Traktat: Zur Gesinnung der Freimaurer in Lüneburg in der NS-Zeit

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Zur Gesinnung der Freimaurer in Lüneburg in der NS-Zeit

Von Arnold Grunwald


Wenn hier über die Gesinnung der Freimaurerei während der Zeit des Nationalsozialismus gesprochen wird, so ist noch einmal darauf hinzuweisen, dass es "die Freimaurerei" nie gegeben hat. Würde man alle deutschen Großlogen betrachten, so ergäbe sich das breite Spektrum vom kosmopolitischen und pazifistischen "Freimaurerbund zur aufgehenden Sonne" über die humanitären Großlogen zu den konservativen christlichen preußischen Großlogen. Da die Loge in Lüneburg in der hier beschriebenen Zeit zur "Großen Loge von Preußen, genannt zur Freundschaft" gehörte, soll im Folgenden vornehmlich auf diese Großloge Bezug genommen werden.

Der Freimaurerei wird von nichtfreimaurerischen Historikern der Vorwurf gemacht, dass sie ihre Verquickung mit dem Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit verschleiert habe und immer noch verschleiere. In neueren Forschungsarbeiten wird die politische Ausrichtung der deutschen Freimaurerei in den Vordergrund gestellt. Das wird auch damit begründet, dass man bürgerliche Geselligkeit an dieser Vereinigung beispielhaft veranschaulichen könne. Insbesondere wird die Gesinnung der Freimaurer in der Weimarer Republik und im aufkommenden Nationalsozialismus thematisiert.

Stefan-Ludwig Hoffmann hat aufgezeigt, in welcher Weise die Logen ein Spiegelbild der deutschen Bürgergesellschaft waren. Er sieht in dem Anspruch der Logen auf eine universalistische Sendung bei gleichzeitiger Betonung der Staatstreue die Gefahr einer ambivalenten Haltung, die vom Nationalismus zum Nationalsozialismus umschlagen kann. Hoffmann folgert: Der Nationalismus, der den Universalismus im Rücken hat, droht freilich jederzeit umzuschlagen in eine nationalistische oder rassistische Begründung von gewaltsamem Ausschluss, auch und gerade im Namen der "Menschheit". Hierin liegt die politische Ambivalenz. (Hoffmann. S. 323)

Die preußischen Großlogen waren seit jeher national-konservativ eingestellt. Es stellt sich aber die Frage, ob diese Gesinnung in nationalsozialistische und rassistische Politik mündete. Zudem ist noch wenig geklärt, ob die Großlogenpolitik ihren Niederschlag in allen Tochterlogen fand oder ob dort auch andere Einstellungen vorzufinden sind.

Helmut Neuberger ist der Meinung, dass man zwischen den Verlautbarungen der Großlogen und der Tätigkeit einzelner Logen unterscheiden müsse: Die politischen Auseinandersetzungen innerhalb der Freimaurerei blieben jedoch weitgehend auf Großlogenebene begrenzt und beeinflussten das maurerische Leben der einzelnen Logen nur unwesentlich. Entsprechend dem Gebot der "Alten Pflichten" verzichteten diese in der Regel auf die Diskussion politischer Themen. (Neuberger, S. 83)

Ralf Melzer, der mit Neuberger nicht immer übereinstimmt, bestätigt in diesem Punkte die Ansicht Neubergers: Unterdessen wurde die innerfreimaurerische Auseinandersetzung, welche "zunehmend den Charakter massiver Feindseligkeit" annahm, überwiegend auf Ebene der Großlogenfunktionäre geführt, wobei hinzuzufügen ist, dass sich Widerspruch auf regionaler oder lokaler Ebene kaum artikulierte. (Melzer, S. 67/67)

Marcus Meyer, der die Logen in Bremen in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen gestellt hat, kommt zu dem Schluss: (Aber) die deutschen Freimaurer waren an der Etablierung des Nationalsozialismus genauso beteiligt wie weite Teile des deutschen Bürgertums insgesamt. (Meyer, S. 285)

Da die Tochterlogen früher viel stärker in Abhängigkeit von der Großloge wie heute standen, soll zuerst die politische Gesinnung der Großloge "Royal York" Betrachtung finden. Diese findet ihren Niederschlag in der Verbandszeitschrift "Am rauhen Stein". Die Zeitschrift "Am rauhen Stein" erhielt ab der Ausgabe Mai 1933 die Bezeichnung "Der rauhe Stein - Monatsschrift des Deutsch-christlichen Ordens zur Freundschaft". 1934 schlossen sich die Verbandszeitschriften "Der rauhe Stein" und das "Bundesblatt" der Großloge 3WK zum "Ordensblatt" zusammen. Dem Schriftleiter August Horneffer wird vielseitig der Vorwurf gemacht, durch seine Zeitschriftenbeiträge an der Etablierung des Nationalsozialismus in der Freimaurerei mitverantwortlich zu sein. Im Mittelpunkt der Kritik steht sein Aufsatz "Was erwarten wir vom Nationalsozialismus?"

Horneffer beginnt den Aufsatz mit folgender Fragestellung:

Die Frage, was wir vom Nationalsozialismus erwarten, kann einen zweifachen Sinn haben. Sie kann bedeuten: Wessen haben wir uns von der genannten Bewegung zu versehen? Welches Schicksal wird sie uns bereiten? In diesem Sinne wird die Frage begreiflicherweise nicht selten in unseren Logen gestellt. Die zweite Bedeutung seiner Fragestellung ist: Jene Frage, die als Überschrift über dem vorliegenden Aufsatz steht, kann noch einen ganz anderen Sinn haben. Was erwarten wir, kann heißen: Welche Erwartung setzen wir in den Nationalsozialismus, welche Hoffnungen knüpfen wir, und welche Forderungen stellen wir an diese Bewegung?

Nach einem Loblied auf das Führerprinzip erscheint folgender Satz: Man muß es in dem wundervoll anschaulichen Lebensbuche Hitlers: "Mein Kampf" selber nachlesen, wie diese Grundfrage in ihm selbst gebohrt hat und wie aus ihr alles andere, die gesamte Bewegung sich entwickelt hat. Es wird dann von Hiltlers schwerer Entwicklung berichtet, von dessen angeblich mutigem Werdegang als Soldat und von seinem ihm verehrten "weltbürgerlich" gesinnten Vater fabuliert. Es gibt kleine Seitenhiebe gegen Juden und die nichtpreußischen Logen. Horneffer erinnert an seinen eigenen Aufsatz des völkischen Propheten Guido von List und seine "Armanenlehre" und sagt: Möchten die Naziführer von ihm lernen. Hitler ist der gewaltige Motor, der Vulkan, der aus der Tiefe seines urdeutschen Wesens die Gedanken oder richtiger die Forderungen herausschleudert, die er nicht aus Büchern, sondern dem Leben geschöpft hat. Horneffer postuliert: Die Bewegung muß unduldsam und ungerecht sein, sonst kann sie ihre Aufgabe nicht erfüllen. (Horneffer [1], S. 226-236)

In seinem von ihm zitierten Aufsatz "Guido von List, der völkische Philosoph und Prophet" hat sich Horneffer mit dem Gesamtwerk Guido von Lists befasst. Horneffer schrieb: G. v. List ist wirklich eine bedeutende Persönlichkeit. List hat zahlreiche Bücher veröffentlicht, darunter "Die Armanenschaft der Ario-Germanen". Horneffer erklärt ausführlich die Vorstellungen Lists von der Armanenschaft der Ario-Germanen. Die Armanen seien ein urgermanischer Priester-Orden gewesen, den Horneffer mit der Freimaurerei vergleicht. Horneffer kommt zu folgendem Urteil: Aus freimaurerischer Tradition hat der völkische Erwecker Guido von List seine prophetische Weisheit geschöpft. Der freimaurerische Bundesaufbau, die freimaurerische Symbolik, der freimaurerische Bau- und Tatgedanke sind für sein System und seinen Lebensglauben maßgebend geworden. (Horneffer[2], S. 45)

Horneffer hatte schon in seinem Aufsatz "Mussolini und die Freimaurerei" für Mussolini Partei ergriffen und der italienischen Freimaurerei vorgeworfen, dass sie sich bei ihrem Widerstand gegen den Faschismus ungerechtfertigt in die Politik eingemischt habe. Horneffer hatte 1925 geschrieben: Wir sehen also, dass die italienische Freimaurerei es auf einen Machtkampf ankommen lassen will. Sie erklärt sich mit einem bestimmten politischen System (der westlichen "Demokratie") solidarisch und will siegen oder sterben. Da denken wir deutschen Freimaurer über freimaurerische Pflichten allerdings anders. Wir mischen uns nicht in Verfassungskämpfe und Verfassungsfragen hinein. Ob wirklich eine auf "demokratische" Weise zustanden gekommene und mit "demokratischen" Mitteln regierende oberste Gewalt die beste und einzige Gewähr für das Glück eines Volkes bietet, - das hat nach unserer Meinung der Freimaurerbund überhaupt nicht zu entscheiden. (Horneffer [3], S. 103)

In dem Aufsatz "Völkische Rechtfertigung des Freimaurertums" lobt Horneffer das Werk "Hoch-Zeit der Menschheit" von Rudolph John von Gorsleben. Horneffer schreibt: Da findet er denn Einklang mit Hermann Wirth […] Guido v. List […] mit Theosophen und Geheimwissenschaftlern von mancherlei Art, daß alle Kultur von den "Ariern" kommt und dass die Heimat der "Arier" das untergegangene Reich Atlantis im Atlantischen Ozean ist. Und weiter: Gorsleben erklärt den Rasseglauben für die erhabenste, einzig würdige Religion und sucht ausführlich nachzuweisen, dass in alten, edleren Zeiten Zucht und Züchtung ebenso ernst genommen wurden wie die Verehrung Gottes und der göttlichen Dreiheit. (S. 99/100) Horneffer begeistert sich für von Gorslebens Rassismus und sieht darin einen göttlichen Willen. Er schließt: Wir können nur dringend wünschen, dass seine völkischen Freunde im Studium der Freimaurerei fortfahren. (Horneffer [4], S. 105)

Nach der "Machtergreifung" schrieb August Horneffer im April 1933 in einem Aufsatz, den er "Frühling" betitelte: Den Lesern unserer Monatsschrift brauche ich nicht in Erinnerung zu rufen, wie hier das Verständnis der großen nationalsozialistischen Volksbewegung Schritt für Schritt der Boden geebnet worden ist. […] Da bäumt sich die Urkraft schaffensfroher Jugend auf, da blüht das verschüttete Heimatgefühl aus den Trümmern des zerschlagenen Vaterlandes empor und bringt im brausenden Sturm den Frühling, den lange ersehnten. […] So sehen wir denn mit reiner Freude reifen, was wir selber haben mitsäen dürfen. […] Wir stimmen von Herzen in die Dank- und Heilrufe der Millionen ein, die an dem denkwürdigen 21. März den beiden Führern dargebracht wurden: dem alten Führer, der in väterlicher Weisheit seinem Volke Zeit gelassen hat, sich selber wiederzufinden, und dem jungen Führer, der als stürmischer Rufer die Millionen aufgeweckt und sie in zäher Maurerarbeit zu einheitlichem Willen zusammengeschweißt hat. (Horneffer [5], S. 102)

Solche Äußerungen gelten Kritikern u. a. als Beleg dafür, dass die Freimaurer der altpreußischen Großlogen den Nationalsozialismus begrüßt hätten. Horneffer hatte mit seinen Verlautbarungen nicht nur die Mehrheit der Großbeamten in Berlin auf seiner Seite, sondern er vertrat dabei Ansichten, die bei einem Großteil des Bürgertums in Deutschland Unterstützung fanden. Viele ersehnten eine politische Führungskraft, die schon vor der "Machtergreifung" Hitlers oft als "Führer" bezeichnet wurde. Hitler brauchte diese Titulierung nur noch zu übernehmen.

An einigen Bekundungen lässt sich veranschaulichen, wie sehr die Großloge sich von ihrem früher national-konservativen zum nationalsozialistischen Standpunkt bewegt hatte. An Hitler und Göring wurden Schreiben gesandt. Im Oktober 1933 wurde ein "Gefolgschafts-Gelöbnis" verfasst.


Hochverehrter Herr Reichskanzler! Berlin, den 21. Juni 1933
Im Streite der politischen Parteien und in der Hitze der Wahlkämpfe ist zwischen unserem Orden (den früheren Altpreußischen Großlogen) und der internationalen Freimaurer vielfach kein Unterschied gemacht worden. Mit dieser drückenden Gleichsetzung haben wir uns abfinden müssen. […] Aber niemals können wir als ehrliche deutsche Männer dulden, dass man, wie es in einer offiziellen Verlautbarung der Reichsleitung der NSDAP geschehen ist, Vorsicht gegenüber unseren Ordernsmitgliedern als ehemaligen Freimaurern in der Partei anbefiehlt und uns als national unzuverlässig in Verruf bringt. Wir müssen erwarten, dass dieser Verruf von uns genommen wird. […]

Dankbar würden wir sein, wenn der Herr Reichskanzler den unterzeichneten Leitern der Deutsch-christlichen Orden Gelegenheit geben würde, in einer Audienz ihre Bitte eingehend zu begründen.

Genehmigen Sie, Herr Reichskanzler, den Ausdruck unserer vollkommensten Hochachtung.

Nationaler Christlicher Orden			Deutsch-christlicher Orden
Friedrich der Große 				        Zur Freundschaft
gez. Bordes 					        gez. Feistkorn
Ordensgroßmeister 				        Ordensgroßmeister 

(Am rauhen Stein, 1933, Heft 7/8, S. 168-170)


An den Preußischen Ministerpräsidenten Herrn Göring Berlin, 21.6.1933

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident.
Nach den im Landtag von Ihnen abgegebenen Erklärungen sollen keinem Beamten, auch wenn er der Nationalsozialistischen Arbeiterpartei nicht angehört, Schwierigkeiten erwachsen, sofern er sich nicht im staatsfeindlichen Sinne betätigt hat oder einer Partei angehört, die solche Ziele verfolgt. […]

Wenn unseren Mitgliedern nach den bestehenden Grundsätzen der Parteileitung der Beitritt zur Nationalistischen Deutschen Arbeiterpartei nicht gestattet werden kann, so muß ihnen doch die Möglichkeit gegeben sein, den auf breiter nationaler Grundlage geschaffenen Fachschaften und Standesorganisationen beizutreten. Aber auch diese Möglichkeit ist unseren Mitgliedern verwehrt. […]
Wir appellieren an Ihr Gerechtigkeitsgefühl, Herr Ministerpräsident, und bitten Sie, diesen für die Mitglieder unserer Orden entehrenden Zustand durch klare und eindeutige Stellungnahme Ihrerseits ein Ende zu machen.

Genehmigen Sie, Herr Ministerpräsident, den Ausdruck vollkommener Hochachtung Ihrer sehr ergebenen

Dr. Otto Brandes 				        Feistkorn
Ordensgroßmeister 				        Ordensgroßmeister 

(Am rauhen Stein, 1933, Heft 7/8, S. 170-172)


Gefolgschafts-Gelöbnis der beiden christlichen Orden

Herrn Reichskanzler Hitler, Obersalzberg Berlin, 15. Oktober 1933
Wir begrüßen mit Stolz und Freude den Entschluß der Reichsregierung, der allein Ehre und Würde des deutschen Volkes entspricht, und stellen uns in treuer Gefolgschaft hinter unseren Reichskanzler.

Nationaler Christlicher Orden 	                Deutsch-christlicher Orden
Friedrich der Große 		                        Zur Freundschaft
Bordes 			                                Feistkorn 

(Am rauhen Stein, 1933, Heft 10/11, S. 223)



Für die Geschichte der Loge in Lüneburg lässt sich sagen, dass die Mehrzahl der Logenmitglieder immer staatstreu war. Zur Zeit des Königreichs Hannover waren die Protektoren der Großloge, König Ernst August und danach Georg V die verehrten Großmeister. Ab 1871 wurde der Sedanstag zum Festtag in der Loge, später wurde der Kaiser so verehrt, dass anlässlich seines Geburttages jährlich eine "Kaisergeburtstagsloge" veranstaltet wurde. Die Weimarer Republik war dagegen unbeliebt.

Der Bruder, über dessen Leben und politische Einstellung Näheres bekannt ist, ist Arthur Zechlin. (Vergl.: Grunwald Freimaurer - Verdiente Bürger der Stadt Lüneburg, S. 96-106) Als die Loge am 5. April 1929 zum 80. Geburtstag Arthur Zechlins eine Festloge veranstaltete, berichtete die Verbandszeitschrift "Am rauhen Stein" darüber. Zahlreiche Vertreter der benachbarten Logen aus Hamburg, Stade, Uelzen, Celle und Boizenburg seien erschienen. Der Vertreter der Großloge "Royal York" habe Zechlin im Namen der Großloge die höchste Auszeichnung der Großloge, die Körting-Medaille, überreicht.

Bei der anschließenden Tafelloge hätten 85 Brr. teilgenommen. Weiter wird berichtet:

Auch aus profanen Kreisen wurden dem Jubilar viele Aufmerksamkeiten erwiesen, Die Glückwünsche der Stadt überreichte Herr Oberbürgermeister Dr. Schmidt. Eine kostbare Kristallschale, mit frischen Blumen gefüllt, bildete den sichtbaren Ausdruck seiner Glückwünsche. Der Nachfolger Zechlins, Oberstudienrat Vahlbruch, gratulierte im Namen des Lehrerkollegiums unter Überreichung eines wertvollen Buches. Auch die Deutsche Volkspartei, deren langjähriger Vorsitzender der Jubilar gewesen war, entsandte Deputation und Blumenspende; ebenso der Philologenverband und der Verein früherer Schülerinnen. Telegramme schickten der Reichspräsident v. Hindenburg, der Reichskanzler Müller, der Staatssekretär in der Reichskanzlei, Dr. Plünder, die Regierungspräsidenten Dr. Herbst und Dr. Rose und viele andere. (Am rauhen Stein, 1929, Heft 5, S. 122)

Zechlin genoss in Lüneburg und über die Grenzen der Stadt hinaus ein hohes Ansehen. Er gehörte der "Deutschen Partei" (DP) an. Es handelte sich um eine liberal-konservative Partei, die sich für den Erhalt des Königreichs Hannover einsetzte. Zechlins liberal-konservative Gesinnung zeigt sich auch in einem Vortrag, den er in der Loge zum Stiftungsfest gehalten hatte, und der dann in der Verbandszeitschrift unter dem Titel "Die Entwicklung des nationalen Staatsgedankens" veröffentlicht wurde. (Am rauhen Stein, 1924, Heft 7, S. 108-112 und Heft 8/9, S. 123-127)

Um die Gesinnung der Logenbrüder in Lüneburg zwischen 1931 und 1935 zu beurteilen, ist die Durchsicht der letzten Protokollbücher eine wichtige Quelle. Es fanden Lehrlingslogen und Meisterlogen statt, für die gesonderte Protokollbücher geführt wurden. Die Meisterlogen waren Erhebungs- und Wahllogen, bei denen es (mit einer Ausnahme) keine Vorträge gab. Aus der Liste ist ersichtlich, dass erst ab 1933 Vorträge Eingang in die Loge fanden, die politischen Inhalts waren. In erster Linie befassten sie sich mit der Verherrlichung des Germanentums.

Es ist zu beachten, dass die Logentreffen ab April 1933 bis zur Logenschließung 1935 nicht mehr die herkömmlichen freimaurerischen Veranstaltungen waren, sondern nach dem Beschluss der Großloge vom 23. April 1933 Versammlungen ohne freimaurerisches Brauchtum. Ab 1934 musste auch Nichtfreimaurern die Teilnahme genehmigt werden. An diesen Treffen nahmen nur noch wenige Brüder teil, da die meisten schon die Mitgliedschaft in den Jahren 1932 und 1933 wegen befürchteter Repressionen aufgekündigt hatten.

Nach dem Lehrlingsprotokollbuch gab es bei den Zusammenkünften von Juni 1931 bis zur Logenschließung 1935 folgende Vorträge:


Logenveranstaltungen 1931-1935

21.06.1931	Br. Mackensen: "Über die Bedeutung der Rose" ([[Johannisfest|Joh.-Fest]])
ohne Datum 	Br. Hörstmann: "Wir und die anderen"
30.10.1931	Br. Meyer: "Politik und Freimaurerei" 
07.11.1931	Br. Zechlin: "Lessing und die Freimaurerei" ([[Schwesternfest]])
20.11.1931	-kein Vortrag- ([[Aufnahme]]loge)
27.11.1931	Br. Zechlin: "Vergänglichkeit des ird. Lebens" ([[Trauerloge]])
11.12.1931	Br. Probst: "Freimaurerei und Kirche" 
22.01.1932	Br. Zechlin: "Die Reichsgründung" (Reichsgründungsloge)
26.02.1932	Br. Boetzinger: "Freimaurerei und Jugend"
18.03.1932	Br. Bellmann: "Goethe als Freimaurer" (Goethefeier)
01.05.1932	Br. Niebuhr: "Mythen und Symbole" (Stiftungsfest)
27.05.1932	-kein Vortrag- Bericht über Vorschläge der Ritualkommission.
25.06.1932	Br. Zechlin: "Johannes der Täufer" (Johannisfest)
30.09.1932	Br. Niebuhr: "Der Rembrandtdeutsche - R. als Erzieher" 
28.10.1932	Br. Meyer: "Johann Sebastian Bach" 
12.11.1932	Br. Zechlin: "Euripides` u. Goethes Iphigenie "(Schw.-Fest)
25.11.1932	Br. Fechner: "Tod und Vergänglichkeit" (Trauerloge)
10.12.1932	-kein Vortrag- (Aufnahmeloge)
27.01.1933	Br. Zechlin: "Deutsche Gesch. von den Anfängen bis heute"
24.02.1933	-kein Vortrag- Nekrolog auf Br. Wilkens (Trauerloge)  
31.03.1933	Br. Harmsen: " Christentums und altarische Religion"
19.05.1933	Br. Niebuhr: "Das altgermanische Recht"
24.06.1933	Br. Harmsen "Über die urarische Religion" (Sonnenwendf.)
05.01.1934	-kein Vortrag- (Amtsübergabe von Zechlin an Harmsen)
13.05.1934	Br. Fressel: "Die Aufnahme Georg V" (Stiftungsfest)
24.06.1934	Br. Bellmann: "Die angebliche Judenfreundlichkeit der Loge"
14.12.1934	Br. Harmsen: "Geschichtliche Entw. des Weihnachtsfestes"
01.02.1935	Br. Harmsen: "Über die Externsteine"
22.02.1935	Br. Bellmann: "Gedanken über Schiller"
29.03.1935	Br. Meyer: "Weltenwende" 
17.07.1935	-kein Vortrag- Vorbereitung der Logenschließung 
20.07.1935	Br. Bellmann: "Die Geschichte der Loge in Lüneburg." 

Am 31.03.1933 hielt Otto Harmsen einen Vortrag "Über die Beziehungen des Christentums zur alt-arischen Religion". Dieser Vortrag wurde in der Zeitschrift "Am rauhen Stein" veröffentlicht. Harmsen führt weitschweifig aus, dass die Erde früher keinen Mond gehabt habe, dieser erst vor 12 000 Jahren von der Erde eingefangen worden sei und es daher am Nordpol sehr warm gewesen sei. Am Nordpol seien die Arier als erstes Volk entstanden und hätten von dort die ganze Welt besiedelt. Die Kreuzfahrer hätten noch eine Bevölkerung gefunden, mit der sie sich in deutscher Sprache verständigen konnten. Harmsen zitiert längere Abschnitte von Ausführungen Hermann Wirths, dessen "Forschungen" von August Horneffer verteidigt worden waren. Es ist aus heutiger Sicht erstaunlich, dass man solche Gedanken in der Verbandszeitschrift veröffentlichte. Das hatte wohl seinen Grund darin, dass der Schriftleiter August Horneffer diesen angeblichen Forscher in eigenen Aufsätzen gelobt hatte.

Harmsen offenbart sich in dem Aufsatz als Antisemit, wenn er schreibt: Man darf es niemals vergessen, dass die Juden von jeher ein Parasitenvolk gewesen sind, niemals selbst eine eigene Kultur geschaffen und gehabt haben. Alles, was sie an Kultur besaßen und besitzen, ist restlos nichtjüdischen Ursprungs. Ihre eigenen Leistungen auf kulturellem Gebiete haben immer nur in der Zersetzung der höheren Kultur ihrer Wirtsvölker bestanden. Daher würde es eine Kulturtat allerhöchsten Ranges sein, wenn alle jüdischen Beimischungen der Überlieferung und Lehre der christlichen Kirche bis zur letzten Spur ausgetilgt würden. (Harmsen, S. 115/116)

Am 19.05.1933 sprach der Redner Albrecht Niebuhr über "Altgermanisches Recht". Anschließend entspann sich laut Protokoll eine lebhafte Diskussion, wobei es nicht um die Ausführungen Niebuhrs, sondern um die erfolgte Auflösung und Umbenennung der Logen ging. Damals beschäftigte die Freimaurerei besonders die Frage des Eintritts in die NSDAP. Man war verbittert, dass Freimaurern der Parteieintritt untersagt werden sollte. So heißt es im Protokoll: Redner hofft, dass es gelingen möge, den Weg zur NSDAP frei zu machen. Andere Brüder äußerten sich ähnlich.

Am 24. Juni 1933 wurde die "Sonnenwendfeier" begangen. Im Protokoll wird berichtet: Der Redner Obr. Br. Harmsen berichtet an Hand der Aufzeichnungen von Prof. Wirth über die durch Ausgrabungen festgestellten Anfänge der arischen Religion, die wohl in den Legenden um den Nordpol begonnen haben. Das war eine Wiederholung seines Vortrags aus dem Monat März. Weiter steht im Protokoll: Besonders ausführlich schildert Redner des Bildung und Entwicklung des Hakenkreuzes.

Bei einer Zusammenkunft am 5. Januar 1934 las Arthur Zechlin aus der Vossischen Zeitung einen Artikel über die "Ura-Linda-Chronik" vor. Über den Inhalt wird im Protokollbuch nichts gesagt.

Die Ura-Linda-Chronik war eine in altfriesischer Sprache verfasste Chronik, in Wirklichkeit aber eine Fälschung, die in einer Übersetzung von Hermann Wirth vorlag. Die Vossische Zeitung war eine liberale Zeitung, die 1934 verboten wurde.

Am 13.05.1934 wurde das Stiftungsfest in Gegenwart von Schwestern und geladenen Gästen gefeiert. Den ganz unpolitischen Festvortrag hielt Br. Fressel mit dem Thema: "Die Aufnahme König Georg V von Hannover i. J. 1857". Vorher hatte Otto Harmsen als Mstr. v. Stuhl schon eine längere Ansprache gehalten. Der Protokollant berichtet: Ethische und religiöse Fragen streift der Redner, (er meint hier den Mstr. v. Stuhl Otto Harmsen, A. G.) insbesondere der Gegensatz zwischen Judentum und Christentum wird hervorgehoben mit dem Wunsche, dass die christl. Kirche sich von den jüd. Schlacken im neuen Vaterlande frei machen möge. Im Protokollbuch heißt es dann: Nach den Worten des Mstr. v. St. sang Frl. Rosenthal: "Die Himmel rühmen des ewigen Ehre".

In seinem am 24.06.1934 gehaltenen Vortrag "Die angebliche Judenfreundlichkeit der Logen" erwähnte Alfred Bellmann einen Dr. Huber, den "Sachbearbeiter der NSDAP für Logenfragen". Er bezeichnete ihn als "Bundesgenossen", da dieser habe verlautbaren lassen, dass es in den preußischen Großlogen keine Juden geben würde. Bellmann führte aus: Schon lange vor der national-sozialistischen Revolution sind wir aber zu dem alten (vorübergehend aufgehobenen) Prinzip zurückgekehrt, und wir können mit Stolz sagen, dass es für unsere Loge hier in Lüneburg keine Judenfrage gibt. Er bezog sich auf den Beschluss der Großloge "Royal York" vom 1. Juni 1924, der den Juden den Logenbeitritt nicht mehr ermöglichte.

Vor Wiedereröffnung der Loge ließ Alfred Bellmann 1946 einen Fragebogen drucken, den Lüneburger Freimaurer, die der Loge im Falle der Wiedereinrichtung beitreten wollten, ausfüllen mussten. Laut den beantworteten Fragebögen hatte (mit einer Ausnahme) kein Lüneburger Freimaurer der NSDAP angehört. Auch kein Freimaurer, der aus der Loge ausgetreten war. An anderer Stelle berichtet Bellmann, dass nur vier Freimaurer aus Lüneburg den Versuch gemacht hätten, einer von den Nationalsozialisten dominierten Organisation beizutreten. Neben den Personenstandsdaten waren im Fragebogen folgende Angaben zu machen:

Vor der Logenauflösung 1935 aus der Loge ausgeschieden:
Bejahendenfalls Datum und Grund des Ausscheidens:
Mitgliedschaft bei der NSDAP, ihren Gliederungen usw.:
Gegebenenfalls Datum des Eintritts in die NSDAP:
Haben Sie durch die Zugehörigkeit zur Loge Nachteile erlitten?
Gegebenenfalls welche?
Wollen Sie Mitglied der Loge werden?
Die Angaben sind wahr. Lüneburg, den …….Eigenhändige Unterschrift

Es ist nicht überprüfbar, ob die Fragebögen wahrheitsgemäß ausgefüllt wurden. Aber es besteht auch kein berechtigter Zweifel daran.
Melzers Feststellung, dass sich Widerspruch auf lokaler Ebene kaum artikulierte, ist richtig. Die Freimaurer in Lüneburg waren gemäß ihrer bürgerlichen Herkunft konservativ und völkisch-national eingestellt. Es ist eine berechtigte Frage, ob eine konservative, völkisch-nationale Gesinnung zur Etablierung des Nationalsozialismus beigetragen hat. Diese Bewertung relativiert sich, wenn man hinzufügt, dass diese Gesinnung nicht nur in der Freimaurerei zu finden war, sondern sich in sämtlichen Verbänden nachweisen lässt, vom Turnerbund bis zum Bund deutscher Professoren. Die Gleichsetzung von völkisch-national mit nationalsozialistisch ist jedoch nicht richtig.

In erster Linie drohte der Freimaurerei nicht nur durch Angriffe aus dem Kreis um Ludendorff u. a., sondern auch durch die Nationalsozialisten immer das Verbot. Sie befanden sich seit über einem Jahrzehnt im Abwehrkampf. Abwarten, Anbiedern und der Versuch der Angleichung werden den drei preußischen Großlogen und ihren Tochterlogen zu Recht zum Vorwurf gemacht. (Den liberalen - irregulären - Großlogen FzAS und SGLvD ist dieser Vorwurf nicht zu machen. Den humanitären Großlogen aus Hamburg, Frankfurt, Bayreuth, Dresden, Leipzig und Darmstadt nur mit Einschränkungen.)

Dass sich nach Kriegsende die Mehrzahl der Deutschen und auch der Freimaurer nur noch in einer Opferrolle sahen, ist ein berechtigter Vorwurf. Ein Beispiel dafür ist die Behauptung, dass zahlreiche Freimaurer im KZ ermordet worden seien. Die von den Nazis hingerichteten oder an den Folgen von KZ-Internierungen gestorbenen Freimaurer (Leber, Leuschner, Ossietzky, Müffelmann) gehörten zum politischen Widerstand und waren fast alle Mitglieder von Logen, von denen sich die preußischen Großlogen distanziert hatten. Leber und Ossietzky gehörten zum FzAS, Müffelmann zur SGLvD, Leuschner zur Großloge "Zur Eintracht" in Darmstadt. Sie wurden nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Freimaurerei misshandelt oder hingerichtet, sondern weil sie den Mut hatten, die freimaurerischen Ideale bis zum Tode zu verteidigen, die damals von den christlichen Großlogen als "Humanitätsschwärmerei" diffamiert worden waren.

Literatur

Am rauhen Stein - Monatsschrift der Großen Loge von Preußen, genannt zur Freundschaft. Ab Mai 1933 Umbenennung in: "Der rauhe Stein". Ab 1934 Zusammenschluss mit dem "Bundesblatt" der GL 3 WK zum "Ordensblatt" Grunwald, Arnold: Freimaurer - Verdiente Bürger der Stadt Lüneburg, Norderstedt 2010

Harmsen, Otto: Über Beziehungen des Christentums zu alt-arischen Relegion,
Am rauhen Stein, 30/1933, Heft 4, S. 109-116

Hoffmann, Stefan-Ludwig: Die Politik der Geselligkeit - Freimaurerlogen in der deutschen Bürgergesellschaft 1840-1918, Göttingen 2000

Horneffer, August [1]: Was erwarten wir vom Nationalsozialismus?
Am rauhen Stein, 29/1932, Heft 8/9, S. 226-236

Horneffer, August [2]: Guido von List, der völkische Philosoph und Prophet,
Am rauhen Stein, 29/1932, Heft 2, S. 35-45

Horneffer, August [3]: Mussolini und die Freimaurerei,
Am rauhen Stein 22/1925, Heft 5, S. 97-104

Horneffer, August [4]: Völkische Rechtfertigung des Freimaurertums,
Am rauhen Stein, 28/1931, Heft 4, S. 98-105

Horneffer, August: [5]: Frühling,
Am rauhen Stein, 30/1933, Heft 4, S. 99-102

Melzer, Ralf: Konflikt und Anpassung - Freimaurerei in der Weimarer Republik und im "Dritten Reich", Wien 1999

Meyer, Marcus: Bruder und Bürger - Freimaurerei und Bürgerlichkeit in Bremen, Bremen 2010

Neuberger, Helmut: Winkelmaß und Hakenkreuz, München 2001

Zechlin, Arthur: Die Entwicklung des nationalen Staatsgedankens, in:
Am rauhen Stein 1924, Heft 7, S. 108-112 und Heft 8/9, S. 123-127

Siehe auch