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Version vom 16. Dezember 2014, 18:38 Uhr
Inhaltsverzeichnis
Deistische Wurzeln und Aspekte
Kongruenz zweier Denkansätze
In der Literatur über Wesen und Herkunft der Freimaurerei in ihrer heutigen Gestalt gilt es als ausgemacht, dass sie ein Kind des Zeitalters der Aufklärung ist. Sobald jedoch die Autoren in die Diskussion von Detailfragen eintreten, trennen sich ihre Ansichten. Schwierigkeiten der Forschung ergeben sich nicht nur aus der oft unsicheren Quellenlage, die fragwürdige Hypothesen begünstigt, sondern vor allem aus der Problematik eines angemessenen Vorverständnisses von „Aufklärung“ als geistes- und sozialgeschichtlicher Kategorie.
Die aufklärerische Begriffswelt entzieht sich Versuchen schon ihrer ursprünglichen Verfechter, ihr Wesen, etwa im Sinn vernünftiger Reflexion, abschlusshaft zu definieren. Sie stellt sich heute dar als ein schillerndes, uneinheitlich verwendetes Vokabular, dem es versagt blieb, das mit ihm kokettierende Zeitalter überwiegend, geschweige denn ausschließlich, zu beherrschen.1
Spuren aufklärerischen Denkens und Wirkens lassen sich in sämtlichen Wissensund Lebensbereichen der Epoche nachweisen. Gleichwohl bleibt es anfechtbar, deren Geist nur unter dem Blickwinkel fortschreitender Rationalität zu betrachten. Mit größerem Recht sprechen die Enzyklopädisten vom „philosophischen“ Charakter ihres Jahrhunderts, das zwar keine Metaphysik von Rang hervorbringt, wohl aber eine spezifische Mentalität. Es handelt sich hier – so der Historiker Vierhaus – um eine „Weise des Denkens, des Argumentierens und Urteilens“, die sich, „an der Vernunft orientiert“, eine „allgemeine kritische Funktion“ zuspricht und als „handlungsleitende Philosophie in praktischer Absicht“2 auftritt. Der sich derart entfaltende Diskurs verfährt eher eklektisch als systematisch (im klassisch-rationalistischen Sinn). Er hält sich ans jeweils Plausible und beharrt nicht auf der Unumstößlichkeit einzelner Thesen, Prinzipien oder Lehrgebäude.
Die Stärke dieses Diskurses liegt in der unbefangenen Prüfung der tradierten Normen und Werte. Soweit dabei dogmatisch Behauptetes relativiert wird, ist dies kein Selbstzweck, sondern geschieht im Namen der Idee unzerstörbarer Wahrheit. Vierhaus erblickt in der Aufklärung eine „kulturelle Konfiguration“ 3, die sich, mancherorts zeitlich verzögert, seit dem späten siebzehnten Jahrhundert ausbildet. Als Vehikel der Emanzipation des Bürgertums nimmt sie im modernen Europa verschiedene Ausdrucksgestalten an.
Sie sind Stadien eines Prozesses „der gedanklichen Auseinandersetzung mit Traditionen und Lehrautoritäten, mit Glaubensinhalten und Wissensbeständen, mit der Legitimität von Rechten und der Historizität von Institutionen“4. Es ist hinreichend belegt, dass die Freimaurerei an diesem intellektuellen, das Selbstverständnis der Aufklärung konstituierenden Prozess nicht nur beteiligt ist, sondern eine ihrer wichtigen Organisationsformen bildet.5 Freimaurerei und Aufklärung begegnen einander im rationalen Denkansatz, aus dem sich die Gemeinsamkeit ihrer Ziele ergibt. Beide entstehen auf dem Geschichtsboden Westeuropas.
Hier wie dort gilt das primäre Erkenntnisinteresse dem Menschen und seiner höheren Bestimmung. Er ist „Bezugspunkt und Zentrum“6 allen Bemühens. Unablässig fragen Aufklärer und Freimaurer, oft in einer Person, nach der Natur und Aufgabe des Menschen, der seine Anlagen als selbstdenkendes und eigenverantwortliches Individuum entfalten soll. Es gilt, davon sind sie überzeugt, die gesellschaftliche Wirklichkeit „kraft vernünftiger Erkenntnis, moralischer Verantwortung und ästhetischer Sensibilität einzurichten“7.
Vierhaus fasst die weltanschauliche Kongruenz von Aufklärung und Freimaurerei in folgenden Kernpunkten zusammen: „Ablehnung der exklusiven Inanspruchnahme des Menschen für eine Nation, einen Staat, eine Religion und einen Stand; Betonung der prinzipiellen Überlegenheit der moralischen Persönlichkeit über die Zugehörigkeit zu Staat, Konfession, Stand; Glaube an ein Gemeinsames aller Menschen vor ihrer Partikularisierung im praktischen Leben; Aufruf zur religiösen Toleranz: das gehörte zum Programm auch der Aufklärung und ist in zahllosen Variationen immer wieder vorgetragen worden, und nicht selten waren es dieselben Personen, die als Aufklärer und als Freimaurer sprachen. Sie richteten sich weitgehend an dasselbe Publikum, und sie meinten, dieselben Gegner zu haben.“8
Quellen
- 1 Hieran erinnert die instruktive Studie Was war Aufklärung?
von Rudolf Vierhaus: „Ältere Denktraditionen, Anschauungen und Sozialisationsweisen haben sich unterschiedlich stark und lange neben ihr (der Aufklärung, A.S.) behauptet: orthodoxer Protestantismus, tridentinischer Barockkatholizismus, jesuitisches Bildungskonzept, späthumanistische Gelehrsamkeit, Gottesgnadentum-Absolutismus, die Adelskultur des 17. Jahrhunderts und der ältere feudalistische Patriarchalismus. Andere geistig-soziale Bewegungen haben sich gleichzeitig mit ihr entfaltet und gleichsam als Komplementärerscheinungen das 18. Jahrhundert mitgeprägt: Pietismus und Empfindsamkeit; wieder andere, die sich gegen sie wandten, sind ohne sie nicht zu denken: literarische Klassik und frühe Romantik, philosophischer Idealismus und neuhumanistische Bildungsidee“ (Göttingen 1995, S. 5f.).
- 2 Ibid., S. 6; cf. zum nicht-doktrinalen, an historischer Praxis orientierten
Charakter des aufklärerischen Denkens auch Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung, Tübingen 1932, S. XI.
- 3 Vierhaus, l.c., S. 23.
- 4 Ibid., S. 7; näher bestimmt Vierhaus den prozessualen Charakter der
Aufklärung in seinem Vortrag Goethe und die Aufklärung, in: Allerhand Goethe. Vorträge in der Johann Wolfgang Goethe-Universität zu Frankfurt aus Anlaß seines 150. Todestages. Hrsg. von Dieter Kimpel und Jörg Pompetzki, Frankfurt am Main 1985, S. 11-29.
- 5 Cf. hierzu Helga Schultz, Berlin 1650-1800. Sozialgeschichte
einer Residenz, Berlin 1987, S. 257.
- 6 Vierhaus, Was war Aufklärung?, l.c., S. 7.
- 7 Ibid., S. 23.
- 8 Vierhaus, Aufklärung und Freimaurertum in Deutschland, in: Freimaurer
und Geheimbünde im 18. Jahrhundert in Mitteleuropa, hrsg. von Helmut Reinalter, Frankfurt am Main 1983, S. 119.
Siehe auch:
- Alfred Schmidt: Deistische Wurzeln und Aspekte
- Deismus
- Alfred Schmidt
- Klaus-Jürgen Grün
- Rezension: Klaus-Jürgen Grün: Das verlorene Wort
- Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei