Traktat: Zur Symbolsituation in der Freimaurerei

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Zur Symbolsituation in der Freimaurerei

Autor: Jan Lewke Quelle: Internetloge

Als ich zur Freimaurerei kam, wurde ich besonders häufig auf die Gedanken von Toleranz und Humanität hingewiesen. Wenig hörte ich von der Symbolik. Und vielen anderen Suchenden wird es ähnlich ergangen sein.

Als ich mich zum ersten Mal im Tempel wiederfand und feierlich gekleidete Herren bei Kerzenlicht so manches mir nicht Verständliche tun sah, war ich verblüfft. Und verblüfft waren wohl auch andere frisch gebackene Brüder. War diese Überraschung Zufall? Ich denke nicht. Man ist auf das freimaurerische Rital nicht gefaßt. Es ist den Menschen von heute nicht selbstverständlich.

Dies mögen viele Freimaurer spüren, und daher dem Suchenden weniger über ihre Symbole sagen, als ihre Verschwiegenheitsregeln gebieten. Sie schweigen sich aus, weil sie sich selbst unwohl im Gespräch darüber fühlen oder weil sie auch nur meinen, dies sei halt kein Thema. Im profanen Leben kommen wenig Geschäfte bei so unsicherer Umschreibung des Leistungsgegenstandes zustande.

Die Unsicherheit: Ich sage nicht, daß Symbole schlechthin dem Menschen von heute nicht vertraut sind. Sie begegnen ihm in seinem Leben viel tausendmal. Jeder Traum produziert welche. Sie sind dort die Sprache, mit der das Unbewußte sich dem Bewußten verständlich macht. Werbung und Propaganda bedienen sich dieser unkontrollierten Boten gerne, ihre Ziele zu verfolgen, und Religionsgemeinschaften üben damit Glaubenspflege. Symbole können wir als etwas nehmen, das zum Menschen gehört.

Die freimaurerischen Symbole sind aber eine besondere Spielart in der Symbolik. Ich denke, ihre Sonderrolle liegt darin, daß sie im Ritual aufeinander abgestimmt und in ein Bezugssystem eingeordnet sind. Und sie sollen auch als Ganzheit verstanden werden.

Seit längerem stellte ich mir die Frage, aus welcher Zeit die freimaurerische Symbolik stammt, welche Menschen sie selbstverständlich war. Ich meine, daß uns die Kenntnis der Menschen, die die freimaurerische Symbolik produziert haben, hilft, bessere Sachwalter der Symbole zu sein.

Kann man das überhaupt sagen, Menschen haben die Freimaurerei produziert? Hat nicht Lessing gesagt, Freimaurerei war immer? Und setzt nicht die Freimaurerei selbst ihre eigene Zeitrechnung 4000 Jahre vor Christi Geburt an? Also in grauer Vorgeschichte. Und zählt nicht Reverend Anderson Nebukadnezah und Kaiser Augustus zu prominenten Maurern in der Menschengeschichte?

Nun, wir wissen, das sind Dinge, die nicht historisch verstanden sein wollen. Sie sind das Ergebnis des Denkens einer historisch bestimmbaren Epoche, die hier ihre Gedanken in bunten Bildern malt. Und ich denke, es ist die knapp umreißbare Epoche, die die Freimaurerei in der Art, wie wir sie heute kennen, hat enstehen lassen. Mit dieser Art meine ich die Verbindung von Menschverbesserungszielsetzung und ritueller Arbeit. Und die Zeit an die ich denke, ist das 18. Jahrhundert, das uns bekannt ist als das Jahrhundert der Aufklärung.

Es ist dies eine Zeit, die uns in mancherlei Hinsicht angeht:

Normen, Begriffe und Vokabeln werden geprägt, die bis heute fortwirken; Aufklärung selbst ist ein solches Wort; Fortschritt ein anderes; Freiheit im Denken ebenso wie Einsicht in die Natur. Die Niederlegung der Glaubensschranken wird gefordert und die Überordnung des Staates über die Religion. Begriffe wie Kritik und Gesellschaft, um es kurz zu machen, die politischen Leitideen von heute entstanden in jener Zeit.
Es war ein Jahrhundert, das nichts als verbindlich ansah und überall mit der scharfen Sonde der Vernunft operierte, auf deren Gebrauch es sich viel zugute hielt. In diesem Sinne steht es uns nah und in einem weiteren ebenfalls:
So wie auch wir schien es mit jenem Werkzeug allein nicht auszukommen, denn im gleichen Maße traten sozusagen unvernünftige Bewegungen ans Licht, solche, welche die Bedürfnisse des Gemüts und eines immer mehr verlorenen Glaubens zu befriedigen suchten. Dort, wo die überkommene Religion abgebaut wurde, weil der Glaube schwand und die Naturwissenschaften wuchsen, wurden bis dahin gebundene emotionale Kräfte frei, die sich allein und zurückgelassen fanden hinter der offiziellen Philosophie. In diesem Sinne schreibt ein Zeitgenosse geradezu von "Seelenhysterie" und dann weiter: "Dem einen behagt Geisterseherei, Aberglauben, der andere findet nichts als Spuren zur Goldmacherkunst, dort wird magnetisiert, an einem anderen Orte brennt alles von Sektengeist, man wird mit Leib und Seele Maurer, Martinist, Rosenkreuzer oder wozu man nur gelangen kann."
Durchaus ernsthafter aber doch auch ein unvernünftiges Kind der Zeit ist des weiteren die Herrnhuter Brüdergemeinde des Grafen Zinzendorf. Er notiert: "Die Religion kann ohne Vernunftsschlüsse gefaßt werden. Sie muß eine Sache sein, die sich ohne alle Begriffe durch bloße Empfindung erlangen lässet."
Aber auch weniger fromme Dinge, wie die damals sich reich entfaltende Kitschliteratur, lassen sich auf die gleiche Ursache zurückführen. Wir erfahren von einem Zeitkritiker: "Man empfindete sich durch eine Menge von Romanen, in denen allen es gewaltig viel zu seufzen und zu weinen und zu dulden gab, hindurch, und übte sich dergestalt im empfindsamen Mitgefühl, daß die Leiden einer Mücke der Empfindlerin schon einen Strom von Zähren aus den Augen zu pressen vermochte. Aufmerksame Beobachter wollen aber all dies Mitgefühl, all diese Tränen und Seufzer mehr bei beschriebenem Elend bemerkt, bei wirklichen Leiden aber oft gänzlich vermißt haben."
"Es muß ein großes Maß von Unterernährung emotionaler Bedürfnisse bestanden haben", so meint auch Walter Killy in einer Rundfunksendung und weiter: "Es scheint, als ob es auch eine Art seelischen Haushalts gäbe, der nach einem Gleichgewicht emotionaler und rationaler Vermögen strebt."

So war denn die Zeit der Aufklärung eine Zeit der Gegensätze und der Kultur, die der Zeit ihren Namen gab, stand anderes gegenüber. Subkulturen würden wir heute zusammenfassend diese Gegenstücke nennen.

Wir haben gehört von innerer Not der Menschen, denen die Vernunft die Nestwärme genommen hatte, und wir haben gehört von Auswegen, die sie suchten. Ich denke, wir haben auch beobachtet, daß wir vieles mit ihnen gemeinsam haben. Uns will scheinen, als ob Sartre und Camus ihre trostlose Philosophie dort fortschreiben, wo folgende Worte des Dichters Friedrich von Hardenberg enden:

"Der Religionshaß verketzerte Phantasie und Gefühl, Sittlichkeit und Kunstliebe, Zukunft und Vorzeit, setzte den Menschen in der Reihe der Naturwesen mit Not obenan und machte die unendliche schöpferische Musik des Weltalls zum einförmigen Klappern einer ungeheuren Mühle, die vom Strom des Zufalls getrieben und auf ihm schwimmend, eine Mühle an sich, ohne Baumeister und Müller und eigentlich ein echtes Perpetuum Mobile, eine sich selbst mahlende Mühle sei."

Ein weiterer - für uns Freimaurer folgenschwerer - Auswegversuch lag damals in der Rückbesinnung auf die "guten alten Zeiten". Der Barock als geistiges Zeitalter war es ja, der durch die Aufklärung abgelöst war. Als Kunststil währte er fort, empfahl sich über die Kunst weiterhin als Lebensmöglichkeit und wurde in der Tat gleichsam unter der Hand, der philosophischen, geschätzt:

Titel, Anreden, gesellschaftliches Gehabe, die posenhafte Abbildung auf Gemälden, die uns überzogen erscheinende Darstellung in der Bildhauerkunst, die Freude am Prunk, standen wie eh da; allerdings erinnerte man auch eine ganz unmittelbare lebhafte Frömmigkeit. Sie war in der Lage gewesen, dem Menschen das Gefühl von einer gottgewollten Rolle im Mittelpunkt der Welt zu geben, ein Gefühl, das durch die Naturwissenschaftlichkeit der Aufklärung zerstört worden war.

Es fällt bis hierhin leicht, das Lebensgestaltungsangebot des Barock zu verstehen, zumal wir es in unseren freimaurerischen Arbeiten erhalten haben. Ich denke an den Zeremonienmeister, die Anreden, die feierliche Kleidung, die gemessene Bewegung; Dinge, die sind, ohne sein zu müssen, die wir aber erhalten haben, weil wir sie mögen, nicht wahr?

Daraus rührt eine Optik, wie sie Grimmelshausen in seinem Simplicissismus deutlich macht:

"Sahe ich ein stachelicht Gewächs, so erinnerte ich mich der Dörnencron Christi, sahe ich einen Apfel oder Granat, so gedachte ich an den Fall unserer ersten Eltern und gewann ich ein Palmwein aus einem Baum, so bildet ich mir vor, wie mildiglich mein Erlöser am Stamm deß II. Creutzes sein Blut vor mich vergossen."

Diese besondere Ausdrucksweise der alten Frömmigkeit erfaßte auch durchaus weltliche Bereiche: Der große Kurfüst von Brandenburg wählte als Symbol seines Berufsethos eine herabbrennende Kerze mit der Beischrift, die zu deutsch heißt: "Sich im Dienen verbrauchen".

Das war so die Art, die der Barock liebt, und die er dem 18. Jahrhundert weitergab. Und das 18. Jahrhundert hatte dies gebraucht, gesucht und verstehen können, anders als wir, die wir längst nicht so reagieren wie Friedrich Heinrich Jacobi, wenn er damals in das frische Grün des Frühlings schaut: "Erquickendes Grün, das und weiter nichts? Jener Leben und Liebe erweckende Schein, eine Schrift ohne Sinn und Sprache? Davon klopfte mir so das Herz, drängte mich so mein Geist, heiterte sich mein ganzes Wesen so, daß ich leere Züge ohne Bedeutung anschaute ... In dir muß Wahrheit sein!"

Dichter Jacobi hatte, wie der Mensch des 18. Jahrhunderts überhaupt, eine Eigenschaft, die uns verloren gegangen ist; ich will sie noch einmal nennen: Es ist die Fähigkeit, allttäglichen Erscheinungen inneren Sinn beizumessen. Weil diese Fähigkeit selbstverständlich war, war auch die Symbolik etwas Übliches. Und weil die Fähigkeit heute abhanden gekommen ist, bedarf die zu einem Ritual zusammengefaßte und festgeschriebene Symbolik vieler Erläuterungen. Mit solchen Erläuterungen begeben wir uns in nicht ungefährliches Fahrwasser, denn Symbole sind ja in ihrem Kern belehrungsfeindlich, weil Belehrungen den Verstand ansprechen, Symbole aber unter Ausklammerung des Verstandes unmittelbar mit dem Unbewußten korrespondieren sollen.

Ich bin unversehens wieder im Heute gelandet.

Der Ausflug in das 18. Jahrhundert hat zweierlei gezeigt:

a. Es waren bestimmte Zeitverhältnisse, die dem schon damals gültigen maurerischen Verbandszweck, den Menschen zu veredeln, die Symbolik zugefügt hat. Seitdem ist das hohe Ziel der Menschenverbesserung verknüpft mit der Wegvorstellung dahin, Symbole auf sich einwirken zu lassen. Ein moderner Begriff für Wegvorstellung ist "Arbeitstechnik".
b. Der Rückgriff des 18. Jahrhunderts auf die barocke Frömmigkeit konnte nicht ohne Folgen für den Inhalt der freimaurerischen Rituale bleiben.
Es paßt mir zwar nicht, aber sie sind doch wohl religiös im Sinne der damaligen Zeit und das heißt, sie sind christlich. Ich meine nämlich, daß das Tempelerlebnis auf Sinnzusammenhängen und Wertigkeiten basiert, wie die damalige Zeit sie vom Christentum her kannte. Zumindest setzt das Ritual in seinem Allmächtigen Baumeister aller Welten voraus, daß kein Atheist mitspielt. Da muß man dem Reverend Anderson recht geben. Aber selbst dem Deisten könnte unter dem alten Symbol des sehenden Auges im Dreieck nicht wohl sein.
Und wer in der Tempelarbeit eine freilich wenig präzisierbare, aber doch wohl anzunehmende Harmonie des Ganzen sieht, mag kaum demjenigen einen Aufnahmeantrag empfehlen, dem die Welt ein sinnloses und absurdes Lebensgezappel ist.
Es gehört auch schon ein ganz schönes Abstraktionsvermögen dazu, einer Versammlung seit den Tagen der Aufklärung die christliche Bibel oder eine andere positive Offenbarung vorzulegen und zu erwarten, darin nicht auch einen Programmpunkt zu sehen. Und der müßte lauten: Es gibt einen sich offenbarenden Gott.

Wer dies so sieht, mag absurd finden, daß sich gerade in den humanitären Logen viele versammeln, die mit den überkommenen Religionen nicht zurecht kommen.

Und wenn ich unterstellen darf, daß diese vielen Brüder nicht wie die drei Affen, die nicht sehen, nicht hören und nicht sprechen, im Tempel sitzen, muß ich eine Wandlung in der Maurerei schlußfolgern:

Dem Ritual ist sein eigenständiger Inhalt genommen, es gilt als Angebotskatalog, dem man einzelne persönliche Lieblingssymbole entnimmt.

Auf dieser Basis, Symbole nicht fixiert anzubieten, sie freizuhalten von historischen Elementen, wird sich gut arbeiten lassen, und man könnte sich einmal bedanken beim 18. Jahrhundert für dieses Geschenk, vielleicht auch bei Bruder Goethe, und ihm zeigen, daß man seine Mahnung verstanden hat:

Die geschichtlichen Symbole -
thöricht, wer sie wichtig hält,
immer forscht er ins Hohle
und versäumt die reiche Welt.
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