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Version vom 21. Juli 2014, 13:43 Uhr
Inhaltsverzeichnis
- 1 Frankreich
- 1.1 Der Alte und Angenommene Schottische Ritus
- 1.2 Grand Orient und Suprême Conseil
- 1.3 Die Beseitigung des A. B. a. W. Symbols durch den Grand Orient
- 1.4 Die Grande Loge Ecossaise Symbolique
- 1.5 Grande Loge de France
- 1.6 Die Freimaurerei von heute
- 1.7 Die politischen Probleme
- 1.8 Antiklerikalismus
- 1.9 Das "Rapprochement franco allemand"
- 1.10 Die Grande Loge Nationale Indépendante et Réguliere pour la France
Frankreich
- Der "Discours" von Ramsay
- Das Chaos der Hochgrade
- Die Gründung des Grand Orient
- Die Zeit der französischen Revolution
- Die napoleonische Ära
Der Alte und Angenommene Schottische Ritus
Zunächst aber beschäftigte alle eine Neugründung, die sich in den ersten Jahren des Jahrhunderts vollzogen hatte.
1804 war der Rittmeister de Grasse - Tilly (s. d.) aus St. Domingo nach Frankreich zurückgekehrt, mit einem Patent des 1801 ins Leben getretenen "Obersten Rates" von Charleston (USA.), das ihn ermächtigte, in der Alten Welt, den "Alten und Angenommenen Schottischen Ritus" (s. d.) einzuführen, ein Hocggradsystem mit 33 Graden. So entstand neben dem Grand Orient abermals eine zweite Organisation, der Supreme Conseil mit einer ihm untergeordneten "Grande Loge générale Ecossaise", nachdem mit der zweiten Großloge des 18. Jahrhunderts der Grande Loge 1799 endlich eine Fusion eingegangen worden war.
Am Tage nach der Kaiserkrönung setzten von seiten der Freimaurer bei Hofe Bemühungen ein, die Einheit wieder herzustellen. Es kam auch 1804 im Hause des Marschalls Kellermann zur Herbeiführung einer vorübergehenden "Unité" zum Abschluß eines Konkordats (s. d.), doch zeigte es sich bald, daß; auf die Dauer doch nun einmal ein Nebeneinander von zwei Riten bestehen bleiben werde. Großmeister des Großorients wurde Joseph Napoleon, sein Stellvertreter Cambacéres (s. d.), der aber gleichzeitig auch an die Spitze des schottischen "Supreme Conseil" trat. Dabei hatte die kaiserliche Polizei gewaltige Angst vor den "Voltairianern", die ihres Erachtens die Logen bevölkerten und unterhielt ein ausgedehntes System von Spitzeln (s. d.), die ergründen sollten, wie weit der Hang zur "Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit, Philosophie und Republik" gehe. Nach dem Sturze Napoleons machte die französische Freimaurerei wechselvolle Schicksale mit. Ein neues System suchte sich breit zumachen, der Misraim ritus (s. d.), Ausgeburt einer geradezu tollen Phantasie, propagiert von den drei Brüdern Bedarride (s. d.). "Supreme Conseil" und "Grand Orient" wurden seit der Restauration immer mehr das Ziel einer heftigen klerikalen Kampagne.
Ein Umstand, der naturgemäß zu Widerstand herausfordern mußte und nicht zum geringsten Teil die antiklerikale Haltung der französischen Freimaurerei bewirkt hat, die ihr auch heute noch eigen ist. Daß nicht etwa Religionsfeindlichkeit die Triebfeder war, geht daraus hervor, daß der Großorient auf Antrag seines Mitgliedes Blanchet 1849 eine Bestimmung in seine Verfassung aufnahm, die als Voraussetzung der Aufnahme den Glauben an einen persönlichen Gott und die Unsterblichkeit der Seele festsetzte. Eine dogmatische Bindung, auf die die Reaktion nicht ausblieb und um die in der Folge 20 Jahre lang heftige Kämpfe gingen. Gleich nach der Einführung freilich nahm sie Angriffen den Wind aus den Segeln, die dahin gingen, dem Großorient den Garaus zu machen. Nach der Februarrevolution von 1848 hatten sich Führer der Freimaurerei ins Rathaus begeben, um der provisorischen Regierung eine Proklamation zu überreichen. Sie waren von den Regierungsmitgliedern, die Logen angehörten, in freimaurerischer Bekleidung festlich empfangen und in deren Namen vom Justizminister Crémieux (s. d.) begrüßt worden.
Als am 2. Dezember 1851 der Staatsstreich N a p o l e o n s III. (s. d.) glückte, glaubte man in den reaktionären Kreisen, das nun die letzte Stunde des französischen Freimaurertums geschlagen habe. Aber Napoleon, der vermeinte, die Freimaurerei für seine Zwecke ausnützen zu können, nötigte dem Großorient als Großmeister den Prinzen Muret (s. d.), den Sohn des einstigen Königs von Neapel, auf. Demokratische Elemente empörten sich gegen diesen Zwang, und als es 1861 zur Neuwahl kommen sollte, wurde mit Erfolg Prinz Louis Napoleon als Gegenkandidat aufgestellt. Der Kaiser, einmal entschlossen, die Freimaurerei nach seinem Willen gelenkt zu sehen, verbot daraufhin den Prinzen eine weitere Betätigung im Orden und ernannte gegen jedes Recht durch ein Dekret vom 11. Jänner 1862 den Marschall Magnan (s. d.) zum Großmeister, der zu diesem Behufe eigens erst in eine Loge hatte aufgenommen werden müssen.
Grand Orient und Suprême Conseil
Gestützt auf den kaiserlichen Befehl, verlangte der Marschall auch von der zweiten Großbehörde, dem Suprême Conseil, daß diese sich seiner Großmeisterschaft unterwerfe und in Hinkunft mit dem Großorient zusammen eine einzige National-Großloge bilde. Der Dichter Jean Pons Guillaume Viennet, Direktor der Akademie, der an der Spitze des Schottischen Ritus stand, leistete aber heftigsten Widerstand und erklärte, auf die inneren Angelegenheiten der Freimaurerei stehe dem Kaiser kein Einfluß zu: "Was Sie von mir verlangen, ist Selbstmord", schrieb er an Magnan . . . "Wohl kann ich mich persönlich opfern, aber der Schottische Ritus wird mich sicherlich überleben."
Die Antwort auf dieses Schreiben war die Auflösung des Suprême Conseil. Viennet erwiderte, daß er diese nicht zur Kenntnis nehme. Und er behielt mit seiner mutigen Haltung recht. Die Arbeit beider Großbehörden ging weiter, und es kam schließlich ohne Fusion zur Anbahnung herzlichster Beziehungen. Für den Großorient selbst erwies sich die Leitung durch Magnan als nicht ungünstig. Man hatte seiner Tätigkeit mit Bangen entgegengesehen, denn die großen Männer der Staatsstreiche pflegen im allgemeinen nicht von Skrupeln geplagt zu sein". Aber Magnan mißbrauchte seine Rechte als Großmeister nicht, im Gegenteil, er stimmte einer Verfassungsänderung zu, die diese wesentlich einschränkte. Ihm folgte General Mellinet im Amte, und es kam wieder eine Zeit, die an jene des letzten Jahrhunderts erinnerte, in denen die Logen "Generalstände der Philosophen" gewesen waren. Mit Eifer gab man sich dem Studium von philosophischen, ethischen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen hin. Die besten freiheitlich gesinnten Männer des Landes strömten in die Logen; u. a. Gambetta, Arago, Henri Brisson, Jules Ferry, Floquet, Jules Simon, Antonin Dubost (s. diese alle). Der demokratische Zug äußerte sich 1871 in der Abschaffung der Großmeisterschaft mit allen ihren Prärogativen. An ihre Stelle wurde ein Ordensrat (s. d.) gesetzt, der von Jahr zu Jahr seinen Präsidenten zu bestellen hat.
In dieser Epoche entschied sich auch das Schicksal der 1848 in die Verfassung aufgenommenen religiös- dogmatischen Bindung. 1875 hatte der Bischof Dupanloup seinen Rücktritt als Mitglied der Akademie erklärt, um gegen die Wahl des großen Positivisten Littré (s. d.), des Schöpfers des "Dictionnaire", zu protestieren. Daraufhin meldete sich dieser, 74 Jahre alt, als Suchender beim Großorient. Bei seiner Aufnahme gefragt, ob er an die Existenz Gottes glaube, antwortete er: Ein Weiser des Altertums, dem ein König die gleiche Frage stellte, dachte Tag für Tag nach und fühlte sich niemals in der Lage, zu antworten. Ich bitte Sie, auch von mir weder Bejahung noch Verneinung zu verlangen. Keine Wissenschaft leugnet eine ,erste Ursache', denn nirgends trifft sie etwas, was gegen eine solche zeugt, noch eine solche beweist. Alles Wissen ist relativ, immer wieder stößt man auf Wesenheiten und Urgesetze, deren tiefsten Grund wir nicht erkennen. Wer mit Entschiedenheit ausspricht, daß er weder gottgläubig noch Gottesleugner ist, beweist nur sein Unverständnis für das Problem des Werdens und Vergehens der Dinge."
Die Beseitigung des A. B. a. W. Symbols durch den Grand Orient
Zwei Jahre später, auf dem Konvent von 1877, unterdrückte der Grand Orient die Formel vom "Allmächtigen Baumeister aller Welten". Der protestantische Geistliche Desmons (s. d.) hatte den auf die Streichung hinzielenden Antrag unter Berufung auf die Notwendigkeit vertreten, das Prinzip der Gewissensfreiheit so klar als möglich zum Ausdruck zu bringen. Das geschah durch die neue Formel: "Die Freimaurerei hat zu Grundsätzen die unbedingte Gewissensfreiheit und die menschliche Solidarität. Sie schließt niemanden um seines Glaubens willen aus." Die Streichung des A. B. a. W. hatte freilich weittragende Folgen: die Großloge von England und in der Folge die meisten angelsächsischen Großlogen brachen die Beziehungen zum Grand Orient de France ab; sie erklärten dessen Standpunkt nicht als Bekenntnis zum Atheismus, aber als Beseitigung der ersten "Landmark" (B. d.) der Freimaurerei.
Auch innerhalb einzelner Logen des Suprême Conceil de France hatten sich Stimmen dafür erhoben, den gleichen Weg wie der Grand Orient zu betreten. Sogar schon früher als bei diesem. Der Suprême Conseil hatte sich aber von Anfang an der rationalistischen Auffassung heftig widersetzt. Die Logen "La Justice" Nr. 133, "La Liberté maçonnique" und "Les Amis Inséparables" hatten schon 1869 die Formel aus ihren Einladungen entfernt; 1873 trat der Suprême Conseil dem energisch entgegen, indem er die Titelzeile A. L. G. D. G. A. D. L'U ! (A la Gloire du Grand Architecte de l'Univers!) für alle Logen verbindlich erklärte. Die Gegner beruhigten sich aber nicht. Männer wie Gustave Mesureur, Brisson, Floquet (s. alle diese) protestierten, der Suprême Conseil gab jedoch nicht nach. Zwei Logen, die sich dennoch nicht fügten, wurden eingeschläfert. 1875 gehörte der Suprême Conseil zu den Gründern der Lausanner Konförderation (s. d.) und unterstrich dadurch auch nach außenhin seinen Willen, nicht von den traditionellen Auffassungen abzuweichen.
Die Grande Loge Ecossaise Symbolique
In den nächsten Jahren trat dann diese Frage einigermaßen in den Hintergrund angesichts des Kampfes gegen die Hegemonie der Hochgrade, für die auf Demokratie gegründete Autonomie der Verwaltung der blauen Logen, der von ungefähr den gleichen Brr. entfesselt wurde, die gegen die Beibehaltung des Symbols frondiert hatten. Der Suprême Conseil suchte längere Zeit seine Stellung, die ihm auch die höchste Gewalt über die symbolischen Logen einräumte, zu behaupten. Es kam zu Ausschlüssen der "Rebellen", 1880 zur Gründung einer nur die drei symbolischen Grade anerkennenden "Grande Loge Symbolique Ecossaise", gebildet unter dem Schlagwort "le maçon libre dans la loge libre" von zwölf separatistischen Logen. Zu dieser gehörten auch "Les Libres Penseurs" von Le Pecq, die 1882, im Gegensatz zu den Wünschen der schismatischen Großloge, eine Frau, Maria Deraismes (s. d.) aufnahmen und dadurch in der Folge den Anstoß zur Gründung der gemischten Freimaurerei" (s. Droit humain) gaben. Angesichts der starken Tätigkeit der "Symbolischen Großloge", die auf 36 Logen anwuchs, entschloß sich der Oberste Rat schließlich zum Nachgeben. Mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 1895 übertrug er einen Großteil seiner Rechte über die symbolischen Logen an eine neugebildete
Grande Loge de France
Bereits 1896 beschloß die Grande Loge Ecossaise Symbolique sich mit dieser zusammenzuschließen, und in der Folge erhielt die Grande Loge de France die volle Autonomie über die blauen Logen. Ein Dekret des Suprême Conseil vom 26. Juli 1904 verkündete die vollständige Trennung der Verwaltungen des Obersten Rates und der Großloge. An diesem Tag begab sich der Suprême Conseil auch des bis dahin noch ihm vorbehalten gewesenen Rechtes, die Stiftungsbriefe für neue Logen auszustellen. Seither unterstehen dem Obersten Rat ausschließlich die Werkstätten (Ateliers) des IV. bis XXXIII. Grades, die Großloge hat alleinige Jurisdiktion Über die in den Graden I bis III arbeitenden Logen. Während beim Grand Orient die Hochgrade und das diese leitende Grand College des Rites (s. d.) trotz gewisser Sonderrechte ein integrierender Bestandteil des Ordens sind, ist beim Schottischen Ritus der Dualismus vollkommen durchgeführt. (Die vom Suprême Conseil und dem Großorient bearbeiteten Hochgrade sind im übrigen dieselben.) Im Gegensatz zum Großorient hat die Grande Loge die Großmeisterschaft beibehalten. Dem Conseil de l'Ordro (Ordensrat) des ersteren entspricht der Conseil Fédéral (Bundesrat).
Die Freimaurerei von heute
[1932]
Das französische Freimaurertum hat sich seit Beginn des Jahrhunderts recht gleichmäßig fortentwickelt. Der Streit der Systeme hörte im wesentlichen auf; die 32.000 Maurer des Grand Orient de France (Sitz: 16, rue Cadet, Paris) arbeiten mit den 15.000 der Grand Loge de France, (s, rue Puteaux, Paris), einträchtig in freisinnigem Geiste zusammen und diese und Suprême Conseil eint ehrliche Freundschaft im gemeinsamen Ritus.
Die Grande Loge hat nicht zu ihrem Schaden dem Beispiel des Suprême Conseils folgend, das Symbol des A. B. a. W. beibehalten, während der Großorient auch nach 60 Jahren an dem Grundsatz festhält, daß dieses ein Dogma bedeute, dem er sich nicht beugen könne. Hatte auf dem so folgenschweren Konvent des Jahres 1877 der Pastor Dosmons seinen Brr. zugerufen: "Überlassen wir es den Theologen, die Dogmen zu erörtern. Die Freimaurerei muß bleiben was sie ist. Sie darf niemals in die heiße Arena der theologischen Diskussionen heruntersteigen; sie muß sich hüten, eine Kirche, ein Konzil, eine Synode sein zu wollen", so wiederholte das am Konvent des Jahres 1927 der Präsident des Ordenerates, der frühere Vizepräsident der Deputiertenkammer, Arthur Groussier (s. d.).
Auf Äußerungen des holländischen Freimaurers Gonsalves, der dem Grand Orient vorhielt, daß das Prinzip der Freimaurerei durchaus religiös sei, da der Bund im Vertrauen in die Existenz eines geistigen und sittlichen Weltsystems wurzle, das die Menschheit vorwärtsschreiten lasse, antwortete Groussier: "Es ist wahr, daß wir nicht von dem ausgesprochen religiösen Geist der angelsächsischen Logen durchdrungen sind. Wenn wir uns aber im Laufe der Zeiten so entwickelt haben wie es geschehen ist, und uns zur uneingeschränkten Freiheit des Denkens bekennen haben nicht andere Obedienzen sich von den Grundsätzen, die Duldsamkeit, Sittlichkeit und Brüderlichkeit heißen und in unserer Konstitution verankert sind, einigermaßen entfernt und sich einer der Konfessionen angenähert? Wir machen ihnen daraus keinen Vorwurf.
Wir hegen vollste Achtung für ihren Glauben... wir verlangen nur, daß die Andersgesinnten dessen eingedenk sein mögen, daß die Toleranz eine der freimaurerischen Haupttugenden ist. Mögen sie ihre Dogmen beibehalten, wenn ihr Glaube ihnen dies vorschreibt, mögen sie aber auch uns für unseren Teil erlauben, die unbedingte Unanfechtbarkeit der Dogmen zu bestreiten... Gewiß, wir haben in diesem zwanzigsten Jahrhundert auch Materialisten in unseren Reihen. Aber schon im 18. Jahrhundert waren hervorragendste Vertreter dieser Richtung Mitglieder unserer Logen. Ist es denn verwunderlich, daß gerade sie, von den Glaubensgemeinschaften erbarmungslos verfolgt, Zuflucht im Tempel der Denkfreiheit suchten? Aber man findet in unseren Logen auch reine Spiritualisten, denn der Großorient verkündet ja keine Lehrmeinung, also weder Atheismus, noch Materialismus, noch Deismus. Er hütet sich davor, seinen Mitgliedern vorzuschreiben, bestimmte Grundsätze anzuerkennen oder andere abzulehnen, er fordert seine Brr. nur auf, denkende Menschen zu sein".
Die politischen Probleme
Auch auf die Frage, wie es sich mit dem Schlagwort von der "politischen französischen Freimaurerei" verhält, gab Groussier die Antwort, indem er auf die Anklage: "Ihr treibt Politik! Genau wie Rom strebt ihr eine politische Machtstellung an!" erwiderte: "Eine moralische Machtstellung? Ja! Politische Herrschaft? Nein! Unser Orden trachtet so wenig nach Herrschaft, wie er sich einer solchen unterwerfen würde. Er verteidigt Ideen und lehnt es kategorisch ab, ehrgeizige Begehrlichkeiten zu befriedigen".
Wenn man unter "Politik" Einmischung in die Gestaltung des inneren Lebens anderer Völker oder die Teilnahme am Kampf der Parteien versteht, so haben weder der Großorient noch die Großloge mit Politik zu tun; es ist den Logen ausdrücklich verboten, in Wahlkämpfe einzugreifen. Aber sie sind darin einig, daß es ihre Aufgabe sei, gemeinsam alles zu erörtern, was mit dem geistigen und sozialen Fortschritt der Menschheit zu tun hat. Man bemüht sich, möglichst vorurteilslos alle Vorschläge zu durchdringen, die auf die allgemeine Besserstellung und auf gegenseitige Annäherung gerichtet sind. Und gemäß der Position, die die französischen Freimaurer im Leben der Nation einnehmen, treten sie mit ihren Ansichten auch stets offen hervor Was immer beschlossen wird, geht aus den Logen hinaus: durch Resolutionen, die der Presse übergeben werden, durch Schriften, diedie Ergebnisse der Diskussionen verarbeiten, durch Veranstaltungen für die Allgemeinheit.
Allwöchentlich sehen die großen Versammlungsräume des Großorients und der Großloge Tausende von Männern und oft auch Frauen, denen und "Tenue blanch e" lautet der Name dieser öffentlichen Sitzungen; sehr oft kommen in ihnen auch Führer des Volkes zum Wort, die nicht dem Bunde angehören. Nie aber wird man in diesen Versammlungen oder im engeren Kreis der Logen Parteiangelegenheiten erörtert sehen. Wenn die französische Freimaurerei einmal nach außenhin aktiv auf den Plan tritt handelt es sich stets um Fragen höherer Ordnung. Als es darum ging, Frankreich von den Machenschaften des von Deutschenhaß und Feindschaft gegen die Republik gepeitschten korrupten Generals Boulanger zu befreien, als das furchtbare Unrecht der Dreyfuß-Affaire die Gemüter arg erschütterte waren die Freimaurer auf dem Posten. Und auch, als es sich um die Frage der Trennung von Kirche und Staat handelte. Immer in Verteidigung des Gedankens der nationalen Demokratie und des kulturellen Liberalismus.
Antiklerikalismus
Oft ist die Frage untersucht worden, ob sich die Toleranzidee mit den ausgesprochen anti-klerikalen Tendenzen der französischen Brüderschaft vertrage. Die Antwort wird der auf der Zunge haben, der den unerbittlichen Krieg kennt, den die Kirche der französischen Freimaurerei seit mehr als hundert Jahren liefert. Die antifreimaurerischen päpstlichen Enzykliken des 19. Jahrhunderts haben in Frankreich weitverzweigte antifreimaurerische Körperschaften (s. d.) entstehen lassen, die nur ein Ziel haben: den erbarmungslosen Kampf gegen die "ruchlose Sekte". Dieses Anathema rief notgedrungen Widerstand hervor und führte zu der Einstellung, die heute den französischen Obedienzen in bezug auf den militanten Katholizismus eigentümlich ist. Sie sehen sich der Notwendigkeit des Abwehrkampfes gegenüber, führen diesen aber seit geraumer Zeit mit einer gewissen Passivität. Andere Probleme sind in den Vordergrund getreten: Bekämpfung der Volksseuchen, Unterrichtsreform, vor allem aber die Friedensfrage.
Kaum eine Loge ist der anderen gleich. Manche sind Sammelbecken stärkster Intellektualität, manche ähneln mehr humanitären Klubs, vielen ist das Ritual lebendiger Rahmen, anderen Inhalt ihrer Arbeit am rauhen Stein. Aber in einem Punkt herrscht seit dem Ende des Weltkrieges in allen Bauhütten Einmütigkeit.
Man fühlt sich verpflichtet, an der Spitze aller jener zu marschieren, die von der Sehnsucht erfüllt sind, Frankreich mit Deutschland zu versöhnen, die Haßpsychose abzubauen und die Welt mit dem Bewußtsein der menschlichen Solidarität zu erfüllen. "Die Freimaurerei ist universell, oder sie ist nicht!" Das ist die Lehre, die jedem neuaufgenommenen Freimaurer mit auf den Weg gegeben wird. Seit einer Reihe von Jahren werden die Möglichkeiten gründlich studiert, die zur Beseitigung der Kriegsgreuel, zur Herbeiführung einer Atmosphäre des Friedens führen können.
Das "Rapprochement franco allemand"
ist in irgendeiner Form immer wieder eines der Pflichtthemen, die von den in jedem Herbst stattfindenden Konventen des Großorients und der Großloge den Bauhütten zur Behandlung aufgegeben werden. Schon lange vor Thoiry und Locarno, zu einer Zeit, da in Frankreich noch Gewaltpolitik Trumpf war, wurde ausgesprochen, daß es nur eine französische Politik, die der Versöhnung, geben dürfe, wurde ein "Comité Fratornité- Réconciliation" gegründet und erklärt, daß die Friedensverträge ein Unrecht darstellen und die Besetzung des Rheinlandes so rasch als möglich zu beenden sei. "Eine Brutstätte des Hasses, der die Verfasser schändet, die im 20. Jahrhundert ein Volk in Sklaverei werfen wollen", nannte auf dem Konvent von 1924 ein Mitglied der Grande Loge den Vertrag von Versailles. "Die Friedensverträge bedeuten den vorläufigen Triumph des schrankenlosen Egoismus. Anstatt die Kollisionsmöglichkeiten fürderhin auszuschalten oder wenigstens einzudämmen, haben sie diese verewigt", äußerte sich 1926 in Belgrad im gleichen Sinne Camille Savoire, der Großkommandeur des "Grand College des Rites" des Grand Orient. Und durch Konventsbeschluß der Großloge wurde ein umfangreiches Programm für moralische, militärische, wirtschaftliche, finanzielle Abrüstung und für Volkserziehung in pazifistischem Sinne genehmigt, wurde ausgesprochen, es sei oberste Pflicht Frankreichs, die durch den Krieg aufgespeicherten Haßgefühle zu bekämpfen, "der Welt den Frieden zu erklären".
"Nicht drohen sollen wir, sondern versöhnen, nicht mit der Faust auf den Tisch schlagen, sondern die offene Hand bieten. Deutschland (das damals noch nicht dem Völkerbunde angehörte) soll ein Schiedsgericht ohne Klauseln und ohne Vorbehalte vorgeschlagen werden. Sein Eintritt in den Völkerbund ist nach Kräften zu fördern. Die Aufhebung der Ruhrbesetzung ist zu beschleunigen. Die Verständigung mit Deutschland hat jedes militärische Bündnis mit anderen Staaten auszuschließen. Die Zollschranken die Hauptursache der Kriege mit all ihrem Elend, sind tunlichst zu beseitigen. Alles ist zu unterstützen, was die gegenseitige geistige und sittliche Durchdringung der beiden Völker fördern kann, deren Kulturen sich in so hohem Maße ergänzen. Der Chauvinismus und die Methoden der Herausforderung sind aufs energischste zu bekämpfen. Die Jugend ist zur Erkenntnis der menschlichen Solidarität zu erziehen. Aus dem Unterricht hat alles zu verschwinden, was den Haßgedanken nähren muß.
Deutschen und Franzosen müssen die unendlichen Leiden ins Bewußtsein geführt werden, die sie seit der Teilung des Reiches Karls des Großen in elf Jahrhunderten des Brudermordes erduldet haben. Sie müssen begreifen lernen, daß jeder Versündigung, die das eine Volk am Geiste des Friedens begeht, eine solche des anderen folgen muß. Jeder Franzose muß wissen, was die europäische Kultur dem Deutschland der Renaissance und der Romantik, dem Geist von Weimar und den großen deutschen Denkern zu danken hat. In den Schulen muß die deutsche Sprache gelehrt werden, denn nur wer diese kennt, kann die Seele des deutschen Volkes ganz verstehen lernen.
Der Austausch von Studenten und Schülern ist auf breite Basis zu stellen. Nur so werden die Kinder dazu beitragen, die Eltern, die vom Haß immer noch nicht lassen mögen, zu den Pflichten der zivilisierten Menschen zurückzuführen." So beschloß die Grande Loge und ähnlich auch der Grand Orient. Man organisierte Versammlungen, in denen der auch heute nicht begrabene Antagonismus auf seine wirklichen Ursachen zurückgeführt wurde, leistete Aufklärungsarbeit. Die öffentliche Meinung wurde durch Friedenskundgebungen aufs nachhaltigste beeinflußt. 1923, als die antideutsche Nachkriegspolitik des Nationalen Blocks Poincarés ihren Höhepunkt erklomm, tadelte diesen beim Ordensbankett des Grand Orient ein Redner in den heftigsten Ausdrücken "Was sollen wir zu dieser Regierung sagen, die durch ihr unverantwortliches Verhalten die Welt nicht zur Ruhe kommen läßt. Ist es nicht Verrücktheit, mitten im Frieden in das Gebiet eines Nachbarvolkes einzudringen. Ein solches Vorgehen . . . ist ein Verbrechen ! Millerand und Poincaré und der Block verhindern die Verständigung mit Deutschland, die wir so sehr wünschen. Sie verhetzen das Volk und täuschen es". In der gleichen Zeit protestierte die Grande Loge bei der Regierung gegen die Duldung der Hetzlieder in Kabaretts und Konzertkaffeehäusern gegen Deutschland und die deutschen Frauen. Und die Loge von Verdun forderte Versöhnung mit den Worten: "Von dem todwunden, geschändeten Boden von Verdun, der blutgetränkten, zerstörten Stadt soll der erste Ruf ergehen zu moralischer Abrüstung...". Seither ist kein Konvent vorbeigegangen, an dem nicht das Bekenntnis zum Frieden, der sehnsüchtige Wunsch nach Annäherung erneuert worden wäre. André Lebey, einer der führenden Freimaurer des Großorients, hat für diese Beharrlichkeit den Satz geprägt: "Keine Utopie, keine Illusion kann uns darüber hinwegtauschen, daß, wenn die Menschheit nicht den Krieg vernichtet, der Krieg die Menschheit ausrotten wird. Ideale werden nicht verwirklicht, sie treten nicht in reale Erscheinung, wenn sie nicht unausgesetzt immer und immer wieder verfochten werden." Und Maurice Monier, Großmeister der Großloge, gab 1927 die Parole aus: "Die einzige Aufgabe der Gegenwartsfreimaurerei ist die Arbeit für den Frieden!"
Diese Arbeit möchte die französische Freimaurerei naturgemäß in Gemeinschaft mit deutschen Großlogen leisten. Sie hat aus diesem Grunde verschiedentlich Versuche unternommen, die Beziehungen zu diesen, die durch den Krieg vollständig unterbrochen wurden, wieder aufleben zu lassen. Bisher mit negativem Erfolg. Ein einziges Mal - im Februar 1927 - fand in Frankfurt a. M. auf französische Anregung hin eine informatorische Aussprache zwischen dem Großmeister des Eklektischen Bundes, Bankdirektor Ludwig Ries, dem damaligen Präsidenten des Ordensrates des Grand Orient, Senator Brenier und dem Zugeordneten Großmeister der Grande Loge, Doignon, und einigen anderen Würdenträgern statt. Großmeister Ries stellte bei diesem Anlaß mehrere Fragen, die sich auf die Kriegsschuldfrage und die Besetzung des Rheinlandes bezogen. Die beiden französischen Obedienzen mußten aber zu ihrem Bedauern erklären, daß sie nicht in der Lage seien, viel in unmittelbarer Weise in die politische Regelung der zwischen den Regierungen von Frankreich und Deutschland schwebenden Fragen internationalen Charakters einzulassen (s. Frankfurter Begegnung)
Die Grande Loge Nationale Indépendante et Réguliere pour la France
Seit 1913 gibt es in Frankreich eine dritte Obedienz, die mehrheitlich aus Engländern zusammengesetzte "Grande Loge Nationale In dépendante et Réguliere pour la France" (42 rue de Rochechouart, Paris). Sie ging hervor aus zwei Logen des Grand Orient, der bis auf das Jahr 1732 zurückführenden "L'Anglaise" in Bordeaux und der Pariser Loge Centre des Amis" (s. d.), die nach dem System des rektifizierten Schottischen Ritus arbeitete. Der Grand Orient hatte diese alte Loge, die von 1841 bis 1910 geruht und in diesem Jahr vom Genfer Großpriorat wieder erweckt worden war, 1911 übernommen.
Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Formel des A. B. a. W. und anderen konstitutionellen Fragen führten, nachdem die Auffassung der Loge am Konvent des G. O. von 1913 unterlegen war — im Verein mit der "Anglaise" zum Ausscheiden aus dem Grand Orient. "Centre des Amis" erklärte sich als Großloge und wurde von Genf als solche anerkannt - im Dezember des gleichen Jahres folgte dann die Anerkennung der Grande Loge Nationale" durch die Vereinigte Großloge von England.
Erster Großmeister war Dr. Edouard de Ribaucourt. Im Juni 1914 entstand von in Paris lebenden Engländern gebildet die dritte Loge, "St. George". Weitere Gründungen folgten. Anfangs 1931 zählte die G. L. N. 29 Logen, die teils nach englischer, teils nach rektifizierter Lehrart arbeiten zwei Instruktionslogen, eine Schottenloge sechs Royal Arch-Kapitel, letztere unter einem Großkapitel. Großmeister ist B. de Mondehare in Paris.