Rezension: Wolfram Frietsch: Die Traumfahrt der Zauberflöte: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 3. Februar 2017, 20:09 Uhr

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Wolfram Frietsch: Die Traumfahrt der Zauberflöte

Rezension von Clemens Zerling

Selbstwerdung und Archetypen:
Mozarts Zauberflöte aus der Sicht der Analytischen Psychologie C. G. Jungs

Mozarts Zauberflöte: Schon beim Namen schwingt etwas mit, was manchen tief in der Seele berührt. Um so ernüchternder aber wirkt das Libretto, jedenfalls für den, der sich intensiv mit ihm auseinandersetzt. Stößt man doch auf eine Fülle irritierender Ungereimtheiten, Widersprüche oder gar Unzulänglichkeiten. Deshalb lassen sich für alle Deutungsversuche der Oper, auch die eines freimaurerischen Einweihungsdramas, immer gewichtige Gegenargumente finden. Und trotzdem wird sich kaum jemand der bezaubernden Musik und den eindrücklichen Bildern dieses Werks entziehen können. Birgt es ein besonders verhülltes Geheimnis? „Die Zauberflöte zeigt uns eine andere Welt, eine, in der alles erlebbar scheint. Sie ist wie ein Traum, der seiner eigenen Logik folgt“, erklärt der Autor. Eine endgültige oder gar richtige Deutung von ihr werde es ebenso wenig geben, wie den Versuch, keine Deutungen mehr zu unternehmen. Böten doch die die Inhalte der Oper eine „dankbare Projektionsfläche“. Ihm selbst scheinen die vielen Mysterienmotive, auch wenn sie nicht klar durchdacht sind und eher ein buntes Potpourri bilden, nicht ganz zufällig. Schon das Auftauchen der Schlange in der ersten Szene entspreche einem Initiationstraum.

Wolfram Frietsch geht davon aus, dass in der Oper eine tiefere Symbolik mit einem archetypischen Grund steckt, die schon deshalb im psychologischen Sinne wirke, weil sie uns ergreift. So liege es nahe, auf die Arbeitswerkzeuge der Psychologie zurückzugreifen, um den Geheimnissen auf die Spur zu kommen. Tatsächlich aber benutzt er einen vierfachen Schlüssel und sucht einen Zugang von der historischen, wissenschaftlichen, tiefenpsychologischen – auf Basis der Analytischen Psychologie C. G. Jungs – und mystischen Seite. Er führt daneben verständlich in die klassische Musik ein und in Mozarts Notenbilder. Profund berichtet er über die möglichen literarischen Vorlagen und Texte, die den Zeitgeist bestimmten und die Einstellung des 18. Jahrhunderts zu den Mysterien spiegeln; über Einflüsse auf das Werk aus der Freimaurerei und mutmaßliche andere wie aus den Kreisen der Rosenkreuzer oder der aufklärerischen Illuminaten.

Unbestritten wird Tamino und jeder Opernbesucher in den zwei Akten aus dem Mondreich der Königin der Nacht in das Sonnenreich Sarastros geführt. Aus psychologischer Sicht symbolisiert es auch den Weg aus dem Unbewussten zum Licht der Bewusstwerdung. Dabei muss Tamino sich mit seinen Schattenseiten auseinandersetzen, für die Papageno eine köstlich deftige Verkörperung liefert. Als nächste Stufe folgt die Konfrontation mit seiner weiblichen Seite (anima), für die durchaus Pamina stehen kann. Anima (weiblicher Aspekt der Seele) steckt sogar in ihrem Namen, kehrt man die Buchstabenfolge um. Zuletzt warten Sarastro als Vater-Bild und Alter Weiser samt Prüfungen. In solch durchaus gefährlichen und oft alles abverlangenden Kämpfen mit seinen eigenen regressiven und bewusstseinsfeindlichen Kräften entsteht Wandlung. Aber diese „Abenteuer der Seele“ vermitteln dem „Helden“ neue Einsichten und Möglichkeiten der Selbsterkenntnis. Vermag er sich diese als „Werkzeuge“ anzueignen, wird er „neugeboren“, erkennt und lebt er völlig neue Aspekte seines Lebens und Daseins. Wer sich diesem Wandel bewusst hingibt, findet nach C. G. Jung am Ende Individuation; das bedeutet, Selbstwerdung und „Ganzwerden“. Dieses wachsende Licht des Erkennens symbolisiert das solare Reich des höchsten Geistes, bewacht von der Priesterschaft Sarastros.

Am Ende haben sich Pamina und Tamino gefunden und werden vereint durch Leben gehen. Auch die beiden Reiche Mond-Nacht und Sonne-Tag schließen Frieden. Jetzt erhält oder enthüllt die „teilweise verwirrende bis widersprüchliche Handlung“ einen mehrschichtigen Sinn: Die Überlieferungen der alten Mysterien harmonieren mit den politischen Machtverhältnissen der Gegenwart. Pamino, der weise Regent der Gegenwart und Zukunft, ist mit der zeitlosen Mysterientradition verbunden und kann als Priesterkönig herrschen. Es scheint, als hätten die Götter gehandelt und alles sei nach einem höheren Ratschluss erfüllt. Damit nicht genug, bietet W. Frietsch im Anhang noch eine siebenstufige alchimistische Deutung an und rundet seine Arbeit mit einer prägnanten Inhaltsangabe der Zauberflöte ab.

Wer sich gründlich mit ihrem Inhalt auseinandersetzen will, dem sei dieses Buch ans Herz gelegt. Allerdings dürfte sich der Freimaurer Emanuel Schikaneder (1751–1812) selbst beim Text zur Oper so viele tiefgründige Gedanken gar nicht gemacht haben. Eher sieht es so aus, als habe er beherzt drauflos geschrieben und einige gängige Topoi seines Klientel eingestreut. Doch „Wirkung ist letztlich das, was berührt. Was berührt, verwandelt. Was verwandelt, trifft auf etwas in uns, was sich verwandeln lässt, … sich nach Wandlung sehnt (W. Frietsch).“ Ist damit eine weitere Faszinosumsquelle der Oper entdeckt? Ganz sicher! Vielleicht war die Oper auch schon direkt als Rätsel oder Hieroglyphe angelegt (Jan Assmann). Wer sich auf diese bestrickende Zauberflötenwelt einlässt, vor allem auf dieses spannende Traumfahrtszenarium unterschiedlichster Deutungsebenen, gewahrt eine Welt, in der – wie im Märchen – alles möglich scheint. Diese Welt ist verwandelt, auch seine Welt. Lauert dann nicht überall ein geheimnisvoller Sinn, selbst in den vordergründig unwichtigen Details? „Ich Narr vergaß der Zauberdinge!“ ruft Papageno schuldbewusst.

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