Alfred Schmidt: Comenius‘ Kollegium des Lichtes: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 19. Dezember 2014, 18:10 Uhr
Alfred Schmidt: Comenius‘ Kollegium des Lichtes
Chiliastisch inspiriert ist auch die Schrift Der Weg des Lichtes (Via Lucis) des Comenius, ein geschichtsphilosophischer Entwurf, der 1641/42 in England entstanden, aber erst 1668 im Druck erschienen ist. Das für das Selbstverständnis des Autors wesentliche, der Royal Society gewidmete Werk zielt darauf ab, seine eschatologische Erwartung einer qualitativ neuen, positiven Epoche der Weltgeschichte theologisch und philosophisch zu rechtfertigen. „Es besteht“, so Comenius, „eine untrügliche Hoffnung auf das universale Licht noch vor dem Ende der Welt.“243
Er ist davon überzeugt, dass die Menschen „die Mittel zum Erreichen der guten Zwecke auf unfehlbare Weise zu gebrauchen wissen“, sobald sie „in jenem außergewöhnlichen Licht die Zweckbestimmung ihrer selbst und der Dinge klar vor Augen haben“244. Comenius‘ Entwurf verbindet den an der Beherrschbarkeit des Einzelnen orientierten Baconianismus mit der vereinheitlichenden Betrachtungsweise seiner Pansophie. Das gestattet es ihm, wie sein Herausgeber hervorhebt, „bestimmte einseitige Entwicklungen einer technologischen Rationalität zu korrigieren, noch bevor diese ihr destruktives Potential voll entfalten können“245. Es gelingt Comenius, zwei Tendenzen zu versöhnen, die einander im späteren siebzehnten Jahrhundert immer schärfer entgegentreten: die Bacon‘sche instauratio magna durch streng methodische, auf Entfesselung materieller Produktivkräfte abzielende Naturwissenschaft auf der einen Seite und auf der anderen die rosenkreuzerische Utopie einer neuen spirituellen Einheit auf christlich-hermetischer und humanitärer Grundlage.246 Comenius erfasst, dass beide Tendenzen, recht verstanden, einander nicht nur widersprechen, sondern auch ergänzen. Sein Gewährsmann Bacon arbeitet dieser Synthese freilich insofern vor, als technische Utopie sich bei ihm nicht im ökonomischen Nutzeffekt erschöpft. Er spricht ausdrücklich vom „Reich des Menschen“ (regnum hominis).247
„Zweck der Wissenschaft“, heißt es in Bacons Novum Organon, „soll nicht ... eine Werkstatt (sein) für die Gewinnsucht und den Wucher, sondern ein reicher Warenbehälter, eine Schatzkammer zur Ehre des Werkmeisters aller Dinge und zum Heil der Menschheit.“248 Die Pansophie des Comenius, eine Enzyklopädie der Wissenschaften, deren einheitlichen Faden die christliche Tradition bildet, kann als „Hauptvermächtnis für die spätere Freimaurerei“249 gelten. Das ergibt sich zwanglos aus dem Programm seiner Abhandlung Der Weg des Lichtes. Sie verkündet eine Weisheit oder Kunst, worin Humanität, natürliches Wissen und wahres Christentum einander begegnen. Das „universale Licht“250 steht über kirchlich-dogmatischen Festlegungen. Hierin weiß Comenius sich bestärkt durch Naturphilosophen der italienischen Renaissance, vor allem aber, wie ausgeführt, durch Bacon, dessen Geist er in der Royal Society verkörpert sieht. In dem seiner Abhandlung vorangestellten Widmungsschreiben an ihre Mitglieder, den „Lichtspendern eines erleuchteten Zeitalters“ 251, wie er sie nennt, erläutert Comenius seine Intention.
Es gehe ihm, so sagt er, um „die Verbesserung der menschlichen Angelegenheiten, und zwar aller, in allem, auf allseitige Weise“252. „Bildung, Religion und Politik“ sollen „in den besten Zustand versetzt werden ... Dadurch sollen überall Unwissenheit, Zweifel, Uneinigkeiten und der lärmende Aufruhr von Streitgesprächen, Zänkereien und Kriegen zum Verschwinden gebracht werden. Licht, Friede und Heil mögen dann auf den Erdkreis zurückkehren; jenes erleuchtete, friedvolle und gottesfürchtige Zeitalter, das von alters her erhofft wird, möge in Sichtweite kommen.“ 253
Hier spricht der leidenschaftliche Erweckungsprediger, aber auch der Vertreter einer religiösen Minderheit inmitten erbitterter Glaubenskämpfe, die Toleranz zum dringenden Erfordernis werden lassen. Andererseits kennzeichnet es die Theologie des Comenius, dass sie, die Welt als „Schule der Weisheit Gottes“254 betrachtend, im Geist Bacons die „Erforschung der Geheimnisse der Naturdinge“255 und die „Herrschaft der menschlichen Geisteskraft“256 über sie ebenso anerkennt wie die „Anwendungen der Dinge“257, die menschlichem Glücksverlangen dienen.
Gleichwohl, gibt Comenius zu bedenken, sind die erreichten (und künftigen) Erfolge menschlichen Denkens und Tuns „noch nicht das Ganze ..., wonach im Namen der Menschheit schon anfänglich verlangt wird und das dazu erforderlich ist, die Glückseligkeit des Letzten Zeitalters heraufzuführen: man muß gänzlich darüber hinaus streben“258.
Salomonische Naturweisheit ist notwendig, aber nicht hinreichend. Comenius besteht auf einem eschatologischen Vorbehalt: „Also, ihr fleißigen Untersucher der Naturdinge: Wenn Ihr die gesamte Natur durchgearbeitet habt ..., – dann, müßt Ihr wissen, habt Ihr erst das ABC der Göttlichen Weisheit bewältigt. Oder Ihr habt im Tempel der Weisheit Gottes lediglich die Schwelle berührt; seine Vorhöfe mitsamt dem Heiligtum liegen Euch erst noch vor Augen.“259
Aus dieser ebenso chiliastischen wie innerweltlichen Perspektive wird der geschichtsphilosophische Entwurf des Comenius verständlich. Wohl ist Gott hier der souveräne Herr des historischen Prozesses. Aber das schließt menschliche Tätigkeit keineswegs aus. Der göttliche Heilsplan verwirklicht sich durch die cooperatio des Menschen.260 Der Comenius theologisch verbürgte Glaube, dass „sich die Zeiten des universalen Lichtes nähern“, nötigt, so sagt er, die Weisen dazu, „die Wege dieses Lichtes zu erforschen“261, dass heißt, sich Rechenschaft abzulegen über den allgemeinen Weltzustand, der gekennzeichnet ist durch die „Finsternis der menschlichen Verwirrungen“262. Gott hat uns mit drei Lichtquellen ausgestattet, deren Zusammenwirken geeignet ist, unseren Geist zu erleuchten und allseitiges Wissen zu ermöglichen: „die Natur, die Schrift und die angeborenen Begriffe, die uns gemeinsam sind“263.
Die zwischen Illuminismus und Rationalismus eigenartig changierende Erkenntnistheorie des Comenius steht im Dienst seiner pädagogisch-reformerischen Bestrebungen. Deren wichtigste ist sein Projekt eines „universalen Kollegiums“ mit dem Sitz in England. „Für diese Aufgabe“, schreibt Comenius, „werden weltweit auserlesene, begabte, erfinderische und gewissenhafte Männer geeignet sein, die dem öffentlichen Wohlergehen in glühender Liebe zugetan sind. ... Wie auf einer Warte sollen sie zum Wohl des Menschengeschlechtes Ausschau halten und alle möglichen Mittel, Wege und alle Gelegenheiten dafür sichten, das allgemein Nützliche zu suchen, das Gefundene zu verbreiten und das Verbreitete gegen Verderbnisse zu schützen.“264 Dieses umfassende Vorhaben, betont Comenius, soll nicht „zugunsten einer einzelnen Völkerschaft oder ... kirchlichen Gemeinschaft aufgenommen werden, sondern für die Welt“265.
Die brüderlich verbundenen Mitglieder des geplanten Kollegiums sollen als „Erzieher des Menschengeschlechtes“ wirken; sie sind dazu ausersehen, „den Himmel auszubreiten und die Fundamente der Erde zu legen“266. Die philosophischen Grundlagen des zu etablierenden Kollegiums beschränken sich auf wenige, aber streng zu beachtende Prinzipien. Wie schon die Erbauer des zweiten Tempels bedürfen die beteiligten Brüder keiner „neuen Fundamente“; sie sollen sich jedoch davor hüten, „von der Natur, der Schrift und den allgemeinen Begriffen abzuirren. Sie halten sich dabei an das ewige Fundament, das ein für allemal gelegt worden ist und neben dem niemand ein anderes legen kann (1Kor. 3,11); ebenso haben sie sich nach den Grundlagen unseres Wissens zu richten, die von Gott stammen.“267 Wohl sind „Wahrheiten über die Natur“ in hohem Maße geeignet, den Menschen auf „moralische und geistige Wahrheiten“ 268 vorzubereiten.
Wir dürfen indes nicht vergessen, dass Wissenschaft „bloß die ungeschliffenen Grundlagen göttlicher Weisheit“269 liefert. Es genügt Comenius nicht, dass die „Dinge außerhalb von uns“ erforscht werden; „es ist auch nach weitaus Größerem zu suchen, nach der Wahrheit der Dinge in uns und nach der Wahrheit des Reiches Gottes für uns“270. Hieraus erhellt, dass die Pansophie des Comenius das (reformatorisch verstandene) Christentum nicht entthronen, sondern vollenden will. Allerdings wahrt sie unbeschadet theologischer Vorbehalte durch ihre (auf Paracelsus zurückverweisende) Naturverbundenheit und ihren Baconianismus ein wichtiges Erbe der Renaissance, das in die freimaurerische Gedankenwelt einfließen wird. Was die christliche Komponente betrifft, so ist sie allgemein-christlich zu verstehen; denn im pansophischen Menschheitsbund, der die freimaurerische Weltbruderkette vorwegnimmt, werden Menschen aus allen Völkern zueinanderfinden. Comenius‘ Weckruf, seit 1666 in Deutschland, den Niederlanden und England verbreitet, will alles Menschliche und alle Menschen, auch Juden, Türken und Heiden, einbeziehen.271
Auffällig an den Schriften des Comenius ist die häufig verwendete Licht- und Baumetaphorik. Neuplatonische stehen hier neben biblischarchitektonischen Motiven. Der Tempel der Pansophie, das heißt der Humanität, ist zu errichten „nach den Ideen, Maßen und Gesetzen des allerhöchsten Baumeisters und allmächtigen Gottes“272.
Das Titelblatt von Comenius‘ Schrift Pansophiae Prodromus zeigt eine königliche Frauengestalt mit Zirkel, Winkelmaß und der Bibel zu ihren Füßen.273 Die Verwandtschaft zwischen der Gedankenwelt des Comenius und der entstehenden Freimaurerei ist unübersehbar.
Quellenangaben
- 243 Johann Amos Comenius, Der Weg des Lichtes, hrsg. und übersetzt von Uwe Voigt, Hamburg 1997, S. 43.
- 244 Ibid., S. 42.
- 245 Ibid., S. X; cf. auch S. XVIIf.
- 246 Ibid., cf. S. XX.
- 247 Cf. hierzu Bloch, Das Prinzip Hoffnung, l.c., S. 766f.
- 248 Bacon, Novum Organon I, Aph. 81.
- 249 Boos, Geschichte der Freimaurerei, l.c., S. 71.
- 250 Comenius, Der Weg des Lichtes, l.c., cf. S. 41ff. – Zur humanitären, die frühe Maurerei inspirierenden Zielsetzung der Pansophie cf. auch Ludwig Keller, Die Schriften des Comenius und das Konstutionenbuch, in: Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, Band 15 (1905), S. 135f.
- 251 Comenius, Der Weg des Lichtes, l.c., S. 3.
- 252 Ibid., S. 5.
- 253 Ibid., S. 7.
- 254 Ibid., S. 10.
- 255 Ibid., S. 8.
- 256 Ibid., S. 9
- 257 Ibid.
- 258 Ibid.
- 259 Ibid., S. 14.
- 260 Ibid., cf. S. XIII.
- 261 Ibid., S. 53.
- 262 Ibid., S. 41.
- 263 Ibid., S. 93; cf. hierzu auch S. 87f.
- 264 Ibid., S. 144.
- 265 Ibid.
- 266 Ibid., S. 149.
- 267 Ibid.
- 268 Ibid., S. 16.
- 269 Ibid., S. 14.
- 270 Ibid., S. 18.
- 271 Schick, Die geheime Geschichte der Rosenkreuzer, l.c., S. 153.
- 272 Ibid., S. 155.
- 273 Ibid., cf. S. 156; 294f:.
Siehe auch:
- Johann Amos Comenius
- Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei
- Alfred Schmidt
- Rezension: Alfred Schmidt - Entstehungsgeschichte der humanitären Freimaurerei
- Alfred Schmidt: Deistische Wurzeln und Aspekte
- Philosophiegeschichtliche Aspekte der Idee einer Natur- oder Vernunftreligion
- Deismus
- Klaus-Jürgen Grün
- Rezension: Klaus-Jürgen Grün: Das verlorene Wort
- Bernhard Beyer