Traktat: Glasnost in der englischen Freimaurerei: Unterschied zwischen den Versionen

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==Gedanken aus Wien zum Bedeutungsverlust der Freimaurerei in der englischsprachigen Welt. Von Peter Mark==  
 
==Gedanken aus Wien zum Bedeutungsverlust der Freimaurerei in der englischsprachigen Welt. Von Peter Mark==  
  
'''Peter Mark ist das Pseudonym eines österreichischen Freimaurers. Er ist ein international erfahrener Mann, der außer der Freimaurerei seiner Heimat auch die Freimaurerei in den englischsprachigen Ländern gut kennt. Diese zeichnet sich durch eine lange Tradition ebenso aus wie durch eine vergleichsweise starke öffentliche Präsenz; und die religiöse Grundstimmung ist in diesen Ländern protestantisch, was für die Freimaurerei kein Nachteil ist.'''  
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'''Peter Mark ist ein international erfahrener Mann, der außer der Freimaurerei seiner Heimat auch die Freimaurerei in den englischsprachigen Ländern gut kennt. Diese zeichnet sich durch eine lange Tradition ebenso aus wie durch eine vergleichsweise starke öffentliche Präsenz; und die religiöse Grundstimmung ist in diesen Ländern protestantisch, was für die Freimaurerei kein Nachteil ist.'''  
  
 
'''Ganz anders die österreichischen Freimaurerei: Sie war historisch mehrmals und einmal sogar ein ganzes Jahrhundert unterbrochen, ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit ist diskret, und das Land hat bei aller Säkularisierung letztlich immer noch eine katholische Grundierung. Warum verlieren dann aber in den englischsprachigen Ländern die Logen seit Jahrzehnten ständig Mitglieder, während die österreichische Freimaurerei seit dem Wiedererstehen nach dem Zweiten Weltkrieg von Jahr zu Jahr zunimmt? Hat dieses Paradoxon Gründe, die man nachvollziehen kann?'''  
 
'''Ganz anders die österreichischen Freimaurerei: Sie war historisch mehrmals und einmal sogar ein ganzes Jahrhundert unterbrochen, ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit ist diskret, und das Land hat bei aller Säkularisierung letztlich immer noch eine katholische Grundierung. Warum verlieren dann aber in den englischsprachigen Ländern die Logen seit Jahrzehnten ständig Mitglieder, während die österreichische Freimaurerei seit dem Wiedererstehen nach dem Zweiten Weltkrieg von Jahr zu Jahr zunimmt? Hat dieses Paradoxon Gründe, die man nachvollziehen kann?'''  
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*Auch von Peter Mark: [[1989 bis 2014: 25 Jahre Freimaurerei in Osteuropa]]
 
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Aktuelle Version vom 23. November 2015, 13:36 Uhr

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Gedanken aus Wien zum Bedeutungsverlust der Freimaurerei in der englischsprachigen Welt. Von Peter Mark

Peter Mark ist ein international erfahrener Mann, der außer der Freimaurerei seiner Heimat auch die Freimaurerei in den englischsprachigen Ländern gut kennt. Diese zeichnet sich durch eine lange Tradition ebenso aus wie durch eine vergleichsweise starke öffentliche Präsenz; und die religiöse Grundstimmung ist in diesen Ländern protestantisch, was für die Freimaurerei kein Nachteil ist.

Ganz anders die österreichischen Freimaurerei: Sie war historisch mehrmals und einmal sogar ein ganzes Jahrhundert unterbrochen, ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit ist diskret, und das Land hat bei aller Säkularisierung letztlich immer noch eine katholische Grundierung. Warum verlieren dann aber in den englischsprachigen Ländern die Logen seit Jahrzehnten ständig Mitglieder, während die österreichische Freimaurerei seit dem Wiedererstehen nach dem Zweiten Weltkrieg von Jahr zu Jahr zunimmt? Hat dieses Paradoxon Gründe, die man nachvollziehen kann?

Darüber machte sich Peter Mark im Herbst 2013 in einem Vortrag in seiner Wiener Loge ‚Libertas’ Gedanken. Als Titel für sein Baustück (= Zeichnung) wählte er einen Ausdruck aus den letzten Jahren der Sowjetunion: ‚Glasnost’ (= Transparenz, Öffentlichkeit), eine Politik die gemeinsam mit anderen Einflüssen nicht zu dem führte, was die damaligen Sowjetführer anstrebten sondern zum Gegenteil: zum Zerfall des Imperiums. Rudi Rabe


Es folgt der komplette Text des Referats.


Die frühe Erfolgsstory der Freimaurerei in England

2017 begeht die Spekulative Freimaurerei Englands das 300. Gründungsjubiläum. 1717 kam es am 24. Juni der Londoner Taverne ‚Goose and Gridiron’ (Gans und Bratrost) zur Gründung der ersten Großloge von England durch vier Logen.

Bereits 1723 erschien die erste gedruckte Konstitution, die von dem presbyterianischen Geistlichen James Anderson verfasst worden war und die in ihrer 1738 erweiterten Form bis heute im Wesentlichen ihre Geltung beibehalten hat.

Bereits vier Jahre nach ihrer Gründung konnte die neue Großloge einen Royal, den Herzog von Montague, zum Großmeister küren und wurde damit sozusagen hoffähig. Zahlreiche Adelige bevölkerten alsbald die englischen Logen, und bis zum heutigen Tag bekleidet der Thronfolger, der Prince of Wales, oder ein Herzog, zurzeit ist es der Duke von Kent, formell das Amt des Großmeisters der Großloge von England. Sein Vorgänger im Amt war König George VI, der nach seiner Thronbesteigung im Jahr 1936 zum allgemeinen Erstaunen nicht sein Freimaurer-Amt niederlegte, sondern es bis zu seinen Tode im Jahr 1952 weiterhin ausübte und gelegentlich bei Arbeiten der Großloge persönlich anwesend war. Seine Nachfolgerin am Thron war die heutige Königin Elisabeth, und daher musste ein Herzog das hohe Amt übernehmen – eben der Herzog von Kent. Das tatsächliche Tagesgeschäft erledigt er nicht selbst, sondern ein sogenannter Pro-Grandmaster. Und der macht sich auch Gedanken und Sorgen über die nicht allzu rosige Situation der Blauen und Roten Freimaurerei Englands, wobei die Schotten und Iren ihre eigenen, separaten Großlogen betreiben.

Es gibt übrigens zahlreiche historische Quellen, die belegen, dass es spekulative, also nicht operative Logen bereits mehr als hundert Jahre zuvor beispielsweise in Schottland gegeben hat, aber die Großloge in London und die kodifizierte Konstitution von Pastor Anderson, deren Anerkennung durch den Adel und damit das Königshaus, wurden zu Bollwerken der Aufklärung und den universellen Grundsätzen der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Es ging darum, auch geistig das Joch der Religion, ihre Dogmen und Aberglauben abzuschütteln, den Mann zu befreien.

Ausgehen von England hat die FMEI als Teil der Aufklärung, einen beispiellosen Siegeszug eingefahren und musste durch Römisch-Katholische Kirche auch schwere Niederlagen hinnehmen. In ganz Europe, insbesondere in Frankreich bei der französischen Revolution und in Amerika bei der Gründung der USA waren Freimaurer wesentlich beteiligt. Übrigens, in kaum einem anderen Land Europas war die Freimaurerei länger verboten als in Österreich, nämlich an die 130 Jahre von den Habsburgern und der Römisch-Katholischen Kirche bis unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Kann es sein, dass es nach der von den Nazis zertretenen Freimaurerei der relativ kleinen Nachkriegs-Freimaurerei so relativ gut geht weil wir die konkreten Segnungen der Aufklärung erst jetzt voll aber in völliger Deckung auskosten dürfen?! Etwa so als ob wir hier in Wien im England des beginnenden 18. Jahrhunderts im Hinterzimmer des Pub ‚Goose and Gridiron’ zusammenkämen und Baustücken lauschten der Brüder, die auch Mitglieder der Royal Society waren, der englischen Akademie der Wissenschaften, in denen von einen Baumeister aller Welten und weniger von Gott die Rede ist?

Zu Beginn der Grand Lodge of England waren tatsächlich etliche Großmeister gleichzeitig auch Mitglieder der Royal Society, und das ist bis heute der Fall, auch wenn ganz oben der Prince of Wales, ein Duke oder sogar ein King die Großloge führte. Es ist ja ein Paradoxon, dass ein König von England, wie George der VI, gleichzeitig Oberhaupt der Church of England und Grandmaster of the Grand Lodge of England sein konnte. Es stimmt aber auch, dass eine gewisse religiöse Aufrüstung im Verlauf der ersten fast hundertjährigen Geschichte der Freimaurerei Englands stattgefunden hat, die mit der Vereinigung der beiden rivalisierenden Großlogen, den Ancients und den Moderns, 1813 abgeschlossen wurde. In der gegenwärtigen Version des englisch Emulation Rituals, dass übrigens erst 1964 offiziell kodifiziert wurde, zuvor wurde es mündlich tradiert, kommt das Wort Gott wiederholt vor, nicht nur the Great Architekt of the Universe. Alle Freimaurer in England können genügend Hymnen auswendig. Immerhin gehört es zu den Alten Pflichten des Pastor Anderson, dass ein wahrer Freimaurer kein „dummer Gottesleugner“ sein darf.

Heute: Dramatischer Mitgliederschwund in England, USA & Co

Und damit komme ich auf dass große Problem der Freimaurerei im englischen Sprachraum, also auch in den USA und Kanada. Es handelt sich um einen dramatischen Mitgliederschwund. Die Freimaurerei der USA ist die größte Bruderschaft in der Weltenkette. Laut dem amerikanischen Freimaurer-Experten Paul M. Bessel gab es im Jahr 1957 rund 4.2 Millionen Brüder in den USA, also 2.5% der Bevölkerung. Danach ging es bergab. 1979 war die Zahl auf 3 Millionen oder 1,5% gesunken; 25 Jahre später auf 1.5 Millionen oder 0.75%. Dabei muss man berücksichtigen, daß die Gesamtbevölkerung der USA in den letzten 50 Jahren um rund 1/3 zugenommen hat, die Zahl der Freimaurer jedoch um 60% gesunken ist. In benachbartem Kanada gibt es ganz ähnliche Probleme.

Als Großrepräsentant von der Großloge von Neuseeland in Österreich kenne ich die Probleme in Wellington besonders gut. Dort gibt es immerhin fast 10.000 Brüder bei einer Bevölkerung von 4 Millionen. Also mehr als dreimal so viele Brüder wie in Österreich, obwohl Neuseeland nur halb so viele Einwohner zählt. Bei uns steigt die Zahl der Brr um 2-3% im Jahr. In Neuseeland geht sie um 2-3 % zurück mit schwerwiegenden Folgen. Mehr als zwei Drittel der Brüder sind mehr als 60 Jahre alt. Jedes Jahr werden Logen zusammengelegt oder geschlossen. In einem internen Papier ist die dramatische Prognose enthalten, dass die Freimaurerei von Neuseeland im Jahr 2032 gänzlich verschwinden wird, der letzte Freimaurer wird dann die Tür des letzten Tempels in Neuseeland verriegeln.

In England das Gleiche: ein dramatischer Mitgliederschwund. In den 1950iger Jahren, als nach dem Zweiten Weltkrieg Zehntausende in die Logen strömten, erreichte der Mitgliederstand 450.000. Es kam zur Gründung von hunderten neuen Logen im ganzen Land, insbesondere Berufslogen, wo fast alle den gleichen Beruf ausüben wie Ärztelogen, Anwaltslogen, und Polizistenlogen, was Jahre später sogar zu peinlichen parlamentarischen Untersuchungen führte. Ende 2000 war die Euphorie längst vorbei. Die Bruderschaft Englands war auf 307.000 gesunken. 2012 waren es nur noch an die 220.000. In den letzten 10 Jahren sind in London mehr als 200 Logen eingeschläfert worden – sie haben ihr Gründungspatent an die Großloge retourniert. Laut einer offiziellen Prognose des Past Pro-Grand Masters Lord Northampton könnte sich die Zahl der Freimaurer Englands bis 2050 auf 125,000 noch einmal halbieren.

Eines der vielen Logenheime in einem Vorort von London. Viele geschrumpfte Logen tun sich schwer, ihre Häuser zu erhalten. Der amerikanische Autor und Freimaurer Christopher Hodapp schreibt dazu in seinem Bestseller ‚Freemasons for Dummies’: Die englischsprachige Freimaurerei habe nicht zu wenige Freimaurer sondern zu viele Logenhäuser. Er lebe in Indianapolis in einer Gegend, wo er in einer Viertelstunde über ein Dutzend Logenhäuser anfahren könne. Hodapp empfiehlt die Freimaurerei in manchen nichtenglischsprachigen Ländern als Vorbild. Überraschenderweise wachsen dort masonische Organisationen, schreibt er in seinem Buch, die sich (im Gegensatz zu England und Amerika) nicht ‚entmystifiziert’ haben und nicht an die Öffentlichkeit gehen. In Ländern, wo die Bruderschaft kleiner blieb und ihre diskrete Aura bewahrte, habe sich das Interesse an ihr erneuert.

Warum diese Schrumpfung?

Wo liegt das Problem, das die Freimaurerei in den anglo-amerikanischen Regionen, insbesondere in unserer Mutterobedienz, der englischen Großloge UGLE, plagt, und was wird dagegen unternommen.

Als österreichischer Freimaurer habe ich natürlich rasch eine Diagnose anzubieten: Das Problem ist das nicht mehr zeitgemäße englische Freimaurerei-System mit seinem veralteten auswendig vorgetragenem Emulation Ritual. Es geht der englischen Freimauerei genauso wie der anglikanischen Hochkirche und unserer römischen Katholiken. Die heutigen jungen Männer halten wenig von langweiligen, altmodischen, auswendig zu lernenden Rollenspielen, auch wenn diese mit allerhand Gleichheits- und Brüderlichkeitsparolen versehen sind.

Zitat aus der Zeitschrift MQ, Masonic Quarterly, die inzwischen übrigens bereits eingestellt worden ist: „Die Anwesenheitszahlen sind gesunken, die Mitgliederzahlen sind zurückgegangen, Suchende fehlen. Die Arbeitsprogramme der Logen sind wenig anregend, langweilig, uninteressant. Die Loge wird nicht mehr als ein wichtiger Teil der Gesellschaft gesehen. Die Tagungen der Provinzgroßlogen werden wenig besucht. Die Aussicht auf das Überleben der Loge ist trübe.“

Meine Diagnose lautet: „Brüder in England, mit rein rituellen Arbeiten (Aufnahmen, Beförderungen und Erhebungen) plus dem anschließenden ‚festive board’, also der unterhaltsamen Weißen Tafel, allein werdet ihr den Kampf gegen die Pubs, Sport, Fernsehen und zahlreiche andere Angebote wie Rotary, Lions, Round Tables und last but not least die Frauen nicht gewinnen können!“

Ich habe daher als passionierter österreichischer Freimaurer an die Engländer und auch an die Neuseeländer gute Ratschläge verteilt. Bei Logenbesuchen benütze ich die Gelegenheit, über die Vorteile unseres Systems zu berichten, vor allem dass wir jede Woche und nicht nur vier- bis zehnmal im Jahr arbeiten, von unseren spannenden Baustücken (Zeichnungen) und ebenso spannenden Diskussionen an der Weißen Tafel unter der weisen Leitung des Stuhlmeisters! Obwohl wir die volle Deckung beachten, gibt es bei uns mehr Suchende als wir aufnehmen können. Im vergangenen Jahr wurden sowohl in der Quartalszeitschrift der ‚Newzealand Freemason’ wie auch in der angesehenen englischen Freimaurer-Zeitschrift „The Square“ meine ausführlichen Artikeln zum Thema Freimaurerei in Austria veröffentlicht. Die Reaktion war allerdings mehr als bescheiden. In einem späteren Kommentar hat allerdings ein prominenter englischer FM argumentiert, es wäre an der Zeit, das Vorlesen des Emulation Rituals zuzulassen und dabei meinen Artikel zitiert.

Die Abwehrschlacht in England: ‚Glasnost’ und innere Neuerungen

Aber solche und andere revolutionäre Gedanken finden sich kaum in der offiziellen Zeitschrift der englischen Großloge ‚Freemansonry Today’, die, man lese und staune, im Internet für jedermann zugänglich ist. Aber diese revolutionäre Geste, die Zeitschrift ins Internet zu stellen, ist immerhin ein Hinweis auf die Entschlossenheit der englischen Großloge, große Offenheit zu leben. Das hat schon vor acht Jahren begonnen mit einen Tag der Offenen Tür. In ganz England konnte jeder die Tempel betreten! Auch im Zentrum der Freemasons Hall in der Londoner Lower Queen Street gibt es ein umfangreiches Museum, und dann geht die sachkundige Führung direkt in den Großen Tempel mit dem vergoldeten Thron des Großmeisters im Zentrum. Auch die Ladies dürfen dieses Heiligtum besichtigen.

In zahlreichen Zeitungs- und Fernsehinterviews haben der Pro Grand Master und der Großsekretär versichert, die Freimaurerei habe keine Geheimnisse und suche nur aus guten noch bessere Männer zu machen. Zum Beweis legte die englische Großloge eine 40 Seiten lange Evaluation vor, die von dem angesehenen ‚Center for Social Research in Oxford’ erarbeitet worden war. Darin wird der Freimaurerei eine wertvolle Rolle in der Gesellschaft bescheinigt. Ebenso die grundsätzlich ethische Einstellung des einzelnen Bruders, die bedeutenden Leistungen auf dem Sektor der Caritas sowie die positiven Ergebnisse von Brüderlichkeit und Freundschaft auch für die Familien. Schließlich geht es den Freimaurern um den achtsamen Umgang mit dem Mitmenschen, um Aufrichtigkeit in der Gesellschaft, Ehrlichkeit im Geschäftsleben und Fairness in allem. Nachzulesen online in „Freemasonry Today“: In Österreich wäre so etwas nicht denkbar.

Also die Engländer betreiben Glasnost pur, wie der Titel dieses Vortrags lautet, denn in vier Jahren droht mit dem 5. Juni 2017 das 300. Jubiläum der Gründung der ersten Großloge im ‚Goose and Gridiron’, das längst der Spitzhacke zum Opfer gefallen ist. Klar dass sich das Interesse der Weltöffentlichkeit sehr eingehend mit der Weltenkette beschäftigen wird. Wobei es sicherlich nicht verborgen bleiben wird, dass die Freimaurerei in ihrem Ursprungsland darniederliegt, jedoch in anderen Teilen der Welt, vor allem in Indien und Lateinamerika, blüht und gedeiht.

Die Öffnung gegenüber der Öffentlichkeit wird in England von Innovationen im Inneren begleitet. Da gibt es zunächst das University Programm. Es geht dabei um die möglichst frühe Aufnahme von jungen Studenten, den sogenannten undergraduates an den großen Colleges. Dafür wurde das Eintrittsalter für die Universitätslogen auf 18 Jahre herabgesetzt. Dazu kam das sogenannte Mentor Programm. Da die englische Freimaurerei den Bürgen nicht kennt, sondern bloß den proposer, der einen Suchenden vorschlägt, jedoch für ihn nicht persönlich bürgt, wurden die Neuaufgenommenen vielfach in dem ihnen doch so fremden Universum der Freimaurerei mehr oder weniger allein gelassen. Und jeder Dritte verließ seine Loge innerhalb von fünf Jahren; der Mann ist einfach nicht mehr zur Arbeit erschienen. Der Mentor ist ein vorbereitender Meister. Er kümmert sich um die Neophyten und macht sie mit der Bedeutung des umfangreichen Emulation Rituals vertraut. Er steht ihnen auch sonst mit Rat und Tat zur Seite. Schließlich gibt es nun das Orator Programm. Es handelt sich um besonders sprachbegabte Brüder, die von Loge zu Loge reisen, um Vorträge über die Bedeutung der Königlichen Kunst und ihrer langen Geschichte zu halten, und die auch die moralischen und ethischen Werte erörtern, die die Freimaurerei vermitteln soll.

Es geht auch um die bessere Ausbildung der Beamten angeführt vom Meister vom Stuhl. In England wechseln die Beamten jedes Jahr das Amt. Nach nur einem Jahr und im äußersten nach nur vier Malen ritueller Arbeit ist der Master of the Loge eben Past Master und sitzt neben seinem Nachfolger im Osten, sagt ihm gelegentlich ein, wenn er beim auswendig Aufsagen hängen bleibt. Das stört nur die Perfektionisten unter den Brüdern; perfekte Ansagen zehn und mehr Minuten lang lösen allerhand Bewunderung aus.

Bei uns können die Brüder das Ritual vom Blatt lesen, und es genügen fünf Brüder, um alle Rollen einer Arbeit zu spielen. Dafür kann jeder Bruder bei de Weißen Tafel das Wort ergreifen, auch wenn er nie zu einem Logenamt kommt. In England spielen mindestens sieben Brüder Rollen, und nach einem Jahr sind wieder andere im Amt und müssen nicht mehr in der Kolonne sitzen.

Aber keine Erfolge

Aber zurück zu den Glasnost-Reformen in England. Haben Sie etwas bewirkt? Die Wahrheit dürfte für die Reformer negativ ausfallen. Es ist nicht so, dass die Freimaurerei Englands nun plötzlich größeres Ansehen genießt. Auch in England kursieren Meldungen und Gerüchte über dubiose Sitten und Machenschaften in den Logen. So zum Beispiel als in der Presse von Särgen der Freimaurerei berichtet wurde und diese dann auch prompt entfernt und durch schwarze Decken ersetzt wurden. Wiederholt sind in der Justiz und Polizei Freimaurermitgliedschaften in Zusammenhang mit Korruption und Vetternwirtschaft aufgeflogen. Geheime Erkennungszeichen, ein Händedruck für einen Polizisten, der gerade ein Strafmandat ausstellt.

Das die Implosion der Freimaurerei Englands durch den Verlust von 60% der Mitglieder mit erheblichen internen Konflikten verbunden ist, wird in einem ausführlichen Bericht der Zeitschrift The Square (9/2013) thematisiert. Bruder Pat Streams berichtet von schweren Verstimmungen, Frustrationen und Enttäuschungen auf allen Ebenen. Er beklagt das Abgleiten von den ursprünglichen Prinzipien und eine Öffentlichkeit, die mit den Mitgliederschwund in den 1980iger Jahren eingesetzt hat. Die große Mehrheit der Freimaurer will nicht, dass die Deckung gelüftet wird, dass es Tage der Offenen Tür in den Logen gibt, dass Evaluationen von der Großloge in der Presse, im Fernsehen und im Internet veröffentlicht werden. Laut Bruder Pat Streams sind viele Beamte überlastet und geben auf, irritierte Logenbrüder ziehen sich zurück. Bruder Pat Streams verweist auf dramatische Zahlen: Nur 10% der Freimaurer Englands sind unter 40 Jahre alt. Um so wenige Junge zu rekrutieren, wird soviel von der Großloge herumgedoktert und Wertvollstes und Bewährtes, das den Inbegriff des Freimaurertums ausmacht, verworfen. So hat der Großsekretär der Großloge in einem Interview mit dem Daily Telegraph behauptet, es existiere gar kein geheimer Handshake der Freimaurer. Man solle also aufhören, 18-jährige Studenten aufzunehmen, den diese verbleiben durchschnittlich bloß fünf Jahre im Bund, und sich an gestandene freie Männer von gutem Ruf wenden. Schließlich enthüllt Pat Streams eine Prognose der Großloge, die besagt, dass die Freimaurerei Englands bis 2050 wegen Überalterung um die Hälfte, also auf nur noch knapp über 100.000 Brüder schrumpfen wird.

Ich werde mich hier nicht über Deutschland verbreiten, wo es nicht wirklich bergauf geht. Auch nicht über Frankreich, wo eine weitreichende Spaltung der Blauen Freimaurerei dazu geführt hat, dass sie die Anerkennung von England und den anderen Blauen Obedienzen verlor. Auch in Osteuropa, insbesondere in Ungarn, in Tschechien, Polen und Slowenien sieht es gar nicht so rosig aus.

Doch ein Nachzügler wächst und wächst

Aber „mir san mir“ in Österreich!? Mit einen Plus von 2-3% im Jahr. Wir haben eben eine ganz eigene kleine aber feine Freimaurerei entwickelt, die vieles anbietet, was heutzutage gar nicht so selbstverständlich ist.

Dazu muss man feststellen, dass Österreich zu den ausgesprochenen Nachzüglern gehört, was Aufklärung und Demokratie betrifft. Den Habsburgern folgten der Ständestaat und danach der Nationalsozialismus. Dann Jahrzehnte großer Koalitionen und die berühmte Sozialpartnerschaft als Schattenregierung. Alles außerparlamentarisch, nicht lebendig demokratisch.

Österreichs Freimaurer tun, geben wir es doch offen zu, etwas geheimes, quasi verbotenes, daher etwas mutiges in Sichtweite des Gegners, dessen Oberhaupt bereits 1738, nur 21 Jahre nach der Gründung der GL von England, die FM exkommunizierte.

Abschließend wiederhole ich eine kleine Anekdote. Ein Bruder aus Budapest gab mir vor einigen Jahren folgende Erklärung für das Fehlen von Nachwuchs in Ungarn: „Wir haben keine Bourgeoisie“. In Wien gibt es sie noch immer, die Bourgeoisie.


Siehe auch