Traktat: Die drei Freimaurerschläge

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Die drei Freimaurerschläge - Einheit von Glaube und Vernunft

Die Bedeutung der Begriffe Natura, Religio, Fortitudo für die Königliche Kunst

Von Dr. Irvin Krumnacker

Überall in der Welt, wo wir Freimaurer treffen, geben wir uns zu erkennen durch die drei Freimaurerschläge. Sie bedeuten die drei Grundursachen allen freimaurerischen Denkens und Tuns - nämlich Natur, Religion und Stärke, die wir in den alten Siegeln der Freimaurer mit den Buchstaben NRF, d.h. Natura, Religio und Fortitudo wiederfinden.

Betrachten wir diese 3 Begriffe näher, so erkennen wir zunächst in der Natur die mit unseren Sinnen wahrnehmbare und grundsätzlich verstehbare materielle Welt. Ihr steht die Religion gegenüber, d.h. die Welt des Glaubens, des Erkennens , des Wissens um die Ursachen und die letztlich unbeweisbaren Gesetze vom Werden und Vergehen dieser erfahrbaren Welt. Der dritte Schlag, der die Stärke versinnbildlicht, bezeichnet die bewirkende Kraft, die die Brücke schlägt von der sichtbaren zur unsichtbaren Welt und beide zu einer Einheit zusammenfügt.

Auf diese drei Grundgesetze freimauererischen Denkens und Handelns können wir viele Begriffe unserer Lehrart, aber auch die anderer freimaurerischer Lehrarten zurückführen.

Am ehesten ist uns der Vergleich des Begriffes Natur mit der Vernunft und den Wissenschaften möglich. Hier versammelt sich alles, was sinnlich wahrnehmbar ist, was gemessen und registriert werden kann, was man in empirischen Gesetzen niederlegen und für künftige Planungen und Taten nutzbar machen kann. Unter dem Begriff Natur kann man daher auch alles das subsummieren, was mit Leistung und Konsum, mit Stolz und Genuß, mit Herrschaft und Anerkennung zu tun hat. Mit der Religion wird es da schon schwieriger schlüssige Vergleiche und artverwandte Begriffe zu finden. In der Religio steckt etwas Nebulöses, etwas nur Erahnbares und Fühlbares, das sich indes mitunter zu Gewißheiten verdichten kann. Der Glaubende muß sich nun öffnen, muß eigene vermeintliche Sicherheiten aufgeben und sich den neuen Gewißheiten anvertrauen. Wenn er allein auf sich gestellt glauben soll, braucht er dazu viel innere Stärke - vielleicht zuviel - , die er nicht aufbringen kann. Also sucht er die ihm fehlende Stärke in der Gemeinschaft mit anderen, die gleich ihm glauben wollen , aber den Weg gewiesen haben wollen, den sie von ihren Erfahrungen über den gemeinsamen Glauben zur eigenen Gewißheit gehen sollen. Diese Sehnsucht nach Gewißheit - diese wahre Religio kollidiert seit Menschengedenken immer wieder mit den harten Realitäten der Natur, des materiellen Alltags, der aufgezwungenen Gewalt der Herrschaft. Und so wird die überragende Bedeutung des dritten und deshalb auch kräftiger gegebenen Schlages deutlich. Die Stärke in uns bedeutet nicht nur physische Kraft und Durchsetzungswillen.

Sie bedeutet darüberhinaus auch die wohlabgewogene Einsicht und den Willen, Natur und Religion zu verbinden, jeder Seite dieser einen Medaille die ihr zukommende Bedeutung zu lassen, ja das Materielle zugunsten des Spirituellen zurückzunehmen - und umgekehrt. Die Stärke bedeutet aber für uns auch die Liebe, die Nächstenliebe und die Bereitschaft zum eigenen Opfer für den anderen Nächsten oder die gemeinsame Sache.

An dieser Gedankenreihe sehen wir bereits, wie schlüssig die Tugenden und Laster, denen wir immer wieder auf unserem freimaurerischen Weg begegnen, auf diese drei Grundursachen zurückgeführt werden können. Verfolgen wir in einem kurzen historischen Abriß , wie immer dort, wo sich Natur und Religion, Vernunft und Glauben symbiotisch zu einer harmonischen Einheit verbanden, Glanzpunkte kultureller Leistungen entstanden; daß aber dort , wo der Glaube die Vernunft unterjochte -oder umgekehrt - historische Perioden der geistigen Verarmung , der kulturellen und sozialen Stagnation, ja sogar des Niedergangs und der Verwüstung die unausweichliche Folge waren.

Eines der herausragendsten Beispiele kultureller Höchstleistung durch die Einheit von Natur und Religion ist der Bau der Pyramiden und Grabanlagen im Alten Ägypten vor nun schon fast 5000 Jahren. Die aus den alten Naturreligionen und Mythen entstandene Weltschöpfungslehre wurde für die Ägypter zu der religiösen Gewißheit, daß der eine Schöpfergott Atum Himmel und Erde, die Natur und den Menschen sowie die Formen und Ordnungen dieser Welt allein aus seinem Geiste erschaffen hat. In ihren Sargtexten können wir noch heute die Worte lesen: “Was mir einleuchtete, war in meinem Herzen, was ich entwarf, vor meinem inneren Gesicht ... und es entstand eine große Menge: Gestalten von Gestalten und Gestalten von Nachkommen und Gestalten von deren Nachkommen“. In dieser Gewißheit von der Ewigkeit und Vollkommenheit des Universums und dem Wissen von der Unsterblichkeit der Toten, die das letzte Gericht bestanden haben, verbanden sie alle naturwissenschaftlichen Kenntnisse ihrer Zeit und erschufen in einer einzigartigen menschlichen Leistung 97 Pyramiden und unzählige steinerne Grabanlagen in einem Zeitraum von insgesamt 700 Jahren.

Ebenso standen auch 1500 Jahre später Religion und Natur gleichberechtigt nebeneinander. In der Blütezeit der Antike, zur Zeit des Perikles, als in Athen im Theater die Tragödien des Äschylos, Sophokles und Euripides im Wettstreit der großen Dichter aufgeführt werden, gerät der Held, der einen zunehmend freien Willen erhält, in einen unvermeidlichen, tragisch-schuldhaften Gegensatz zu den in den Göttern verkörperten heiligen Ordnungen und scheitert daran. Sichtbaren Ausdruck fand diese geistige Einheit von Individuum und Götterwelt - von natura und religio - in den uns allen bekannten wegweisenden Bauten , sowie in den für uns noch heute vorbildlichen Grundzügen politischen Handelns und sozialer Gesetzgebung.

Weitere 1200 Jahre später, zur Zeit der ersten Blütezeit des islamischen Kalifenreiches, das bereits von Spanien bis an die chinesische Grenze reichte, entstanden in Bagdad auf der Basis einer vom Kalifen Harun al Raschid planmäßig betriebenen Wissenschaftspolitik, die sich in vollkommener Übereinstimmung mit den Lehren des Koran befand, das Haus der Weisheit mit einer Übersetzerakademie und Lehrkrankenhäusern , in denen die antiken Schriften eines Aristoteles, Archimedes, Galen und Euklid ins Arabische übersetzt und ausführlich kommentiert wurden. Denn Mohammed hatte bereits erkannt, daß „die Tinte des Schülers heiliger ist als das Blut des Märtyrers“. Der berühmte arabische Historiker Ibn Chaldun hat in 3 Bänden diesen Weg der antiken Wissenschaften zum Islam beschrieben.

Diese ersten planmäßigen wissenschaftlichen Arbeiten haben 200 Jahre später in Cordoba die für das Abendland so wichtige Bearbeitung der antiken Schriften und ihre spätere Übersetzung ins Lateinische in den Übersetzerschulen von Toledo möglich gemacht. Schon damals war es das tiefempfundene Anliegen eines Avveroes und Maimonides, „Glauben und Vernunft zu versöhnen“.

Schließlich eröffnete in der Renaissance der sich von den Fesseln der Kirche und ihren Dogmen lösende Geist des Individuums, d.h. die Aufwertung der weltlichen gegenüber der kirchlichen Herrschaft das Zeitalter der Entdeckungen und der naturwissenschaftlichen Erforschung unserer Erde.

Doch zur gleichen Zeit können wir auch beobachten, welche Folgen die Disharmonie von Glauben und Vernunft hatten. Während im Abendland die Epoche der Renaissance aufblühte, geriet im Orient, der nun von den osmanischen Sultanen beherrscht war, und dessen wirtschaftliche Grundlagen durch die Verlagerung der Handelswege nach Asien stark geschmälert wurde, die einst so blühende Wissenschaft in Vergessenheit und in zunehmende Abhängigkeit von der Gängelung durch die orthodoxe islamische Geistlichkeit. Denn ein muslimischer Gelehrter hatte sich grundsätzlich in Übereinstimmung mit der Lehrmeinung der alten Autoritäten zu befinden; je älter die Erkenntnisse waren, desto weniger bedurften sie einer Korrektur - allenfalls war ein weiterer Kommentar erlaubt. Das von Allah geschaffene Universum, dessen Wesenskern von Mohammed erkannt und formuliert worden war, sollte in seinen Grundsätzen nicht angetastet werden. Und so ließ man lieber neue Forschungserkenntnisse fallen, als daß man alte Autoritäten geopfert hätte- genau von der Umkehr dieses Satzes lebt die heutige Wissenschaft

So nimmt es nicht wunder, daß 1796, als Napoleon mit seinen Soldaten und seinem Wissenschaftlerkorps in Ägypten auftauchte, dem Vizekönig Mechmed Ali klar wurde , welche enorme wissenschaftliche, soziale und wirtschaftliche Unterentwicklung die arabischen islamischen Völker gegenüber dem Abendland erfahren hatten.

Die Disharmonie zwischen Staat und Geistlichkeit, zwischen Vernunft und Religion hatte im islamischen Bereich zu einem gleichgültigen, gegeneinander abgeschotteten Nebeneinander über einen Zeitraum von 400 Jahren geführt. Auch im Abendland setzte sich nach dem 30-jährigen Krieg mit der Verkündung der Religionsfreiheit der in der Renaissance begonnene Trennungsprozess von Weltlichem und Religiösem verstärkt fort und erreichte in der Säkularisationswelle während der Französischen Revolution einen ihrer Höhepunkte. Der zu Beginn des 19.Jhds. bedeutende Historiker Toqueville schrieb über das Sendungsbewußtsein der Europäer am Ende des 18.Jhds. folgende treffenden Worte : „Sie - die Freiheit - ist selbst zu einer Art Religion geworden, zwar einer unvollkommenen Religion, ohne Gott, ohne Kult, und ohne jenseitiges Leben, die aber nichtsdestoweniger wie der Islam die ganze Erde mit ihren Kämpfen, ihren Aposteln und ihren Märtyrern überflutet hat“.

Diese Disharmonie von Glauben und Vernunft führte im Abendland zwar zu einer rasanten Fortentwicklung der Naturwissenschaften, der technischen Leistungen und wirtschaftlichen Erfolge. Doch von nun an diktierte die Vernunft der materiellen Staatsinteressen das weitere Geschehen, das dann logisch und tragisch in den Trommelfeuern von Verdun und in den Gaskammern von Auschwitz seine schrecklichen Höhepunkte erreichte.

Es war daher unausweichlich, daß auf diese verheerenden Folgen einseitiger Entwicklungen das Pendel zurückschwingt ; im Orient z.Zt. in Richtung auf eine Reislamisierung, die sich uns als islamischer Fundamentalismus mit all seinen Folgen fast täglich präsentiert; im Abendland in die Richtung einer zunehmenden Abwendung von den immer weltlicher gewordenen Kirchen und die Hinwendung zu religiösen Sekten und Erlösungsgemeinden. Dies kann als ein Indiz für die Unsicherheit der Menschen in ihrer Umwelt, ihren Mitmenschen und ihrer Zukunft gegenüber verstanden werden ; sie ist ein Indiz dafür, daß diese Menschen keinen Halt mehr finden an metaphysischen , an religiös fundierten Glaubenswahrheiten und daß ihr Grundbedürfnis nach einer organischen Einheit von Glauben und Vernunft nicht mehr befriedigt wird.

So leben auch wir Freimaurer derzeit inmitten einer Unordnung unserer Gesellschaft und Lebenswelt. Wir sollten aber erkennen, daß unser freimaurerisches Gedankengut einen geistigen Grundstock bieten, der in der Lage ist, auf die immer dringenderen Fragen unserer Gegenwart und Zukunft Antworten zu geben. Dabei sollten wir auch die Notwendigkeit des Gleichgewichtes zwischen den beiden gleichstarken Säulen Natura und Religio, d.h. des realitätsbezogenen humanistischen Ideals und der ideellen spirituellen Gewißheiten beachten. Was sagen wir Suchenden , die bei ihrer Kirche keinen Halt mehr finden und meinen, diesen Halt bei uns finden zu können? Was sagen wir Suchenden, die uns nach den Unterschieden zu den anderen freimaurerischen Lehrarten fragen und was zu den Brüdern, die die Fragen nach einer gemeinsamen Großloge aller deutschen Lehrarten aufwerfen?

Es macht m.E. wenig Sinn, nur die rhetorische Frage in den Raum zu stellen, warum unsere Söhne, geschweige denn andere junge Männer nur vereinzelt den Weg zu uns finden. Wir sollten uns vielmehr auf den tiefen Sinn und die seit Jahrtausenden in vielen Kulturen bestätigten Grundwahrheiten des Glaubens an Gott, an die Ordnung des Universums und die ewige Gültigkeit ethischer Normen - wie sie auch in den Alten Pflichten der Freimaurer seit mehr als 250 Jahren niedergelegt sind, besinnen und sie neu formulieren - in einer Sprache, die heute verstanden wird, die sich mit den Realitäten und Themen unserer Gegenwart auseinandersetzt und die geeignet ist, in den Menschen, die uns zuhören, ein neues Vertrauen aufzubauen.

Keine andere Handlung innerhalb unseres freimaurerischen Weges ist so einprägsam und so bedeutend wie das dreimalige Klopfen. Wenn wir nur ab und zu uns dabei erinnern, welcher tiefere Sinn sich damit verbindet, welche Aufgabe uns dabei immer wieder gestellt wird - nämlich Glaube und Vernunft gleichberechtigt durch unsere Willensstärke zu vereinen und durch die Liebe nach außen zu tragen – dann werden wir unsere Aufgabe als Freimaurer vor unserem Großen Baumeister aller Welten nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt haben.

Irvin Krumnacker