Traktat: Paul Selter: Der Arzt als Freimaurer: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 30. Oktober 2015, 18:36 Uhr
Der Arzt als Freimaurer
Von Br. Paul Selter Artikel in der „Leuchte“, Juni 1931
Der altgriechische Arzt und seine Nachfahren bis in das Mittelalter ja die Neuzeit hinein zeichneten sich durch ihre Beziehungen zur Philosophie aus. Viele griechische Philosophen der Frühzeit waren Ärzte und umgekehrt. Die Heilkunde, so meint das Symposion, sei eben nichts anderes als die Erkenntnis des Wirkens des gewaltigen Eros im menschlichen Leibe.
Als wirklichen Arzt erkennt Plato denjenigen, der sich erkundigt über Ursprung und
Natur der Krankheit, in dem er sich mit dem Kranken selbst und dessen Umgebung
näher einlässt. Erst nachdem er ihn mit allen Mitteln der Überredung willig gemacht
hat, versucht er ihn unter seiner ständigen Leitung zur Gesundheit zu führen und
vollständig wieder herzustellen.
Der heutige Arzt hat diese philosophischen Beziehungen zum Kranken in der Regel
nicht mehr. Die ungeheuren Errungenschaften der Wissenschaften und der Technik,
der Erfindungen und Entdeckungen haben das Wesen der Heilkunde verändert. Sie
ist nicht mehr die Erkenntnis des Wirkens des gewaltigen Eros.
Virchow stellte die lebende Zelle mit ihren Funktionen als wirksames Agens im
menschlichen Körper fest. Pasteur und Koch fanden die Bakterie, den Parasiten als
Ursache der Krankheit. Röntgens X-Strahlen machten die inneren Organe und deren
Veränderungen sichtbar. Behring gewann das Heilmittel aus dem Blute genesender
Menschen und Tiere.
Und ein Blick in die „Werkstätte“ des Arztes unserer Tage lehrt:
keine Stelle im menschlichen Körper, die nicht mit dem Messer des Chirurgen angegangen werden kann, keine Funktion innerer Organe, die der Röntgenplatte, dem Reagenzglase, dem Mikroskope verborgen bliebe. — Forschen, Wissen, Technisieren, das ist heute die Methode des Arztes, nicht philosophieren. Noch eins hat die Beziehungen des Arztes zum Menschen gelockert, ein merkwürdiges Paradoxon: Die soziale Versicherung löste die sozialen Beziehungen von Arzt und Mensch und setzte an deren Stelle die wirtschaftlichen Beziehungen zur Krankenkasse und deren Mitglieder.
So hat die große Masse der Ärzte heute medizinische Kenntnisse, Wissen,
technische Routine, Erwerbstüchtigkeit, — aber wenig menschliches Können,
seelisches Verständnis, soziales Ethos, selbstlose Liebe. An ihrer Spitze sehen, wir
Gelehrte, Forscher, aber keine oder wenige Lebenskünstler.
Das ist nicht ausnahmslos so. Im Gegenteil, aus den eigenen Reihen der Ärzte ertönt
die „moralische Forderung“ nach dem „platonischen“ Arzte. Auch in Einrichtung und
Lehre vollzieht sich eine Abwendung von der Seelenlosigkeit der mechanisierten und
materialisierten ärztlichen Tätigkeit. Die Gesundheitsfürsorge will den Hausarzt
ersetzen und die menschlichen Beziehungen zwischen Heilenden und Kranken
wieder herstellen. Die soziale Medizin will die gesellschaftlichen Bedingungen und
Beziehungen lehren, die zu Krankheit und Gesundheit führen.
Professor Weizsäcker Heidelberg sagt mit krassen Worten: die wichtigsten Entstehungsbedingungen des krankhaften Begehrens (der Patienten) sei die Form der Sozialversicherung und die falsche Behandlung durch Ärzte. Weiter meint er: Die Schädlichkeit der internistischen, physikalischen und chemischen Behandlungsformen bei Sozialneurosen (d. h. bei Verzichten auftretender Rentenrechte) sind bekannt. — Schärfer kann ein Arzt das Übel seines Standes nicht darstellen. Aber damit ist zugleich der Umschwung angedeutet, der sich in der ärztlichen Betätigung vollzieht, und der hinzielt auf die seelische Betreuung und Heilung der Kranken. Die internationale Zeitschrift „Die Böttcherstraße“ veranstaltete im Mai 1930 bei hervorragenden Ärzten und Hochschullehrern eine Umfrage „Die Medizin als Aufgabe“. Alle Antworten auf diese Frage skizzieren,. vielfach vom Standpunkt ihrer Spezialität, die nächsten Aufgaben medizinischer Forschung und Wissenschaft. Ein einziger unter ihnen, Prof. Etienne May-Paris, spricht von der Rolle des Arztes in der modernen Gesellschaft: Der wahre Arzt verlangt nicht nur den Kranken, nein auch den gesunden Menschen zu betreuen. Bientot il soignera les ames. (Bald wird er auch der Seele Hirt sein). Der wahre Arzt liebt seine Kranken. In der mechanisierten Gesellschaft unserer Tage wird er vielleicht der einzige bleiben, der sich selbst verschenken kann. (Le medicin restera peut-etre le seul ä pouvoir faire don de luimeme).
May zeigt damit, wo sich Arzt und Freimaurer beruflich vereinigen: Die Seele des Menschen zur Gesundheit, das heißt zu wahrer Harmonie leiten, — brüderlich lieben, — sein Bestes, sein Selbst an die Menschheit verschenken, — der Menschheit dienen, das ist maurerische Aufgabe.
So ist also der Arzt der Zukunft Freimaurer von Beruf.