Alfred Schmidt: Deistische Wurzeln und Aspekte: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Kongruenz zweier Denkansätze ===
 
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In der Literatur über Wesen und Herkunft der Freimaurerei
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In der Literatur über Wesen und Herkunft der Freimaurerei in ihrer heutigen Gestalt gilt es als ausgemacht, dass sie ein Kind des Zeitalters der [[Aufklärung]] ist. Sobald jedoch die Autoren in die Diskussion von Detailfragen eintreten, trennen sich ihre Ansichten. Schwierigkeiten der Forschung ergeben sich nicht nur aus der oft unsicheren Quellenlage, die fragwürdige Hypothesen begünstigt, sondern vor allem aus der Problematik eines angemessenen Vorverständnisses von „Aufklärung“ als geistes- und sozialgeschichtlicher Kategorie.
in ihrer heutigen Gestalt gilt es als ausgemacht, dass
 
sie ein Kind des Zeitalters der [[Aufklärung]] ist. Sobald jedoch
 
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Die aufklärerische Begriffswelt entzieht sich
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Die aufklärerische Begriffswelt entzieht sich Versuchen schon ihrer ursprünglichen Verfechter, ihr Wesen, etwa im Sinn vernünftiger Reflexion, abschlusshaft zu definieren. Sie stellt sich heute dar als ein schillerndes, uneinheitlich verwendetes Vokabular, dem es versagt blieb, das mit ihm kokettierende Zeitalter überwiegend, geschweige denn ausschließlich, zu beherrschen.<sup>1</sup>
Versuchen
 
schon ihrer ursprünglichen Verfechter, ihr Wesen,
 
etwa im Sinn vernünftiger Reflexion, abschlusshaft zu
 
definieren.
 
Sie stellt sich heute dar als ein schillerndes, uneinheitlich
 
verwendetes Vokabular, dem es versagt blieb, das
 
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Spuren aufklärerischen Denkens und Wirkens lassen sich in sämtlichen Wissensund
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Spuren aufklärerischen Denkens und Wirkens lassen sich in sämtlichen Wissens und Lebensbereichen der Epoche nachweisen. Gleichwohl bleibt es anfechtbar, deren Geist nur unter dem Blickwinkel fortschreitender Rationalität zu betrachten. Mit größerem Recht sprechen die Enzyklopädisten vom „philosophischen“ Charakter ihres Jahrhunderts, das zwar keine Metaphysik von Rang hervorbringt, wohl aber eine spezifische Mentalität. Es handelt sich hier – so der Historiker Vierhaus – um eine „Weise des Denkens, des Argumentierens und Urteilens“, die sich, „an der Vernunft orientiert“, eine „allgemeine kritische Funktion“ zuspricht und als „handlungsleitende Philosophie in praktischer Absicht“<sup>2</sup> auftritt. Der sich derart entfaltende Diskurs verfährt eher eklektisch als systematisch (im klassisch-rationalistischen Sinn). Er hält sich ans jeweils Plausible und beharrt nicht auf der Unumstößlichkeit einzelner Thesen, Prinzipien oder Lehrgebäude.  
Lebensbereichen der Epoche nachweisen. Gleichwohl
 
bleibt es anfechtbar, deren Geist nur unter dem Blickwinkel
 
fortschreitender Rationalität zu betrachten. Mit größerem
 
Recht sprechen die Enzyklopädisten vom „philosophischen“
 
Charakter ihres Jahrhunderts, das zwar keine Metaphysik
 
von Rang hervorbringt, wohl aber eine spezifische Mentalität.
 
Es handelt sich hier – so der Historiker Vierhaus – um
 
eine „Weise des Denkens, des Argumentierens und Urteilens“,
 
die sich, „an der Vernunft orientiert“, eine „allgemeine
 
kritische
 
Funktion“ zuspricht und als „handlungsleitende
 
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in praktischer Absicht“2 auftritt. Der sich derart
 
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Plausible und beharrt nicht auf der Unumstößlichkeit
 
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Die Stärke dieses
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Die Stärke dieses Diskurses liegt in der unbefangenen Prüfung der tradierten Normen und Werte. Soweit dabei dogmatisch Behauptetes relativiert wird, ist dies kein Selbstzweck, sondern geschieht im Namen der Idee unzerstörbarer Wahrheit. Vierhaus erblickt in der Aufklärung eine „kulturelle Konfiguration“ <sup>3</sup>, die sich, mancherorts zeitlich verzögert, seit dem späten siebzehnten Jahrhundert ausbildet. Als Vehikel der Emanzipation des Bürgertums nimmt sie im modernen Europa verschiedene Ausdrucksgestalten an.  
Diskurses liegt in der unbefangenen Prüfung der tradierten
 
Normen und Werte. Soweit dabei dogmatisch Behauptetes
 
relativiert wird, ist dies kein Selbstzweck, sondern geschieht
 
im Namen der Idee unzerstörbarer Wahrheit.
 
Vierhaus erblickt in der Aufklärung eine „kulturelle Konfiguration“
 
3, die sich, mancherorts zeitlich verzögert, seit dem
 
späten siebzehnten Jahrhundert ausbildet. Als Vehikel der Emanzipation des Bürgertums nimmt sie im modernen Europa
 
verschiedene Ausdrucksgestalten an.  
 
  
Sie sind Stadien
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Sie sind Stadien eines Prozesses „der gedanklichen Auseinandersetzung mit Traditionen und Lehrautoritäten, mit Glaubensinhalten und Wissensbeständen, mit der Legitimität von Rechten und der Historizität von Institutionen“<sup>4</sup>. Es ist hinreichend belegt, dass die Freimaurerei an diesem intellektuellen, das Selbstverständnis der Aufklärung konstituierenden Prozess nicht nur beteiligt ist, sondern eine ihrer wichtigen Organisationsformen bildet.<sup>5</sup> Freimaurerei und Aufklärung begegnen einander im rationalen Denkansatz, aus dem sich die Gemeinsamkeit ihrer Ziele ergibt. Beide entstehen auf dem Geschichtsboden Westeuropas.
eines Prozesses „der gedanklichen Auseinandersetzung mit
 
Traditionen und Lehrautoritäten, mit Glaubensinhalten
 
und Wissensbeständen, mit der Legitimität von Rechten
 
und der Historizität von Institutionen“4. Es ist hinreichend
 
belegt,
 
dass die Freimaurerei an diesem intellektuellen, das
 
Selbstverständnis der Aufklärung konstituierenden Prozess
 
nicht nur beteiligt ist, sondern eine ihrer wichtigen Organisationsformen
 
bildet.5 Freimaurerei und Aufklärung begegnen
 
einander im rationalen Denkansatz, aus dem sich die
 
Gemeinsamkeit ihrer Ziele ergibt. Beide entstehen auf dem
 
Geschichtsboden Westeuropas.
 
  
Hier wie dort gilt das primäre
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Hier wie dort gilt das primäre Erkenntnisinteresse dem Menschen und seiner höheren Bestimmung. Er ist „Bezugspunkt und Zentrum“<sup>6</sup> allen Bemühens. Unablässig fragen Aufklärer und Freimaurer, oft in einer Person, nach der Natur und Aufgabe des Menschen, der seine Anlagen als selbstdenkendes und eigenverantwortliches Individuum entfalten soll. Es gilt, davon sind sie überzeugt, die gesellschaftliche Wirklichkeit „kraft vernünftiger Erkenntnis, moralischer Verantwortung und ästhetischer Sensibilität
Erkenntnisinteresse dem Menschen und seiner höheren
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einzurichten“<sup>7</sup>.  
Bestimmung.
 
Er ist „Bezugspunkt und Zentrum“6 allen Bemühens.
 
Unablässig fragen Aufklärer und Freimaurer, oft in
 
einer Person, nach der Natur und Aufgabe des Menschen,
 
der seine Anlagen als selbstdenkendes und eigenverantwortliches
 
Individuum
 
entfalten soll. Es gilt, davon sind sie überzeugt,
 
die gesellschaftliche Wirklichkeit „kraft vernünftiger
 
Erkenntnis,
 
moralischer Verantwortung und ästhetischer
 
Sensibilität
 
einzurichten“7.
 
 
 
[[Vierhaus]] fasst die weltanschauliche
 
Kongruenz von Aufklärung und Freimaurerei in folgenden Kernpunkten zusammen: „Ablehnung der exklusiven
 
Inanspruchnahme
 
des Menschen für eine Nation, einen
 
Staat, eine Religion
 
und einen Stand; Betonung der prinzipiellen
 
Überlegenheit
 
der moralischen Persönlichkeit über
 
die Zugehörigkeit zu Staat, Konfession, Stand; Glaube an ein
 
Gemeinsames aller
 
Menschen vor ihrer Partikularisierung im
 
praktischen Leben; Aufruf zur religiösen Toleranz: das gehörte
 
zum Programm
 
auch der Aufklärung und ist in zahllosen
 
Variationen immer wieder vorgetragen worden, und nicht
 
selten waren es dieselben Personen, die als Aufklärer und als
 
Freimaurer sprachen. Sie richteten sich weitgehend an dasselbe
 
Publikum,
 
und sie meinten, dieselben Gegner zu haben.“8
 
  
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[[Vierhaus]] fasst die weltanschauliche Kongruenz von Aufklärung und Freimaurerei in folgenden Kernpunkten zusammen: „Ablehnung der exklusiven Inanspruchnahme des Menschen für eine Nation, einen Staat, eine Religion und einen Stand; Betonung der prinzipiellen Überlegenheit der moralischen Persönlichkeit über die Zugehörigkeit zu Staat, Konfession, Stand; Glaube an ein Gemeinsames aller Menschen vor ihrer Partikularisierung im praktischen Leben; Aufruf zur religiösen Toleranz: das gehörte zum Programm auch der Aufklärung und ist in zahllosen Variationen immer wieder vorgetragen worden, und nicht selten waren es dieselben Personen, die als Aufklärer und als Freimaurer sprachen. Sie richteten sich weitgehend an dasselbe Publikum, und sie meinten, dieselben Gegner zu haben.“<sup>8</sup> 
  
 
== Quellen ==
 
== Quellen ==
  
*1 Hieran erinnert die instruktive Studie Was war Aufklärung?
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:1 Hieran erinnert die instruktive Studie Was war Aufklärung? von Rudolf Vierhaus: „Ältere Denktraditionen, Anschauungen und Sozialisationsweisen haben sich unterschiedlich stark und lange neben ihr (der Aufklärung, A.S.) behauptet: orthodoxer Protestantismus, tridentinischer Barockkatholizismus, jesuitisches Bildungskonzept, späthumanistische Gelehrsamkeit, Gottesgnadentum-Absolutismus, die Adelskultur des 17. Jahrhunderts und der ältere feudalistische Patriarchalismus. Andere geistig-soziale Bewegungen haben sich gleichzeitig mit ihr entfaltet und gleichsam als Komplementärerscheinungen das 18. Jahrhundert mitgeprägt: Pietismus und Empfindsamkeit; wieder andere, die sich gegen sie wandten, sind ohne sie nicht zu denken: literarische Klassik und frühe Romantik, philosophischer Idealismus und neuhumanistische Bildungsidee“ (Göttingen 1995, S. 5f.).
von
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:2 Ibid., S. 6; cf. zum nicht-doktrinalen, an historischer Praxis orientierten Charakter des aufklärerischen Denkens auch Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung, Tübingen 1932, S. XI.
Rudolf Vierhaus: „Ältere Denktraditionen, Anschauungen
+
:3 Vierhaus, l.c., S. 23.
und Sozialisationsweisen
+
:4 Ibid., S. 7; näher bestimmt Vierhaus den prozessualen Charakter der Aufklärung in seinem Vortrag Goethe und die Aufklärung, in: Allerhand Goethe. Vorträge in der Johann Wolfgang Goethe-Universität zu Frankfurt aus Anlaß seines 150. Todestages. Hrsg. von Dieter Kimpel und Jörg Pompetzki, Frankfurt am Main 1985, S. 11-29.
haben sich unterschiedlich
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:5 Cf. hierzu Helga Schultz, Berlin 1650-1800. Sozialgeschichte einer Residenz, Berlin 1987, S. 257.
stark und lange neben
+
:6 Vierhaus, Was war Aufklärung?, l.c., S. 7.
ihr (der Aufklärung, A.S.) behauptet:
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:7 Ibid., S. 23.
orthodoxer Protestantismus,
+
:8 Vierhaus, Aufklärung und Freimaurertum in Deutschland, in: Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, hrsg. von [[Helmut Reinalter]], Frankfurt am Main 1983, S. 119.
tridentinischer Barockkatholizismus,
 
jesuitisches Bildungskonzept,
 
späthumanistische
 
Gelehrsamkeit, Gottesgnadentum-Absolutismus,
 
die Adelskultur des 17. Jahrhunderts und der ältere feudalistische
 
Patriarchalismus.
 
Andere geistig-soziale Bewegungen haben sich gleichzeitig
 
mit ihr entfaltet und gleichsam als Komplementärerscheinungen das 18. Jahrhundert mitgeprägt: Pietismus und Empfindsamkeit;
 
wieder andere, die sich gegen sie wandten, sind ohne sie nicht zu
 
denken: literarische Klassik und frühe Romantik, philosophischer
 
Idealismus und neuhumanistische Bildungsidee“ (Göttingen 1995,
 
S. 5f.).
 
*2 Ibid., S. 6; cf. zum nicht-doktrinalen, an historischer Praxis orientierten
 
Charakter des aufklärerischen Denkens auch Ernst Cassirer, Die
 
Philosophie der Aufklärung, Tübingen
 
1932, S. XI.
 
*3 Vierhaus, l.c., S. 23.
 
*4 Ibid., S. 7; näher bestimmt Vierhaus den prozessualen Charakter der
 
Aufklärung in seinem Vortrag Goethe und die Aufklärung, in: Allerhand
 
Goethe. Vorträge in der Johann Wolfgang Goethe-Universität zu
 
Frankfurt aus Anlaß seines 150. Todestages. Hrsg. von Dieter Kimpel
 
und Jörg Pompetzki,
 
Frankfurt am Main 1985, S. 11-29.
 
*5 Cf. hierzu Helga Schultz, Berlin 1650-1800. Sozialgeschichte
 
einer Residenz,
 
Berlin 1987, S. 257.
 
*6 Vierhaus, Was war Aufklärung?, l.c., S. 7.
 
*7 Ibid., S. 23.
 
*8 Vierhaus, Aufklärung und Freimaurertum in Deutschland, in: Freimaurer
 
und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa,
 
hrsg.
 
von [[Helmut Reinalter]], Frankfurt am Main 1983, S. 119.
 
  
 
== Siehe auch: ==
 
== Siehe auch: ==
*[[Alfred Schmidt: Deistische Wurzeln und Aspekte]]
+
*[[Rezension: Alfred Schmidt - Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei]]
 +
*[[Alfred Schmidt - Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei]]
 +
*[[Alfred Schmidt]]
 
*[[Deismus]]
 
*[[Deismus]]
*[[Alfred Schmidt]]
 
 
*[[Klaus-Jürgen Grün]]
 
*[[Klaus-Jürgen Grün]]
 
*[[Rezension: Klaus-Jürgen Grün: Das verlorene Wort]]
 
*[[Rezension: Klaus-Jürgen Grün: Das verlorene Wort]]
*[[Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei]]
 
  
== Links ==
+
 
 +
{{SORTIERUNG:Schmidt}}
 +
[[Kategorie:Literatur]]
 +
[[Kategorie:Alfred Schmidt]]

Aktuelle Version vom 16. Februar 2017, 08:57 Uhr

Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei
Deistische Wurzeln und Aspekte
von Alfred Schmidt
Medium: Buch
ISBN: 978-3-943539-40-0
Auflage: 1. Auflage 2014
Einband: Softcover
Seitenzahl: 196
Format: 12 x 19 cm
12,00 €

Deistische Wurzeln und Aspekte

Kongruenz zweier Denkansätze

In der Literatur über Wesen und Herkunft der Freimaurerei in ihrer heutigen Gestalt gilt es als ausgemacht, dass sie ein Kind des Zeitalters der Aufklärung ist. Sobald jedoch die Autoren in die Diskussion von Detailfragen eintreten, trennen sich ihre Ansichten. Schwierigkeiten der Forschung ergeben sich nicht nur aus der oft unsicheren Quellenlage, die fragwürdige Hypothesen begünstigt, sondern vor allem aus der Problematik eines angemessenen Vorverständnisses von „Aufklärung“ als geistes- und sozialgeschichtlicher Kategorie.

Die aufklärerische Begriffswelt entzieht sich Versuchen schon ihrer ursprünglichen Verfechter, ihr Wesen, etwa im Sinn vernünftiger Reflexion, abschlusshaft zu definieren. Sie stellt sich heute dar als ein schillerndes, uneinheitlich verwendetes Vokabular, dem es versagt blieb, das mit ihm kokettierende Zeitalter überwiegend, geschweige denn ausschließlich, zu beherrschen.1

Spuren aufklärerischen Denkens und Wirkens lassen sich in sämtlichen Wissens und Lebensbereichen der Epoche nachweisen. Gleichwohl bleibt es anfechtbar, deren Geist nur unter dem Blickwinkel fortschreitender Rationalität zu betrachten. Mit größerem Recht sprechen die Enzyklopädisten vom „philosophischen“ Charakter ihres Jahrhunderts, das zwar keine Metaphysik von Rang hervorbringt, wohl aber eine spezifische Mentalität. Es handelt sich hier – so der Historiker Vierhaus – um eine „Weise des Denkens, des Argumentierens und Urteilens“, die sich, „an der Vernunft orientiert“, eine „allgemeine kritische Funktion“ zuspricht und als „handlungsleitende Philosophie in praktischer Absicht“2 auftritt. Der sich derart entfaltende Diskurs verfährt eher eklektisch als systematisch (im klassisch-rationalistischen Sinn). Er hält sich ans jeweils Plausible und beharrt nicht auf der Unumstößlichkeit einzelner Thesen, Prinzipien oder Lehrgebäude.

Die Stärke dieses Diskurses liegt in der unbefangenen Prüfung der tradierten Normen und Werte. Soweit dabei dogmatisch Behauptetes relativiert wird, ist dies kein Selbstzweck, sondern geschieht im Namen der Idee unzerstörbarer Wahrheit. Vierhaus erblickt in der Aufklärung eine „kulturelle Konfiguration“ 3, die sich, mancherorts zeitlich verzögert, seit dem späten siebzehnten Jahrhundert ausbildet. Als Vehikel der Emanzipation des Bürgertums nimmt sie im modernen Europa verschiedene Ausdrucksgestalten an.

Sie sind Stadien eines Prozesses „der gedanklichen Auseinandersetzung mit Traditionen und Lehrautoritäten, mit Glaubensinhalten und Wissensbeständen, mit der Legitimität von Rechten und der Historizität von Institutionen“4. Es ist hinreichend belegt, dass die Freimaurerei an diesem intellektuellen, das Selbstverständnis der Aufklärung konstituierenden Prozess nicht nur beteiligt ist, sondern eine ihrer wichtigen Organisationsformen bildet.5 Freimaurerei und Aufklärung begegnen einander im rationalen Denkansatz, aus dem sich die Gemeinsamkeit ihrer Ziele ergibt. Beide entstehen auf dem Geschichtsboden Westeuropas.

Hier wie dort gilt das primäre Erkenntnisinteresse dem Menschen und seiner höheren Bestimmung. Er ist „Bezugspunkt und Zentrum“6 allen Bemühens. Unablässig fragen Aufklärer und Freimaurer, oft in einer Person, nach der Natur und Aufgabe des Menschen, der seine Anlagen als selbstdenkendes und eigenverantwortliches Individuum entfalten soll. Es gilt, davon sind sie überzeugt, die gesellschaftliche Wirklichkeit „kraft vernünftiger Erkenntnis, moralischer Verantwortung und ästhetischer Sensibilität einzurichten“7.

Vierhaus fasst die weltanschauliche Kongruenz von Aufklärung und Freimaurerei in folgenden Kernpunkten zusammen: „Ablehnung der exklusiven Inanspruchnahme des Menschen für eine Nation, einen Staat, eine Religion und einen Stand; Betonung der prinzipiellen Überlegenheit der moralischen Persönlichkeit über die Zugehörigkeit zu Staat, Konfession, Stand; Glaube an ein Gemeinsames aller Menschen vor ihrer Partikularisierung im praktischen Leben; Aufruf zur religiösen Toleranz: das gehörte zum Programm auch der Aufklärung und ist in zahllosen Variationen immer wieder vorgetragen worden, und nicht selten waren es dieselben Personen, die als Aufklärer und als Freimaurer sprachen. Sie richteten sich weitgehend an dasselbe Publikum, und sie meinten, dieselben Gegner zu haben.“8

Quellen

1 Hieran erinnert die instruktive Studie Was war Aufklärung? von Rudolf Vierhaus: „Ältere Denktraditionen, Anschauungen und Sozialisationsweisen haben sich unterschiedlich stark und lange neben ihr (der Aufklärung, A.S.) behauptet: orthodoxer Protestantismus, tridentinischer Barockkatholizismus, jesuitisches Bildungskonzept, späthumanistische Gelehrsamkeit, Gottesgnadentum-Absolutismus, die Adelskultur des 17. Jahrhunderts und der ältere feudalistische Patriarchalismus. Andere geistig-soziale Bewegungen haben sich gleichzeitig mit ihr entfaltet und gleichsam als Komplementärerscheinungen das 18. Jahrhundert mitgeprägt: Pietismus und Empfindsamkeit; wieder andere, die sich gegen sie wandten, sind ohne sie nicht zu denken: literarische Klassik und frühe Romantik, philosophischer Idealismus und neuhumanistische Bildungsidee“ (Göttingen 1995, S. 5f.).
2 Ibid., S. 6; cf. zum nicht-doktrinalen, an historischer Praxis orientierten Charakter des aufklärerischen Denkens auch Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung, Tübingen 1932, S. XI.
3 Vierhaus, l.c., S. 23.
4 Ibid., S. 7; näher bestimmt Vierhaus den prozessualen Charakter der Aufklärung in seinem Vortrag Goethe und die Aufklärung, in: Allerhand Goethe. Vorträge in der Johann Wolfgang Goethe-Universität zu Frankfurt aus Anlaß seines 150. Todestages. Hrsg. von Dieter Kimpel und Jörg Pompetzki, Frankfurt am Main 1985, S. 11-29.
5 Cf. hierzu Helga Schultz, Berlin 1650-1800. Sozialgeschichte einer Residenz, Berlin 1987, S. 257.
6 Vierhaus, Was war Aufklärung?, l.c., S. 7.
7 Ibid., S. 23.
8 Vierhaus, Aufklärung und Freimaurertum in Deutschland, in: Freimaurer und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, hrsg. von Helmut Reinalter, Frankfurt am Main 1983, S. 119.

Siehe auch: