Rezension: Helmut Neuberger - Winkelmaß und Hakenkreuz: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Nach Klärung der Voraussetzungen arbeitet Helmut Neuberger diese Entwicklung im Detail heraus. Er unterscheidet zwei Phasen: Die Jahre nach dem verlorenen Krieg und die Zeit nach Hitlers Machtergreifung 1933. Erstens also 1918 und danach: Wo es einen Verrat gibt muss es auch Verräter geben. Dafür bot sich bald ein Hirngespinst an: die jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung. Der Krieg war ein „Freimaurerkrieg“ und der verhasste Versailler Diktatfrieden ein „Freimaurerfrieden“. Das trommelten in den zwanziger Jahren nicht nur die noch machtlosen Nazis sondern viele nationalistische Gruppierungen jener Zeit. [[Datei:Hjalmar Schacht.jpg|thumb|250px|Hjalmar Schacht: In den 30iger Jahren Reichsbankpräsident mit guten Beziehungen zu Hitler. Er war Freimaurer. Hitler wusste das und sah darin offenbar kein besonderes Problem. Seine Vorsprache bei Hitler im Sinne der Freimaurer blieb aber ergebnislos.]] (Und wieder in Klammer: Bei Neuberger erfahren wir auch, dass das Feindbild „jüdisch-freimaurerisch“ nicht in Deutschland erfunden worden war. Es hatte seinen Ursprung in den romanischen Ländern. Vor allem in Frankreich war es während der Säkularisierungskämpfe vor und nach 1900 der Schlachtruf der Katholisch-Konservativen. In Deutschland wurde es erst später übernommen). | + | Nach Klärung der Voraussetzungen arbeitet Helmut Neuberger diese Entwicklung im Detail heraus. Er unterscheidet zwei Phasen: Die Jahre nach dem verlorenen Krieg und die Zeit nach Hitlers Machtergreifung 1933. Erstens also 1918 und danach: Wo es einen Verrat gibt muss es auch Verräter geben. Dafür bot sich bald ein Hirngespinst an: die jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung. Der Krieg war ein „Freimaurerkrieg“ und der verhasste Versailler Diktatfrieden ein „Freimaurerfrieden“. Das trommelten in den zwanziger Jahren nicht nur die noch machtlosen Nazis sondern viele nationalistische Gruppierungen jener Zeit. |
+ | [[Datei:Hjalmar Schacht.jpg|thumb|250px|Hjalmar Schacht: In den 30iger Jahren Reichsbankpräsident mit guten Beziehungen zu Hitler. Er war Freimaurer. Hitler wusste das und sah darin offenbar kein besonderes Problem. Seine Vorsprache bei Hitler im Sinne der Freimaurer blieb aber ergebnislos.]] | ||
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+ | (Und wieder in Klammer: Bei Neuberger erfahren wir auch, dass das Feindbild „jüdisch-freimaurerisch“ nicht in Deutschland erfunden worden war. Es hatte seinen Ursprung in den romanischen Ländern. Vor allem in Frankreich war es während der Säkularisierungskämpfe vor und nach 1900 der Schlachtruf der Katholisch-Konservativen. In Deutschland wurde es erst später übernommen). | ||
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*[[Traktat: Karl Hoede "Tarnung und Gewalt"]] | *[[Traktat: Karl Hoede "Tarnung und Gewalt"]] | ||
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+ | *Englisch: https://encyclopedia.ushmm.org/content/en/article/freemasonry-under-the-nazi-regime | ||
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Aktuelle Version vom 24. April 2022, 06:14 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Rezension: Helmut Neuberger - Winkelmaß und Hakenkreuz
Wie die Nazis die deutsche Freimaurerei erledigten:
Helmut Neuberger: Winkelmaß und Hakenkreuz - Die Freimaurer und das Dritte Reich
Verlag Herbig 2001
Vor mehr als einem Jahrzehnt kam dieses Buch auf den Markt: höchste Zeit, es zur Kenntnis zu nehmen. Nicht nur weil es das Thema umfassend behandelt, sondern auch weil es jetzt (Anfang 2013) genau achtzig Jahre her ist, dass die Nationalsozialisten das Ende der deutschen Freimaurerei einleiteten.
Von Rudi Rabe aus Wien
Rückblick 18. Und 19. Jahrhundert
Aus österreichischer Perspektive kann man nur staunen, wenn man die unterschiedliche Entwicklung in den beiden damaligen Machtzentren des deutschen Sprachraums vergleicht. Während die Habsburger in Wien die Freimaurerei zuerst auf Distanz hielten und dann über ein Jahrhundert überhaupt verboten (zuerst de jure und dann de facto), haben die Hohenzollern sie von Anfang zur Brust genommen. Es begann mit dem Beitritt des Kronprinzen und späteren Königs Friedrichs des Großen 1738: Das war gleich nach der Gründung der ersten deutschen Logen. Aber auch nachgeborene Hohenzollern waren Brüder, etwa Kaiser Wilhelm I., der Großvater des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II.
Mehrheit der Freimaurer wurde national-konservativ
Früher habe ich diese preußische und später deutsch-masonische Kontinuität immer ein bisschen bewundert. Doch nach der Lektüre von Helmut Neubergers Buch bin ich nicht mehr so sicher, ob das der deutschen Freimaurerei gut getan hat. Warum? Weil sie durch die Verbindung mit den deutschen Machteliten spätestens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Gleichschritt mit diesen immer national-konservativer und schließlich nationalistisch und chauvinistisch wurde. Mit Ausnahme des langsam aufkommenden Rassismus übernahm sie vom deutschen Bürgertum so ziemlich alles, woran das Deutsche Kaiserreich schließlich zugrunde ging. Das galt jedenfalls für die große Mehrheit der deutschen Freimaurer, die ja in beinahe zehn Großlogen zersplittert war.
Nach 1918: Nationalistische Einigelung auch der Freimaurer
Das deutsche Volk und vor allem dessen Bürgertum waren auf die Kriegsniederlage überhaupt nicht vorbereitet. Diese war sozusagen ein Irrtum der Geschichte, der nur durch Verrat erklärbar war: „Im Felde unbesiegt“, „Dolchstoßlegende“ und so weiter. Die Folge war eine politische Radikalisierung. Wäre es jetzt zumindest für die Freimaurerei möglich gewesen aufzuwachen, die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen und sich zu läutern? Im Idealfall ja, aber realistisch gesehen nein. Sie war so sehr Teil des national-konservativen Bürgertums geworden, dass sie sich wie dieses jetzt weiter verhärtete, zwar immer noch ohne Rassismus aber sonst mit allem Drum und Dran: Nationalistische Einigelung und Ablehnung jeder Beziehung zu den Logen der früheren Feindstaaten.
(Nur in Klammer gesagt: Die nach mehr als einem Jahrhundert masonischer Dunkelheit neu gegründete Freimaurerei in der jungen Republik Österreich, die 1918 auf den Trümmern eines ebenfalls großen Kaiserreiches entstanden war, zog daraus die gegenteiligen Konsequenzen: Sie wurde pazifistisch und international, was bald zum Abbruch der Beziehungen durch die meisten deutschen Großlogen führte.)
Die Nazis wurden unterschätzt: auch von den Freimaurern
Warum diese Herleitung, die auch in ‚Winkelmaß und Hakenkreuz’ fast ein Drittel der 400 Textseiten einnimmt? Weil es nur so nachvollziehbar wird, warum die deutsche Freimaurerei vor 1933 im Nationalsozialismus nicht ihren Todfeind erkannte sondern wie ein großer Teil des deutschen Bürgertums meinte, mit Hitler zusammenarbeiten und ihn sozusagen einhegen zu können: gegen die Linke und gegen das als feindselig wahrgenommene westliche Ausland. Doch nach der Machtergreifung Hitlers setzten die Nazis die Freimaurer sofort unter Druck. Bis zum Ende ihrer Logen glaubten viele an einen Irrtum der Naziführung, den man durch miteinander Reden aus der Welt schaffen könne. Abgesehen vom Rassismus war man ja über weite Strecken auf einer Wellenlänge. Wir wissen, es kam anders: Parallel zum Aufbau ihrer Alleinherrschaft trieben die Nazis die Freimaurer innerhalb von weniger als zwei Jahren in die befohlene Selbstauflösung.
Und so war das Ende der Logen ab 1933 schließlich zwangsläufig
Nach Klärung der Voraussetzungen arbeitet Helmut Neuberger diese Entwicklung im Detail heraus. Er unterscheidet zwei Phasen: Die Jahre nach dem verlorenen Krieg und die Zeit nach Hitlers Machtergreifung 1933. Erstens also 1918 und danach: Wo es einen Verrat gibt muss es auch Verräter geben. Dafür bot sich bald ein Hirngespinst an: die jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung. Der Krieg war ein „Freimaurerkrieg“ und der verhasste Versailler Diktatfrieden ein „Freimaurerfrieden“. Das trommelten in den zwanziger Jahren nicht nur die noch machtlosen Nazis sondern viele nationalistische Gruppierungen jener Zeit.
(Und wieder in Klammer: Bei Neuberger erfahren wir auch, dass das Feindbild „jüdisch-freimaurerisch“ nicht in Deutschland erfunden worden war. Es hatte seinen Ursprung in den romanischen Ländern. Vor allem in Frankreich war es während der Säkularisierungskämpfe vor und nach 1900 der Schlachtruf der Katholisch-Konservativen. In Deutschland wurde es erst später übernommen).
Totalitarismus und Freimaurerei sind inkompatibel
1933 und danach: Als die Nazis immer stärker wurden und schließlich an der Macht waren, verzichteten sie zwar auf die antifreimaurerische Agitation, weil ihre Führer im Gegensatz zum braunen SA-Pöbel wussten, dass die Behauptungen dieser Propaganda Unsinn waren. Das verbesserte die Lage der deutschen Freimaurerei aber nicht, weil jetzt die totalitäre Staatsauffassung des Nationalsozialismus alle Gruppierungen, die unabhängig von der Partei sein wollten, nicht akzeptieren konnte. Das wurde den Freimaurer-Oberen ab 1933 auch mehrmals unverblümt mitgeteilt: „Es besteht kein Bedarf mehr“ und so. Diese meinten jedoch, die Ablehnung durch die Nazis abfangen zu können indem sie sich immer noch mehr an deren Ideologie anpassten (Umtaufen in ‚Deutsch-Christlicher Orden’, Germanisierung des Rituals, Einführung von Arierparagraphen und so weiter). Es war alles vergeblich. Logisch, wenn man die Idee des Totalitarismus versteht: Das ist uns Nachgeborenen leichter möglich. Die Freimaurerei wurde ja nicht nur in Nazi-Deutschland erstickt sondern in vielen Ländern, die damals zu mehr oder weniger totalitären Diktaturen wurden: vom faschistischen Italien bis zur kommunistischen Sowjetunion.
Im Krieg wird das Gespenst reanimiert
Anders als die antijüdische Politik, die schließlich in den Judenmord mündete, ließen die Nazis einmal an der Macht die antifreimaurerische Propaganda also fallen. Erst als sie im Krieg immer mehr in die Defensive gerieten, holte Göbbels dieses Gespenst wieder aus der Mottenkiste. Jetzt aber nicht mehr gegen deutsche Freimaurer, die gab es ja nicht mehr, sondern gegen die Feinde im Westen: konkret gegen ihre Politiker vom amerikanischen Präsidenten Roosevelt abwärts. Manche von diesen waren ja wirklich Freimaurer. Wieder trachtete in den Nazischlagzeilen die „jüdisch-freimaurerische Weltverschwörung“ den Deutschen nach dem Leben. Und wieder glaubten es viele: Solche Bilder haben in den Köpfen ja ein langes Leben. Und manche glauben es bis heute.
Literatur zum Thema
"Freimaurer und Justiz in Norddeutschland unter dem Nationalsozialismus"
Europäische Hochschulschriften Jochen Schuster
Erschienen im Verlag Peter Lang
Europäischer Verlag der Wissenschaften
Siehe auch
- Hjalmar Schacht
- Erich Ludendorff
- Antisemitismus und Freimaurerei
- Nationalsozialisten
- Auflösung der Logen 1934
- Rezension: Marcus Patka - Österreichische Freimaurer im Nationalsozialismus
- Rezension: Hans-Hermann Höhmann - Identität und Gedächtnis
- Rezension: Karsten Oelckers – Großmeister Leo Müffelmann
- Rezension: Arnold Grunwald – Freimaurer auf dem Weg zum Nationalsozialismus: betrifft August Horneffer
- Traktat: Karl Hoede "Tarnung und Gewalt"
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- Mehr Informationen zur Freimaurerei in der Zeit des Nationalsozialismus Kategorie: Dunkle Zeit