen, die behaupten, dein Selbst sei starr und fest, sobald du das fünfte oder sechste Lebensjahr überschritten hast. Der Mensch verfügt über Kreativität und Vorstellungskraft.

Er kann sich entwerfen, sich bestimmen. Bestimme dich selbst. Nimm dein Reißbrett in die Hand und entwerfe dich selbst. Zeichne dein Idealbild - und lass alles Ungewünschte nach und nach dahinter verschwinden.

Zeichne das Ideal von dir vor allem so genau wie möglich. Mit allen Facetten, die dir dabei in den Sinn kommen. Nimm dir hierfür viel Zeit. Und Ruhe. Höre dein neues Selbst sprechen, das du im Geiste entwirfst, erfahre es, erfahre wie es mit seinen Mitmenschen interagiert. Achte auf die Stimme, auf die Tonlage und den Klang der Worte. Zeichne feine Facetten, fühle die Kleidung, fühle die Atmosphäre des Umfelds, in dem sich das neue Bild von dir bewegt. Achte darauf, wie es handelt, sei es daheim, auf Arbeit oder wo auch immer. Schau dir alles ganz genau an. Sehe es vor dir. Zeichne dein Idealbild so genau wie möglich, denn du entwirfst, wie der Bau einst aussehen wird.

Achte auf feine Facetten, je anschaulicher du zeichnest, desto deutlicher der Bauriss. Erst wenn alles klar erscheint, für dich, erst dann entscheide, was notwendig ist, damit du dieses Ideal erreichen kannst.

Viele Punkte wirst du finden: Sei bspw. ein besserer Zuhörer daheim. D.h., wenn deine Lieben mit dir sprechen, habe nicht das Antworten im Kopf, sondern vornehmlich zuerst einmal das Verstehen. Nimm dir Zeit für Freundschaften, ja, wenn notwendig, vermerke die Pflege derselben in deinem Kalender.

Verhalte dich kooperativ bei der Arbeit, gehe auf deine Kollegen ein, damit Sachverhalte verdeutlicht und Projekte besser realisiert werden.

Besuche deine Gemeinde ab und an. Vielleicht schadet es nicht. Oder geh regelmäßig zu den Sitzungen deines Vereins, schließlich hast du dich einst aus gutem Grund für die Mitgliedschaft entschieden.

Und nimm echten Anteil an den Belangen der Brüder deiner Loge. Notiere dir auf dem Reißbrett deines Lebens klare Ziele und Prinzipien für die verschiedenen Rollen, die du im Leben zu erfüllen hast, als Vater, als Ehemann, als Geschäftspartner, als Nachbar, als Suchender usw. Was ist hier wichtig? Mach es konkret. Tausche dich vielleicht mit den Brüdern deiner Loge darüber aus, oder mit deinen Lieben daheim. Mach es konkret. Und lass das Bild lebendig werden.

Der Große Baumeister aller Welten hat uns nicht umsonst mit Selbstbewusstsein, Kreativität und Vorstellungskraft ausgestattet, er hat uns ausgestattet, damit wir uns frei entwerfen können. Ein bloßes Treiben-Lassen, das aus einer rein passiven Anwendung der Erfahrung entsteht, wäre auch ohne all diese Geschenke möglich. Es gilt sie zu nutzen, auf dass die Welt reicher und vielseitiger wird.

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Bestimme selbst, was die Nachblickenden von dir zu sagen haben werden. Beginne, dein Leben frei zu meistern, aus deinem Inneren heraus. Beginne alles, was du fortan tust, mit dem Ende im Sinn und mit dem Reißbrett in der Hand. Es geschehe also. Ehrwürdiger Meister vom Stuhl, meine Zeichnung ist beendet. von Robert Matthees verfasst: London, 17. & 27. / 28. Oktober 2012


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