Herbst 2016: München restituiert Freimaurerbücher nach Wien
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Herbst 2016: München restituiert Freimaurerbücher nach Wien
Thema: Nazi-Raubgut. Als Hitler im März 1938 Österreich annektierte, sperrte die SS sofort alle Logen zu. Führende Freimaurer wurden verhaftet und alle mobilen Besitztümer abtransportiert; auch die über viele Jahre aufgebauten Bibliotheken. Die meisten Bücher landeten auf Umwegen in der Wiener Nationalbibliothek. Sie konnten schon wenige Jahre nach Kriegsende aufgefunden und zurückgegeben werden. Kleinere Mengen fehlten aber und galten als verschollen. Viel später fand die Bayerische Staatsbibliothek durch ihre Provenienzforschung 27 dieser Bücher. Am 16. September 2016 wurden sie an die ‚Großloge von Österreich’ zurückgegeben.
Von Rudi Rabe.
Auch wenn es nur 27 Bücher waren, welche die Bayerischen Staatsbibliothek (BSB) den Österreichern überreichen konnten, haben diese Bände für die ‚Großloge von Österreich’ einen erheblichen Wert. Nicht nur einen historischen, weil einige immerhin aus den 1780iger Jahren stammen, als Bruder Mozart seine weltberühmte Freimaurermusik komponierte. Sie haben auch einen ideellen Wert, sind sie doch ein weiteres Stück Wiedergutmachung nach dem Nazi-Terror, der 1938 auch die österreichische Freimaurerei vernichtete.
Ein Beispiel aus dem Bayernpaket:
Franz August von Etzel – „Beschreibung der Säkular-Feier der Aufnahme Friedrich des Großen, Königs von Preußen, in den Freimaurer-Bund“ – Berlin 1838. Auch der Preußenkönig war also ein Freimaurer, vielleicht ein Grund dafür, dass Maria Theresia die aufgeklärte Logenbewegung eher skeptisch wahrnahm, hatte ihr doch Friedrich gleich nach ihrer Krönung Schlesien abgenommen. Ganz anders ihr Sohn Joseph II.: Er war den Freimaurern gewogen.
Provenienzforschung:
Wie Stecknadeln im Heuhaufen
Stephan Kellner von der BSB beschrieb bei der Übergabe der Bücher in Wien die Provenienzforschung der Bayerischen Staatsbibliothek, den logistischen Aufwand, wenn man Millionen Bände nach zu Unrecht erworbenen Titeln durchsucht, und wie die die Freimaurerbücher schließlich gefunden wurden. Mit seiner Genehmigung geben wir die entsprechenden Passagen seiner Rede hier wieder:
„Ursache meines Besuchs ist das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, denn wir übergeben Ihnen heute 27 Werke, 23 aus der Bibliothek der Loge Zukunft und vier aus der Büchersammlung der Großloge von Österreich, die sich seit 1938 zu Unrecht in der Bayerischen Staatsbibliothek befunden haben. Dass Bücher, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft beschlagnahmt wurden, so lange Zeit im Bestand der Bayerischen Staatsbibliothek verblieben sind, wird bei Ihnen sicherlich Fragen aufwerfen.
Von den Nationalsozialisten geraubte Bücher gelangten auf unterschiedlichen Wegen in die Bayerische Staatsbibliothek. Zum einen erhielt sie zwischen 1933 und 1945 Bücher, welche die Gestapo insbesondere jüdischen Eigentümern geraubt hatte. Zum anderen wurden ihr von der amerikanischen Militärregierung nach 1945 große Bibliotheken nationalsozialistischer Organisationen überstellt; in ihnen befindet sich ebenfalls Raubgut.
Die zu Unrecht erworbenen Bücher sind nicht an einem Ort versammelt, sondern über den gesamten damaligen Bestand von ca. zwei Millionen Bänden verstreut. Die Unterlagen für die Übernahmen aus der Zeit vor 1945 sind nur noch zum kleineren Teil erhalten. Die Suche nach Raubgut ist also mühselig, denn ca. 130.000 Bände müssen in die Hand genommen und auf mögliche Hinweise untersucht werden. Bislang wurden so 65.000 Titel überprüft, bei rund einem Prozent davon ergaben sich Hinweise auf NS-Raubgut. Es stammt nicht ausschließlich aus jüdischem Vorbesitz, vieles ist aus Freimaurer-Logen, sozialistischen Organisationen, kirchlichen Vereinen oder den Zeugen Jehovas.
Als eine der ersten Bibliotheken von nationalem Rang in Deutschland hat sich die Bayerische Staatsbibliothek der Suche nach nationalsozialistischem Raubgut konsequent und systematisch gestellt. Seit mittlerweile dreizehn Jahren durchsucht sie ihre Bestände, zunächst nebenamtlich und unterstützt von Freiwilligen. Bei entsprechenden Funden ermittelt sie oft mit großem Aufwand die Nachkommen oder Nachfolgeorganisationen der Vorbesitzer, um die Bücher zurückgeben zu können. Seit 2013 wird die Bayerische Staatsbibliothek vom ‚Deutschen Zentrum Kulturgutverluste’ gefördert. Damit konnte sie Projektmitarbeiter einstellen, die Recherchen erheblich beschleunigen und die Zahl der Rückgaben deutlich erhöhen. Bislang konnten 375 Bände restituiert werden, heute kommen 27 weitere Bände dazu.
Oberstes Ziel der Bayerischen Staatsbibliothek ist es, die ermittelten Bücher an Nachfahren der Vorbesitzer zurückzugeben. Die erste Rückgabe erfolgte im Jahr 2006. 2008 etwa restituierte die Bayerische Staatsbibliothek 75 Bände aus der Privatbibliothek von Thomas Mann; 2013 konnten wir 121 Bände, die 1933 aus dem Besitz der Loge „Zum aufgehenden Licht an der Isar“ angekauft worden waren, an den Distrikt Bayern der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland übergeben. Sie befinden sich seitdem im Freimaurermuseum in Bayreuth. Heuer konnten bereits etwa 203 Titel in 213 Bänden des Verlages Geca Kon an die Serbische Nationalbibliothek übergeben werden.
Im März 2013 erreichte die Arbeitsgruppe NS-Raubgutforschung ein gemeinsames Schreiben der ‚Großloge der Alten, Freien und Angenommenen Maurer von Österreich’ sowie der Loge ‚Zukunft’ Wien, das darauf hinwies, dass sich innerhalb des Bestandes der BSB während der NS-Zeit unrechtmäßig erworbene Buchtitel aus österreichischen Freimaurerbibliotheken befinden. Dieser Hinweis stieß eine umfangreiche Recherche an, um unrechtmäßig erworbene Freimaurertitel aus Deutschland und Österreich ausfindig zu machen.
Insgesamt konnten dabei 459 Titel freimaurerischer Literatur einem Tauschgeschäft mit der SS-Schule „Haus Wewelsburg“ während der NS-Zeit zugeordnet werden. Die in Westfalen gelegene Wewelsburg war zunächst als ‚Reichsführerschule’ geplant, später sollte dort ein zentraler Ort der ideologischen Selbstvergewisserung für die SS entstehen. Doch blieben die umfänglichen Baumaßnahmen unvollendet. Im Austausch gegen eigene Dubletten erhielt die Staatsbibliothek 1937/38 zahlreiche Bücher aus geraubten Freimaurerbibliotheken aus den Beständen des Reichssicherheitshauptamtes in Berlin. Mithilfe der teilweise überlieferten Erwerbungsakten sowie durch die Suche in den Masonica-Beständen der Staatsbibliothek konnten die Titel ermittelt werden. Vorbesitzer sind Logen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Mengenmäßig handelt es sich dabei um den größten Bestand an zu restituierenden Werken. Die Erschließung des Bestands wurde im vergangenen Jahr abgeschlossen, anschließend konnten die Werke durch Mittel des bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kultur digitalisiert werden. Um nämlich die Information für die Bibliotheksbenutzer zu erhalten, digitalisieren wir die zu restituierenden Bände nach Rücksprache mit den Vorbesitzern. Innerhalb dieses Bestandes von 459 Werken ließen sich die oben genannten 27 Bücher aus österreichischen Freimaurerbeständen ausfindig machen.
Mit der Suche nach geraubten Büchern und Handschriften in ihren Beständen versucht die Bayerische Staatsbibliothek, sich ihrer Verantwortung für ihre Verstrickung in NS-Unrecht auch öffentlich zu stellen. Wir betrachten dies als Teil der Erinnerungskultur, durch die Opfer des Nationalsozialismus wie Richard Schlesinger vor dem Vergessen bewahrt und die Nachgeborenen an das Unrecht und die Gewalt gemahnt werden, die jene erleiden mussten.
Zur Erinnerungskultur gehört auch, dass wir diese Bücher nicht einfach aus unserer Bibliothek verschwinden lassen, so dass unsere Nutzer auf dieses Kapitel unserer Bibliotheksgeschichte künftig nicht mehr stoßen. Vielmehr haben wir alle Bücher digitalisiert. Damit sind sie über unseren Bibliothekskatalog zugänglich – und in einer Fußnote wird die Provenienz des Bandes dargelegt und auf die Restitution hingewiesen.“
Zusammen mit den Büchern übergab die BSB der ‚Großloge von Österreich’ auch eine CD mit NS-Dokumenten, die sich auf Freimaurerbücher beziehen. Als Beispiel hier ein Brief der SS-Schule Wewelsburg in Westfalen an die Bayerische Staatsbibliothek aus dem Jahr 1936 (Bayerisches Hauptstaatsarchiv - 1268/16):
Provenienzforschung:
Auch ein Thema für die Wissenschaft
Ein Thema, das seit den Nullerjahren immer wichtiger geworden ist. 2012 beschäftigten sich WissenschaftlerInnen bei einem Symposion in Hannover damit. In dem darüber als Buch erschienen Bericht gibt es auch einen Artikel, den Stephan Kellner gemeinsam mit Susanne Wanninger von den Staatlichen Archiven Bayerns verfasst hat. Titel:
"Forschung nach NS-Raubgut in der Bayerischen Staatsbibliothek - Einem 'schlechten Geschäft' auf der Spur".
In dem Beitrag wird das Gefeilsche zwischen der Staatsbibliothek und den an den Büchern interessierten NS-Stellen anschaulich und im Detail geschildert: für die BSB letztlich ein "schlechtes Geschäft", wie diese schon damals feststellen musste.
Wir danken dem Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt/Main, und den beiden Autoren, dass wir die Passagen, die sich auf die Freimaurerliteratur (Seiten 66 bis 70) beziehen, hier als Faksimile wiedergeben dürfen.
Siehe auch
- Nazi Paul Heigl: Freimaurer-Helfer wider Willen
- Österreich
- 1938: Wie Hitler die österreichische Freimaurerei auslöschte
- Die "Stürmer-Bibliothek"
Links
- Die Bayerische Staatsbibliothek über ihre Restitutionen:
https://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/ns-raubgut - Bericht der BSB über die Restitution in Wien: https://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/freimaurerwien
- Provenienzforschung in der Österreichische Nationalbibliothek: http://www.onb.ac.at/about/21515.htm
- Die 'Großloge von Österreich': https://freimaurerei.at