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Version vom 4. März 2010, 17:11 Uhr
Humanität
Humanität und humanitas sind Schlüsselworte der spätantiken Philosophie Ciceros, abgeleitet aus dem Adjektiv humanus (menschlich). Sie bezeichnen jedoch weniger die physische Natur des Menschen als vielmehr seine geistigen Momente, die ihn aus der rohen Natur herausheben sollen. Ihre Bedeutung beinhaltet das Selbstinnewerden und die fortschreitende Selbsterkenntnis des Menschen. Mit Humanität ist ein Ideal beschrieben, das sittliche und geistige Bildung, Würde, Geschmack und Anmut, ebenso Milde, Menschenfreundlichkeit, Bildung und Humor umfasst. Das Ideal tritt in der Renaissance mit ebenso fortschrittlicher wie konservativer Kraft in Erscheinung und prägt die Geisteshaltung der Humanisten wie Leonardo Bruni (1370-1444), Pico della Mirandola (1463-1494) und anderen Gelehrten im Kreis der Medici.
Auffällig ist der meistens selbstverständlich hingenommene Gegensatz zwischen humanitas und Natur, den der Begriff Humanität von Anfang an bei sich trägt. Er spricht jenen platonisch-aristotelischen Geist aus, nach dem sich wahre Humanität und wahres Wesen des Menschen nur in der Befreiung oder gar durch Erlösung aus der Verstrickung in die physische Natur vollzieht. Es ist dies eine Grundhaltung des Humanismus und des Humanitätsdenkens, die streckenweise natur- und leibfeindliche Charakterzüge annimmt. Unter dem Bezichtigungsbegriff Naturalismus klagen seine Gegner die meisten der Gegensätze zur Humanität an. Diese Haltung spiegelt sich gebrochen sogar noch wider in der Moralphilosophie Immanuel Kants, derzufolge eine Handlung nur dann moralische Qualität besitzt, wenn sie neigungsfrei und interesselos allein der Vollstreckung des durch Vernunft gesetzten Sittengesetzes dient.
Freimaurerei schließt sich einerseits an diese Tradition des Gedankens der Humanität an, sie greift andererseits aber hinaus über deren Grenzen. Ihr Selbstverständnis und ihr Lehrbestand zeigen, dass sie den Gedanken der Humanität nicht mit einer bestimmten Auffassung von Humanität verbindet. Zwar reflektiert sich in der freimaurerischen Praxis die auch für die Entstehungsgeschichte der Moralphilosophie Kants maßgebliche Geisteshaltung - namentlich in der ausdrücklichen Betonung des Sittengesetzes -, aber durch ihre Rücksicht auf sinnliche und emotionale Elemente des menschlichen Daseins geraten Aspekte der Humanität in die freimaurerische Bestimmung dieses Begriffs, die sogar den diametralen Gegensatz zur Pflichtethik Kants in sich vereinigen. Der rituelle Inhalt des freimaurerischen Gesellengrades (2.Grad) erinnert ausdrücklich an Aspekte des Menschseins, die sich nicht aus reiner Lehre gewinnen lassen, sondern im lebendigen Miteinander erfahren werden müssen.
Der diametrale Gegensatz zur Pflichtethik Kants tritt in philosophischer Hinsicht bei seinen schärfsten Kritikern Arthur Schopenhauer (1788-1860), Friedrich Nietzsche (1844-1900) und sogar Karl Marx (1818-1883) offen zutage. Allen voran Nietzsche hatte entdeckt, dass der klassische Begriff der Humanität keine Momente der Leiblichkeit des Menschen bewusst mache. Während selbst die Philosophen der Aufklärung ihre Auffassung von Humanität kaum befreien konnten aus der Vorstellung einer Wissenschaft vom Menschen, die allein an einer vor der Vernunft legitimierten Definition des humanum orientiert ist, bestimmt Nietzsches Philosophie Humanität vor dem Hintergrund einer Priorität des leiblichen Lebens. Dabei löst sich der dogmatische Gegensatz zwischen Naturalismus und Humanismus auf. Denn das Leben ist pure Natur.
Unter Berücksichtigung solcher kritischen Aspekte gegenüber dem Ideal der Humanität gestaltet sich freimaurerische Humanität als eine Form der Humanisierung des Natürlichen und einer Vernatürlichung des Humanen. Humanität gestaltet sich hier als Forderung nach Gesundung des gestörten Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur – als innerer und äußerer Natur des Menschen. Diese Forderung symbolisiert sich auch in ihren Ritualen, in welchen sich kosmische wie natürliche Symbole und ebenso Bilder des Geistigen im Menschen wechselseitig durchdringen. Das Ziel der neuen Humanität, wie es sich in der Freimaurerei artikuliert, kann begriffen werden als ein Bewusstsein des Menschen, das nichts anderes ist als das bewusst gewordene Sein.
Epochenüberschreitend beschreibt Humanität den Menschen, wie er ist, aber auch wie er sein soll. Sie stellt somit eine moralische Kategorie vor. Seit dem neunzehnten Jahrhundert aber wird die Forderung laut, dass das Bewusstsein der Humanität nicht aus einem anderen Dasein genommen werden möge als aus dem menschlichen Dasein selbst. Freimaurerische Humanität – die diese Forderung in sich aufgenommen hat - ist daher keine rein intellektuelle Angelegenheit, die man bloß zu schauen brauchte. Sie ist vielmehr das Resultat der gelebten menschlichen Praxis. Dem Bewusstsein dessen, was das Humane sei, gehen diejenigen Taten des Menschen voraus, in denen er sein Menschsein am ehesten erkennt. Hierdurch gewinnt Freimaurerei ihre antithetische Haltung zum Humanismus der Renaissance, der sich als reaktionäre Kraft jener Epoche des Aufbruchs gestaltete. Denn seine Zielsetzung beförderte zunächst jenes humanum durch besinnliche Abkehr von den realen Kräften politischer Auseinandersetzungen und Rückwendung auf die vorchristliche Philosophie des Platon (427-347) und Plotin (205-270). Dort stellte sich die Wirklichkeit des Guten, das sich dem Wirken einer jenseitigen Welt verdanken sollte, mit schönsten Bildern in den Werken der Schrift und der bildenden Kunst dar. Der Humanitätsgedanke der Freimaurerei dagegen gibt sich am deutlichsten kund in der humanitären Freimaurerei, in der das Bekenntnis zum Menschen nicht mit dem Bekenntnis zu einer bestimmten Religion oder Philosophie verbunden ist.
Literatur
- Ernst Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, Fankfurt am Main 1999.
- Arnold Gehlen, Moral und Hypermoral, Frankfurt am Main 1973.
- Alfred Schmidt / Heinz Thoma, Der unvollendete Bau. Beiträge zur Freimaurerei, Frankfurt (Eigenverlag) 1992.
- Richard Toellner (Hrsg.), Aufklärung und Humanismus, Heidelberg 1980.
- Theologische Realenzyklopädie, Artikel „Humanität“, Band XV, Berlin / New York 1986, S. 661-682.