Alte Landmarken: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 14. November 2010, 14:21 Uhr

Die alten Landmarken

Quelle: Lennhoff, Posner, Binder

Es gibt eine alte Freimaurerfabel, die folgendes erzählt: In einer Großloge wurde als besonderes Heiligtum eine Kiste mit schweren eisernen Verschlägen aufbewahrt, die nach der Überlieferung die aufschlußreichsten Urkunden über die Freimaurerei und die Großloge selbst enthalten sollte. Eine Eröffnung der Kiste wurde nicht erlaubt. Bis eines Tages unter dem Einflusse der neuer historischer Erkenntnis zugewandter Zeit, ein hochstehender Bruder die Öffnung dieses geheimen Schatzes anordnete. Die Kiste wurde unter besonderen Feierlichkeiten eröffnet, und siehe: sie war leer.

Mit dem Worte Landmark geht es ähnlich. Es ist eine traditionelle Worthülse der Freimaurerei. Eröffnet sie der freimaurerische Historiker, so ist sie leer. Aber sie war einmal da, und so wurde sie nachträglich gefüllt. Und so ist der Begriff Landmark ein Bestandteil der Freimaurerei besonders in Amerika geworden.

Das Wort geht auf Anderson zurück. In der XXXIX. Bestimmung der General Regulations, die den Old Charges angehängt sind, heißt es, daß "the old Land-Marks be carefully preserved". Die alten Landmarken sollen also sorgsamst geschützt werden, wobei in der gleichen Satzung auch der Vorgang beschrieben wird, wie, wann und unter welchen Voraussetzungen Verfassungsänderungen vorgenommen werden dürfen. Was unter Landmarks verstanden werden soll, sagt Anderson (s. d.) nicht. Dem Sinne nach kann nur gemeint sein: Die alten Satzungen der Freimaurer Bruderschaft, ihre Gebräuche und Einrichtungen, die Traditionswert haben, sollen nicht fahrlässig Minderungen erfahren. Setzte man das Wort Landmarks gleich dem Inhalt der Constitutions und der bei der Freimaurer Bruderschaft üblichen Gebräuche, so war der Sinn ohne weiteres klar. Aber die späteren Deuter der Stelle sagten sich: Anderson spricht immer nur von Charges, Regulations, Rules. Hier taucht eine neue Bezeichnung auf. Also muß auch eine andere Bedeutung zugrunde liegen. Und damit begann das große Rätselraten um die Landmarken.

Was sind Landmarken? Im übertragenen Sinne ist darunter zu verstehen eine feststehende, unverrückbare Einrichtung von hohem Alter und bleibendem Traditionswert. In diesem Sinne gebraucht beispielsweise Milton das Wort, wenn er von einem Altar spricht, der inmitten des Paradieses als Landmark stand. Auch in den Juniusbriefen (1777) ist von Landmarken, durch frühere Beschlüsse aufgerichtet, die Rede. Da Grenzsteinverrückungen schon in der Bibel als besonders verruchte Tat bezeichnet werden (5. Mos., Kap. 28), haftet der Landmarke, dem unverrückbaren Grenzstein, ein Geruch besonderer Verehrungswürdigkeit an. Daher muß auch der neugewählte Meister vom Stuhl der englischen Logen bei seiner Amtsübernahme ausdrücklich zugeben, "daß es nicht in der Macht eines einzelnen oder einer Gruppe von Einzelpersonen liegt, irgendwelche Neuerungen in die Genossenschaft der Freimaurer einzuführen". Die Landmarken sind also etwas ewig Dauerndes, keiner Veränderung Zugängliches. ("His immotis nunquam ruet" steht auf einem Kupfer der Bayreuther Großloge aus dem XVIII. Jahrhundert.) Deshalb definiert sie der englische Historiker Henry Sadler (1904): "Landmarken sind ausschließlich jene Gesetze der Kunst, die allgemein und unwiderruflich sind." Um Das Unglück voll zu machen, haben es amerikanische Freimaurer unternommen, die Landmarken in einen Kanon zu bringen. Dabei kam Dr. Albert Mackay (1858) auf einen Kanon von 25 Landmarken. Andere amerikanische Großlogen kamen aber bis auf 53. In der Konstitution der Großloge von New York wieder werden die folgenden neun Landmarken angeführt, die von P. G. M. Joseph D. Evans verfaßt wurden, die aber die Großloge selbst niemals beschlossen hat. Der Umstand, daß diese Landmarken jedoch im Gesetzbuche der Großloge abgedruckt erschienen, läßt erkennen, daß die Großloge den wesentlichsten Kanon der Landmarke in ihnen erblickt. Diese Zusammenstellung lautet:

  1. Die Landmarken sind jene ausgezeichneten Punkte in den esoterischen Mysterien der Freimaurer, die deutlich im Rituale niedergelegt sind, unter ihnen Zeichen, Worte und Griffe und die Legende des dritten Grades.
  2. Jeder, der sich um Zulassung zu den Vorrechten der Freimaurerei bewirbt, muß vor seiner Aufnahme den Glauben an einen ewigen und wahrhaftigen Gott, den Schöpfer und Lenker des Weltalls und an die Unsterblichkeit der Seele bekunden.
  3. Jeder Kandidat für die Ehren der Freimaurerei muß sein ein Mann, freigeboren, von reifem und besonnenem Alter, kein Eunuch, kein Weib, kein unmoralischer oder ärgerniserregender Mann, sondern von gutem Rufe, ohne Fehler an Leib und Seele, die ihn untauglich machen könnten, die Kunst zu lernen und auszuuben.
  4. Kein Kandidat darf nach seiner religiösen Überzeugung oder politischen Meinung gefragt werden, noch dürfen Erörterungen über diese Fragen in irgendeiner Versammlung der Bruderschaft erörtert werden.
  5. Das Recht der Loge, selbst darüber zu entscheiden, wer aufgenommen oder einverbrüdert werden soll, ist ein der Loge inharentes und unbestreitbares und ist keinerlei Dispensrecht oder gesetzgeberischen Maßregel von irgendeiner Seite und welcher Quelle immer unterworfen.
  6. Die Kugelung über Kandidaten ist geheim und unverletzlich.
  7. Hat der Meister einer Loge eine Frage entschieden, so gibt es keinerlei Berufung dagegen an die Loge.
  8. Die Loge kann den Meister nicht verhören (Das heißt, sie kann den Meister nicht vor ihr eigenes Gericht stellen, wohl aber vor das Großlogengericht!)
  9. Es ist das Vorrecht des Großmeisters, bei jeder Art von Arbeit der Bruderschaft seiner Großloge den Vorsitz zu führen, sei es nun in der Großloge oder einer Loge, und die Exekutive der Großloge in den Pausen zwischen ihren Versammlungen auszuüben.

Der amerikanische Jurist Roscoe Pound engte die Landmarken auf sieben ein, die im wesentlichen folgendes beeinhalten:

  1. Der Glaube an Gott.
  2. Glaube an die Fortdauer der Persönlichkeit.
  3. Das Buch der Gesetze als unentbehrliches Einrichtungsstuck der Freimaurerloge.
  4. Die Legende des dritten Grades.
  5. Das Geheimnis.
  6. Der Symbolismus geschöpft aus dem Bauhuttengebrauche.
  7. Erfordernis des männlichen Geschlechtes, freier Geburt und des gehörigen Alters.


Johann Gabriel Findel liest neun gemeinsame Satzungen aller Freimaurer aus den Alten Pflichten heraus. Diese waren:

  1. Die Verpflichtung auf die allgemeine Religion, in der alle Menschen übereinstimmen.
  2. Die Aufhebung der Schranken der Geburt, der Rasse, Nationalitat, Hautfarbe und der politischen Partei.
  3. Die Angehörigkeit jedes Aufgenommenen zum g a n z e n B u n d e, daher das Besuchsrecht, Gastrecht und Recht der Annahme.
  4. Die Bedingungen für die Aufnahmefähigkeit: geistige Freiheit, Das nötige Maß von Bildung, reifes Alter, sittliche Grundsätze, tadelloser Lebenswandel und guter Ruf.
  5. Der Grundsatz, daß jeder Vorrang unter Maurern sich nur auf den wahren inneren Wert und selbsteigenes Verdienst zu gründen habe sowie die Anerkennung der vollen Gleichheit unter Maurern.
  6. Die Verpflichtung, alle Streitigkeiten zwischen Personen innerhalb des Bundes auszutragen.
  7. Das Gebot der Eintracht, der Brüderliebe sowie Das Verbot Privatstreitigkeiten, insbesondere aber politische und religiöse Streitfragen in die Loge hineinzutragen.
  8. Die Verschwiegenheitspflicht, die Geheimhaltung der Erkennungszeichen und des Gebrauchtums.
  9. Das Recht jedes Maurers, an der maurerischen Gesetzgebung teilzunehmen, das Wahlrecht und das Recht, in der Großloge vertreten zu sein.

Durch einen Schreibfehler in einem Logenprotokolle (I8I0) wurde die Frage noch mehr kompliziert. Es heißt dort, Das die Installierung einer Loge nach den gesetzlichen Formen "is one of the two Landmarks of the Craft". Damit ware die Zahl der Landmarken uberhaupt nur auf zwei beschrankt gewesen, wobei die eine die Installierung selbst war. Hextall (I9I6) hat nun uberzeugend nachgewiesen, daß hier ein Fluchtigkeitsfehler in der Schrift vorliegt. Es muß heißen, "one of the true landmarks", eine der wahren Landmarken. Trotz vielfacher Bemühungen, besonders von deutscher Seite, gibt es kein gemeinsames Freimaurerrecht. Die Landmarken sind ein Ansatz dazu. Man wollte neben den geschriebenen Satzungen und Konstitutionen auch die ungeschriebenen Überlieferungswerte und Einrichtungen der Freimaurerei auf ein gemeinsam Verbindendes, auf einen Nenner, bringen. Das ist nun nicht gelungen. Und deshalb hat der Begriff Landmarken in Europa nur mehr den Wert eines Tropus.

Man bezeichnet damit allgemein die alten Überlieferungen in Gebrauchtum, Einrichtung und Übungen, ohne dabei an etwas Bestimmtes zu denken. Wogegen in Amerika mit dem Worte Landmark ein bestimmter Satz von Bestimmungen verstanden wird, die von jeder Großloge mehr oder weniger willkurlich konstruiert wurden. Man kann abschließend sagen, Das es Landmarken der Freimaurerei uberhaupt nicht gibt. Ein so hervorragender freimaurerischer Historiker wie Hughan bezeichnet die ganze Landmarkenfrage als bloße Phantasterei. Nur in Amerika halt die freimaurerische Orthodoxie an dem vagen Begriff der Landmarken unerschutterlich fest. Trotzdem macht sich auch dort Das Bedurfnis geltend, die alten Grenzsteine in der neuen Zeit zu versetzen. So ist nach dem Kriege die Unerschutterlichkeit des Grundsatzes, daß nur körperlich Volltaugliche Freimaurer werden durfen, verstandigerweise gestrichen oder gemildert worden. Um I87I findet die Großloge von New York, daß zwischen den Landmarken und den neuen Gesetzen der Großloge so viele schwerwiegende Unterschiede bestunden, Das "the entire law had become a very unsafe guide" (daß Das ganze Gesetz ein unzuverlassiger Fuhrer geworden sei!).

Die Landmarken sind ein Petrefakt und Petrefakten sind langlebig. Auch die Freimaurer leiden darunter, daß vom Rechte, Das mit ihnen geboren ist, leider nicht immer die Frage ist. Ihre einzige Bedeutung liegt höchstens darin, Das sie auf eine Auslese des Freimaurerrechtes hinweisen, die allen Großlogen gemeinsam sein könnte. Versuche, die in dieser Beziehung bisher unternommen wurden, so von der Association maçonnique internationale, haben bisher zu keinem Ergebnis gefuhrt. Es gibt heute gewisse symbolische und ritualistische Gemeinsamkeiten der freimaurerischen Lehrarten, aber kein gemeinsames Freimaurerrecht. Und die in Amerika festgesetzten Grundsatze, die Landmarks, sind vielleicht am wenigsten geeignet, dieses internationale Freimaurerrecht zu begrunden.

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