Traktat: Was ist Freimaurerei eigentlich?

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Was ist Freimaurerei eigentlich?

Von Andreas Manuel Gruss


Viele Brüder Freimaurer antworten darauf, das sei nicht einfach zu beantworten, denn frage man zehn Freimaurer bekäme man zehn unterschiedliche Antworten. Das mag wohl zutreffen, zeugt aber doch von deren mangelhaftem Wissen um die Freimaurerei.

Denn wie können zehn unterschiedliche Antworten gegeben werden, wenn die Kardinaltugenden der Freimaurerei Freiheit, Vernunft, Gerechtigkeit, Gleichheit, Toleranz und Nächstenliebe sind?

Der Unterschied kann nur darin liegen, dass jeder Freimaurer diese Tugenden unterschiedlich gewichtet und auch unterschiedlich lebt. Die Ausführung mag differieren, aber niemals der Anspruch auf diese ehernen Werte, die es gilt zu vervollkommnen. An dieser Vervollkommnung nie zu ermüden, gemahnt uns ein Symbol in unseren Ritualen: Der „Rauhe Stein“. Dieser Rauhe Stein ist das Selbst, das Ich, der Mensch in seinem Ist-Zustand.

So verpflichtet sich jeder Freimaurer dazu, am „Rauhen Stein“ zu arbeiten, an sich selbst, an seinen Ecken und Kanten. Dieser Stein deutet symbolisch auf unsere Unvollkommenheit hin, auf unser ungehobeltes Wesen.

Bei jeder rituellen Arbeit liegt er vor uns und mahnt uns, unsere guten Vorsätze einzuhalten. Wie sich viele zu Silvester immer wieder von neuem die alten Vorsätze für das kommende Jahr notieren, so wird dem Freimaurer dieser Merkzettel mehrmals pro Jahr vorgelegt, um daran zu erinnern, welche hohen moralischen Anforderungen wir an uns selbst stellen. Der Stein ist ein Zeichen unseres steten Strebens, unseren inneren Schweinehund zu besiegen, zu einem geläuterten Menschen, zu einem besseren Menschen zu werden.

Wir befürworten das edle Ansinnen, das Streben nach einem reiferen, vollkommeneren ICH. Aber allein den Weg zu zeigen, ohne ihn selbst zu gehen, ist Betrug an sich selbst und an unseren hohen Zielen. Es genügt nicht, unsere Pflichten auf dem Tuche vor uns her zu tragen, wir müssen sie in unserem Herzen bewahren und nach innen und außen leben. Das bedeutet nicht, dass man selbst bereits dieses irdische Endziel erreicht haben muss, sondern es sind der Weg und das ständige Bemühen, auf die es ankommt.

Glauben nicht viele, dass allein ein gesitteter Umgang, ein gepflegtes Miteinander schon reiche, diese beschwerliche Aufgabe erfüllt zu haben?

Schauen wir in den Spiegel, schauen wir in uns selbst, erkennen wir uns selbst! Fragen wir uns jeden Tag, ob wir uns heute schon bemüht haben? Bemüht haben, unseren Jähzorn, unsere Wut, unseren Neid und die Lust und Gier in Schranken zu weisen? Oder haben wir doch wieder die Kinder angeschrien, den Untergeben zusammengestaucht, hinter dem Rücken des Nächsten über ihn geredet? Haben wir nicht wieder dem Fahrzeug, welches mit 200 km/h auf der Überholspur von hinten angebraust kam, mal so richtig gezeigt was Richtgeschwindigkeit bedeutet? Haben wir nicht doch wieder auf unser Recht gepocht, dem anderen einen Vogel gezeigt, getadelt, wo ein Lob mehr erreicht hätte, der Ehegattin launisch geantwortet, den Mitarbeiter argwöhnisch beäugelt oder es einfach an netten und lieben Worten dem Nächsten gegenüber fehlen lassen? Am Rauhen Stein arbeiten heißt, sich selbst überwinden. Einfach mal seinem Mitmenschen ernsthaft zuzuhören, sich seiner Sorgen anzunehmen, ihn nicht anzugreifen und seine Würde nicht anzutasten.

Am Rauhen Stein arbeiten heißt, sachlich ohne Aggression und Vorwürfe diskutieren und dabei nicht rechthaberisch zu sein, sondern sein Gegenüber achten, ihn behandeln wie einen Partner, so wie man selbst gerne behandelt und geachtet werden würde.

Rauhe Stellen, Unebenheiten zu glätten schmerzt und kostet unendlich viel Energie. Jedoch nur zu Beginn. Sieht man erst, wie viel leichter man mit dieser Lebensweise durchs Leben geht, wie froh und freundlich einem begegnet wird, wie viel mehr Licht ins Dunkle dringt, dann ist es genau dieses Licht, aus dem man schöpft, ein endlos fließender Quell von positiver Kraft, die sich immer weiter fortpflanzt, von jedem Besitz ergreift. Die Wellen des positiven Bemühens die man ausstrahlt schwingen ins Unendliche.

So ist die Arbeit am Rauhen Stein eine der obersten Pflichten eines Freimaurers, wenn auch die schwerste. Bedenken wir, dass uns keiner zwang, diese Bürden aufzunehmen. Wir akzeptierten sie freiwillig.

Nur das immerwährende Wachrütteln, die kritische Selbstbetrachtung ermöglicht einen Fortschritt in Hinblick auf einen wohlgefälligeren Stein, einen ebenmäßigen Charakter. Nur wer in sich geht und sich selbst erkennt, kann auch die Härte und Sturheit, die in der Natur eines Steines nun mal liegen, überwinden. Nie darf ich mich entmutigen lassen, nie darf ich aufhören, an diesem Meisterwerk zu arbeiten, zu glätten, zu feilen, meinen Charakter zu vervollkommnen.

Ich muß nicht hoch künstlerische Werke schaffen, Epen, Opern oder tiefschürfende Erkenntnisse analysieren, vielmehr soll ich bei meiner Person anfangen, sie zu erziehen und zu bessern, in meinem Umfeld gemeinsam mit meinen Mitmenschen. Was nützt alle Kunst und Poesie, wenn ich nicht mal im engsten Familienkreis Liebe, Ruhe und Frieden finde und gebe.

Was bedeuten all die Ideale, wenn ich sie nicht lebe. Als Vorbild sollen wir im täglichen Leben auftreten, doch welches Bild sollen wir da vermitteln, wie schaut der Stein aus, den wir vorzuzeigen haben?

Es gibt Namen für die Unebenheiten und Vorsprünge an unserem Stein, an unserer Persönlichkeit, denen wir hartnäckig begegnen müssen. Diese sind z. B.: Dogmatismus, Intoleranz, Mißachtung der Würde des Menschen und jeder Kreatur, Mißachtung gegenüber der Schöpfung, Ungerechtigkeit, mangelnde Nächstenliebe, Überheblichkeit und Arroganz, Gier, Materialismus, Haß, Neid, Völlerei, Verschwendung, mangelndes Pflichtbewußtsein und Gleichgültigkeit.

Dieser Stein, dieser mein Charakter, dieser geformte Mensch muß sich in das Gesamtgefüge einer humanitären Gesellschaft einfügen. Es ist zu einfach, den zu verwerfen, der noch nicht geschliffen und passend gemacht wurde. Gerade der, der erst rauh und eckig war, nun aber durch Erkenntnis und Einsicht eben und edelmütiger wurde, wird der Eckstein einer Festung der Humanität. Er ist der Weise, der Meister, er ist der, der das große Eine und seinen Plan erkannte. Er ist der Mächtige, der handelte und sich selbst bezwang. In ihm ist Liebe, in ihm ist TAO. In ihm ist das Göttliche, das Unaussprechliche, das uns alle verbindet, offenbart.

Wer diese Stufe nach langer Arbeit erreicht haben sollte - nur äußerst wenigen wird dies gelingen - dem wird ein weiterer Weg offenbar, ein transzendenter, ein spiritueller, ein Weg zum „Licht“. In der Hinführung zum Licht ist die Erkenntnis des großen Ganzen verborgen, das Wissen um die geistige Wiedergeburt.

Darin spiegelt sich der zweite Aspekt der Freimaurerei wider, ihr eigentliches Geheimnis, sofern man dies überhaupt so nennen kann, denn jeder vermag diesen spirituellen Weg einzuschlagen. Dazu muss man kein Freimaurer sein. Geheim nur in soweit, dass man über Art und Weise, wie dieser Weg individuell beschritten wird, öffentlich nicht redet, denn dies betrifft die Privat-, wenn nicht sogar die Intimsphäre jedes einzelnen und ist in ihrer Durchführung auch nicht Gegenstand der Freimaurerei.

Die Freimaurerei schreibt niemandem vor, was er zu glauben hat, noch wie und ob er einen spirituellen Pfad einzuschlagen hat. Diese Entscheidung bleibt jedem selbst überlassen. Die Freimaurerei gibt nur Denkanstöße. Ebenso wenig spricht sie sich für eine religiöse Weltanschauung aus.

Wenn auch in der Freimaurerei von einem großen Baumeister aller Welten gesprochen wird, so ist dies nur ein symbolhafter Begriff für das Unbegreifbare, das unser Universum und damit auch uns Menschen geschaffen hat. Freimaurerei ist keine Religion, die eine bestimmte, dogmatische Vorstellung von einem Gott anbietet. Aber Freimaurerei verlangt Achtung und Respekt vor der Schöpfung.

Daher können Anhänger aller Religionen ebenso wie Atheisten Freimaurer sein, so sie nicht dogmatisch und fundamentalistisch veranlagt sind, sondern sich zu den oben genannten Kardinaltugenden bekennen.

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