Alfred Schmidt: Vorstufen des Systems von 1717: Unterschied zwischen den Versionen

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Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei<br>
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Deistische Wurzeln und Aspekte<br>
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von Alfred Schmidt<br>
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Medium: Buch<br>
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ISBN: 978-3-943539-40-0<br>
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Auflage: 1. Auflage 2014<br>
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Einband: Softcover<br>
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Seitenzahl: 196<br>
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Format: 12 x 19 cm<br>
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In den hermetischen Gesellschaften
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des siebzehnten
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In den hermetischen Gesellschaften des siebzehnten Jahrhunderts, die – wie bereits dargelegt – als weitere Quelle der freimaurerischen Ideologie gelten können, bahnt sich, parallel zur fortschreitenden Naturwissenschaft, insofern ein Wandel an, als hier die okkulten Inhalte zwar nicht verschwinden, aber nur noch in symbolisch-allegorischer Form dargeboten werden.  
Jahrhunderts,
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die – wie bereits dargelegt – als weitere Quelle
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Dem entspricht kultur- und mentalitätsgeschichtlich die mit der englischen Frühaufklärung anhebende, sich europäisch durchsetzende Tendenz, Religion auf Moral zu reduzieren. Im Katechismus des Lehrlingsgrades der Großloge von England wird denn auch Freimaurerei gekennzeichnet als „eigenartiges System der Sittlichkeit, eingehüllt in Allegorien und erleuchtet durch Sinnbilder“<sup>209</sup>. Von Anbeginn steht hier allgemeine Menschenliebe über dem Glauben, die menschenfreundliche Tat über der Lehre. So verschiedene Interpreten wie Bloch und Schick stimmen darin überein, dass die Anfänge und Frühformen der Freimaurerei in England ihre „stärkste Wurzel“<sup>210</sup> im Rosenkreuzertum haben. Auch das spätere „System“ der englischen Großloge, schreibt Schick, „hat sich vor dem Einströmen des Rosenkreuzertums, sei es durch personelle Bindungen, sei es durch die Erbschaft ideologischer Gehalte, organisatorischer Formen und kabbalistischer Symbolik, nicht zu bewahren vermocht“.<sup>211</sup>
der freimaurerischen Ideologie
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gelten können, bahnt sich,
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Dieser Einfluss ist so tiefgreifend, dass im siebzehnten Jahrhundert die Namen „Freimaurer“ und „Rosenkreuzer“ nahezu dasselbe bezeichnen.<sup>212</sup>
parallel
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zur fortschreitenden
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„Das Geheimnis der alten Freimaurerei“, betont Schick, „war dasjenige der Rosenkreuzer, nämlich die alte Weisheit von Adam her über Moses, Salomon, Christus, Johannes, durch welche das innerste Wesen der Natur erschlossen und das wahre göttliche Licht erblickt wurde, das Licht aus dem Orient.“<sup>213</sup>
Naturwissenschaft, insofern
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ein Wandel an, als hier die okkulten Inhalte zwar nicht verschwinden,
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Die schon im frühen siebzehnten Jahrhundert in England nachweisbaren Societies of Freemasons knüpfen zwar an Bräuche der Maurerzünfte an, führen aber eine eigenständige Existenz und sind, im Gegensatz zu jenen, nicht spezifisch religiös, sondern philosophisch orientiert. Soweit Werkgenossenschaften beim Entstehen der Societies mitwirken, spielen sie eine zweitrangige Rolle. Zugehörigkeit zur Zunft der Steinmetzen wird in dem sich herausbildenden Bund immer unwichtiger, wenn sie nicht, was Schick zu bedenken gibt, „nur eine Tarnung war für jene Kreise, die im religiös- politischen Wirrwarr der Zeit nach neuen geistigen und weltanschaulichen Grundlagen suchten“<sup>214</sup>. Damit ist eine wechselseitige Durchdringung von Werkgenossenschaften und spekulativen Zirkeln nicht ausgeschlossen. Dass die Steinmetzenzunft ihre Geschichte und Symbole der Bibel entnahm, ist angesichts ihres häufigen Gebrauchs gerade in England nicht verwunderlich.  
aber nur noch in symbolisch-allegorischer Form
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dargeboten werden. Dem entspricht
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Da sich die Societies of Freemasons zunächst der Versammlungsräume dieser Gewerkschaft bedienten, fanden sie hier eine handwerkliche Symbolik vor, die sich durch ältere, kosmische Symbole (Sonne, Mond und Sterne) erweitern ließ und geeignet war, ihnen ihr eigenes Wollen allegorisch zu verdeutlichen. Angesichts der Quellenlage erscheint es Schick evident, dass die Entwicklung von jenen Kreisen vorangebracht wurde, „die im Schutz der Steinmetzenzunft ihre Zusammenkunft und ... Tätigkeit gegen unliebsame Störung durch behördliche Einmischung zu tarnen suchten“ <sup>215</sup>.  
kultur- und mentalitätsgeschichtlich
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die mit der englischen Frühaufklärung anhebende,
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Dass sie zu den Steinmetzen gingen, erklärt sich zum einen aus der Parallelität handwerklicher und materieller Ziele zu den geistigen Zielen, die sie selbst verfolgten, zum anderen daraus, dass ihnen die Steinmetzenzunft wegen ihrer „privilegierten Stellung“, ihrer „Freizügigkeit“ und ihres „organisatorischen Zusammenhalts“ <sup>216</sup> besonders günstig erschien.
sich europäisch durchsetzende
+
 
Tendenz, Religion auf
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Die naheliegende Frage nach Beschaffenheit, Zweck und Arbeitsweise jener philosophischen Zirkel und Gesellschaften, die am Anfang der Societies of Freemasons stehen, lässt sich kaum befriedigend beantworten. Da Urkunden und Berichte hierüber fehlen, sind wir darauf angewiesen, die ideologisch- zeitgeschichtlichen Umstände zu untersuchen. Wenn Mitgliedern hinsichtlich der Bräuche und Absichten der Societies strengste Verschwiegenheit abverlangt wurde, so nötigte dazu wohl nicht nur die Intoleranz einer religiösweltanschaulich aufgewühlten Zeit, sondern auch das nur indirekt erschließbare Selbstverständnis der Societies selbst. Deren Weg und Ziel dürften keineswegs von Anbeginn festgestanden haben. Ebensowenig können wir davon ausgehen, dass schon zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts eine deistische Religionsphilosophie, das Ideal der Humanität oder soziale Tugenden es vermocht hätten, einem Geheimbund so viele Mitglieder zuzuführen.  
Moral zu reduzieren. Im Katechismus
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des Lehrlingsgrades
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Vielmehr – so lautet Schicks These – „zog der Glaube, daß es in der Society wirkliche Geheimnisse gab, Lords, Gelehrte, Militärs und Männer des öffentlichen Lebens an“<sup>217</sup>. Letzten Endes, behauptet Schick, wurde die Neugier Außenstehender dadurch angestachelt, dass „das Geheimnis der ursprünglichen Society unzweifelhaft in ihrer Beschäftigung mit Alchimie und Rosenkreuzerei (lag)“<sup>218</sup>.
der Großloge von England wird denn auch Freimaurerei
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gekennzeichnet
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Schicks These verweist auf die geistesgeschichtliche Situation. Alle philosophischen Zirkel suchen damals nach einer mystischen Einheit von Mensch und Natur; sie treiben, was man Geheimwissenschaft, Theosophie, später auch „Königliche Kunst“ nennt.<sup>219</sup> Das gilt selbst noch von der 1662 gegründeten Royal Society, der neben den bedeutendsten Gelehrten Englands namhafte Freimaurer wie Desaguliers angehören. Hier (wie in ähnlichen, weniger bekannten Zirkeln) werden neben Experimentalphysik und Astronomie vorzugsweise Kabbala und Astrologie gepflegt. Unbeschadet der bahnbrechenden Leistungen Bacons, Newtons und anderer Forscher ist im frühen siebzehnten Jahrhundert, woran Schick erinnert, „die ganze alchemistisch-theosophische Naturanschauung in den Gelehrten- und Aristokratenkreisen Englands vorherrschend“ <sup>220</sup>.  
als „eigenartiges System der Sittlichkeit, eingehüllt
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in Allegorien und erleuchtet
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Die fortschreitende Erschütterung des kirchlichen Autoritätsglaubens durch rationale Einsicht fördert nicht nur die (häufig amateurhafte) Beschäftigung mit physikalischen, sondern auch mit alchemistischen Experimenten. Beide stehen gleichberechtigt, aber unvermittelt nebeneinander. <sup>221</sup>
durch Sinnbilder“209.
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Von Anbeginn steht hier allgemeine Menschenliebe über
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Der erstarkende Geist des Empirismus kommt gegen die Zählebigkeit okkulter Zeitmoden nicht auf. Selbst Bacon, der das induktive Schlussverfahren preisende Methodologe, lässt eine magia naturalis gelten. Paracelsus, Böhme und ihre Schüler werden im damaligen England eifrig studiert. Schick erklärt es für hinreichend belegt, „daß auch Außenstehende die Society of Freemasons mit Rosenkreuzern, Adepten und Alchemisten in Verbindung brachten“ <sup>222</sup>.
dem Glauben, die menschenfreundliche
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Tat über der Lehre.
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== Siehe auch ==
So verschiedene Interpreten wie Bloch und Schick stimmen
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*[[Alfred Schmidt - Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei]]
darin überein, dass die Anfänge und Frühformen
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*[[Alfred Schmidt]]
der Freimaurerei
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*[[Rezension: Alfred Schmidt - Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei]]
in England ihre „stärkste Wurzel“210 im
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*[[Alfred Schmidt: Deistische Wurzeln und Aspekte]]
Rosenkreuzertum
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*[[Philosophiegeschichtliche Aspekte der Idee einer Natur- oder Vernunftreligion]]
haben. Auch das spätere „System“ der
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*[[Deismus]]
englischen Großloge, schreibt Schick, „hat sich vor dem
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*[[Klaus-Jürgen Grün]]
Einströmen des Rosenkreuzertums, sei es durch personelle Bindungen, sei es durch die Erbschaft ideologischer Gehalte,
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*[[Rezension: Klaus-Jürgen Grün: Das verlorene Wort]]
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*[[Bernhard Beyer]]
Formen und kabbalistischer Symbolik,
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vermocht“.211 Dieser Einfluss ist so tiefgreifend,
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und „Rosenkreuzer“
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nahezu dasselbe bezeichnen.212
 
„Das Geheimnis
 
der alten Freimaurerei“, betont Schick,
 
„war dasjenige der Rosenkreuzer, nämlich die alte Weisheit
 
von Adam her über Moses, Salomon, Christus, Johannes,
 
durch welche das innerste Wesen der Natur erschlossen und
 
das wahre göttliche
 
Licht erblickt wurde, das Licht aus dem
 
Orient.“213 Die schon im frühen siebzehnten Jahrhundert
 
in England nachweisbaren Societies of Freemasons knüpfen
 
zwar an Bräuche
 
der Maurerzünfte an, führen aber eine eigenständige
 
Existenz und sind, im Gegensatz zu jenen, nicht
 
spezifisch religiös, sondern philosophisch orientiert. Soweit
 
Werkgenossenschaften
 
beim Entstehen der Societies mitwirken,
 
spielen sie eine zweitrangige Rolle. Zugehörigkeit zur
 
Zunft der Steinmetzen wird in dem sich herausbildenden
 
Bund immer unwichtiger, wenn sie nicht, was Schick zu bedenken
 
gibt, „nur eine Tarnung war für jene Kreise, die im
 
religiös-
 
politischen Wirrwarr der Zeit nach neuen geistigen
 
und weltanschaulichen Grundlagen suchten“214. Damit ist
 
eine wechselseitige Durchdringung von Werkgenossenschaften
 
und spekulativen Zirkeln nicht ausgeschlossen. Dass die
 
Steinmetzenzunft
 
ihre Geschichte und Symbole der Bibel entnahm, ist angesichts ihres häufigen Gebrauchs gerade in
 
England nicht verwunderlich. Da sich die Societies of Freemasons
 
zunächst der Versammlungsräume dieser Gewerkschaft
 
bedienten,
 
fanden sie hier eine handwerkliche Symbolik vor,
 
die sich durch ältere, kosmische Symbole (Sonne, Mond und
 
Sterne) erweitern
 
ließ und geeignet war, ihnen ihr eigenes
 
Wollen allegorisch
 
zu verdeutlichen. Angesichts der Quellenlage
 
erscheint
 
es Schick evident, dass die Entwicklung
 
von jenen Kreisen vorangebracht wurde, „die im Schutz der
 
Steinmetzenzunft
 
ihre Zusammenkunft und ... Tätigkeit
 
gegen unliebsame
 
Störung durch behördliche Einmischung
 
zu tarnen suchten“
 
215. Dass sie zu den Steinmetzen gingen,
 
erklärt sich zum einen aus der Parallelität handwerklicher
 
und materieller
 
Ziele zu den geistigen Zielen, die sie selbst
 
verfolgten,
 
zum anderen daraus, dass ihnen die Steinmetzenzunft
 
wegen
 
ihrer „privilegierten Stellung“, ihrer „Freizügigkeit“
 
und ihres „organisatorischen Zusammenhalts“
 
216 besonders
 
günstig erschien.
 
Die naheliegende Frage nach Beschaffenheit, Zweck und
 
Arbeitsweise
 
jener philosophischen Zirkel und Gesellschaften,
 
die am Anfang der Societies of Freemasons stehen, lässt
 
sich kaum befriedigend beantworten. Da Urkunden und
 
Berichte hierüber fehlen, sind wir darauf angewiesen, die
 
ideologisch-
 
zeitgeschichtlichen Umstände zu untersuchen.
 
Wenn Mitgliedern hinsichtlich der Bräuche und Absichten
 
der Societies
 
strengste Verschwiegenheit abverlangt wurde,
 
so nötigte
 
dazu wohl nicht nur die Intoleranz einer religiösweltanschaulich
 
aufgewühlten Zeit, sondern auch das nur
 
indirekt
 
erschließbare Selbstverständnis der Societies selbst. Deren Weg und Ziel dürften keineswegs von Anbeginn festgestanden
 
haben. Ebensowenig können wir davon ausgehen,
 
dass schon zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts eine
 
deistische
 
Religionsphilosophie, das Ideal der Humanität
 
oder soziale Tugenden es vermocht hätten, einem Geheimbund
 
so viele Mitglieder zuzuführen. Vielmehr – so lautet
 
Schicks These – „zog der Glaube, daß es in der Society
 
wirkliche Geheimnisse
 
gab, Lords, Gelehrte, Militärs und
 
Männer des öffentlichen
 
Lebens an“217. Letzten Endes, behauptet
 
Schick, wurde die Neugier Außenstehender dadurch
 
angestachelt,
 
dass „das Geheimnis der ursprünglichen
 
Society unzweifelhaft
 
in ihrer Beschäftigung mit Alchimie
 
und Rosenkreuzerei
 
(lag)“218.
 
Schicks These verweist auf die geistesgeschichtliche Situation.
 
Alle philosophischen Zirkel suchen damals nach einer
 
mystischen Einheit von Mensch und Natur; sie treiben, was
 
man Geheimwissenschaft, Theosophie, später auch „Königliche
 
Kunst“ nennt.219 Das gilt selbst noch von der 1662
 
gegründeten
 
Royal Society, der neben den bedeutendsten
 
Gelehrten Englands namhafte Freimaurer wie Desaguliers
 
angehören.
 
Hier (wie in ähnlichen, weniger bekannten Zirkeln)
 
werden neben Experimentalphysik und Astronomie
 
vorzugsweise Kabbala
 
und Astrologie gepflegt. Unbeschadet
 
der bahnbrechenden
 
Leistungen Bacons, Newtons und anderer
 
Forscher ist im frühen siebzehnten Jahrhundert, woran
 
Schick erinnert, „die ganze alchemistisch-theosophische Naturanschauung
 
in den Gelehrten- und Aristokratenkreisen Englands vorherrschend“
 
220. Die fortschreitende Erschütterung
 
des kirchlichen
 
Autoritätsglaubens durch rationale Einsicht
 
fördert nicht nur die (häufig amateurhafte) Beschäftigung
 
mit physikalischen,
 
sondern auch mit alchemistischen
 
Experimenten. Beide stehen gleichberechtigt, aber unvermittelt
 
nebeneinander.
 
221 Der erstarkende Geist des Empirismus
 
kommt gegen die Zählebigkeit okkulter Zeitmoden
 
nicht auf. Selbst Bacon,
 
der das induktive Schlussverfahren
 
preisende Methodologe,
 
lässt eine magia naturalis gelten.
 
Paracelsus, Böhme und ihre Schüler werden im damaligen
 
England eifrig studiert.
 
Schick erklärt es für hinreichend belegt,
 
„daß auch Außenstehende die Society of Freemasons mit
 
Rosenkreuzern, Adepten und Alchemisten in Verbindung
 
brachten“222.
 

Aktuelle Version vom 16. Februar 2017, 08:58 Uhr

Alfred Schmidt: Vorstufen des Systems von 1717

Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei
Deistische Wurzeln und Aspekte
von Alfred Schmidt
Medium: Buch
ISBN: 978-3-943539-40-0
Auflage: 1. Auflage 2014
Einband: Softcover
Seitenzahl: 196
Format: 12 x 19 cm
12,00 €


In den hermetischen Gesellschaften des siebzehnten Jahrhunderts, die – wie bereits dargelegt – als weitere Quelle der freimaurerischen Ideologie gelten können, bahnt sich, parallel zur fortschreitenden Naturwissenschaft, insofern ein Wandel an, als hier die okkulten Inhalte zwar nicht verschwinden, aber nur noch in symbolisch-allegorischer Form dargeboten werden.

Dem entspricht kultur- und mentalitätsgeschichtlich die mit der englischen Frühaufklärung anhebende, sich europäisch durchsetzende Tendenz, Religion auf Moral zu reduzieren. Im Katechismus des Lehrlingsgrades der Großloge von England wird denn auch Freimaurerei gekennzeichnet als „eigenartiges System der Sittlichkeit, eingehüllt in Allegorien und erleuchtet durch Sinnbilder“209. Von Anbeginn steht hier allgemeine Menschenliebe über dem Glauben, die menschenfreundliche Tat über der Lehre. So verschiedene Interpreten wie Bloch und Schick stimmen darin überein, dass die Anfänge und Frühformen der Freimaurerei in England ihre „stärkste Wurzel“210 im Rosenkreuzertum haben. Auch das spätere „System“ der englischen Großloge, schreibt Schick, „hat sich vor dem Einströmen des Rosenkreuzertums, sei es durch personelle Bindungen, sei es durch die Erbschaft ideologischer Gehalte, organisatorischer Formen und kabbalistischer Symbolik, nicht zu bewahren vermocht“.211

Dieser Einfluss ist so tiefgreifend, dass im siebzehnten Jahrhundert die Namen „Freimaurer“ und „Rosenkreuzer“ nahezu dasselbe bezeichnen.212

„Das Geheimnis der alten Freimaurerei“, betont Schick, „war dasjenige der Rosenkreuzer, nämlich die alte Weisheit von Adam her über Moses, Salomon, Christus, Johannes, durch welche das innerste Wesen der Natur erschlossen und das wahre göttliche Licht erblickt wurde, das Licht aus dem Orient.“213

Die schon im frühen siebzehnten Jahrhundert in England nachweisbaren Societies of Freemasons knüpfen zwar an Bräuche der Maurerzünfte an, führen aber eine eigenständige Existenz und sind, im Gegensatz zu jenen, nicht spezifisch religiös, sondern philosophisch orientiert. Soweit Werkgenossenschaften beim Entstehen der Societies mitwirken, spielen sie eine zweitrangige Rolle. Zugehörigkeit zur Zunft der Steinmetzen wird in dem sich herausbildenden Bund immer unwichtiger, wenn sie nicht, was Schick zu bedenken gibt, „nur eine Tarnung war für jene Kreise, die im religiös- politischen Wirrwarr der Zeit nach neuen geistigen und weltanschaulichen Grundlagen suchten“214. Damit ist eine wechselseitige Durchdringung von Werkgenossenschaften und spekulativen Zirkeln nicht ausgeschlossen. Dass die Steinmetzenzunft ihre Geschichte und Symbole der Bibel entnahm, ist angesichts ihres häufigen Gebrauchs gerade in England nicht verwunderlich.

Da sich die Societies of Freemasons zunächst der Versammlungsräume dieser Gewerkschaft bedienten, fanden sie hier eine handwerkliche Symbolik vor, die sich durch ältere, kosmische Symbole (Sonne, Mond und Sterne) erweitern ließ und geeignet war, ihnen ihr eigenes Wollen allegorisch zu verdeutlichen. Angesichts der Quellenlage erscheint es Schick evident, dass die Entwicklung von jenen Kreisen vorangebracht wurde, „die im Schutz der Steinmetzenzunft ihre Zusammenkunft und ... Tätigkeit gegen unliebsame Störung durch behördliche Einmischung zu tarnen suchten“ 215.

Dass sie zu den Steinmetzen gingen, erklärt sich zum einen aus der Parallelität handwerklicher und materieller Ziele zu den geistigen Zielen, die sie selbst verfolgten, zum anderen daraus, dass ihnen die Steinmetzenzunft wegen ihrer „privilegierten Stellung“, ihrer „Freizügigkeit“ und ihres „organisatorischen Zusammenhalts“ 216 besonders günstig erschien.

Die naheliegende Frage nach Beschaffenheit, Zweck und Arbeitsweise jener philosophischen Zirkel und Gesellschaften, die am Anfang der Societies of Freemasons stehen, lässt sich kaum befriedigend beantworten. Da Urkunden und Berichte hierüber fehlen, sind wir darauf angewiesen, die ideologisch- zeitgeschichtlichen Umstände zu untersuchen. Wenn Mitgliedern hinsichtlich der Bräuche und Absichten der Societies strengste Verschwiegenheit abverlangt wurde, so nötigte dazu wohl nicht nur die Intoleranz einer religiösweltanschaulich aufgewühlten Zeit, sondern auch das nur indirekt erschließbare Selbstverständnis der Societies selbst. Deren Weg und Ziel dürften keineswegs von Anbeginn festgestanden haben. Ebensowenig können wir davon ausgehen, dass schon zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts eine deistische Religionsphilosophie, das Ideal der Humanität oder soziale Tugenden es vermocht hätten, einem Geheimbund so viele Mitglieder zuzuführen.

Vielmehr – so lautet Schicks These – „zog der Glaube, daß es in der Society wirkliche Geheimnisse gab, Lords, Gelehrte, Militärs und Männer des öffentlichen Lebens an“217. Letzten Endes, behauptet Schick, wurde die Neugier Außenstehender dadurch angestachelt, dass „das Geheimnis der ursprünglichen Society unzweifelhaft in ihrer Beschäftigung mit Alchimie und Rosenkreuzerei (lag)“218.

Schicks These verweist auf die geistesgeschichtliche Situation. Alle philosophischen Zirkel suchen damals nach einer mystischen Einheit von Mensch und Natur; sie treiben, was man Geheimwissenschaft, Theosophie, später auch „Königliche Kunst“ nennt.219 Das gilt selbst noch von der 1662 gegründeten Royal Society, der neben den bedeutendsten Gelehrten Englands namhafte Freimaurer wie Desaguliers angehören. Hier (wie in ähnlichen, weniger bekannten Zirkeln) werden neben Experimentalphysik und Astronomie vorzugsweise Kabbala und Astrologie gepflegt. Unbeschadet der bahnbrechenden Leistungen Bacons, Newtons und anderer Forscher ist im frühen siebzehnten Jahrhundert, woran Schick erinnert, „die ganze alchemistisch-theosophische Naturanschauung in den Gelehrten- und Aristokratenkreisen Englands vorherrschend“ 220.

Die fortschreitende Erschütterung des kirchlichen Autoritätsglaubens durch rationale Einsicht fördert nicht nur die (häufig amateurhafte) Beschäftigung mit physikalischen, sondern auch mit alchemistischen Experimenten. Beide stehen gleichberechtigt, aber unvermittelt nebeneinander. 221

Der erstarkende Geist des Empirismus kommt gegen die Zählebigkeit okkulter Zeitmoden nicht auf. Selbst Bacon, der das induktive Schlussverfahren preisende Methodologe, lässt eine magia naturalis gelten. Paracelsus, Böhme und ihre Schüler werden im damaligen England eifrig studiert. Schick erklärt es für hinreichend belegt, „daß auch Außenstehende die Society of Freemasons mit Rosenkreuzern, Adepten und Alchemisten in Verbindung brachten“ 222.

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