Die Neuen Pflichten: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 8. Juli 2021, 16:35 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Die „Neuen Pflichten“ Grundsätze, Ziele und Aufgaben der Freimaurerei im 21. Jahrhundert
Neue Pflichten gibt es nicht. Aber in der deutschen Freimaurerei gibt es iommer mehr Diskkussionen darüber, ob die alten Pflichten noch zeitgemäß und passend sind. Als ein Diskussionsbeitrag zu dieser Diskussion hat Helmut Reinalter im Juni 2021 den folgenden Entwurf entstellt.
Einleitung Die Pflichten und Gesetze der alten Freimaurerbruderschaft in England waren ursprünglich so gut verwahrt, dass sie kaum bekannt geworden sind. Erst James Anderson hat in seinem Konstitutionenbuch 1723 das publiziert, was in den schriftlichen und mündlichen Überlieferungen der alten Freimaurer enthalten war. Seither ist ein großer Teil der Urkunden aufgefunden worden, die Anderson benutzt hat. Dieses Konstitutionenbuch lag und liegt auch noch heute der Bruderkette zugrunde.
Eine zweite Fassung der „Alten Pflichten“ erschien im Jahre 1738. Sie lässt bereits eine Entwicklung erkennen, die die ursprüngliche Gleichheit aller Brüder zurückdrängte. Dieser Pflichten- und Tugendkatalog versucht, ältere Traditionen mit Neuem zu verbinden. Die Kapiteleinteilung der „Alten Pflichten“ ist traditionell erfolgt und wies eine Dreiteilung auf: Religiöse, allgemeine und handwerkliche Vorschriften.
Die Formulierung der ersten Pflicht ist in der neuen Fassung aufklärerisch orientiert, weil sie Religion in einen innerweltlichen Tugendkatalog umdeutet, der seine Begründung nicht mehr in von Gott gesetzten Normen hat. Die wesentlichsten Bestandteile des Tugendkatalogs stellen Güte, Redlichkeit, Ehre, Anstand und Freundschaft dar. In der zweiten Pflicht stehen als Tugenden Friedensliebe, Treue gegenüber dem Staat und die Freundschaft der Brüder untereinander im Mittelpunkt. Alle weiteren erwähnten Pflichten bauen auf diesen Tugenden auf und erläutern sie unter den besonderen Perspektiven der inneren Logenorganisation unter den handwerklichen Verpflichtungen.
In der zweiten Ausgabe von 1738 wurden mehrere redaktionelle Veränderungen vorgenommen. Die Gründe dafür lagen darin, dass man dem Adel entgegenkommen wollte, die Organisation gestrafft wurde, die inzwischen erfolgte Einführung des „Drei-Grad- Systems“ berücksichtigt werden musste und die Einteilung allgemein übersichtlicher gestaltet wurde. Eine inhaltliche Veränderung findet sich in der Neuformulierung der ersten Pflicht, dass nämlich in der Vergangenheit nur Christen Freimaurer gewesen wären. Nach der Auseinandersetzung mit dem Grand Orient de France (GO) in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts entwickelte die Großloge von England neue Lehrsätze über die Freimaurerei, die 1929 in die „Basic Principles“ einflossen. Ab diesem Zeitpunkt kann nach englischer Auffassung nur Freimaurerbruder werden, wer an Gott, seinen geoffenbarten Willen und an das Buch des heiligen Gesetzes als überirdische Offenbarung glaubt. Mit diesen Regelungen ist der naturrechtlich-aufklärerische Charakter der englischen Freimaurerei beseitigt worden. An seine Stelle trat ein Wertesystem, das von englischen Brüdern selbst als „Dogma der Freimaurerei“ bezeichnet wurde. Weitere Änderungen an den Konstitutionen erfolgten aus Gründen des Wandlungsprozesses der jeweiligen Gesellschaft und ihrer Werte.
Als Verbindung von konservativ und zum Teil fortschrittlich können die 1870 erlassenen „Allgemeinen Freimaurerischen Grundsätze“ des deutschen Großlogenbundes bezeichnet werden, der 1872 gegründet wurde. Es handelt sich dabei allerdings um eine einschränkende Festlegung der Freimaurerei im Hinblick auf die angestrebte Einheit. Dort heißt es in Paragraph I: „Die Freimaurerei bezweckt, in einer zumeist den Gebräuchen der zu Bauhütten vereinigten Werkmaurer entlehnten Form die sittliche Veredelung des Menschen und menschliche Glückseligkeit überhaupt zu befördern.“
Am Beginn des 21. Jahrhunderts ist es aufgrund des umfassenden Wandels der Gesellschaft dringend erforderlich geworden, „Neue Pflichten“ in zeitgemäßerer Form festzulegen. Die „Alten Pflichten“ enthalten trotz starker historischer Bedingtheit noch immer teilweise die wesentlichen, aber heute nicht mehr vollständigen Grundlagen der humanistischen Bruderkette. Ihr Wert liegt vor allem im Charakter als historisches Dokument. Die Frage, die sich daraus ergibt, ist, ob sie noch eine wichtige geistige Orientierung für die Freimaurerei bieten kann? Die Bruderkette sollte unbedingt in ihren Grundsätzen und in ihren Aufgaben modernisiert werden und dabei den aktuellen Wissensstand unserer Gegenwart nutzen. Dabei geht es vor allem um eine Erweiterung des Pflichtenbegriffs und um eine zeitgemäße Reformulierung der „Alten Pflichten“. Der Pflichtenbegriff hat sich im Laufe der Jahrhunderte ohnedies gewandelt.
Die Neuen Pflichten
Im Rahmen der zunehmenden Bemühungen der Freimaurerei, über Gegenwarts- und Zukunftsfragen der Bruderkette nachzudenken, werden heute vermehrt Vorschläge gemacht, aus den „Alten Pflichten“ „Neue Pflichten“ zu erarbeiten. Diese bilden eine Grundorientierung an Werten, Zielen und Aufgaben für den einzelnen Bruder und darüber hinaus auch eine ethische Basis, um eine friedlichere, gerechtere und humanere Welt zu ermöglichen. In der Symbolsprache der Freimaurerei bedeutet dies, am unvollendeten Tempel der allgemeinen Menschenliebe zu bauen. „Neue Pflichten“ der Freimaurerei umfassen hauptsächlich die Ehrfurcht vor dem Leben, die Achtung der Menschenwürde, Menschenrechte und Menschenpflichten, gerechte und faire Handlungsweisen, Wahrhaftigkeit im Reden und Handeln, die Bekämpfung der Klimakrise, die Sorge um die Umwelt, die Bekämpfung von Terror, Gewalt, Intoleranz und Fundamentalismus, sowie der Respekt und die Liebe unter den Menschen. Dies sind konkrete Pflichten zur Verantwortung, zum Vernunftdenken, zur Toleranz, Ethik und Humanität. Dabei geht es vor allem darum, Freiheit und Verantwortung in ein Gleichgewicht zu bringen, sowie ein Umdenken im Sinne der erwähnten Beispiele zu bewirken, und darüber hinaus auch um eine Versöhnung von Ideologien, Glaubensüberzeugungen und politischen Standpunkten, was aktive Toleranz erfordert, um Antagonismen, Konflikte, Gewalt, Fundamentalismen und Dogmen zu überwinden.
Die „Neuen Pflichten“ sind prinzipiell in drei Richtungen einzuteilen:
- 1. Pflichten gegen sich selbst
- 2. Pflichten gegenüber den Mitmenschen
- 3. Pflichten gegenüber der Gesellschaft.
Zu 1: Der Freimaurer sollte sein Gewissen schärfen und sich von ihm leiten lassen, seine individuellen Anlagen wahrnehmen und weiterentwickeln, an seiner Persönlichkeit arbeiten, sein Wissen erweitern, um sich selbst und die Welt besser zu verstehen, aus seinen Fehlern lernen, um sie nicht zu wiederholen, aktive Toleranz üben und sich seiner Würde als Mensch bewusst sein.
Zu 2: Der Freimaurer sollte die Würde und Rechte der Mitmenschen anerkennen. Er sollte weiters anderen Meinungen gegenüber tolerant und mit Respekt begegnen, aber gegen Intoleranz eintreten, sozial schwachen und behinderten Menschen beistehen, Mitmenschen uneigennützig fördern und Notleidenden helfen, sich für die Meinungsvielfalt als Ausdruck geistiger Freiheit einsetzen, das Fremde und andere Kulturen respektieren sowie wertschätzen, Vorurteile durch zuverlässige Informationen, Erkenntnis, Vernunft und Aufklärung abbauen.
Zu 3: Der Freimaurer soll Wissen und Erfahrung weitergeben, sich für eine humane und gerechtere Gesellschaft einsetzen, die Demokratie als Staatsform mit ihren staatlichen Einrichtungen verteidigen und die Instrumente zur demokratischen Willensbildung nützen, persönliche Macht nicht missbrauchen und Machtmissbrauch entgegentreten. Er sollte sich als bewusster und verantwortlicher Teil der Natur fühlen, Verantwortung gegenüber der Nachwelt übernehmen, alles Leben in seiner Vielfalt schützen und mit den begrenzten Ressourcen umweltschonend und maßvoll umgehen, sich der ethischen Grenzen des Machbaren bewusst sein, sich für die Ausgewogenheit zwischen Weltbevölkerung und Wohlstand einsetzen, um ein humanes Dasein für alle Menschen zu erreichen, erkennbaren ökologischen Fehlentwicklungen und der Klimakatastrophe entgegenzutreten, kulturelle Werte zu pflegen und weiterzuentwickeln sowie für Menschenwürde und Menschenrechte einzutreten und Menschenpflichten zu übernehmen.
Menschenrechte und Menschenpflichten
Menschenrechte und Menschenpflichten sind eng miteinander verbunden. Was das Verhältnis zwischen ihnen betrifft, muss darauf hingewiesen werden, dass die Menschenrechte gesetzlich verankerte Forderungen an den Staat darstellen, die in demokratischen Ordnungen eingeklagt werden können, während Menschenpflichten humane Tugenden und Werte umfassen, wie Menschenliebe, Gerechtigkeit, Duldsamkeit, Sozialität und Mitmenschlichkeit, also nicht nur Pflichten dem Staat, der Natur und dem Leben gegenüber beinhalten, sondern vor allem Pflichten für sich selbst, den Mitmenschen und der Gesellschaft gegenüber. Die Menschenpflichten legen Formen eines geregelten sozialen Umgangs fest. Die beiden Begriffe standen und stehen auch heute in keinem Konkurrenzverhältnis zueinander, sondern verstehen sich als komplementäre Ergänzung. Damit Menschenrechte, für die sich die Freimaurerei besonders einsetzt, in die Praxis erfolgreich umgesetzt werden können, müssen sie in die sozialen Grundvoraussetzungen und in die Tugenden bzw. Grundwerte eingebettet sein. Bei den Menschenpflichten geht es auch um zentrale Fragen über Pflichten in einer globalisierten Welt, wie die Herstellung von Gerechtigkeit und Solidarität, die Bekämpfung des Hungers und der Armut sowie der Klimakatastrophe. Von wesentlicher Bedeutung sind auch ethische Überlegungen über die Folgen der Globalisierung und Digitalisierung sowie zum digitalen Humanismus. Keine Demokratie und offene Gesellschaft können auf Dauer ohne Rechte und Pflichten - wie die Freimaurerei- Bestand haben.
Den Menschenpflichten liegt die sogenannte „ Goldene Regel“ zugrunde. Sie zählt zu den wichtigsten Gemeinsamkeiten im Ethos der Kulturen und Religionen und findet sich in allen Weisheitslehren der Menschheit. Sie bildet gleichsam den Kern der Menschenpflichten und damit der Pflichten des Freimaurers. Sie setzen sich zum Ziel, „Freiheit und Verantwortung in ein Gleichgewicht zu bringen und ein Umdenken zu bewirken von der Freiheit der Indifferenz hin zur Freiheit des Engagements“ (Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten). Darüber hinaus geht es aber auch darum, Ideologien, Glaubensüberzeugungen und politische Ansichten zu versöhnen. Dieses Ziel ist mit dem freimaurerischen Toleranzgedanken und mit dem Pflichtenbegriff sehr gut vereinbar.
Die Idee der Menschenwürde ergibt sich aus dem weiterentwickelten wissenschaftlichen Verständnis der Selbstentfaltung der Welt, also ist sie ein zentraler Grundwert für eine humane Gesellschaft. Sie zählt auch zu den wichtigsten philosophischen und politischen Grundlagen sowie Begründungen der Menschenrechte und Menschenpflichten. Unter Pflichten sind allgemein normative Erwartungen gemeint, die mit bestimmten sozialen Rollen verknüpft sind bzw. zu den Konstitutionselementen sozialer Rollen gehören, und sie werden häufig auf Rechte, Prinzipien oder Verpflichtungen zurückgeführt. Ziele, Werte und Grundsätze der Freimaurerei.
Die „Neuen Pflichten“ sind sehr eng mit den Zielen und Grundsätzen der Bruderkette verbunden. Die Freimaurerei versteht sich als eine international verbreitete humanitäre Vereinigung, die unter Achtung der Würde des Menschen für kritische Vernunft, Aufklärung, Freiheit, Toleranz, Ethik, freie Entwicklung der Persönlichkeit, Menschenrechte und Menschenpflichten, Humanität, Brüderlichkeit und allgemeine Menschenliebe, Selbsterkenntnis, pflichtbewusstes Denken und Handeln, Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, Empathie, Weisheit, Verschwiegenheit und Selbstdisziplin eintritt.
In der Konstitution der Großloge von Österreich der alten, freien und angenommenen Maurer wurden folgende freimaurerische Grundsätze in zeitgemäßer Formulierung festgelegt, die auch für andere freimaurerische Konstitutionen sinngemäß gelten können:
I. Der Bund der Freimaurer ist eine Verbindung freier Männer von gutem Ruf im Streben nach geistiger und sittlicher Veredelung, ohne Rücksicht auf Rasse, Nationalität, Glauben, gesellschaftliche Stellung oder Parteizugehörigkeit. Er bezweckt die Erziehung seiner Mitglieder zur Humanität, verpflichtet sie zur Gewissens-, Glaubens- und Geistesfreiheit unter sich und gegen jedermann innerhalb und außerhalb der Loge. Diesen Grundsätzen Rechnung tragend, steht die österreichische Freimaurerei, deren Logen in der Großloge von Österreich vereinigt sind, auf dem Standpunkt der Pflichten eines Freimaurers der Englischen Konstitutionen der Freimaurer („Alte Pflichten“) aus dem Jahre 1723. Die Freimaurerei setzt sich zur Aufgabe, Bildung und Aufklärung, besonders die Jugenderziehung, zu fördern, die Intoleranz zu bekämpfen, für die Menschenrechte einzutreten sowie gemeinnützige Anstalten zu gründen und zu unterstützen. Brüderlichkeit, vorurteilsfreie tätige Menschenliebe, Wahrhaftigkeit und die Arbeit an sich selbst sind das Fundament der Freimaurerei.
II. Der Bund der Freimaurer verlangt von seinen Mitgliedern kein bestimmtes Glaubensbekenntnis. Er achtet jede ehrliche Überzeugung und verwirft die Verfolgung Andersdenkender. Er kann jedoch in seinen Reihen keine Männer aufnehmen, deren Gesinnung und Lebensführung erkennen lässt, dass die Grundsätze der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 missachtet werden, weil dies einer Tolerierung der Intoleranz gleichkäme.
III. Der Freimaurer ist zur Beachtung der Gesetze seines Vaterlandes verpflichtet. Er hat zur Erhaltung des inneren Friedens in Wort, Schrift und Tat in Kräften beizutragen, Die Freimaurerei schließt jede Parteinahme des Bundes in politischen und religiösen Fragen aus. Es sind daher alle Abstimmungen oder Beschlüsse, die die individuelle Freiheit der Mitglieder in diesen Fragen beeinträchtigen könnten, untersagt. IV. Geschichte, Grundsätze und Zweck der Freimaurerei sind kein Geheimnis. Dem Freimaurer ist es aber verboten, Rituale, ferner Zeichen und Gebräuche, die zur wechselseitigen Erkennung dienen, die Zugehörigkeit oder Bewerbung eines Anderen sowie überhaupt innere Angelegenheiten der Logen oder der Großloge Nicht- Freimaurern bekannt zu geben.
Die freimaurerischen Grundsätze im Detail
1. Das Symbol des „Großen Baumeisters aller Welten“: Der „Große Baumeister aller Welten“ bedeutet in der Bruderkette eine Form der Bezeichnung des Schöpfers und
Erhalters der Welt. Dieses Symbol baut auf der Grundlage der ethischen Verantwortung des Freimaurerbruders auf. Der Wert und die Würde des Menschen werden in der Bruderkette nicht nach dem Bekenntnis zu einer Religionsgemeinschaft und zu einem Dogma beurteilt, sondern nach intellektueller Redlichkeit. Der „Große Baumeister“ symbolisiert den Werterahmen, aus dem das Leben Sinn und menschliche Verantwortung erhält.
2. Vernunft und Aufklärung: Die Freimaurerei vertritt ein Aufklärungs- und Vernunftkonzept, das sich als kritisch und „reflexiv“ versteht. Dieses neue Aufklärungsverständnis geht davon aus, dass die Aufklärung ihren eigenen Anspruch, ihr eigenes Verfahren und ihr Legitimität kritisch hinterfragen muss. Diese Bemühungen führen dazu, dass die Aufklärung sich selbst aufklärt und sich aus einem größeren Vermittlungszusammenhang heraus reguliert, um den Despotismus der Vernunft zu überwinden. „Reflexive“ Aufklärung als kritisches Denken ist aus masonischer Perspektive Selbstaufklärung, Selbstwerden durch freies Denken, Selbstdenken, aber auch Sachaufklärung im Sinne von Beseitigung geistiger und realer Hindernisse der Selbstaufklärung. Aufklärungsdenken richtet sich als kritisches Selbstdenken gegen angemaßte Autorität und Vorurteile sowie als Richtdenken gegen Irrtümer, Irrationalismus und Aberglauben, gegen absolute Wahrheiten, Dogmen und Ideologien.
3. Freiheit und freie Entwicklung der Persönlichkeit: Der Begriff Freiheit ist ein weiterer zentraler Grundwert der Freimaurerei. Ziel der Bruderkette ist die Erziehung des Menschen zur Humanität, zu einem menschenwürdigen brüderlichen Verhalten, zu einem freien, selbstverantwortlichen Menschen. Im freimaurerischen Sinne ist bewusste verantwortliche Lebensgestaltung als Lebenskunst nur auf der Basis der inneren moralischen Freiheit möglich. Freiheit bildet die Grundlage und Voraussetzung für die Vervollkommnung des Menschen. Sie bedeutet für die Bruderkette vor allem innere Freiheit, d.h. sie ist kein Selbstzweck, sondern bedeutet, jederzeit das wollen zu können, was als ethisches Ziel gesetzt wird. Freiheit ist auch mit Verantwortung sehr eng verbunden. Hier ist die ethische Dimension der Freiheit angesprochen, die sich in Mitmenschlichkeit und Humanität äußert. Die Freimaurerei tritt auch für die freie Entwicklung der Persönlichkeit ein. Mithilfe der masonischen Symbole und Rituale soll der Bruder zu Humanität erzogen werden, zu einer Lebenskunst bzw. „Königlichen Kunst“, zur Kunst als Selbsterkenntnis, Selbsterziehung und harmonische Lebensgestaltung. Freie Entwicklung der Persönlichkeit bedeutet auch die Entfaltung jener menschlichen Fähigkeiten, die als Veredelung und als Vervollkommnung der menschlichen Persönlichkeit umschrieben werden. So soll der Freimaurer in immer höherem Maße zu Selbsterkenntnis und Selbstbeherrschung gelangen.
4. Ethik: Die universelle Ethik der Freimaurerei baut auf Werten auf, die nicht von religiösspirituellen Vorstellungen losgelöst sind. Die Bruderkette besitzt ein Menschenbild, das eine ethische Zielsetzung verlangt, eine praktische Ethik. Diese Ethik, die sich im Ritual als „Einübungsethik“ manifestiert, versteht sich nicht als Erfolgs- und Gesinnungsethik, sondern als eine Verantwortungsethik - auch im Hinblick auf die Verwirklichung masonischer Werte in der Gesellschaft. Dies bedeutet konkret Verantwortung für die Mitwelt, Umwelt und Nachwelt sowie die Aufforderung, in globalen Zusammenhängen zu denken und sozial-humanitär zu handeln. Zur Ethik im freimaurerischen Sinne gehört aber auch das Postulat der gegenseitigen Verpflichtung zur Hilfe unter den Brüdern. Abgelehnt wird von der Bruderkette allerdings die sogenannte „Geschäftsmaurerei“, die Nutzung des Freimaurerbundes für wirtschaftliche, gesellschaftliche oder politische Transaktionen. Dazu kommt noch, dass die Bruderkette selbst organisatorische Mechanismen besitzt, Normenbrecher aus ihren Reihen auszuschließen. Freimaurerische praktische Ethik ist eigentlich ein gutes wertorientiertes Handeln der Brüder.
5. Humanität: Mit dem freimaurerischen Menschenbild hängt auch die Idee der Humanität eng zusammen. Die Brüder bauen, wie aus ihrer Ritualistik hervorgeht, am Tempel der allgemeinen Menschenliebe. Diese ist kein theoretisches Lehrgebäude bzw. Konstrukt und keine Morallehre, sondern versteht sich als menschlich gutes Handeln. Humanität erlebt der Bruder in der Loge und im profanen Leben, indem er sich als Mensch unter Menschen zu begreifen versteht. Humanität ist daher für den Freimaurer kein leeres Wort, sondern vor allem konkrete Praxis, ein veredelndes und menschliches Handeln. Die Humanität gründet keineswegs im Wissen und in einer vermeintlichen Kenntnis von einer besseren Welt, sondern resultiert aus dem ungeschönten Blick auf die unverdeckten Tatsachen des Daseins der Menschen. Die Erziehung zum Menschen und zur Humanität geschieht im freimaurerischen Selbstverständnis nicht durch das Bekenntnis zu einer bestimmten Lehre, sondern durch die persönliche Erfahrung mit Menschlichem. Der Weg zur Humanität ist ein vielgestaltiger Wandlungsprozess, der den Bruder bei seiner rituellen
Arbeit in Symbolen vor Augen geführt wird. Die Freimaurerei entwickelt den Begriff der Humanität daher von einer abstrakten Forderung zu einem konkreten Programm weiter, das sich als Resultat der Arbeit von Menschen an Menschen und vom Menschen an der Natur herausgebildet hat. Die Erfüllung dieser Forderung ist freimaurerisch eine unabschließbare Aufgabe. Der Bau am Tempel der Humanität erscheint gleichsam als ein Laboratorium, indem der Bruder durch seine persönliche Arbeit die Kräfte der Natur zur Wirkung bringen möchte.
6. Der Toleranzgedanke: Der Toleranzgedanke zählt zu den wichtigsten Einsichten, die Europa in seiner historischen Entwicklung gewonnen hat. Die Wege zu dieser Idee waren vielfältig, und sie stellt in unserer Welt keine Selbstverständlichkeit dar. Die Freimaurerei war an der Verbreitung der Toleranz entscheidend beteiligt. Sie bedeutet und fordert aus der Perspektive der Bruderkette, die Bereitschaft und Fähigkeit zu entfalten, sich in die Sichtweisen des andersdenkenden Menschen hineinzuversetzen. Dies kann nur dann gelingen, wenn der Bruder Klarheit über seinen eigenen Standpunkt besitzt. Dann erlaubt das Kennenlernen anderer Meinungen und Kulturen eine Haltung, die die Anfälligkeit für Vorurteile und Feindbilder überwindet. Toleranz bedeutet masonisch aber auch mehr als nur Dulden und Ertragen, nämlich die Respektierung des Andersdenkenden durch besseres Verstehen des Andersseins und des Fremden. Das Ziel ist hier, die Gewissensund Denkfreiheit zu erlangen. Die Toleranz der Respektierung anderer Weltanschauungen und Religionen bildet für die Freimaurerei eine der wichtigsten Denk- und Verhaltensweisen, die gleichsam die Basis für Freiheit und Gleichheit darstellen. Toleranz bedeutet letztlich Respekt und Anerkennung der verschiedenen Kulturen unserer Welt und der verschiedenen Ausdrucksformen sowie Gestaltungsweisen des Menschseins allgemein. Sie ist eine Tugend, die den Frieden ermöglicht und daher für die Bruderkette unentbehrlich erscheint.
Die Zukunftsaufgaben
Aus diesen Zielen und Werten der Freimaurerei ergeben sich für die Bruderkette mehrere wesentliche Aufgaben:
1. Die Selbstverpflichtung, an der sich Freimaurer zu messen haben, 2. die Entfaltung einer geistigen Haltung, eines geistigen Habitus (Pierre Bourdieu), deren Ausprägung sich im Diskurs der Brüder gestaltet (Jürgen Habermas, Diskursethik), 3. die Entwicklung einer freimaurerischen Lebenskunst bzw. Königlichen Kunst (Michel Foucault), 4. eine neue ethische Orientierung am dynamischen Wandlungsprozess der Gesellschaft, 5. das Symbol des „Großen Baumeisters aller Welten“ zeitgemäßer erklären, 6. eine aktive Toleranz, die über bloße Duldung hinausführt, 7. die Freimaurerei als Idee und gemeinschaftliche Praxis lebendig zu halten, 8. eine verstärkte Verpflichtung zur praktischen Humanität, 9. ein neues Aufklärungs- und Vernunftdenken, 10. ein stärkeres gesellschaftspolitisches Engagement, 11. eine Klärung der Frauenmitgliedschaft, 12. eine verstärkte Auseinandersetzung mit den geistigen und gesellschaftlichen Strömungen der Zeit, 13. eine aufklärerisch-ideologiekritische Haltung und 14. aus den „Alten Pflichten“ „Neue Pflichten“ erarbeiten.
Aus den hier angeführten Zukunftsaufgaben geht hervor, dass sich die Freimaurerei in Gegenwart und Zukunft nicht damit begnügen kann, die traditionellen Positionen der Frühen Neuzeit und der historischen Aufklärung kritiklos zu wiederholen, sondern diese mit ganzer Kraft weiterentwickeln muss, will sie nicht als erstarrte und zu Reformen unfähige Gemeinschaft gelten. Bei dieser grundsätzlichen Erneuerung sollte weiters ein wesentlicher Gedanke als Leitlinie berücksichtigt werden, dass nämlich ein volles gelebtes Dasein (Königliche Kunst) nur in der Spannung auf den Sinn der Zeit denkbar ist, der nicht nur in der Gegenwart, sondern vor allem in der Zukunft liegt. Die hier erwähnten Ziele, Grundsätze, Werte, Pflichten und Aufgaben sollten die geistige Ausrichtung, das Handeln und Leben der Logen in Zukunft bestimmen. Sie verstehen sich gleichsam als Werterahmen und eigentliche Leitlinie der Freimaurerei und vertiefen und erweitern vor allem substantiell die „Alten Pflichten“ von 1723.