8. Dezember 2018: Hundert Jahre Großloge von Österreich: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Der 8. Dezember 2018 war für die [[Großloge von Österreich]] ein besonderer Tag: ihr hundertster Geburtstag. Einen Monat nach Ende des Ersten Weltkriegs, nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreichs und dem Start der Republik war sie nach mehr als einem Jahrhundert Unterdrückung am 8. Dezember 1918 (wieder-)gegründet worden. Auf den Tag genau hundert Jahre danach wurde das von den masonischen Nachfahren der Gründungsbrüder gefeiert: im Festsaal der ehemals kaiserlichen Hofburg zu Wien mit einer sogenannten Festarbeit, an der fast tausend Brüder aus ganz Österreich teilnahmen. Von [[Rudi Rabe]]'''
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'''Der 8. Dezember 2018 war für die [[Großloge von Österreich]] ein besonderer Tag: ihr hundertster Geburtstag. Einen Monat nach Ende des Ersten Weltkriegs, nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreichs und dem Start der Republik war sie nach mehr als einem Jahrhundert Unterdrückung am 8. Dezember 1918 (wieder-)gegründet worden. Auf den Tag genau hundert Jahre danach wurde das von den masonischen Nachfahren der Gründungsbrüder gefeiert: im Festsaal der ehemals kaiserlichen Hofburg zu Wien mit einer sogenannten Festarbeit, an der fast tausend Brüder aus ganz Österreich teilnahmen. Hammerführung: Großmeister [[Georg Semler]]. Ein Bericht von [[Rudi Rabe]]'''
  
  
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==Drehbuch==
 
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Version vom 16. Juni 2024, 18:27 Uhr

100 Jahre GLvÖ Logo.JPG


8. Dezember 2018: Hundert Jahre Großloge von Österreich

Der 8. Dezember 2018 war für die Großloge von Österreich ein besonderer Tag: ihr hundertster Geburtstag. Einen Monat nach Ende des Ersten Weltkriegs, nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreichs und dem Start der Republik war sie nach mehr als einem Jahrhundert Unterdrückung am 8. Dezember 1918 (wieder-)gegründet worden. Auf den Tag genau hundert Jahre danach wurde das von den masonischen Nachfahren der Gründungsbrüder gefeiert: im Festsaal der ehemals kaiserlichen Hofburg zu Wien mit einer sogenannten Festarbeit, an der fast tausend Brüder aus ganz Österreich teilnahmen. Hammerführung: Großmeister Georg Semler. Ein Bericht von Rudi Rabe


Blick in den mittleren und vorderen Teil des Festsaals gegen Ende der Veranstaltung, als alle Brüder wie bei jedem rituellen Treffen einander die Hände reichten und eine Kette bildeten, womit die Zusammengehörigkeit aller Freimaurer und letztlich aller Menschen symbolisiert werden soll.


Im Mittelpunkt des Rituals stand eine multimediale Performance: In Wechselreden deklamierten fünf im ganzen Saal verteilte Brüder nach einem genauen Drehbuch die Geschichte der österreichischen Freimaurerei von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart - begleitet von einem kleinen Orchester mit Musik und historischen Liedern. Achtzig Einstiege! Dauer eine Stunde.

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Drehbuch

Multimediale Performance anläßlich hundert Jahre 'Großloge von Österreich' am 8. Dezember 2018

Autor: Peter Mazzuchelli

Bruder Siegfried, Künstler und versierter Ritual-Zeichner, hat seine Impressionen während der Arbeit zu Papier gebracht: Blick nach vorne.

✿ ✿ ✿ MUSIK: Die Kaiserhymne, gesungen

Gott erhalte Franz, den Kaiser,
Unsern guten Kaiser Franz!

Lange lebe Franz, der Kaiser,

In des Glückes hellstem Glanz!

Ihm erblühen Lorbeerreiser,

Wo er geht, zum Ehrenkranz!

Gott erhalte Franz, den Kaiser,

Unsern guten Kaiser Franz!

(Die letzten beiden Textzeilen ev. verhallt oder verzerrt oder durch Toncollage nur mehr halb verständlich. Ende mit einem nachhallenden Paukenschlag)

▶︎ Am 2. Jänner 1795 erlässt Kaiser Franz II. ein Kriminalpatent, mit dem die Freimaurerei in Österreich als verboten gilt. Zwar arbeiten während der kurzen Besetzung Wiens durch Napoleon im Jahre 1809 in der Stadt einige französische Feldlogen, zu denen möglicherweise auch im Verborgenen arbeitende Wiener Freimaurerbrüder Zutritt haben, nach dem Abzug der französischen Truppen legt sich aber wieder der Geist der Reaktion über das Land

▶︎ Zaghafte Versuche von Brüdern, in den Jahren 1810 bis 1835 in Wien Logenarbeiten abzuhalten, werden von der Polizei Metternichs im Keim erstickt. Hof- und Polizeidienststellen haben alle Hände voll zu tun, Material gegen die „geheimen Gesellschaften“ zu sammeln, denn die Angst des Kaisers vor der „subversiven Bedrohung“ verlangt nach Beruhigung.

▶︎ Ein Heer von Spitzeln wird in Bewegung gesetzt, manche melden sich im Auftrag des Polizeipräsidenten Graf Sedlnitzy als Suchende bei Deutschen Logen, um deren Mitgliederlisten zu beschaffen und etwaige Kontakte zu österreichischen Verschwörern offen zu legen.

▶︎ Was natürlich auch jede Menge Schwindler auf den Plan ruft, welche die Freimaurerangst der österreichischen Behörden wohl zu nützen wissen. Das Denunziantenwesen wittert Morgenluft und schwingt sich auf zu ungeahnten Höhen, umso üppiger, je weniger zu finden ist. Aus purer Phantasie werden antifreimaurerische Berichte erstellt und von der Obrigkeit entsprechend belohnt. Man kann auf diese Weise einen Doktorhut honoris causa erlangen oder etwa eine Professur an der Universität oder zumindest eine Beamtenstellung. Aber letztlich führt es dazu, dass auch die Spitzel durch Spitzel überwacht werden müssen.

✿ ✿ ✿ MUSIK: GEORG KREISLER - „WENN´S NET WAHR IST“

▶︎ Die Agenten der „polizeilichen Industrie“ haben es nicht leicht. Angestachelt, ihren Vorgesetzten und dem Kaiser gefällig zu sein, kommen sie auf die groteskesten Ideen, wie das Einlaufprotokoll des Polizeiarchivs vom 8. Juli 1822 bezeugt:

▶︎ „Die Polizei-Hofstelle empfiehlt ganz besondere Aufmerksamkeit auf allerhand in und außer den Jahrmärkten zum Verkauf gebracht werdenden Schnupftabak-Dosen, Ringe, Kreuze, Tobakpfeifenköpfe und andere Gerätschaften, die meist unter der Devise „Erinnerung“ jedoch noch andere Zeichen der Freymaurerei enthalten, nebst Weisung der ferneren diesfälligen Verfügung bei allenfälliger Wahrnehmung derlei Gegenstände“.

▶︎ Die Metternichsche Polizei lässt es auch nicht an Eifer ermangeln, die „allerhöchsten Unterthanen“ vor der Verführung durch Aufklärungs- und Humanitätsliteratur zu bewahren. So meldet ein Protokoll aus dem Jahre 1821:

▶︎ „Die Polizei-Hofstelle verbietet unterm 30. April das Werk „Bibliothek der Humanitäts-Wissenschaften zur Selbstbildung für Jünglinge von reiferem Alter“.

▶︎ Als Ferdinand I. mit dem Beinamen „der Gütige“ den österreichischen Kaiserthron besteigt, macht sich trügerische Hoffnung auf ein freiheitlicheres Klima breit. So wird in Wien am 5. Oktober im Hause Teinfaltstrasse 76 durch den aus Hamburg stammenden und als Professor an der k.k. Ingenieursakademie lehrenden Freimaurer Doktor Ludwig Lewis die bereits 1773 gegründete Loge „Zum Heiligen Joseph“ in Anwesenheit des schlesischen Provinzial-Großmeisters Bruder Kampmann feierlich reaktiviert.

✿ ✿ ✿ MUSIK: Bundeslied „Lasst uns mit geschlungnen Händen …“ - gesungen, in das Lied mischen sich gegen Ende der ersten Strophe Schüsse, Pferdegetrampel, Rufe, Revolutionsgeräusche …langsames Ausblenden.

▶︎ Das unter so hoffnungsvollen Auspizien begonnene Werk findet ein allzu frühes Ende. Die ausbrechende Oktober-Revolution und der sich daran anschließende Belagerungszustand Wiens durch die Truppen Jelacics und Windischgrätz bringen der Fortsetzung der Arbeit ein allzu frühes Ende. Die Revolution wird blutig niedergeschlagen, etwa 2000 Aufständische kommen dabei zu Tode.

✿ ✿ ✿ MUSIK: Georg Kreisler - Kapitalistenlied

▶︎ Ferdinand I. dankt ab und übergibt den Thron an seinen 18jährigen Neffen Joseph, der den Kaisernamen Franz-Joseph I. annimmt. Der junge Kaiser hat mit seiner Erziehung die Voreingenommenheit gegen die Freimaurer mitbekommen. Nachvollziehbar aus der Sicht der Herrschenden: Denn die Liberalität eines Staatswesens kann untrüglich an seinem Verhältnis zur Freimaurerei gemessen werden. Wie weit es mit Humanität, Toleranz, Gesinnungsfreiheit innerhalb eines Staatswesen steht, kann an einem einzigen Umstand untrüglich abgelesen werden: ist freimaurerische Arbeit verboten oder erlaubt. Im Falle eines Verbotes – und dies führt uns die Geschichtswissenschaft zweifelsfrei vor Augen – wird man feststellen können, dass die Herrschenden eines solchen Staates sich der politischen Tyrranei oder geistiger oder religiöser Diktatur verschrieben haben. Nur in Staaten, die weitgehend auf liberalen Grundsätzen gegründet sind, versteht man die Ziele der Freimaurerei und findet keinen Grund, sie zu verbieten.

▶︎ Nun findet der neoabsolutistisch regierende junge Kaiser offensichtlich reichlich Gründe, die Freimaurerei in seinem Reich zu verbieten. Deutlicher kann er es nicht ausdrücken, dass er im Grunde gegen die Gleichberechtigung der Menschen, gegen ihr durch Geburt erlangtes Menschenrecht, gegen humanes und tolerantes Verhalten ist. Auch wenn die Frage „Was wäre gewesen wenn“ für den Historiker ein Tabu ist, darf hier ausnahmsweise spekuliert werden: Wäre der Bund der Freimaurer in seinen ausgemachten Zielen, alle Menschen in einer Familie, in einer globalen brüderlichen Gemeinschaft zu vereinen, auf der Basis von Toleranz und Humanität, nicht zu einer verlässlichen Stütze des Vielvölkerstaates der Habsburgermonarchie geworden ?

✿ ✿ ✿ MUSIK: Bert Brecht - „Das Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens“ (3. Strophe)

▶︎ Kehren wir zu gesicherten historischen Tatsachen zurück: Erst nach der Umgestaltung der Monarchie nach der Niederlage gegen Preußen entsteht ein innenpolitisches Klima, in dem an die Wiedererrichtung von Logen zu denken ist. Im Jahre 1867, dem Jahr des „Ausgleichs“ mit Ungarn werden in den sogenannten „Dezembergesetzen“ staatsbürgerliche Rechte und Freiheiten formuliert, welche von der im Reichsrat führenden politischen Kraft, den Liberalen, durchgesetzt werden. In dieser Situation ist es abermals der schon erwähnte Bruder Ludwig Lewis, der 1868 gemeinsam mit Bruder Franz Schneeberger an die Behörden den Antrag stellt, die Loge „Zum heiligen Josef“ zu genehmigen. Aber dieser neuerliche Versuch einer Logengründung scheitert am neuen Vereinsgesetz...

▶︎ Es ist der Paragraph 18 jenes Gesetzes, der vorsieht, dass alle Vereine durch staatliche Kommissare kontrolliert werden – ein Umstand, dem sich die potenziellen Logenbrüder nicht beugen wollen. Die Liberalen argumentieren, dass sich die Freimaurer mit ihrem Widerstand gegen den Paragraph 18 eine besondere Stellung anmaßen und damit eigentlich liberale Grundsätze verletzen. Aber letztlich ist es die Gegnerschaft konservativer Kreise, welche das Vereinsgesetz derartig hoch stilisiert, dass es den Freimaurern schwer bis unmöglich gemacht wird, Logen einzurichten.

▶︎ Allerdings gilt jenes erwähnte restriktive Vereinsgesetz nur für Cisleithanien, das Land diesseits des Flusses Leitha, nicht aber für die ungarischen Länder. Aus diesem Grunde nimmt die Freimaurerei „jenseits der Leitha“ ab 1868 einen stürmischen Aufschwung, der auch die weitere Entwicklung in Österreich maßgeblich bestimmt: entscheidend wichtig ist für die österreichischen Brüder eine Logengründung im grenznahen Raum. So wird 1869 in Ödenburg, dem heutigen Sopron, die Loge „zur Verbrüderung“ gegründet, deren Name schon symbolhaft Programm ausdrückt, nämlich...

▶︎ Sammelbecken für ungarische Freimaurer, aber auch für österreichische Brüder – insbesonders aus Wien – zu sein. Dieser Loge gehört auch der schon erwähnte Bruder Schneeberger an, der – taktisch klug – noch einen Schritt weiter geht:

▶︎ Noch im selben Jahr gründet er in Wien einen unpolitischen Verein, der zwar keine Loge ist, dessen Mitglieder aber ausnahmslos Freimaurer sind. Es ist keine Loge, die rituelle freimaurerische Arbeiten durchführt, aber es ist ein „Bruderverein“. Jener Verein „Humantitas“ hat den Zweck, unter Ausschließung jedweder Diskussion über kirchliche oder politische Tagesfragen die „echte Humanität zu wahren und werktätig zu fördern“...

▶︎ Aber natürlich wissen die Behörden, dass hier ein Ersatz für eine richtige Logengründung gesucht wird, man legt der Vereinsgründung noch allerlei formale Hindernisse in den Weg, aber letztlich muss die Bewilligung erteilt werden, denn der Verein Humanitas kann sich – anders als eine an die Arkandisziplin gebundene Loge – durchaus dem Paragraph 18 des österreichischen Vereinsgesetzes und somit einer Kontrolle durch die Behörden unterwerfen. Binnen Jahresfrist wächst der Verein auf über 100 Mitglieder und entwickelt mannigfaltige Aktivitäten, wie z.B. die Herausgabe der Monatsschrift „Der Zirkel“, der bis 1918 – und später von 1918 bis 1938 als „Wiener Freimaurer Zeitung“ erscheint.

▶︎ Und noch im selben Jahr – 1869 – setzen Mitglieder dieses Brudervereines „Humanitas“ den entscheidenden Schritt: 25 Brüder verlassen die Loge „Zur Verbrüderung“ und gründen im ungarischen – heute burgenländischen Ort Neudörfl - die Loge „Humanitas“. Es ist dies die erste „Grenzloge“ und sie wird zum Ausgangspunkt aller übrigen Grenzlogengründungen. Die Neugründung erfolgt unter dem Schutz der Großloge von Ungarn, welche bis zum Jahre 1918 die Oberbehörde aller Grenzlogen sein wird.

▶︎ In der Logik des Systems ist das Verbot der Freimaurerei im Grunde völlig kontraproduktiv. Gerade in einem Staatsgebilde wie der Habsburgermonarchie, welche die verschiedensten kulturbedürftigen Nationen umfasst, wäre es doch im eminenten Interesse der Herrschenden, alle Bestrebungen zu fördern und zu unterstützen, welche die Völker brüderlich einigen und zu einer Kulturgemeinschaft zu erheben imstande wären. Die Freimaurerlogen wären von Nutzen gewesen, dazu beizutragen, all dies aus der Welt zu schaffen, was Menschen trennt und alles zur vollen Entfaltung zu bringen, was Menschen eint. Aber es wird der gegenteilige Weg eingeschlagen: der Nationalitätenhader wird geschürt, die Völker gegeneinander ausgespielt und der Klerikalismus zur Staatsdoktrin erhoben. Die Folgen sind aus der Geschichte bekannt.

✿ ✿ ✿ MUSIK: Georg Kreisler - „Meine Freiheit, deine Freiheit“ (ohne den gesprochenen Prolog)

▶︎ Zur Gründung der Loge „Humanitas“ schreibt die Großloge von Ungarn: „Wir wünschen und hoffen, dass die Loge in Neudörfl ein Sammelpunkt sein wird, von welchem aus das maurerische Licht über ganz Cisleithanien ausstrahlt, dass sie zum Kristallisationspunkt wird, zu der durch sie entstehenden Großloge von Österreich“...

▶︎ ...Was sich aber erst mit einer Verspätung von rund 50 Jahren verwirklicht. Vorerst erfolgen die Gründungen weiterer Grenzlogen: „Zukunft“, „Socrates“, „Eintracht“, „Schiller“, „Freundschaft“, „Columbus,“ „Treue“, „Goethe“, „Lessing“, „Pionier“ und weitere. Das Procedere dabei ist ein ziemlich umständliches, denn bis zum Ende der Monarchie finden die freimaurerischen Zeremonien im Tempel von Neudörfl, bzw. später im Tempel von Pressburg statt. Dazu treffen sich die Brüder um ca. dreiviertel zehn Sonntags am Südbahnhof, fahren mit der Bahn nach Wiener Neustadt, wo sie Equipagen erwarten, die sie weiter nach Neudörfl bringen. Und in den spiegelverkehrt zu den Logen existierenden Vereinen in Wien wird die karitative Tätigkeit betrieben:Denn im erklärten Gegensatz zur Doktrin des Wirtschaftsliberalismus, der Unterstützung bei sozialer Bedürftigkeit keineswegs als gesellschaftliches Anliegen sieht, beginnen die Freimaurer unmittelbar nach Gründung der ersten Grenzloge mit einigen sozialen Initiativen, aus denen sich in den Jahren bis zum ersten Weltkrieg ein eindrucksvolles Gebäude maurerischer Wohlfahrtseinrichtungen entwickelt.

▶︎ Zur sozialen Zusammensetzung der Grenzlogen ist zu bemerken, dass im Gegensatz zu den Bauhütten des 18. Jahrhunderts, Adel und Bürokratie eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Das Bild der Grenzlogen prägen Angehörige freier Berufe, wie Rechtsanwälte, Ärzte, Kaufleute. Zugleich aber auch Vertreter künstlerischer Professionen, wie Schriftsteller, Journalisten, Schauspieler. Ist auch die innere Ausprägung der einzelnen Logen verschieden, so repräsentiert der Verband der Grenzlogen in seiner humanitären Ausrichtung ein recht einheitliches Ganzes. In der inneren Arbeit herrscht der Konsens...

▶︎ ...dem einzelnen Bruder durch die brüderliche Gemeinschaft und der Diskussion mit anderen zur eigenen sittlichen und geistigen Vervollkommnung zu verhelfen. Dies ändert aber nicht daran, dass – oftmals wider besseres Wissen – klerikal-konservative Kreise in der Öffentlichkeit scharfe Angriffe gegen die Freimaurerei richten, die allein schon durch ihr Desinteresse an einer Öffentlichkeit ein gutes Angriffsziel bietet.

▶︎ Und diese Angriffe verstärken sich um die Zeit der vorvergangenen Jahrhundertwende, als sich die Freimaurerei neben ihrem Wirken in Wohlfahrtseinrichtungen in starkem Ausmaß an reformerisch ausgerichteten Vereinen beteiligt...

▶︎ ...Wie etwa in der Friedensbewegung Bertha von Suttners und Alfred Frieds, einem Mitglied der Loge „Sokrates“ und zweitem österreichischen Friedensnobelpreisträger. Oder aber an emanzipatorischen Bestrebungen, wie etwa der Frauenbewegung einer Marianne Hainisch und Rosa Maireder. Es ist aus heutiger Sicht durchaus mit Berechtigung zu behaupten, dass die humanitäre und geistige Aktivität eines recht kleinen, vielen äußeren Hemmnissen und Gegnerschaften ausgesetzten Bundes eine keineswegs zu vernachlässigende geistige Größe im Gesamtbild der franzisco-josefinischen Zeit ist. Zum Verhältnis der katholische Kirche zur Freimaurerei sei an dieser Stelle angemerkt, dass es während der gesamten Grenzlogenzeit beträchtliche Spannungen gibt, und Papst Leo der Dreizehnte in zwei Enzykliken das Freimaurertum neuerlich verurteilt. Und dies im Angesicht einer heran dräuenden Katastrophe....

✿ ✿ ✿ MUSIK/TONCOLLAGE: Die Kaiserhymne, unterbrochen von Granateinschlägen, Schüssen etc.

▶︎ Der Ausbruch des Weltkrieges bringt für die Grenzlogen eine Fülle von Einschränkungen mit sich. Die freimaurerische Zeitschrift „Der Zirkel“ kann nur mehr in großen Abständen erscheinen, rituelle Arbeiten in Preßburg sind nicht mehr möglich. Erst gegen Ende des Krieges, als der Zerfall der Monarchie oder zumindest ein weitgehender Staatsumbau abzusehen ist, tritt der Gedanke der Legalisierung der Freimaurerei in Österreich wieder in die Vordergrund. Der langjährige Meister vom Stuhl der Loge „Socrates“, Doktor Karl Ornstein, ergreift hier die Initiative. Er beantragt in einer Sitzung des Zentralausschusses der Grenzlogen am 5. November 1918 die Gründung einer Großloge. Gleichzeitig wird die „Symbolische Großloge von Ungarn“, die Oberbehörde der Grenzlogen, um die Entlassung aus ihrem Verbande gebeten, der auch wenige Tage später gewährt wird.

▶︎ Nun findet am 20. November, also bereits nach Ausrufung der Republik, eine gemeinsame Arbeit aller Grenzlogen in Wien statt, bei der sich die rund vierhundert Anwesenden mit nur einer Gegenstimme für die Gründung einer Großloge aussprechen. Am 8. Dezember 1918 wird schließlich feierlich die Großloge von Wien unter der Hammerführung von Doktor Adolf Kapralik eingesetzt. Der neue Staat Österreich setzt der Gründung von Logen kein Hindernis mehr entgegen. Die Grenzlogen verlegen ihre Tempel nach Wien, nach rund fünfzig Jahren geht das Provisorium der Grenzlogen zu Ende.

✿ ✿ ✿ MUSIK: Richard Strauss - "Zueignung", Klavier u. Stimme

▶︎ Die Herausforderung der Gründung einer eigenen maurerischen Oberbehörde und die Rückkehr der Tempel nach Österreich ist eine Große. Viele Ideen, welche die Freimaurer vertreten, schreibt die neue Republik auf ihre Fahnen, aber die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung in diesem Staat, von dem man sagt „Der Rest ist Österreich“, ist bedrohlich bis katastrophal. Ende 1919 richtet die Großloge einen Aufruf an die Freimaurer der ganzen Welt, indem sie um Hilfe für Österreich bittet. Mit einem gewissen Erfolg, wie es das Beispiel der Transporte unterernährter Kinder nach Holland beweist. Der Verein „Großloge von Wien“ ist bereits Ende 1918 staatlicherseits akzeptiert und die Großloge von Ungarn stellt der neuen Großloge ein Patent aus, welches die Rechtmäßigkeit ihrer Existenz auch nach maurerischem Recht sichert.

▶︎ Und sogleich beginnt man, die durch den Krieg abgerissenen Kontakte mit den Freimaurern in aller Welt wieder zu aktivieren. Die Zeitschrift „Der Zirkel“ wird in die „Wiener Freimauerer Zeitung“ umgewandelt und im Mai 1919 wird schließlich Doktor Richard Schlesinger zum ersten Großmeister gewählt. Mehrmals in seiner Funktion bestätigt, wird Bruder Schlesinger der Großloge bis zum Jahre 1938 vorstehen, wo sich abermals dunkle Wolken über die Freimaurer senken werden. Aber noch ist es nicht so weit...

▶︎ ...denn der äußeren Not zum Trotz stehen – ganz in freimaurerischem Optimismus – die Zeichen auf Aufbruch: trotz der kriegsbedingten Zäsur geht die karitative und sozialpädagogische Arbeit verstärkt weiter. Logen wie die „Socrates“ schreiben ihren Brüdern soziale Arbeit als Pflicht vor. Andere Logen engagieren sich nicht weniger: die Arbeitsgebiete reichen von der Nährpflicht bis hin zur Freien Schule, von der Friedensgesellschaft bis zum Mutterschutz, von den Kinderfreunden bis zur Alkoholgegnerschaft. Die neue Großloge unterstützt diese Aktivitäten nach besten Kräften. So ermöglicht zum Beispiel ein „Richard Schlesinger Fonds“ rasche soziale Hilfsaktionen, und die Freimaurer können zu Recht ihren Einfluss auf die neue Sozialgesetzgebung der jungen Republik Österreich reklamieren, welche einen der großen Entwicklungssprünge jener Jahre kennzeichnet.

▶︎ Denn in Logen wie der „Lessing“ , wo der Präsident der Industriellenvereinigung Josef Trebitsch als Meister vom Stuhl arbeitet, wird in der Diskussion mit seinem Deputierten Meister Ferdinand Hanusch, zu jener Zeit Sozialminister der neuen Republik, so manche Idee erörtert und dann in die Tat umgesetzt. Und ein Mann wie Julius Tandler, ebenfalls Bruder in der „Lessing“ und renommierter Anatom, verwirklicht zuerst als Unterstaatssekretär, später als Stadtrat in Wien bedeutende soziale Einrichtungen. Das von ihm aufgebaute Fürsorgewesen in Wien genießt Weltruf und fungiert als Modell für europaweit umgesetze Sozialpolitik.

▶︎ Das geistige Klima der Wiener Logen ist anregend. Man weicht, ohne sich in tagespolitische Diskussionen einzulassen, den drängenden und brisanten Fragen der Zeit nicht aus. Die von der Großloge ausgegeben Jahresthemen für die Arbeiten legen Zeugnis davon ab: für das Jahr 1923 konzentriert man sich zum Beispiel auf den Gedanken der „Völkerversöhnung“, 1924 ist es das Thema „Menschenaufbau, Menschenökonomie, Höherentwicklung“ , bezugnehmend auf die Thesen des Nationalökonomen und Sozialreformers Bruder Rudolf Goldscheid, ...

▶︎ 1925 ist das Thema „Der innere und Äußere Friede“, 1926 beteiligt sich die Großloge in wesentlicher Weise an der Gründung der „österreichischen Liga für Menschenrechte“ und 1927 schließlich, im Jahr des Brandes des Justizpalasts in Wien, ist das Motto „Wege zur Inneren Abrüstung“. Dahinter steht ein klares Ziel: alle diese Jahresthemen stehen in Bezug zum zentralen pazifistischen Ziel der Großloge von Wien: dem entschiedenen Eintreten für einen weltweiten Frieden unter den Völkern. Dies ist nicht zuletzt dem Einfluss des 1921 verstorbenen Bruders Alfred Fried geschuldet, der als Präsident der Österreichischen Friedengesellschaft mit der Großloge von Wien in engem Gedankenaustausch steht. Die Großloge entsendet Delegierte zu den Weltfriedenskongressen und nützt den 1932 in Wien stattfindenden Kongress um eine Denkschrift über den Zusammenhang on Wirtschaftsnot in Mitteleuropa und der wieder wachsenden Kriegsgefahr darzulegen, und was man dagegen unternehmen könnte...

✿ ✿ ✿ MUSIK: „Solidarität“ (letzte Strophe)

▶︎ Noch einmal ein Blick zurück: Es soll nicht vergessen werden, dass mit dem Ende der Weltkrieges 1918 ein massives Erstarken des Antisemitismus einhergeht. Diejenigen Kreise der Gesellschaft, welche ihre Völker in den Krieg geschickt hatten, suchen nun nach den vermeintlichen Verursachern ihrer Niederlage und finden sie sehr schnell in Juden, Kommunisten und Freimaurern. Die wirtschaftliche Not der Bevölkerung und die Verunsicherung der Zukunft gegenüber bietet einen guten Nährboden, auf dem „gesicherte Gerüchte“ sprießen – hat man so etwas nicht auch kürzlich wieder gehört ?….

▶︎ Keine Unterstellung kann absurd genug sein. So beschuldigt der Abgeordnete Friedrich Wichtl die Freimaurerei der Ermordung des Kronprinzen Rudolf und des Thronfolger Franz-Ferdinand, in einem Grazer Verlag erscheint das Buch „Aus der Werkstatt der Freimaurer und Juden im Österreich der Nachkriegszeit“ – in dem zwar das soziale Engagement der Großloge von Wien gewürdigt, es aber gleichzeitig als „jüdisch-zersetzend“ diffamiert wird. Dessen ungeachtet setzen die Wiener Logen ihre Arbeit fort. Im Zusammenhang mit den pazifistisch-kosmopolitischen Ideen entsteht auch der Gedanke an ein vereinigtes Europa, welches, aufbauend auf den Ideen von Bruder Fried, von Richard Coudenhove-Kalergi formuliert wird, einem Mitglied der Loge „Humanitas“. Bruder Coudenhove wird dann mit der Billigung seiner Brüder aus dem Bund austreten, weil man nicht zu Unrecht befürchtet, dass eine Verbindung des Paneuropa-Konzeptes mit der Freimaurerei diesem Europagedanken in der öffentlichen Wahrnehmung schaden könnte...

▶︎ Keine grundlose Befürchtung, denn der Wind, der über Europa weht, wird schärfer und kälter. Auch wenn am 4. Dezember 1930 endlich die erwartete Anerkennung der Großloge von Wien durch die Großloge von England erfolgt, gibt es innerhalb der Wiener Großloge einen gewissen Widerstand gegen den deklariert pazifistischen Kurs, der nun auch Außenwirkung zeigt: so brechen die sogenannten „Altpreußischen Großlogen Deutschlands“, welche einen nationalistischen und intoleranten Kurs steuern, ihre Beziehungen zur Großloge von Wien ab. Dazu schreibt der damalige Großschriftführer Wladimir Misar in der „Wiener Freimaurer-Zeitung“:...

▶︎ „Wir verraten kein Geheimnis, sondern stellen nur eine heute in der ganzen Welt wohlbekannte Tatsache fest, wenn wir betonen, dass die Großloge von Wien sich von Anfang an zur Idee des Völkerfriedens, der Völkerannäherung bekannt und bei jeder Gelegenheit den entschiedenen Willen bekundet hat, für diese Ideen zu wirken.“ Demgegenüber habe die Freimaurerei in Deutschland ihrer „völkischen, christlichen und antipazifistischen Einstellung Ausdruck verliehen...

▶︎ Die Zwanzigerjahre sind eine Zeit der besonderen Blüte der Großloge von Wien. Die Zahl der Neuaufnahmen ist beträchtlich und etliche neue Bauhütten werden errichtet: „Mozart“ 1924, „Heimat“ und „Prometheus“ 1925 und 1926, „Labor“, „Plato“ und „Freiheit“ 1927, „Helios“ 1930, „Sarastro“ 1932. Von besonderer Bedeutung ist es nun auch, dass erstmals Logen in den Bundesländern errichtet werden. Bereits 1923 wird in Wiener Neustadt die Loge „Pythagoras“ gegründet, in Graz 1927 die Loge „Wolfgang Amadeus Mozart“, schließlich auch 1931 in Graz die Bauhütte „Paracelsus“. Ein gewisses Kuriosum stellt die unter der Oberhoheit der Großloge von Wien in Shanghai arbeitende Loge „Lux Orientis“ dar, die von dort lebenden österreichischen Brüdern errichtet wird.

▶︎ In den Zwanziger Jahren etabliert sich auch – zwar in organisatorischer Trennung von der Großloge, aber mit dieser engstens verbunden – ein freimaurerisches Hochgradsystem, der „Alte und angenommene schottische Ritus“.

▶︎ Mit den dreißiger Jahren verändert sich das Klima immer stärker zu ungunsten der Freimaurerei. Ideen wie „Toleranz“, „Völkerverständigung“ und „Friedliches Miteinander“ stehen nicht mehr hoch in Kurs. Vor allem die Angriffe nationalistischer Kreise gegen die Maurer nehmen an Heftigkeit zu und werden bald, angesichts der nationalsozialistischen Machtergreifung zu tödlichen Gefahr. Manche der Vereine, welche die österreichischen Freimaurer seit Jahrzehnten fördern, werden nun amtlicherseits still gelegt und bald auch stellen einzelne Logen infolge Mitgliederschwundes und äußeren Repressionen ihre Arbeit ein. Dies gilt besonders für Logen außerhalb Wiens, von denen die „Pythagoras“ in Wiener Neustadt sogar amtlich aufgelöst wird.

▶︎ Der Druck des austrofaschistischen Systems auf die Logen weicht erst unmittelbar vor dem Deutschen Einmarsch, als die Regierung Schuschnigg – allzuspät – versucht, eine gemeinsame Front gegenüber Hitler aufzubauen und unter anderem die Maurer um finanzielle Unterstützung ersucht. Der Großindustrielle Bruder Martin Bunzl spendet für die am 13. März 1938 geplante Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs einen namhaften Betrag. Aber es ist zu spät. Am 12. März überschreiten Truppen der Deutschen Wehrmacht die österreichische Grenze...

✿ ✿ ✿ TONEINSPIELUNG: SCHLUSS DER RUNDFUNKANSPRACHE VON BUNDESKANZLER KURT SCHUSCHNIG - „Wir weichen der Gewalt“ - Licht dunkel

▶︎ Noch am selben Tag wird das Logenhaus in der Inneren Stadt von Nationalsozialisten gestürmt und geplündert. Die Stuhlmeister der Logen werden fest genommen, die Logenschätze beschlagnahmt. Großmeister Richard Schlesinger und sein Großsekretär Wladimir Misa werden verhaftet, der schwer kranke Großmeister stirbt im Gefängnis der Gestapo an mit Absicht verweigerter medizinischer Hilfeleistung.

▶︎ Die Logen werden aufgelöst, die Brüder müssen sich zerstreuen. Manche gehen in die Emigration, viele, vor allem jüdische Brüder, sterben in den Konzentrationslagern. Von den rund 2000 Brüdern, welche die Großloge von Wien umfasst, finden sich – nach dem Ende des für eintausend Jahre geplanten Unrechtreichs – sieben Jahre später nur mehr rund 70 Brüder zusammen, um die Maurerei wieder zu begründen...

✿ ✿ ✿ MUSIK: Solovioline - Licht dunkel

✿ ✿ ✿ TONEINSPIELUNG: Radio-Weihnachtsansprache 1945 von Bundeskanzler Leopold Figl - „Ich kann Euch nichts geben … glaubt an dieses Österreich!“ - Licht dunkel

▶︎ Am 21. Juni 1945, also wenige Wochen nach Kriegsende, treffen sich sieben Brüder auf Schloss Frauenstein in Kärnten und beschließen in einer Arbeit unter Freiem Himmel, sich zur Wiedererweckung der Loge Paracelsus direkt an die Großloge von England zu wenden, da zu jenem Zeitpunkt noch keine Großloge von Österreich existiert. Gleichzeitig suchen sie den Kontakt zur britischen Militärverwaltung, ersuchen um Erlaubnis zu Zusammenkünften zwecks maurerischer Arbeit im nunmehr befreiten Österreich. Und ungeachtet dessen, dass weder diese Erlaubnis erteilt wird, noch dass eine Anerkennung durch London erfolgt, findet die erste rituelle Arbeit am 11. Oktober in Anwesenheit von 4 britischen Offizieren, allesamt Mitglieder britischer Logen, statt.

▶︎ In Wien wird die Sammelloge „Humanitas Renata“ gegründet, in der sich die wenigen in der Stadt verbliebenden oder zurück gekehrten Brüder finden. Eine der ersten Arbeiten dieser Loge besteht darin, des langjährigen Großmeisters Richard Schlesinger zu gedenken. Am 16. Oktober 1945 wird die Großloge von staatlicher Seite als Verein anerkannt und zum ersten Großmeister der Großloge nach dem Kriege wird 1945 Bruder Karl Doppler gewählt, der schon vor dem Kriege als Deputierter Großmeister gearbeitet hatte. Zu dessen 75. Geburtstag gratuliert er in einem Schreiben Staatskanzler Karl Renner:

▶︎ „Die österreichische Freimaurerei will Ihnen auch warmen Dank sagen für die aufopferungsvolle und erfolgreiche Arbeit, die Sie, hochverehrter Herr Staatskanzler, als Staatsbaumeister ein zweites Mal für unseren Staat Österreich und seine Bewohner geleistet haben. Die österreichischen Freimaurer sind sich aber vollauf der Pflicht bewusst, an dem Neuaufbau zu jeder Zeit, an jedem Ort mit allen Kräften mitzuarbeiten...“

▶︎ Im Zuge der ersten Hauptversammlung 1945 wird der richtungsweisende Beschluss gefasst, dass ehemalige Angehörige der NsDAP oder deren Teilorganisationen von einer zukünftigen Mitgliedschaft im Bunde ausgeschlossen sind. Es ist es wert, den Beschluss an dieser Stelle wörtlich zu zitieren:

▶︎ „Vom Bunde der Freimaurer sind alle Faschisten ausgeschlossen. Unter dem Begriff „Faschisten“ fallen alle Personen, die in der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei oder einer ihrer Wehrverbände oder einer mit einer faschistischen Korporation in Verbindung stehenden Vereinigung angehört haben. Ferner solche Personen, welche faschistische Bewegungen oder Bestrebungen durch freiwillige namhafte Beiträge unterstützt oder mit faschistischen Parteien sympathisiert haben. Hierzu sind auch die sogenannten „Parteianwärter“ zu zählen.

▶︎ Dies ist kein Lippenbekenntnis und wird streng gehandhabt. Von der Großloge werden mehrere Brüder auf Grund ihrer Mitgliedschaft in der NSDAP von der Mitgliedschaft in ihrer Loge, der Großloge und der freimaurerischen Weltenkette gestrichen. Ansuchen einzelner Logen um Pardonierung einzelner Brüder haben so gut wie keine Aussicht auf Erfolg.

▶︎ Es mangelt im Jahr 1946 so gut wie an allen Dingen des täglichen Bedarfes. Großmeister Doppler nimmt Kontakt mit dem Oberbefehlshaber der amerikanischen Truppen in Österreich, General Mark Clark auf, einem Bruder. Es ist diesem und dem Schottischen Ritus zu verdanken, dass massive Hilfe in Form von CARE-Paketen geleistet wird. Dennoch bleibt der Mangel groß: so müssen vor einer rituellen Arbeit die Brüder Lebensmittelkarten abgeben, da ansonsten die Verköstigung an der WT nicht zu gewährleisten ist. Um den Tempel in den strengen Nachkriegswintern zu beheizen, bringen die Brüder Kohle zur Arbeit mit.

▶︎ Überschattet wird das Jahr 1947 von der plötzlichen Abberufung des Großmeisters Bruder Doppler zu Höherer Arbeit. Sein Nachfolger im Amte, Bruder Bernhard Scheichelbauer, setzt die Bemühungen seines Vorgängers fort: die Anerkennung der Österreichischen Großloge durch die Großloge von England zum Ziel zu führen, es werden Kontakte mit den Nachbargroßlogen von Ungarn und der Tschechoslowakei geknüpft, wo allerdings das maurerische Licht nur kurz leuchtet, bis sich ein „eiserner Vorhang“ über diesen Teil Europas senkt. Und leider sind die wirtschaftlichen Probleme auch 1948 noch nicht beseitigt: so muss die Großloge das Hauptwirtschaftsamt in Wien um die Zuweisung von 5 Kilogramm Kerzen für interne Zwecke bitten.

▶︎ Aber es geht langsam aufwärts. Die Großloge stiftet zum Gedächtnis ihres, dem nationalsozialistischen Terror zum Opfer gefallenen Großmeisters, den „Doktor Richard Schlesinger-Preis“ für wissenschaftliche Arbeiten. Im Jahr 1949 werden dafür die Themen „Rechtsschöpfung in der Demokratie“ und „Historische Darstellung der Weltfriedensidee“ ausgelobt. Die Logenräume in der Wiener Dorotheergasse werden renoviert. Dazu wird eine internationale Baustein Aktion initiiert, die in den folgenden Jahren erfolgreich weiter geführt wird. Neue Logen werden gegründet, nachdem die 1945 gegründete Sammelloge „Humanitas renata“ ihren Zweck erfüllt hatte. Und 1952 ist es schließlich so weit. Dazu ein Zitat aus der Tafel der Großloge vom 5.Januar 1953:

▶︎ ...Die Versammlung fand im großen Tempel von Freemasons Hall in London statt. Es nahmen an ihr etwa 3000 Großbeamte und Stuhlmeister teil. Der Großmeister, The Earl of Scaborough, berichtete über die Verhandlungen zwischen der Großloge von Wien für Österreich und der Vereinigten Großloge von England. Aus ihrem Verlauf habe er die Überzeugung gewonnen, dass die Österreichische Großloge hinsichtlich Grundlagen, Prinzipien und Arbeitsweise vollkommen mit den klassischen Grundsätzen der Freimaurerei übereinstimme und er somit sich entschlossen habe, die offiziellen Beziehungen die bis zum Jahre 1938 bestanden hatten, wieder aufzunehmen und den Auftrag gegeben, dies der Großloge von Wien für Österreich zu notifizieren. Die Mitteilungen des Großmeisters wurden von der Versammlung mit lebhaftem Beifall aufgenommen...

✿ ✿ ✿ TONEINSPIELUNG: BEIFALL - Licht dunkel

▶︎ So wird Österreich, noch bevor es als souveräner Staat wieder erstanden ist, schon 1952 freimaurerisch international anerkannt. Einer gedeihlichen Arbeit für die Zukunft steht somit nichts im Wege und ein kontinuierlicher Zuwachs an Brüdern in den Logen legt Zeugnis davon ab, dass die Freimaurerischen Tugenden – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz und Humanität – einen klaren Weg in die Zukunft weisen. Ganz im Gegensatz zur Politik in jenen Jahren. Denn der oft beschworene „Geist der Lagerstraße“, welcher die in der Ersten Republik so krass und gewaltsam ausgetragenen Gegensätze der beiden politischen Lager harmonisieren sollten, war in einen Stillstand gemündet, in dem gegenseitiges Misstrauen und Proporz an der Tagesordnung sind. Aber die Mauern werden schließlich vom Geist der neunzehnsechziger Jahre unterspült. Willy Brandt in Deutschland fordert dazu auf „mehr Demokratie zu wagen“, und Bruno Kreisky in Österreich definiert die „Politik als Menschenwerk. Und deshalb liegt es an den Menschen, eine Gesellschaft zu gestalten, die frei ist von Not, Angst und Bedrohung“.

▶︎ Es ist kein Zufall, dass in jenen Tagen – wir schreiben das Jahr 1971 – Bruder Fred Sinowatz, Mitglied der Wiener Loge „Libertas Gemina“, als einer der Gründer der ersten Loge des Burgenlandes „Libertas Oriens“ in Erscheinung tritt. Als Unterrichtsminister auch für den Kulturbereich verantwortlich, schafft er Rahmenbedingungen, unter denen die Karrieren junger Künstler ihren Anfang nehmen, die heute Österreichs Rang als Kulturnation in der Welt definieren. Und auch später, als Bundeskanzler der Republik, bekennt er sich, wann immer darauf angesprochen, zur Freimaurerei und spricht in Interviews von den Gemeinsamkeiten seiner politischen Zielsetzung und denen der Freimaurer:

▶︎ „...eine demokratische Lebensordnung zu festigen, weil allein nur sie der Ausdruck der Achtung der Würde des Menschen und seiner Eigenverantwortung ist“.

▶︎ Und dieser Geist bringt es endlich auch mit sich, dass sich die verhärteten Beziehungen zwischen den Freimaurern und der katholischen Kirche verändern. Denn noch bis zum 27. November 1983 sind Freimauer und ihre Sympathisanten de jure mit der Exkommunikation belegt. Ein jahrelanger, fruchtbarer und von beiden Seiten mit Respekt und Verständnis geführter Dialog zwischen dem Kardinal von Wien, Franz König, und dem Deputierten Großmeister Kurt Baresch kommt, nach etlichen, durch Rom ausgelösten Rückschlägen, zu einem zufriedenstellendem Ergebnis. Seine Eminenz schreibt an den Deputierten Großmeister Baresch:

▶︎ „Mit einer persönlichen Schuld, mit einer Sünde kann ich mich nur dann belasten, wenn feststeht: Ich erkenne den widersprüchlichen Sachverhalt ganz genau. Ich handle bewusst gegen das Verbot. Und es muss sich um einen gravierenden Sachverhalt handeln. Ich glaube wohl kaum, dass diese drei Gesichtspunkte bei einem Katholiken zutreffen, der gleichzeitig Freimauer ist. Mit welchem Recht kann man einen Dialog mit den Weltorganisationen der Freimaurer ausschließen ? Der Dialog, in welcher Form auch immer, verlangt einen gegenseitigen Respekt und eine entsprechende Gesprächsbereitschaft. Warum sollte das in Ihrem Fall nicht gelten ? Vielen Dank, Respekt und Kompliment, Ihr Franz König“.

▶︎ Die Arbeit ging, geht und wird weiter gehen. Schon zum Zeitpunkt des Falls des „Eisernen Vorhanges“ pflegen etliche Mitglieder der Großloge enge Kontakte zu den ehemaligen kommunistischen Ländern. Es ergibt sich somit beinahe zwingend, dass sich die Österreichische Freimaurerei am wieder Aufflammen des maurerischen Lichtes in den benachbarten Ländern engagiert. So affiliert die Loge „Gleichheit“ am 14. Januar 1989 vierzehn ungarische Brüder. Und am 18. November wird am Sitz der Loge in Breitenbrunn vier Bauhütten die Arbeitserlaubnis erteilt. Sie bestehen aus ungarischen Mitgliedern der „Gleichheit“, die sich zum Winter-Johannistag am 27. Dezember unter den Schutz der sich nun konstituierenden Großloge von Ungarn stellen.

▶︎ Somit verrichtet die Loge „Gleichheit“ eine historische Mission: 75 Jahre nachdem sie selbst als Grenzloge in der damaligen ungarischen Reichshälfte der KuK Monarchie in der Krönungsstadt Pressburg gegründet worden war, konnte sie mit der tatkräftigen Unterstützung des Bruders Großmeister Franz Hausner das ihr damals übertragene maurerische Licht nach Ungarn zurück bringen.

▶︎ Die Großloge von Österreich hilft auch bei der formellen Wiedererrichtung der Großlogen von Kroatien, der von Slowenien, der Ukraine, der Slowakei und leistet Hilfestellung in Estland, Armenien, Litauen und Mazedonien. Heute arbeiten in Österreich unter dem Schutz der Großloge 76 reguläre Logen sowie 3 Deputationslogen mit etwa 3600 Brüdern.

▶︎ Die letzten drei Jahrhunderte brachten den Aufbruch der Menschheit in die Moderne. Der Prozess der Zivilisation, der in Europa mit dem Beginn der Neuzeit eigesetzt hatte, wurde mit der Aufklärung akut und breitete sich über die Menschheit aus. Man kann heute sagen, dieser Fortschritt war Segen und Fluch zugleich. Auch wenn es einen Quantensprung in der kulturellen Evolution darstellte, heute stehen wir an ihren Grenzen. Die einen sprechen vom „Ende der Geschichte“ und meinen damit, dass wir alle Ziele der Modernisierung im Wesentlichen erreicht haben, wenngleich auch nur in den entwickelten Demokratien. Die anderen sehen das Projekt der Aufklärung als gescheitert an, und malen das Ende unserer Zivilisation an die Wand. Aber in der Geschichte gibt es kein zurück. Es gibt nur ein „Vorwärts“, vom Ausgangspunkt, an dem wir heute objektiv stehen. Als Freimaurer, als Großloge von Österreich, als Weltenbund werden wir in diesem „Vorwärts“ , in dieser sicherlich nicht einfachen Zeit, unsere Aufgabe erfüllen, nämlich ein Katalysator zu sein, der jene Prozesse der historischen Entwicklung fördert, die sich zentral für die Modernisierung einer Gesellschaft erwiesen haben: einem gleichzeitigen, ausgewogenen Fortschritt in Rationalität und Ethik, in Leistungsmotivation und Humanität, in disziplinierter Selbstbeherrschung und kreativer Selbstverwirklichung…

▶︎ Darin liegt unsere geschichtliche Kontinuität, aus der uns die Verantwortung für die Zukunft erwächst. Verstehen wir so unseren Auftrag in den Worten unseres Bruders Johann Wolfgang von Goethe:

Und hier ein "Seitenblick" Bruder Siegfrieds zum Eingang nach hinten. Siegfried Hermann, Architekt und Künstler, Freimaurer seit 1994, Loge Concordia in Wien: Vor allem die festlichen Tempelarbeiten besucht er oft mit Block und Stiften. Die Brüder schätzen seine Zeichnungen.
Noch ein Beispiel seiner Kunst: Österreich 2017: 300 Jahre Freimaurerei
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Des Maurers Wandeln,

Es gleicht dem Leben,

Und sein Bestreben,

Es gleicht dem Handeln

Der Menschen auf Erden.

Die Zukunft decket

Schmerzen und Glücke

Schrittweis dem Blicke;

Doch ungeschrecket

Dringen wir vorwärts.


Und schwer und ferne

Hängt eine Hülle,

Mit Ehrfurcht, stille

Ruhn oben die Sterne

Und unten die Gräber.

Betracht’ sie genauer

Und siehe, so melden

Im Busen der Helden

Sich wandelnde Schauer

Und ernste Gefühle.

Doch rufen von drüben

Die Stimmen der Geister,

Die Stimmen der Meister:

Versäumt nicht zu üben,

Die Kräfte des Guten!

Hier winden sich Kronen

In ewiger Stille,

Die sollen mit Fülle

Die Tätigen lohnen!

Wir heißen euch hoffen.

✿ ✿ ✿ MUSIK



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