Philosophie

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Philosophie

Quelle: Internationales Freimaurer-Lexikon von Eugen Lennhoff und Oskar Posner (1932)


im wörtlichen Sinne Weisheitsliebe, erstrebt auf der einen Seite die systematische Zusammenfassung und Ergänzung der Einzelwissenschaften, auf der andern, insbesondere im metaphysischen Teil, sucht sie die Lösung des Weltratsels, Antwort auf die letzten Fragen und steht in dieser Hinsicht in gewisser Analogie zur Religion (s. d.). Auch die P. beruht auf dem Trieb nach Vereinheitlichung der Erfahrung, nach Vereinfachung der verwirrenden Mannigfaltigkeit der Welt, doch ist die Vernünftskomponente hier starker als bei den Religionen, die ihr Lehrgebaude rein gefühls mäßig errichten. Es gibt keine allgemeingültige Definition der P., da sie etwas ewig Werdendes ist. Demgemäß ist auch ihr Bestand Änderungen unterworfen. Ursprünglich waren P. und Religion eins, später bildeten dann Metaphysik Erkenntnistheorie (s. d.) und Ethik (s. d.; die reine P. Hierzu kam dann die angewandte P. als Rechts-, Religions-, Geschichts-, Gesellschafts-P. usw., neuerdings auch die Lebens P. Der Ursprung der P. ist subjektiv, der Wille zur Erkenntnis führt zu ihr wie der Wille zum Glauben zur Religion. ,,P. ist ein Temperament, gesehen durch ein Weltbild" (Himmel). ,,Was für eine P. man wahle, hängt davon ab, was für ein Mensch man sei, denn ein philosophisches System ist nicht ein toter Hausrat, den man ablegen der annehmen könnte, wie es uns beliebt, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der sie hat" (Fichte) . ,,P. ist stets die Theorie eines Lebens, nicht des Lebens im allgemeinen" (F. C. S. Schiller, Oxford). Vor Kant (s. d.) war die P. mit wenigen Ausnahmen metaphysisch-dogmatisch, ein ,,intellektuelles Spiel". Kant brach das Primat der Vernunft und verhalf dem Willen zu seinem Rechte, insbesondere auf ethischem Gebiete (s. auch Sittengesetz, Sittlichkeit). Er überwand den Skeptizismus (s. d.) und den dogmatischen Rationalismus (s. d.), faßte die P. als Begriffswissenschaft von den Prinzipien des Erkennens und Handelns auf. Er raumte vor allem mit der dogmatischen Metaphysik (s. d.) auf und bezeichnete diese als eine Wissenschaft von den Grenzen der menschlichen Vernunft, deren Aufgabe es ist, Irrtümer vom Denken fernzuhalten, nicht aber Erkenntnis hinsichtlich des ,,Absoluten" zu geben. Die P. hat in seiner Auffassung eine Grundfrage: ,,Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?" Durch sein Wirken gewann die P. an Lebensnahe, indem sie auf kanstliche Systeme verzichtete, die Vernunfts- und Geffühls dogmen durch Postulate der Vernunft ersetzte. Seine Tendenzen ausbauend, stellte die neuere P. auch das Gefühl in ihren Dienst und überbrückte hierdurch die Kluft zwischen Wissen und Glauben. In diesem Sinne bezeichnet Wundt als Zweck der P.: ,,Unsere Einzelerkenntnisse zu einer die Forderung des Verstandes und die Bedarfnisse des Gemütes befriedigenden Welt- und Lebensanschauung" zusammenzufassen. Rudolf Eisler (Handwörterbuch der philosophischen Begriffe) sagt, daß die P. eine wissenschaftliche Synthese ,,der wissenschaftlichen Grundbegriffe und Ergebnislose zu einer einheitlichen, logisch-widerspruchs losen, den Postulaten des Denkens, der Phantasie, des Gemüts gerecht werdenden Welt- und Lebensanschauung" erstrebt. ,,Die P. muß von der sinheitlichen Natur des Menschen ausgehen und nach deren volligen Befriedigung streben"

(Schiller, Oxford). Müller - Freienfels unterscheidet zwischen Wissenschafts- und Lebens-P. Letztere ,,sicht in der Wissenschaft nur eine Form des Lebens. Sie ist mehr als Erkenntnis, sie ist selbst Leben." Die P. soll ,,der Lebenserhaltung, Lebenssteigerung dienen, nicht die absolute Wahrheit entschleiern. Das Denken soll unserm Wollen das natzlichste Ziel weisen und uns Kraft verleihen, Mittel in die Hand geben, um sie zu verwirklichen. Die Welt ist ihrem Wesen nach Leben und nicht reines Denken" (James). Die moderue P. will in diesem Sinne eine ,,P. für jedermann" sein. Kant hinterließ mit dem Begriff des ,,Ding an sich", das zwar nicht erkennbar, aber dennoch existierend ist, im Denken eine Spur des Absoluten, des Dogmatischen. Die neue P. entfernt auch diesen letzten Rest, der eine Kluft zwischen ,,reiner" und ,,praktischer" Vernunft hervorrief, indem die reine Vernunft Ideen ablehnt, an die die praktische aus lebenswichtigen Gründen dennoch glauben muß. Die neue P. zeigt, daß das Denken im allgemeinen fiktiv ist, das die Fiktionen (s. d.) das Sein wohl niemals wirklich erfassen, aber trotzdem Handhabe zur Naturbeherrschung bieten konnen. Die Dogmen jeglicher Art in der Religion, Wissenschaft, Gemeinschaftsleben usw. sind Fiktionen. Das moderue Denken laßt Erfahrung und darüber hinausgehend auch Ideale, deren Realität in ihrer Wirkung besteht, gleicherweise gelten.

Die Stellung der Freimaurerei zur P. ist ähnlich wie die zur Religion. Sie läßt alle P. gelten; sie selbst ist keine fest umrissene philosophische Lehre und hat auch keine allgemein anerkannte P. Jede P. ist mehr oder minder ein System, und in diesem Sinne ein Dogma. ,,Freimaurerische Philosophie ! Das klingt wie eine contradictio in adjecto" (Wolfstieg, ,,Die Philosophie der Freimaurerei"). ,,Die Freimaurerei beteiligt sich nicht am Streite der philosophischen Lehren" (Heinichen ,,Die Grundgedanken der Freimaurerei im Lichte der Philosophie"). ,,Denn die Toleranz, welehe die Freimaurerei auf ihre Fahne schrieb, gestattet keine Festlegung ihrer Mitglieder auf ein geschlossenes System" (Wolfstieg). Die Freimaurerei verfügt ,,über keinen hauptamtlichen Wissenschaftler wie die Kirche" (Schenkel, ,,Die Freimaurerei im Lichte der Religions- und Kirchengeschichte") ein Umstand, der die Präzisierung ihres Standpunktes der P. gegenüber erschwert, zumal, obwohl das Ritual und die Symbolik allenthalben ungefähr gleich, die Ausdeutung dieser und die Praxis der Freimaurereien der verschiedenen Lander dennoch Große Unterschiede aufweist. Überdies wird die Freimaurerei von den jeweiligen philosophischen Strömungen mehr beeinflußt als die Bewegungen mit dogmatischer Grundlage. In ihren Anfängen war sie sichtlich dem Einfluß der Stoa, des Deismus und des Rationalismus ausgesetzt doch blieb sie da keineswegs stehen. Ihre Grundeinstellung, aus der ihr Verhalten gegenüber den Problemen der Welt und des Lebens ableitbar, war und bleibt immer im Grunde relativistisch (s. Relativißmus). Sie ist eine Bewegung, die relativistisch eingestellte Menschen zur Forderung des Humanitätsideals zusammenzufassen trachtet.

Dem Umstand, daß die Freimaurerei sich keiner dogmatischen Auffassung anschließt, ist es wohl zuzuschreiben, daß ihre Philosophen, mit Ausnahme von Krause (s. d.), Fichte (s. d.), Seydel (s d.) und Caspari (s. d.), keine Fachgelehrten im zunftmäßigen Sinne waren. Lessing (s. d.), Herder (s. d.) und Goethe (s. d.) waren Dichter und Denker. In den freimaurerischen Schriften all dieser Autoren handelt es sich eher um eine Klarlegung der Ziele der Freimaurerei (die in Ermangelung einer dogmatischen Lehre zu Beginn nicht allzu deutlich zutage traten) und um die Erörterung der sozialen Funktion und der Existenzberechtigung der Bewegung, als um eine umfassende philosophische Untersuchung des ganzen freimaurerischen Ideen komplexes und um eine klare Abgrenzung gegen andere Bewegungen mit ahnlichen Zielen. Unter P. der Freimaurere ist im Grunde niemals eine systematische philosophische Lehre zu verstehen, sondern Versuche, die die Freimaurerei als Bewegung und Idee mit den jeweiligen Ergebnissen des philosophischen Denkens in Einklang bringen wollen. Eine kodifizierte, philosophische Lehre der Freimaurerei wurde nirgends niedergelegt, auch in den Gründungsurkunden nicht. Wenn man dennoch von einer P. der Freimaurerei spricht, so ist darunter ein Veranderungen unterworfener Ideen komplex zu verstehen, der aus den Gebräuchen, Symbolen, Ritualen, aus der ganzen Praxis der Freimaurerei induktiv herausgearbeitet wird. Auf die in diesem Sinne aufgefaßte freimaurerische P. hatte zweifelsohne Kant (s. d.) den Großten Einfluß, obwohl er selbst kein Mitglied des Bundes war. Mit ihm setzt die philosophische Bewegung ein, die den Dogmatismus jeglicher Art ablehnt und folglich dem freimaurerischen Fuhlen und Denken nahesteht. Seine Ideen wurden durch die neuere Philosophie, insbesondere Neuhumanismus, Pragmatismus (s. d.) und Als-Ob-P. (s. d.) weitergeführt. Diese Lehren sind der Freimaurerei in vielen Belangen wesensverwandt, insbesondere ihr relativistischer Wahrheitsbegriff (s. Wahrheit, Relativismus), der jeglicher Intoleranz den Boden entzicht und der Duldsamkeit zum Siege verhelfen will, ihr Streben nach Harmonie, ihre humanistischen Tendenzen. Eine Durcharbeitung der freimaurerischen Ideologie im Lichte dieser P. könnte zwar auch nicht zu einem für immer feststehenden System führen, aber vielleicht einen philosophischen Unterbau der Freimaurerei zustande bringen, der, auf die bestehenden Unterschiede innerhalb der Bewegung in vollem Maße Rücksicht nehmend, dennoch zu einer einheitlichen Gesamtanschauung der Freimaurerei in philosophischer Hinsicht gelangen konnte. P. der Freimaurerei ist in diesem Sinne im Grunde noch eine ungelöste Aufgabe. Nicht unerwähnt sei der sehr verdienstliche Versuch von Otto Heinichen, der in seinem Werk: ,,Die Grundgedanken der Freimaurerei im Lichte der Philosophie" die Hauptprobleme der Freimaurerei in der Beleuchtung der P. von Kant, Marcus, Lotze, Driesch und Spranger untersucht, um ihre Stellung zu den Problemen der Religion, der Unsterblichkeit, der Ethik, der Freiheit wissenschaftlich herauszuarbeiten.

Ähnlich wie die Einstellung der Freimaurerei zur P. als Ganzem ist ihr Verhältnis zu den philosophischen Teildisziplinen, zur Metaphysik, zur Erkenntnistheorie (s. d.) und Ethik (s. d.). Sie lehnt auch hier jeglichen Dogmatismus, daher auch den dogmatischen Unglauben, den Skeptizismus (s. d.), ab und nimmt im allgemeinen den Standpunkt des Kritizismus (s.d.), Relativismus (s. d.) und Eklektizismus (s.d.) ein. Auch diesbezüglich gilt das in bezug auf die P. im allgemeinen Gesagte. Die Freimaurerei hat in diesen Fragen ebenfalls keine amtliche Stellungenahme; ihre Einstellung muß aus ihren Gebrauchen. Ritualen, aus ihrer ganzen Praxis induktiv herausgearbeitet werden. Auch in diesen Belangen bestehen zwischen den Freimaurereien der einzelnen Lander bei gleichem Ritual und identischen Symbolen Große Unterschiede. Die dogmatische Metaphysik, die im Übersinnlichen im ,,Ding an sich" die Losung des Welträtsels zu finden wahnt, lehnt sie ab; genauer gesagt überlaßt sie es ihren Anhängern, an derartige Lehren zu glauben, zumal diese Dogmen nicht widerlegbar sind, sondern nur abgelehnt oder angenommen werden konnen. Sie steht in ihren Auffassungen der kritischen Metaphysik nahe, die, von den Einzeldieziplinen ausgehend, eine erkenntnistheoretisch fundierte Allgemeinsynthese zu bilden versucht. Die Masse der Freimaurer lehnt die extreme Form des metaphysischen Monismus (s. d.) und Materialismus (s.d.) ab, neigt in gewisser Hinsicht zur dualistischen Auffassung (s. Dualismus) und ist spiritualistisch (s. Spiritualismus), indem sie an eine aktive Rolle des Geistes im Weltengeschehen glaubt. In theologisch-metaphysischer Hinsicht weist sie den dogmatischen Atheismus (s.d.) und Theismus (s.d.) ab, laßt den idealistischen Pantheismus (s. d.) und den Panentheismus (s.d.), wie alle Religionen, gelten und nimmt selbst im Grunde den Standpunkt des moralischen Theismus ein. (Über das Verhältnis der Freimaurerei zur Relegion s. Religion, zur Unsterblichkeit s. Unsterblichkeit, zum Gottesproblem s. A.B.a.W.) Bezüglich des metaphysischen Freiheitsproblems (s. Freiheit, Determinismus, Indeterminismus) lehnt sie den dogmatischen Determinismus ab, glaubt im Sinne Kants an eine sittliche Freiheit und will den Geltungsbereich des Kausalgesetzes auf die Natur beschränkt wissen. Die Freimaurerei schatzt die Leistungen der Erkenntnistheorie sehr hoch ein, doch negiert sie den Standpunkt des dogmatischen Rationalismus (s. d.), Sensualismus (s. d.), Intellektualismus (s. d.) und Empirismus (s. d.), ist der Anschauung, das die Naturwissenschaften von der Erfahrung ausgehen müssen und die Verarbeitung der Wahrnehmungen rein verstandesmäßig vor sich zu gehen hat, daß es aber auch außerintellektuelle Möglichkeiten der Erkenntnis (Intuition usw.) gibt. Sie ist auch nicht einseitig voluntaristisch. Der Wille ist ihrer Ansicht nach wichtiger psychologischer Faktor, doch keinesswegs der einzige. Sie anerkennt aber die wichtige Rolle, die der Wille in der Form des Pflichtbewußtseins spielt, das das Streben nach Selbstbeherrschung und Selbstveredlung ermöglicht. Bezüglich des Gegenstandes der Erkenntnis laßt sie den Standpunkt des extremen Realismus (s. d.) und Positivismus (s. d.) allein nicht gelten, obwohl sie einsieht, daß nur diese dem exakten Wissen eine verläßliche Grundlage bieten konnen. Sie neigt in dieser Hinsicht zum Idealismus (s.d.) und idealistischen Positivismus, der Tatsachen und Ideale gleicherweise gelten läßt.

In bezug auf die Ethik nimmt sich die Freimaurerei nicht das Recht heraus, den ewigen Streit der verschiedenen wissenschaftlichen Richtungen hinsichtlich des Ursprungs und der Ziele dieser Disziplin zu entscheiden. Eine rein rationale Ethik ist ihrer Ansicht nach ebenso dogmatisch wie eine rein gefühlsmäßige. Sie neigt diesbezüglich zur eklektischen Anschauung, derzufolge die Sittlichkeit aus vielen Quellen fließt (s. auch Sittlichkeit, Sitten gesetz). Sie lehnt den dogmatischen Nüzlichkeitsstandpunkt des Utilitarismus (s.d.) sowie den Hedonismus (s. d.) in seiner krassen Form ab und verficht die Meinung, daß Nützlichkeit und Lust nicht die ausschließlich bestimmenden Faktoren des sittlichen handelns sind, daß auch hohere Werte einen Einfluß in ethischer Beziehung haben. In der freimaurerischen Ethik spielen wohl eudämonistische Momente eine gewisse Rolle, doch faßt sie das Glück nicht im rein materiellen Sinne auf. Sie ist weder pessimistisch noch optimistisch im dogmatischen Sinne, sondern erklärt, daß die Welt und die Menschen wohl nicht volkommen, jedoch vervollkommnungefähig sind (s. Meliorismus, Perfektionismus). Die Freimaurerei steht in Dingen der Ethik im Großen und ganzen den Auffassungen Kants nahe. Der Zentralbegriff ihrer ethischen Anschauung ist das Pflichtbewüstsein, das Sittengesetz (s. d.). Sie steht zur extremen Form des Egoismus (s. d.) und Individualismus (s. d) im Gegensatz, ist im Grunde sozialindividualistisch eingestellt, indem sie in der Methode (der Erziehung der Persönlichkeit) individualistisch, in ihrer Zielsetzung hingegen sozial eingestellt ist. Sie erhebt jedoch ihre ethischen Postulate nicht zum Dogma. Sittengesetz, sittliche Freiheit sind in ihrer Auffassung daher im Grunde Fiktionen.

Zusammenfassend kann festgestellt werden: die Freimaurerei will ihren Mitgliedern keine geschlossene, einheitliche Weltanschauung (s. d.) aufzwingen, da eine solche immer mehr oder minder dogmatisch sein müßte. Sie überlaßt es jedem Br-, im Rahmen der Forderungen des Sittengesetzes, der sittlichen Freiheit, des Forschritts und des Humanitätegedankens seine eigenen Anschauungen zu betätigen.