Salvador Allende
Inhaltsverzeichnis
Br. Salvador Allende - Präsident von Chile
Freimaurer-Rede anlässlich der Tempelarbeit zum Großlogentag der Großloge von Kolumbien mit Sitz in Bogotá am 28. August 1971
- Seine letzte Zeichnung vor dem Militärputsch -
"So denke ich, und so träume ich."
Ehrwürdigster Großmeister der Großloge von Kolumbien,
Liebe Brüder des Obersten Rates, hohe Würdenträger des Ordens,
Liebe Brüder alle!
Zurückschauend auf meine Jugendzeit, auf den Beginn meines aktiven Lebens,
erinnere ich mich, dass es mir nicht leicht fiel, das Recht auf Mitgliedschaft der
Großloge von Chile zu erlangen, denn ich war damals ein rebellierender Student,
und als ich dann an die Pforte der ehrwürdigen Loge "Progressio No. 4" in Valparaiso
klopfte, geschah dies aus tiefer innerer Überzeugung.
In meinem und meines Vaters Heim herrschten fortan die Prinzipien freimaurerischen
Erbgutes.
Zu meiner Zeit war mein Ahne, der Br\ Ramon Allande Palilla Huelvo
Großmeister der Großloge von Chile und Gründer der Loge, deren Tore sich für
mich im Orient von Valparaiso öffneten. Es war die zweite Loge des Landes.
Ich lebte in der festen Überzeugung, dass die Freimaurerei weder Sekte noch Partei
sei, dass, wenn der Maurer den rauen Stein glätte, diesen dazu vorbereite, im
profanen Leben aktiv zu werden, dass es ferner Pflicht der Freimaurer sei, sich im profanen Leben im Sinne der ewig bleibenden freimaurerischen Prinzipien zu
betätigen. Ich erinnere mich noch genau an die Nacht meiner Aufnahme, als ich zum
ersten Male die Worte aus dem Aufnahmeritual vernahm, dass Menschen ohne
Grundsätze und ohne fortschrittliche Ideen Schiffen mit gebrochenem Steuer
vergleichbar seien, die leicht an gefährlichen Klippen zerschellen.
Ich vernahm auch, dass es in unserem Orden weder soziale noch gesellschaftliche
Hierarchie gäbe. Damit verstärkte sich von Anfang an meine Überzeugung, dass die
Prinzipien des Ordens, projiziert auf das Profane, einen Beitrag leisten könnte zum
drängenden Erneuerungsprozess, der die Völker in aller Welt und insbesondere die
Völker dieses Kontinents bewegt und deren politische und ökonomische
Abhängigkeit die schmerzliche Tragödie dieser Länder auf dem Wege der
Entwicklung noch verstärkt. Auf Grund dieser Überzeugung und im Glauben daran,
dass Toleranz eine der edelsten und vornehmsten Tugend sei, warf ich im Ablauf
meines freimaurerischen Lebens, das sich über 33 Jahre erstreckt, in verschiedenen
Logen in meinen Zeichnungen die Frage auf, ob es zwischen mir und meinen
Brüdern im Tempel Koexistenz gäbe, nachdem es für viele schwer vorstellbar war,
dass dies mit einem Manne möglich sei, der sich im profanen Leben öffentlich als
überzeugter Marxist bekannte.
Diese Tatsache - innerhalb der Loge geklärt - blieb manchmal innerhalb meiner
eigenen politischen Partei unverstanden. Mehr als einmal, während der Kongresse
der Partei, die von keinem Geringeren als dem Ehrw. Ex-Großmeister der Großloge
von Chile gegründet wurde, ist das Problem "Freimaurerei & Sozialismus" aufgerollt
worden. Trotz der strikten Intoleranz innerhalb der politischen Parteien hielt ich an
meinem Rechte fest, zugleich Freimaurer und Sozialist zu sein.
Freimaurer & Sozialist
Ich erklärte in diesen Kongressen öffentlich, dass, wenn dieses Problem der
Unverträglichkeit "Freimaurer & Sozialist" aufrecht erhalten bleibe, ich als aktiver
Kämpfer die Sozialistische Partei verlassen würde, obschon ich niemals der
Ideologie des Sozialismus dem Sinn und Geiste nach untreu würde. Ebenso würde
ich im Falle, was ich mir nicht vorzustellen vermag, dass der Orden meine Ideologie
und meine marxistische Doktrin mit der Freimaurerei als unverträglich erklärte, den
Tempel verlassen mit der Überzeugung, dass in diesen Kreisen die Tugend der
Toleranz nicht praktiziert wird.
Ich habe mich mit der Wirklichkeit auseinander gesetzt und glaube, dass ich Ihnen,
meine lieben Brüder der Großloge von Kolumbien, ein ehrliches Leben, getreu den
Prinzipien des Ordens, innerhalb des Ordens und draußen in der profanen Welt
vorweisen kann.
Während vieler Jahre - als Student, der mit Gefängnis, mit zeitweiligem Ausschluss
aus der Universität und Verbannung Bekanntschaft machte - bis zum heutigen Tage
war ich konsequent in meinen Überzeugungen. Ich schlug Schlachten in einer
politisch unruhigen Welt, aber in einem Lande von hohem politischem Niveau, öfters
ohne jegliche Möglichkeit und Chance, jemals auf den Sessel des Präsidenten von
Chile zu gelangen.
Es reizte mich, eine Furche zu ziehen, eine Saat zu streuen, diese zu bewässern mit
dem Beispiel eines angestrengten Lebens, dass eines Tages die Saat aufgehe -
nicht für mich, sondern für das Volk, für das Volk meines Vaterlandes, das eine
veränderte Existenz benötigt.
Chile, das ohne Zweifel politisch - wie ich vorhin gesagt habe - einen höheren Stand
als andere Staaten dieses Kontinents erreicht hat, Chile ist das Land, in dem die
bürgerliche Demokratie die Entfaltung jedweder Ideen erlaubte. Und ich wiederhole
und es ist so: Dieses hohe politische Niveau wurde erreicht durch Kampf und Willen
des Volkes zu dem Zwecke, den Menschenrechten, den in heroischen Schlachten
erstrittenen Eroberungen von Anrecht und Würde und Brot, Recht zu verschaffen.
Ohne Zweifel ist Chile auf politischer Ebene ein unabhängiges Land, aber auf
wirtschaftlichem Gebiet ist es dies nicht. Wir erachten es als wesentlich,
wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erreichen, damit unser Land auch politisch
glaubwürdig unabhängig sei; wir glauben, dass es wesentlich sei, zu erreichen, dass
der Mensch unseres Landes die Lebensangst verliere, dass er breche mit der
Unterwürfigkeit, dass er Anrecht habe auf Arbeit, auf Erziehung, auf Wohnung, auf
Gesundheit und Erholung.
Wir möchten, dass der chilenische Mensch den Inhalt der bedeutungsvollen Worte,
die die Dreiheit des freimaurerischen Fundaments bilden, den Inhalt aus
Brüderlichkeit, Gleichheit und Freiheit ausstrahle.
Wir behaupten, dass es keine Gleichheit geben kann, wenn einige wenige alles und
viele nichts haben. Wir glauben, dass es keine Brüderlichkeit geben kann, wenn die
Ausbeutung des Menschen durch den Menschen eine Regierung oder ein System
charakterisiert. Die abstrakte Freiheit muss einer konkreten Freiheit, d.h. die
theoretische Freiheit muss einer tatsächlichen Freiheit weichen. Für diese haben wir
gekämpft, für diese kämpfen wir und wir wissen, dass wir vor harten Aufgaben
stehen.
Wir wissen, dass jedes Land seine eigene Wirklichkeit, seine Eigenart, seine eigene
Geschichte, seine scharf ausgeprägte Eigentümlichkeit hat, die ihm seinen
besonderen Stempel aufdrückt. Dies gilt besonders für die Länder dieses Kontinents.
Wir wissen auch und bezeugen dies gewissendlich, dass diese Nationen dadurch
entstanden, dass Männer aus verschiedenen Ländern, unter verschiedener Flagge,
mit vereinter Kraft und mit dem gemeinsamen Ziele, ein freies und geeintes Amerika
zu bilden, mit den fremden Bindungen brachen.
Die Geschichte lehrt uns, dass einige wenige irreguläre Logen wie "Las Lauterianas"
Same und Saat der Freiheitskämpfe waren. Und hier in der Großloge von
Kolumbien - ich erwähne dies mit tiefer Befriedigung - schrieb Bolivar in Suere an O’ Higgins, als er von dessen Niederlagen erfuhr. Seine Worte - ein Aufruf zu erneutem
zähen Kampf - fanden Echo beim Vater unseres Vaterlandes.
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Er erkannte die Schwierigkeiten, sich von den Niederlagen zu erholen, und suchte
vereint mit San Martin nach Möglichkeiten einer entscheidenden Schlacht auf
argentinischem Boden - zur Befreiung Chiles. O’ Higgins hatte im südlichen Teil
dieselben Sorgen wie Bolivar für den Rest des Kontinents. So verabschiedete O’
Higgins von der Reede von Valparaiso die Schiffe der Befreiungs-Expedition Perus
mit den Worten: "Diese vier Kähne entscheiden das Schicksal Amerikas". Es waren
Soldaten Chiles und Argentiniens, die zur Befreiung Perus entscheidend beitrugen.
So, in Bescheidenheit, gemessen an der bestehenden Wirklichkeit, mit der Erkenntnis, dass in der zeitgenössischen Welt die Völker - mehr als der einzelne Mensch - die Hauptfaktoren der Geschichte sind, suchte ich nach Möglichkeiten, dem Volk, dem Volk Chiles, seine eigene Stärke bewusst zu machen und zu erkennen, seinen eigenen Weg zu finden.
Es war dies nur ein bescheidener personeller Beitrag. Es waren die chilenischen Volksmassen, in ihrer Mehrheit nationale, bestehend aus Landbewohnern und Arbeitern, Studenten, Angestellten, Technikern, Professionellen, Intellektuellen und Künstlern, es waren Gläubige und Ungläubige, Freimaurer und Christen, Lehrer der weltlichen Schulen, es waren Anhänger Jahrhunderte alter politischer Richtungen, wie z.B. Radikale, es waren solche ohne politische Einstellung; alle diese Massen, bestrebt und von derselben Meinung beseelt, sich vermöge ihres kämpferischen Willens dem Reformismus der Christlich-Demokraten einerseits und der Kandidatur des Herrn Jorge Alessandri, dem traditionellen Vertreter des Kapitalismus, andererseits zu widersetzen.
Chile lebte also während langer Zeit nicht etwa gehalt- und nutzlos mit
ausgesprochen kapitalistischen Regierungen. Ich sage: nicht gehalt- und nutzlos,
denn ich behaupte ja, dass unser Land eines derjenigen sei, in dem die bürgerliche
Demokratie als solche funktionierte.
Die chilenischen Institutionen haben eine mehr als hundertjährige Geschichte. In
diesem Jahre besteht unser Kongress, unsere Nationalversammlung - an der ich seit
27 Jahren, zwei Jahre als Abgeordneter und 25 Jahre als Senator teilnehme - 150
Jahre voll ununterbrochener Arbeit. Ich sage: ununterbrochene Arbeit, denn wir
verleugnen nicht, was früher gemacht wurde, aber wir glauben, dass der Weg von
gestern nicht der Weg von morgen sein kann. Darum folgen dem alten
kapitalistischen System im politischen Prozess, irreführend angefacht, große
Hoffnungen auf eine Revolution in Freiheit, die den Reformismus,
Reformbestrebungen der Christlich-Demokraten charakterisieren. Ich bestreite nicht,
dass ihre Regierung, der jetzt die Regierung des Volkes folgte, keine Fortschritte auf
wirtschaftlichem, sozialem und politischem Gebiet machte, aber immer bestehen
noch die großen Existenzlücken, die für unser Volk charakteristisch sind: Wohnung,
Arbeit, Gesundheit, Bildung.
In einem Lande - das gilt besonders für die Länder dieses Kontinents, in dem ein umfassender Teil der menschlichen Gesellschaft vernachlässigt und verkannt wird, seien es die Nachkommen von Atahualpa oder die Söhne von Lautaro in meinem Vaterland, sei es der heroische Aurauco, der Mapuche, der Indio, der Mestize - ist es auf dem Weg der Entwicklung noch nie gelungen, das Problem dieses alarmierenden Wohlstandes - Wohnung, Arbeit, Gesundheit und Bildung - zu lösen. Obschon alle diese Menschen der Ursprung unserer Rasse sind, wurden sie übersehen, zurückgesetzt und in unseren Ländern ignoriert. Darum galt unser Kampf und unser Bestreben nicht der Herbeiführung einer politischen Änderung, nicht der Übertragung der Regierung von einem an einen anderen, sondern es war der Kampf für die Übergabe des Regimes an das Volk, das eine tiefgreifende Umwandlung auf wirtschaftlichem, politischem und sozialem Gebiet fordert.
Mit dem gesetzlichen Anspruch der Selbstbestimmung, dem Sozialismus den Weg
geöffnet zu haben, hat Chile seine eigene Geschichte, so wie sie andere Länder mit
ihren besonderen Verhältnissen haben.
Wir durchlebten im Jahre 1938 einen Zeitraum politischen Geschehens, verschieden
von denjenigen der übrigen Staaten dieses Kontinents. Chile war neben Frankreich
und Spanien das dritte Volksfront-Land der damaligen Welt. Ein Freimaurer,
Radikaler und Staatsmann, Pedro Aguirre Zerda, erlangte die Macht aufgrund von
Vereinbarungen zwischen der mehr als hundertjährigen Partei der Radikalen und
den marxistischen Parteien, den Kommunisten, Sozialisten und Demokraten.
Aber in meinem - wie auch in anderen Ländern - kämpfte man gegen die Möglichkeit
eines Sieges der Volksfront. Die Sturmglocken des Terrors und der Panik ertönten.
Man sprach von dummen Machenschaften der Kommunisten und Sozialisten, die die
Radikalen zur Anerkennung der Diktatur der Volksfront veranlassten. Doch Aguirre
Zerda verstärkte seinen Einfluss in redlichem Bestreben und in engem Kontakt mit
dem Volke. Aber an einem unheilvollen Tage brachen Offiziere des Heeres mit ihrer
übernommenen Verpflichtungen zum Schutze der Regierung. Sie erhoben sich unter
dem nichtigen Vorwand, dass auf dem Regierungsgebäude die rote Fahne wehe und
dass sich dort ein Anhänger derselben festgesetzt habe. Es war dann das Volk, das
sich erhob und die Kasernen umzingelte, es war das Volk ohne Waffen, das die
Verräter zwang, sich zu ergeben, und es waren die Soldaten, die von ihren Waffen
keinen Gebrauch machten gegen die Massen, entschlossen, einen Freimaurer,
Lehrer und Staatsmann zu schützen.
Darum, schon am Anfang der Entwicklung in der chilenischen Politik, gibt es
Vorgänge, die keine Parallelen haben, und deshalb ist es vielen schwer zu
verstehen, was heute in meinem Vaterland vorgeht. Deshalb ist es auch nichts
Besonderes, dass man heute die Anwesenheit eines Freimaurers oder eines
Sozialisten in der chilenischen Regierung fürchtet.
Die Wahrheit ist, dass sich niemand in meinem Vaterland mehr täuschen lässt.
Während mehr als einem Jahr haben wir unser Programm der Volks-Einheit bekannt
gemacht, wir, bestehend aus Weltlichen, Marxisten und Christen, aus Schriftstellern,
aus Leuten des Pfluges und der Industrie.
Jeder, der wollte, hat verstanden, warum und für was wir kämpfen. Immer betonte
ich, dass es schwer sei, die Wahlen zu gewinnen, dass es schwerer sei, die
Regierung zu übernehmen, und dass es noch schwerer sei, den Plan des
Sozialismus zu verwirklichen.
Immer sagte ich, dass dies weder ein einzelner Mann noch eine Gruppe, noch eine
Partei, sondern nur ein organisiertes, diszipliniertes, gewissenhaftes Volk, seiner
großen historischen Mission bewusst, erreichen könne. Die Wirklichkeit hat meine
Voraussage bestätigt.
Wir waren so streitbar wie im Jahre 1938. Und ich, der mehrere Male
Präsidentschaftskandidat war, habe genug Erfahrungen gesammelt, um zu wissen,
bis zu welchen Mitteln man greift, um den Fortschritt des Volkes zu verhindern.
Schreckliche Gerüchteverbreitete man im Wahlkampf 1954. Religiöse Verfolgung,
die Auflösung des chilenischen Heeres, Unterdrückung des Cuerpo de Carabineros
prophezeite man, einfache Argumente, aber genügend in ihrer böswilligen Absicht,
uns die benötigten Stimmen zu entreißen.
Ich bin der Meinung - und ich sage dies unverblümt -, dass in Ländern - wo es in
Wirklichkeit keine Volksvertretung, keine Parteien und keine organisierten
Gewerkschaften und nur verfälschte Wahlen gibt - nur der bewaffnete Aufstand und
das Volk in Waffen mit nachfolgend echten Wahlen eine Änderung des politischen
Zustandes herbeiführen können.
Wir haben den gesetzlichen Weg innerhalb der bürgerlichen Demokratie beschritten, mit dem Versprechen, ihre Gesetze zu respektieren, sie aber gleichzeitig nach einem Wahlsieg zu ändern, mit dem Ziele, dem chilenischen Menschen eine bessere Existenz zu sichern, damit Chile ein wahres Vaterland für alle Chilenen werde. Wir wollen die chilenische Revolution nicht exportieren, denn sie ist für chilenische Verhältnisse zugeschnitten.
"Dieses Volk ist halb frei, halb unterdrückt"
Unser Kampf ist schwer und hart, denn ohne Zweifel, um den Lebensstandard unseres Volkes zu heben, haben wir große revolutionäre Umstrukturierungen zu vollziehen, die andere Interessen verletzen, fremde Interessen, das ausländische Kapital, imperialistische Interessen, auch nationale, nämlich die der Monopole und der Banken. Wir sind uns dessen bewusst, dass wir der Rückständigkeit, der Unwissenheit und dem moralischen und physiologischen Elend nicht Herr werden, solange wir die Überschüsse unserer nationalen Ökonomie nicht zum Aufbau von Schulen, Straßen und der Modernisierung unserer Landwirtschaft verwenden. Was uns rechtmäßig gehört, muss zum Besten unseres Vaterlandes verwendet werden. Um unsere Lage zu verstehen, weise ich auf das Kupfer, auf unseren unersättlichen Reichtum, auf den Hauptpfeiler unserer Ökonomie hin. Er repräsentiert 82% unseres Devisenhaushalts, es bleiben aber bloß 24 % für unseren Staatshaushalt. Das Anfangskapital der nordamerikanischen Kupfergesellschaften betrug von 50 Jahren 133 Millionen Dollar. Im Laufe dieser vergangenen 50 Jahre flossen 3.200 Millionen Dollar nach Nordamerika zur Stützung der großen Industrie- Imperien. Wie können wir unter solchen Umständen am Fortschritt teilhaben? Warum soll ein Volk mit den größten Kupferreserven der Welt und den größten Kupferminen weder den Kupferpreis noch die Produktion noch den Markt kontrollieren dürfen, wenn schon die Schwankung von einem einzigen Cent pro Pfund Kupfer schon einen Betrag von 12 Millionen Dollar Mehr- oder Mindereinnahmen pro Jahr bedeuten kann. Warum soll dies, was ich den Lohn Chiles nenne, von Fremden verwaltet werden. Ich erkläre, dass in dieser Angelegenheit die Rückgewinnung und Nationalisierung unseres hauptsächlichen Reichtums keine Diskriminierung eines fremden Volkes bedeutet. Wir respektieren die Vereinigten Staaten als Nation, wir kennen ihre Geschichte und verstehen die Worte Lincolns, als er sagte: "Dieses Volk ist halb frei, halb unterdrückt". Dieser Satz passt genau auf unsere Völker: scheinbar frei und doch unterdrückt in der modernen Wirklichkeit.
Darum haben wir gekämpft, und darum werden wir bekämpft. Ich habe vom Kupfer
gesprochen und könnte dies auch vom Eisen, vom Stahl, von der Kohle, vom
Salpeter und auch vom Acker tun.
In einem Lande, das 20 Millionen Menschen und mehr ernähren könnte, müssen
jedes Jahr Fleisch, Weizen, Fett, Butter und Öl für mehr als 180 von 200 Millionen Dollars importiert werden. Sollte der Bevölkerungszuwachs von jährlich 2,9%
anhalten, so müsste Chile im Jahre 2000 bei gleicher landwirtschaftlicher Produktion
für 1000 Millionen Dollars Lebensmittel importieren.
Der gesamte Außenhandel Chiles beträgt heute 1200 Millionen Dollars, wobei 1030
Millionen auf den Kupferexport entfallen.
Diese Verhältnisse rufen nach einer tief greifenden Agrarreform, die nicht nur darin
besteht, Eigentumsrechte zu ändern, sondern auch darin, den Bildungsstand und die
Moral des Landarbeiters und der Landbevölkerung zu heben.
Wir haben uns die Worte von Tupac-Amaru zu eigen gemacht, als er seinen Indios
zurief: "Der Herr wird nicht mehr von Deinem Hunger leben."
Wir wollen tatsächlich, dass der Landarbeiter auch das Recht habe, von dem zu
essen, was er auf dem Lande produziert, und ich als Arzt, der 5 Jahre Präsident des
Ärztekollegiums von Chile war, und zugleich kämpferischer sozialistischer Senator,
ich, der ich das Körperschaftsleben genau kenne und seinen Brüdern mit
Befriedigung sagen kann, dass ihn seine Kollegen-Ärzte respektierten und
respektieren, ich als Chilene muss mit Schmerzen gestehen: 500.000 Kinder meines
Vaterlandes, Ehrwürdigster Großmeister, sind trotzdem, wie ich sagte, bei politisch
hohem Niveau meines Landes geistig unterentwickelt, weil sie in den ersten 5
Monaten ihres Lebens, keine Proteine, keine Milch erhielten.
Mit solchen Zuständen kann man sich nicht einfach abfinden. Zur Beseitigung derselben ist es notwendig, die Prinzipien der Menschlichkeit, die man mich als Freimaurer gelehrt hat, zu verwirklichen. Darum habe ich gekämpft, und darum bin ich - nicht persönlich sondern im Namen des Volkes als Präsident meines Vaterlandes - mit dem Bestreben entschlossen, das Programm, das dem Volke vorgelegt wurde, zu vollziehen.
Verpflichtung eines Freimaurers gegenüber dem Gewissen eines Freimaurers
Ich habe die Verpflichtungen vor meinen eigenen Gewissen, und es ist die
Verpflichtung eines Freimaurers gegenüber dem Gewissen eines Freimaurers, und
es ist die Verantwortung gegenüber der Geschichte, und ich habe diese eine
Verantwortung für mein Vaterland. Das bedeutet Repressalien,
Vergeltungsmaßnahmen. Interessen verletzen ist hart, und dass man diese
Interessen verteidigt, wissen wir und haben es bereits erfahren.
Bis wann sollen die Länder dieses Kontinents ertragen, dass sie unter fremder
Kontrolle stehen? Seit 20 Jahren spricht man vom Internationalen Währungsfond,
von der Umwandlung des Geldes in Gold, und von heute auf morgen, wenn es den
stärksten Staaten genehm ist, ändert man die Spielregeln und schädigt die
Ökonomien der Schwächeren.
Während 15 oder 20 Jahren erfuhren wir, dass die chinesische Volksrepublik, ein Land mit 900 Millionen Einwohnern, nicht in die Vereinten Nationen aufgenommen werden konnte. Aber dann, als es einem Staate aus internen Gründen vor den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen zweckmäßig erschien, unterstützte man die Aufnahme, trotz verschiedener Ideologien, und der Präsident der Vereinigten Staaten unternahm die Reise nach China zur Unterredung mit Mao Tse Tung. Wir aber durften dies vorher nicht.
Wann erkennen wir endlich, dass wir das Recht und die Pflicht haben, unseren eigenen Weg zu beschreiten, die freiheitlichen Bestrebungen der Gründer unserer Länder zu verwirklichen, denn dies ist die Aufgabe, die wir von ihnen erhielten. Wenn dies ein Revolutionär zu sein bedeutet, dann bin ich es, und wenn dies ein Freimaurer zu sein bedeutet, dann bin ich es ja auch.
Als Freimaurer sage ich Euch, meine lieben Brüder der Großloge von Kolumbien: In meinem Lande gibt es keine politischen Häftlinge, in meinem Lande respektiert man alle Rechte. An diesem Abend hatte ich die Ehre, in Begleitung des chilenischen Botschafters in Kolumbien, vor dieser Loge zu erscheinen, unserem lieben Bruder Hernan Guierrez. Es begleitete uns auch der Generaldirektor der Carabineros, General José Maria Sepulveda, der auch Bruder ist. Beide wissen, dass meine Worte der Wahrheit entsprechen, und sollten noch mehr Zeugen erscheinen, so verweise ich noch auf einen anwesenden Bruder, es ist der Botschafter von Kolumbien in Chile, der nie vergaß, Freimaurer zu sein. Wir hatten nach meinem Wahlsieg die Freude, uns im Logenhaus als Freimaurer zu begrüßen.
Dem künstlich erzeugten gespannten Klima vor und während der Wahlen werden
noch härtere gegnerische Machenschaften folgen, mit denen wir fertig werden
müssen. Aber so wie Regierungen und Regierende, die glauben, die Interessen
einiger Wenigen - so gewaltig sie auch sein mögen - schützen zu müssen, so
verteidige ich das Recht, die Interessen des Volkes gegen die Interessen einiger
Wenigen zu wahren.
Wenn jemand glaubt, mit materieller Gewalt in der heutigen Zeit den Willen eines
Volkes brechen zu können, so ist er im Irrtum. Wir müssen endlich einsehen, dass
Länder - um zu verhindern, dass ein Volk auf einem fremden Kontinent sein eigenes
Schicksal bestimme - 100.000 Millionen Dollar pro Jahr für einen Krieg ausgeben,
hingegen für Lateinamerika auf inständiges Bitten hin aber nur bescheidene Tropfen
aus ihrem kapitalistischen Euter bereithalten.
nicht der Stausee sondern das Flussbett
Während des vergangenen Jahrzehnts überstiegen die Millionen für Amortisationen
aus Gewinnen und Zinsen die Eingänge an Kapitalien nach Lateinamerika.
Der arme Kontinent ist also heute praktisch Exporteur von Kapitalien nachdem
stärksten Vertreter des internationalen Kapitalismus.
Darum unser Kampf und darum unsere Streitgespräche, wie sie unter Brüdern zu
führen sind. Es ist ein Kampf, nicht nur in Chile, sondern ein Kampf in den Ländern
der ganzen Welt, denn wir leben in einer Übergangszeit, in der die alten Systeme
brüchig werden, und es ist unsere Pflicht, mit offenen Augen zu wachen und zu
erkennen, was morgen geschehen würde, wenn wir nicht im Stande sind, die
Richtung zu halten, die den großen Massen erlaubt, den vorgezeichneten Weg ohne
Gewalttätigkeit einzuhalten.
In meinem Lande habe ich folgendes verbreitet und wiederhole es hier im Kreise
meiner Brüder in Kolumbien:
Ich bin - bildlich gesprochen - nicht der Stausee sondern das Flussbett, in dem das
Volk mit Sicherheit den Weg des Rechtes gehen kann. Die Lawinen der Geschichte
lassen sich nicht aufhalten. Hemmende veraltete Gesetze können den Hunger des
Volkes nicht stillen. Vorübergehend, vielleicht für die Dauer einer Generation, können
sie den eingeleiteten Prozess verzögern, aber früher oder später werden die alten
Dämme brechen; und die Massen überschwemmen vielleicht - nach meiner Ansicht
mit Recht - mit Gewalt das Veraltete, denn der Hunger und die Leiden sind vielerorts
Jahrtausende - und in unserem Kontinent Jahrhunderte - alt.
Wenn alle Einrichtungen wie die Kirche, um ihre Existenz zu wahren, sich verändern,
wenn die vereinten Bischöfe in Medellin eine Sprache sprechen, die vor 5 bis 10
Jahren als revolutionär gegolten hätte, geschieht das wohl aus der Erkenntnis, dass
das Wort Christi befolgt werden muss, um die Institution der Kirche glaubwürdig zu
erhalten. Sie erkannten, dass ihr guter Name und Ruf durch die Interessen einiger
Weniger auf dem Spiele stand und dass niemand in Zukunft an die Wahrheit der
Verkündung des Meisters von Galiläa - eines Menschen wie wir - glauben würde.
So denke ich, und so träume ich.
Abend meiner Aufnahme
Ich erinnere mich an den Abend meiner Aufnahme und an die Worte: dass
Menschen ohne Grundsätze und ohne fortschrittliche Ideen Schiffen mit
gebrochenem Steuer vergleichbar seien, die leicht an gefährlichen Klippen
zerschellen.
Ich wünsche, dass die Brüder in Kolumbien wissen, dass ich das Steuer meiner
freimaurerischen Gesinnung nie verlieren werde.
Eine Revolution ohne soziale Opfer ist undenkbar, und es ist hart, mächtige
internationale und nationale Minderheits-Interessen zu zerschlagen.
Was ich mir zum Schlusse wünsche, ist: nach Erfüllung meines Mandates so wieder
meinen Tempel zu betreten, wie ich heute, als Präsident von Chile, diesen Tempel
betreten habe.
Dank
- Ins Deutsche übersetzt von Br.·. Paul M. [_]"In Labore Virtus" (O.·. Zürich), Mutter-[_] "Mozart" No. 8 9 (O.·. Santiago de Chile)
- Neu gesetzt von Br.·. Emil B. [_] "Heinrich Heine" No.978 (O.·. Meerbusch) Präsentiert als Beigabe für die Delegierten der Ordentlichen Mitgliederversammlung des früheren Forums R.E.F.O.R.M.(e.V.) in Bonn am 10.04.1999.
- Entnommen: FORUM FM-EUROPE am 20.06.06
- Entnommen von Br. Karsten Oe. [_] Excelsior zum Spiegel der Wahrheit i.O. Berlin
Links
- Freimaurerei und Sozialismus Rede Allendes in spanischer Sprache (Bitte übersetzen)