Traktat: Die unmittelbaren Vorläufer des Freimaurerbundes: Unterschied zwischen den Versionen

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== Die unmittelbaren Vorläufer des Freimaurerbundes ==
 
== Die unmittelbaren Vorläufer des Freimaurerbundes ==

Version vom 12. Mai 2015, 20:09 Uhr


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Die unmittelbaren Vorläufer des Freimaurerbundes

Quelle: Gutenberg-Projekt

Schon oft ist die Frage aufgeworfen: Aus welchen Quellen ist die Freimaurerei hervorgegangen und in welche Zeit ist ihr Ursprung zu verlegen? eine Frage, die naturgemäss für den Freimaurer selbst von hervorragendem Interesse sein muss – aber merkwürdig, an allen den Stellen, wo eine bestimmte Antwort auf diese Frage gesucht werden könnte, findet man eine solche nicht. Wird im vorigen Jahrhundert von den Schriftstellern der stricten Observanz mit Entschiedenheit die Abstammung der Freimaurerei von dem Templerorden verfochten, so weisen die neueren Geschichtsschreiber vor Allem darauf hin, dass vor Beginn des 18. Jahrhunderts die Bezeichnung Freimaurer sich in keiner zeitgenössischen Aufzeichnung findet. Aber lässt sich auch die Bezeichnung »Freimaurer« [Fußnote] nicht vor Beginn des 18. Jahrhunderts nachweisen – die Grossloge von England ist 1717 gegründet –, so folgt daraus durchaus noch nicht, dass die Anschauungen, die den Bund ins Leben gerufen haben, erst zu dieser Zeit entstanden sind. Im Gegentheil, wir werden annehmen dürfen, dass die treibenden Culturkräfte, welche die Freimaurerei hervorgebracht, schon lange vorher thätig gewesen sind, denn plötzlich, unvermittelt entsteht eine Vereinigung, wie die englische Grossloge, nicht.

Bei dieser Sachlage ist es von ausserordentlichem Interesse, in einer im vorigen Jahre erschienenen Abhandlung Mittheilungen zu begegnen, die auf die Vorläufer der heutigen Freimaurerei hindeuten. Es ist dies die von dem Archivrath Dr. Ludwig Keller verfasste Abhandlung: Comenius und die Akademien der Naturphilosophen des 17. Jahrhunderts. Ich hoffe den Br. einen Dienst zu erweisen, wenn ich sie mit den hauptsächlichsten in der Abhandlung angeführten Thatsachen bekannt mache – wohlverstanden, soweit dieselben die vorhin aufgeworfene Frage berühren –. Ich bemerke dabei vorweg, dass der Verfasser dem Freimaurerbunde damals noch nicht angehörte, sein Bericht also nicht etwa subjectiv gefärbt ist.

Wir versetzen uns zurück in die Mitte des 16. Jahrhunderts. Mit hell auflodernder Begeisterung hat das deutsche Volk dem kühnen Augustinermönche zugejubelt, der 1517 den Kampf gegen römische Geistesknechtschaft begonnen hat; die Reformation hat ihren Siegeszug durch die deutschen Lande beendet. Aber diese Reformation macht Halt auf religiösem Gebiete. Von Befreiung der Geister auch auf wissenschaftlichem Gebiete, von Freigebung wissenschaftlicher Forschung ist auch in der neu sich gründenden Kirche vorerst nicht entfernt die Rede. Sobald der wissenschaftliche Fortschritt mit der noch immer herrschenden alttestamentlichen Weltanschauung in Conflict geräth, werden auch von der protestantischen Kirche alle irgend verfügbaren Machtmittel in Bewegung gesetzt, die vermeintliche Gotteslästerung zu unterdrücken.

Indessen all' dieser Widerstand kann den Fortschritt nicht hemmen. Mächtig angeregt durch die gegen Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts einander förmlich drängenden geographischen Entdeckungen – ich erinnere an die Entdeckung des Seeweges nach Ostindien, die Entdeckung Amerikas, die erste Weltumsegelung – beginnt vor Allem eine Wissenschaft sich kräftig zu entwickeln, das ist die Naturwissenschaft. Die mittelalterliche Scholastik, von der Natur und Erfahrungswelt abgekehrt, blind gegen das, was zu ihren Füssen lag, hat in einem traumartigen Zustande gelebt. Jetzt macht sich mit elementarer Gewalt, dem Ausbruche eines Vulcans vergleichbar, das Streben nach Erkenntniss der Dinge, wie sie sind, geltend.

Müssen auch einzelne jener leidenschaftlichen, aufbrausenden Charaktere ihren glühenden Wissensdrang mit dem Tode büssen – ich erinnere an Giordano Bruno, der 1600 zu Rom den Scheiterhaufen besteigt –, so vermag das doch die Bewegung der Geister nicht zu unterdrücken. Nur einen Erfolg hat die mit allen Schrecken der Inquisition drohende kirchliche Verfolgungswuth aufzuweisen: die Bewegung tritt aus der Oeffentlichkeit zurück, an den Universitäten bilden sich geheime Gesellschaften, welche das Recht des Menschen auf freie Selbstbestimmung auf ihre Fahne schreiben und die von der Kirche mit Acht und Bann belegte Wissenschaft im Schutze des Geheimnisses weiter pflegen. Welches die Statuten dieser Gesellschaften gewesen, die sich selbst als Akademien bezeichnen, welches ihre Mitglieder, wir wissen es nicht. Geht ja doch die Vorsicht so weit, dass jeder in den Bund Aufgenommene seinen Namen aufgiebt, um ihn gegen einen Gesellschaftsnamen einzutauschen. Trotz alledem können wir uns ein Urtheil bilden über den Geist, der in jenen Akademien geherrscht haben muss, und zwar auf Grund des Einflusses, den diese italienischen Akademien auch auf deutsches Geistesleben, zumal das des 17. Jahrhunderts, ausgeübt haben.

Bei der hohen Blüthe, zu der sich gerade auf italienischem Boden schon frühzeitig Kunst und Wissenschaft entfaltet hat, ist es nur natürlich, dass im 16., auch noch im 17. Jahrhundert jeder junge Mann, der eine tiefer gehende Geistesbildung erwerben will, die italienischen Universitäten aufsucht. Adelige wie Bürgerliche, Prinzen aus regierenden Häusern wie Studirende der Jurisprudenz und Medicin ziehen über die Alpen, um auf italienischem Boden für ihre gesellschaftliche oder ihre Fachbildung den letzten Schliff zu erwerben. Da kann es denn nicht ausbleiben, dass auch unter den deutschen Zuzüglern sich Naturen finden, die, den italienischen Akademikern geistesverwandt, sich mit Begeisterung an dieselben anschliessen, mit Begierde ihre Lehre in sich aufnehmen und in ihr Vaterland zurückgekehrt das aufgenommene Samenkorn auch auf deutschen Boden verpflanzen.

So wird Fürst Ludwig von Anhalt in Florenz am 21. August 1600 in die Academia della crusca aufgenommen. Im Jahre 1617 trifft er beim Begräbnisse der Herzogin Dorothea Maria von Weimar mit mehreren Freunden zusammen, die theils wie er bereits in Italien mit den Akademien in Berührung gekommen sind, theils deren Bestrebungen billigen. Erfüllt von den Ideen jener Akademien beschliessen sie, nach italienischem Muster auf deutschem Boden eine eigene Akademie zu gründen. Von acht Fürsten und Adeligen wird der »Teutsche Palmbaum«, auch »fruchtbringende Gesellschaft« genannt, ins Leben gerufen. Die ersten Schritte geschehen in aller Stille, wie es später heisst, um nicht den »Neid« der Aussenstehenden wachzurufen, aber auffallend bleibt es immerhin, dass fast 30 Jahre lang über Verfassung, Symbole, sowie Mitglieder absolutes Stillschweigen beobachtet wird.

Erst im Jahre 1646 wird es für zweckmässig gehalten, über der fruchtbringenden Gesellschaft Namen, Vorhaben, Gemälde und Wörter weiteren Kreisen einigen Aufschluss zu geben, und als im folgenden Jahre auf sonderbaren (d. i. besonderen) Befehl einiger hochgebietender Gesellschafter eine »Vertheidigungs«- oder »Lobschrift« des »Teutschen Palmbaums« veröffentlicht wird, da bleiben gleichwohl die Personennamen verschwiegen; nur die Gesellschaftsnamen werden genannt, mit denen die Aussenwelt nichts anzufangen weiss. Erst im Jahre 1673, als der »Teutsche Palmbaum« der Auflösung nahe ist, wird die Mitgliederliste bekannt und da stellt sich denn heraus, dass die Gesellschaft einst viele mächtige Fürsten und Herren zu ihren Mitgliedern gezählt hat. Da finden wir Landgraf Moritz von Sachsen (aufgenommen 1623), Herzog August von Braunschweig-Lüneburg (1634), den schwedischen Kanzler Oxenstierna (1634), Friedrich Wilhelm, den grossen Kurfürsten (aufgenommen 1644), sowie eine grosse Zahl von hervorragenden Diplomaten, Staatsmännern, Soldaten und Gelehrten. Trotz der starken Vertretung fürstlicher und adeliger Häuser, trotz der festen Geschlossenheit des Bundes finden wir aber auch einen nicht unbeträchtlichen Zuzug bürgerlicher Elemente und alle diese Mitglieder umschlingt ein Band der Zusammengehörigkeit. Durch die ganze Gesellschaft zieht sich ein in jener Zeit doppelt auffälliger Zug brüderlicher Gleichberechtigung. Als im Jahre 1647 Rudolf von Dietrichstein dem Erzschreinhalter das Gutachten einreicht, nur den Ritterbürtigen solle der engere Ring der Gesellschaft offen stehen – gegen die Zulassung des bürgerlichen Elementes in den äusseren Ring hat selbst er nichts einzuwenden –, da weist das Oberhaupt des Bundes diese Vorschläge mit Entschiedenheit zurück und erklärt, dass ein solches Ansinnen mit dem ursprünglichen Zwecke der Gesellschaft ganz unvereinbar sei.

In ähnlicher Weise und nach dem Vorbilde des »Teutschen Palmbaumes« wird im Jahre 1643 in Hamburg von Philipp von Zeesen eine Verbindung gegründet, welche als Abzeichen einen Rosenstock mit drei weissen Rosen führt. Deutlicher als in den übrigen gleichgearteten Gesellschaften tritt in dieser »Brüderschaft der drei Rosen« – die Mitglieder nennen sich Brüder –, die Anlehnung an die Formen und Bräuche der Gilden und Zünfte hervor. Der Vorsitzende wird »Oberzunftmeister«, das Gesellschaftskleinod, das die Mitglieder bei ihren Zusammenkünften tragen, wird der »Zunftschmuck« genannt. Die Gesellschaft legt Werth darauf, »die allertugendhaftesten und allertüchtigsten Leute für den Bund zu gewinnen; zwischen allen Mitgliedern soll brüderliche Freundschaft gepflegt und Alles, was dieses brüderliche Band entbinden oder auflösen möchte, sorgfältig vermieden werden«.

M. Br. Es würde zu weit führen, wollte ich alle die Gesellschaften einzeln aufführen, die sich im 17. Jahrhundert auf deutschem Boden wie im Auslande finden; es wird genügen, wenn ich darauf hinweise, dass alle diese Genossenschaften, so lose sie auch äusserlich zusammenhängen, doch innerlich auf demselben Boden gleicher Grundanschauung stehen. Und woher erfahren wir diese Grundanschauungen? Nicht aus ihren Statuten, denn diese sind sorgfältig in den Schleier des Geheimnisses eingehüllt worden, wohl aber aus den Schriften, mit denen die uns bekannt gewordenen Vertreter der Akademien für ihre Ueberzeugung in der Oeffentlichkeit eintreten. Besonders sind es, um nur einzelne zu nennen, die Schriften eines Joachim Jungius, eines Bernegger, Comenius und Hartlieb, in denen sich die Denkungsweise der Anhänger jener Richtung deutlich wiederspiegelt.

Da ist es vor Allem die tiefe Abneigung gegen den scholastischen Wissenschaftsbetrieb, der die in den Akademien sich zusammenfindenden Gelehrten zusammenführt. »Das unglückselige Vertrauen in die dialectische Physik des Aristoteles«, sagt Joachim Jungius, »hat die Vernachlässigung der Beobachtung zu Wege gebracht«. Deshalb gilt ihr Kampf auch nicht dem einen oder anderen Irrthume, er gilt der ganzen Methode; die ganze von der Kirche sanctionirte Wissenschaft und Philosophie ist sophistisch. Ja, so tief ist ihr Widerwille gegen diese Sophisterei und Silbenstecherei, dass sie sogar den Namen Philosophen nicht auf sich angewandt wissen wollen; sie bezeichnen sich ausdrücklich als Naturphilosophen, ohne indessen damit etwa andeuten zu wollen, dass ihre ganze Thätigkeit sich lediglich auf Erforschung der Natur oder das Studium exacter Wissenschaften beschränke.

Dass sie bei solchen Grundsätzen mit der herrschenden Kirche in Conflict gerathen, stört sie nicht, – bekannt sind die Kämpfe, welche Galilei, ihr berühmter Genosse auf italienischem Boden, wegen seiner Vertheidigung des Kopernikanischen Weltsystems mit der Kurie auszufechten hat –; auch dass sie in Folge ihres Gegensatzes zur Kirche sich trotz ihrer hervorragenden Leistungen von den Lehrstühlen der Universitäten ausgeschlossen sehen, ist ihnen gleichgültig; unentwegt bleiben sie allen Anfechtungen zum Trotz ihrer wissenschaftlichen Ueberzeugung treu. Abweichend von der Lehre der Kirche, die in der durch den Sündenfall verderbten Welt eher das Reich des Fürsten dieser Welt, d. h. das Reich Satans erblickt, finden sie in dem Buche der Natur eine Offenbarungsquelle, die des Studiums ebenso werth und würdig ist, wie die heiligen Schriften. In wahrhaft rührender Weise tritt uns in den Werken eines Nollius diese Liebe und Hochschätzung der Natur entgegen. »Wie Gott Alles in Allem ist, so soll auch der Mensch, der sich darein (in die Natur) versenket, in Gott Alles erkennen«. »Durch die Betrachtung und Erforschung der Werke Gottes«, äussert Bernegger, »wird der Ruhm seines göttlichen Namens viel mehr verherrlicht, als durch die dornigen und nichtigen Streitfragen, von denen die Katheder der Hochschulen erschallen«.

Wie aus den angezogenen Stellen durchleuchtet, verbindet sich bei den Naturphilosophen mit der Liebe zur Natur ein kräftiger Zug ernster Religiosität. In den Lebensnachrichten, die wir von Jungius, von Bernegger, von dem auch in theologischen Kreisen wohlbekannten Andreae besitzen, finden sich Zeugnisse und Merkmale aufrichtiger Frömmigkeit, ja sogar Zeichen einer Hinneigung zur Mystik, unbeschadet ihres mit Klarheit und Beharrlichkeit verfolgten Zieles allgemein wissenschaftlicher Reform. Wird trotzdem gegen diese Männer von den Zeitgenossen gelegentlich die Anklage des » Atheismus« erhoben, so beweist die offenbare Unwahrheit dieser Beschuldigung nur, dass die Grundanschauungen der Beschuldigten in wesentlichen Punkten von der Anschauung der herrschenden Kirche abwichen. Und es lässt sich nicht verkennen, wird auch von den Naturphilosophen selbst nicht bestritten, dass sie die Idee und das Wesen des Christenthums in manchen Punkten anders fassten als die herrschende Kirche.

Für die Naturphilosophen steht die Idee des Reiches Gottes, wie es Christus verkündet hat, im Mittelpunkte der Gedankenwelt. Treten sie für diesen Gedanken öffentlich auch nur unter Anwendung symbolischer Verhüllungen ein, so tritt doch in vertraulichen Aeusserungen, in dem uns erhaltenen Briefwechsel einzelner Akademiker, diese Meinung ganz unzweideutig hervor. Dieses Reich, dessen Bau durch die Arbeit an der einzelnen Menschenseele begonnen wird, ist in seiner Einrichtung der der Familie gleich; es giebt keine andere Strafgewalt als die, welche der Vater über seine Kinder hat. Daher können auch nur die als wahre Angehörige dieses Reiches angesehen werden, die der Gemeinde aus freier Entschliessung und kraft selbständiger Wahl beigetreten sind. Für die Gemeinde fällt damit der von der herrschenden Kirche festgehaltene Grundsatz des Glaubenszwanges von selbst fort. Als wesentlicher Theil der Lehre Christi wird der Grundsatz der Gewissensfreiheit betrachtet. Jede Kirche, die diesen Grundsatz verleugnet, wird als Gegnerin des Christenthums angesehen, wie sie es auffassen. »Lasset ab, ihr Gewissenszwinger«, sagt der schon vorhin erwähnte Philipp von Zeesen, der Gründer der Rosenbrüderschaft, in einem an die Städte Zürich und Bern gerichteten Schreiben: »Lasset ab, ihr Gewissenszwinger, ihr Glaubensdringer, die ihr Gott die vollgewaltige Herrschaft der Seelen der Menschen, die er allein ihm vorbehalten, abdringet, lasset ab von den Christen, euren freigeborenen Mitbürgern«.

Aus dieser Grundanschauung fliessen auch alle ihre sonstigen Charakterzüge und Charaktereigenthümlichkeiten. Bei allem Eifer, mit dem sie auf das Wissen dringen, steht doch weit über der Wissenschaft die Weisheit. Ihre Gegner werfen ihnen vor, dass ihnen die Allweisheit über den Glauben gehe, und darin haben sie insoweit Recht, als die Naturphilosophen die Liebe, die aus dieser Weisheit fliesst, höher stellen als die Hingabe an irgend eine Lehre oder als den Glauben, wie ihn die damalige Dogmatik verstand. Nicht in der Anhäufung todten Wissens, sondern in der Nutzbarmachung des Wissens für die Menschenwelt erblicken sie ihre Lebensaufgabe. Ein Wissen, das unfähig ist, dem Menschen zu helfen oder ihn zu bessern, ist für sie werthlos; für den Bau des Tempels (so nennen sie die Idee des Gottesreiches) nützt ihnen keine Wissenschaft, die nicht lebendige Früchte bringt.

Aus dieser Grundanschauung erklärt sich auch sofort die Thatsache, dass diese Männer der Erziehung ein tieferes Interesse entgegenbringen als ihre Zeitgenossen. In diesen Kreisen sind die Begründer der neuen Erziehungslehre zu suchen – ich erinnere an Comenius, – deren heutige Vertreter sich dankbar jener Vorläufer erinnern. Aber jenen Naturphilosophen ist es nicht genug, für diesen oder jenen Stand, für diese oder jene Berufsart eine Summe von Wissen zu sammeln, sie wollen das gesammte Wissen oder die Allweisheit, wie sie sagen, für die Erziehung des Menschengeschlechts fruchtbar machen und auf dem Wege der allgemeinen Bildung die Menschen einer höheren Entwickelungsstufe entgegenführen.

M. Br. Kann die Aufgabe, welche sich die Freimaurerei noch heute stellt, oder richtiger gesagt, überall stellen sollte, kann diese Aufgabe klarer gezeichnet werden, als in dem Programm jener Naturphilosophen? –

Doch nicht nur im inneren Kern, auch in der äusseren Schale treten uns überraschende Aehnlichkeiten entgegen, die sicher nicht zufällig sind. Aus der thatkräftigen Förderung, die der in die Brüderschaft der drei Rosen aufgenommene Comenius an allen Orten, in Deutschland nicht minder wie in den Niederlanden und England findet, werden wir schliessen dürfen, dass die Aufnahme in eine Brüderschaft auch brüderliche Aufnahme in jedem anderen geistesverwandten Kreise verbürgt. Das ist aber ohne bestimmte Erkennungszeichen undenkbar. Daher finden wir denn auch unter den Akademikern recht früh ein System von Zeichen und Symbolen ausgebildet, das nur dem Eingeweihten verständlich ist.

Von diesen Zeichen und Symbolen wird uns Kunde in einer Schrift, deren im Jahre 1635 geschriebene Vorrede eine genauere Kenntniss verräth. Es ist des Orvius »Occulta philosophia«. Der sich Orvius nennende Verfasser erklärt, der Gesellschaft der »Philosophi« angehört zu haben, die von sich behaupteten, im Besitze der wahren Kunst zu sein, denn er selbst sei oft in ihren Versammlungen gewesen und habe die Ehre gehabt, solchen beizuwohnen. Er sei aber um einer geringfügigen Ursache willen ohne alle Gnaden in den Bann gethan und aus ihrer Gesellschaft ausgestossen. Deshalb wolle er die Geheimnisse verrathen, und nun folgen die Enthüllungen:

»So soll der Artiste wissen und sie daran erkennen, ihre Personen und die Plätze ihres Aufenthaltes. Im Haag haben sie einen Palast, wo sie zu gewissen Zeiten zusammenkommen. In Amsterdam, in Nürnberg, in Hamburg, in Danzig, Mantua, Venedig, Erfurt kommen sie zusammen, wie es ihrem Vorgesetzten beliebet und wo er am nächsten sein Haus und Hof hat. Es sind sowohl Hohe als Niedrige unter ihnen. Wenn sie reisen, gehen sie in sehr schlechter (soll heissen schlichter) Kleidung einher, führen aber alle zum Zeichen öffentlich eine schwarze Schnur von Seiden an ihren Röcken im obersten Knopfloch, welche sie bekommen, nachdem ihnen, wie sie sagen, einige Extases sind offenbaret worden, bei Leistung des Juraments und Verfluchung verschwiegen zu sein und lieber an einem solchen seidenen Stricke sich lassen erwürgen, als Gott und ihrem Nächsten zu dienen und solchem was zu offenbaren. Sie geben vor, diese seidene Schnur käme her von einem ihrer Ordensstifter, welcher soll Christian Rose geheissen haben, von welchem sie noch vieles dergleichen aufweisen; er soll solchen (nämlich den Strick) als einen Schurz um die Lenden getragen haben. Dieses halten sie hoch. Es ist aber falsch, dass der Christian Rose soll einer von ihren Ordensstiftern gewesen sein, denn vermuthlich haben sie ihren Anfang von dem Ritterorden der Johanniter. Wo diese aber die Kunst bekommen, glaube von denen Altvätern. So haben auch solche die Creutz-Ritter gehabt.

Das andere Signum, woran man solche öffentlich erkennen kann, ist dieses: sie sind alle, wenn solche in eine Versammlung gehen, mit einem blauen Ordensbande, an welchem ein güldenes Creutz mit einer Rose hanget, gezieret. Dieses tragen sie um den Hals und unter dem Rocke, wo man nicht viel von solchem zu Gesichte bekommt als das güldene Creutz, so sie zum Theil auf der linken Seite aushängen. Sie gehen auf den Strassen sehr andächtig und devot, leben dabei sehr abgeschieden.«

Nun, m. Br., stellt sich dieser biedere Orvius, der nach einer anderen Stelle seiner Mittheilungen bei seiner Ausstossung noch nicht aus den »Probierjahren« herausgekommen war, durch seine ganze eben wörtlich citirte Darstellungsweise als ein Mensch von nicht hervorragenden Geistesgaben heraus, so spricht doch gerade die Beschränktheit, mit der er an anderen Stellen sich selbst in ein ungünstiges Licht setzt, dafür, dass die von ihm gebrachten Angaben nicht einfach von ihm erfunden sind. So haben wir denn nicht nur im Inhalt, sondern auch in der äusseren Form Anklänge, die uns mit zwingender Gewalt zu der Annahme drängen, dass wir in jenen Akademien die Vorläufer der heutigen Logen vor uns haben. Eine solche Ueberzeugung gewinnt aber noch mehr an Gewissheit, wenn es uns noch gelingt, auch den Uebergang nachzuweisen, der von der früheren Form zu der jetzigen hinüberführt.

Wie den Br. bereits bekannt ist, haben die Akademien auch in England festen Fuss gefasst. Während nun in Deutschland die Akademien gegen Ende des 17. Jahrhunderts sich grösstentheils auflösen – so geht der Teutsche Palmbaum unter Leibniz' Führung in die noch heute bestehende Preussische Akademie der Wissenschaften über, – bestehen dieselben in England in der alten Form fort. Ja, es wird hier sogar unter Cromwell's Regiment allen Ernstes der Plan erwogen, den bis dahin nur lose verbundenen Akademien eine feste einheitliche Organisation unter neuem Namen zu geben und damit eine Verbindung zu schaffen, die eine allgemeine Reformation der ganzen Christenheit in die Wege leiten soll. Indessen Cromwell stirbt. Und als nun die Stuarts wieder den englischen Thron besteigen, als damit dem Einflusse der katholischen Kirche wieder Thür und Thor geöffnet wird, da sehen die Leiter jener Bewegung ein, dass die Zeit für die Durchführung des Ideals einer allgemeinen Reformation, die mit einer grossen socialen Reform Hand in Hand gehen soll, noch nicht gekommen ist. »Der Rauch ist verweht«, schreibt 1661 der in der Verfolgung jener Pläne besonders rührige Hartlieb, »aber das Feuer ist noch nicht ganz erloschen. Vielleicht wird es zur rechten Zeit wieder aufflammen, wenn auch nicht in Europa«. Und dieses Feuer ist in der That wieder aufgeflammt. In dem Freundeskreise, der sich in London um den eben genannten Hartlieb schaart, begegnen wir einem Namen, der uns ganz besonders lebhaft interessirt, dem Namen Christoph Wren. Wie den Brüdern aus Lessing's Gesprächen über Freimaurerei bekannt sein wird, ist nach Lessing's Auffassung diesem Christoph Wren, dem genialen Erbauer der Paulskirche in London, die Gründung der heutigen Freimaurerei zuzuschreiben. In diesem Namen findet sich also das Band, das Vergangenheit an Gegenwart anknüpft, in diesem Namen erklärt sich ungezwungen und natürlich die geistige Verwandtschaft, die zwischen den Akademien des 17. und den Logen des 18. Jahrhunderts besteht, in diesem Namen erklären sich endlich auch ungezwungen und natürlich die Symbole, deren sich die Freimaurerei noch heute bedient.

Aber, wenn ich zum Schluss nun noch frage: Hat die moderne Freimaurerei auch im Geiste jener Vorläufer weiter gearbeitet? wie lautet die Antwort? M. Br. Täuschen wir uns nicht. Auch in die Freimaurerei ist jene verflachende rationalistische Geistesrichtung eingedrungen, mit der die sogenannte Aufklärungsperiode französischen Angedenkens ihr Zeitalter beschenkt hat. Ob das der Freimaurerei zum Segen gereicht hat, ich bezweifle es. Meiner Ueberzeugung nach wird die Freimaurerei ihren Beruf – und als solchen betrachte ich den, den Sauerteig zu bilden im Culturleben der Völker – die Freimaurerei wird diesen Beruf nur dann voll und ganz erfüllen können, wenn sie zurückkehrt zu den Grundanschauungen, aus denen sie hervorgegangen ist, wenn die Idee des Reiches Gottes, wie dieselbe bei unseren Vorfahren im Mittelpunkte der Gedankenwelt stand, auch bei uns wieder feste Wurzel schlägt. Nicht einseitiger, engherziger Confessionalismus, wohl aber die in dieser Grundidee des Reiches Gottes liegende sittlich-religiöse Kraft, die durch den Kampf von Jahrhunderten sich allen Verfolgungen zum Trotz siegreich behauptet hat, sie muss auch in unserem Bunde wieder festen Fuss fassen und Gestalt gewinnen, dann werden auch wir getrost den schwersten Gefahren entgegengehen können, denn in diesem Zeichen werden wir siegen.

Br. W. Dahl.