Franz Michael Felder
Vorarlberger Bauer, Schriftsteller und Sozialreformer im 19. Jahrhundert. Von Rudi Rabe.
Franz Michael Felder hatte Kontakte zu Freimaurern, er selbst war aber höchstwahrscheinlich in keiner Loge. Sein Schicksal ist für das Freimaurer-Wiki dennoch interessant, weil er ein Beispiel dafür ist, wie fortschrittlich orientierte Menschen früher von ihrer konservativ-reaktionären Umgebung als Freimaurer „verunglimpft“ werden konnten.
Felder war Bergbauer in Schoppernau im hinteren Bregenzerwald im österreichischen Vorarlberg. Er lebte von 1839 bis 1869. Er las viel, unternahm Bildungsreisen (zweimal Leipzig), schrieb Zeitungsartikel und mehrere Bücher, und er war in seiner bäuerlichen Heimat als Sozialreformer tätig: Eines der wichtigsten Exportgüter seiner Region war Käse. Um das Handelsmonopol der sogenannten ‚Käsgrafen’ (= Käsehändler) zu brechen, gründete er einen Genossenschaft; ebenso eine Viehversicherung.
Dies und seine aufgeklärten Schriften trug ihm in seiner Umgebung die Feindschaft der Katholisch-Klerikalen und der Käsgrafen ein. Die Speerspitzen einer sich steigernden Anti-Felder-Hetze waren der Schoppernauer Pfarrer Georg Rüscher und der Käsehändler Gallus Moosbrugger. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen. Die Gegner Felders „brandmarkten“ ihn und seine Mitstreiter als von Freimaurern bezahlte Aufwiegler oder gleich als ‚gottesleugnende Freimaurer’, eine „Wunderwaffe“, nachdem „das jedem Denkenden nachgeworfene Wort lutherisch seine furchtbare Spitze verloren hatte“ (Felder in einer seiner Schriften).
Felder verarbeitete seine diesbezüglichen Erfahrungen in mehreren Veröffentlichungen, vor allem auch in seinem Roman ‚Sonderlinge’. Ebenso seine Einstellung zur Freimaurerei, die man als freundlich-ambivalent bezeichnen könnte. Mehr als einmal traf er sich mit Freimaurern, vor allem in Leipzig, wo man die ‚Sonderlinge’ bewundernd zur Kenntnis nahm und sogar in Logenarbeiten darauf einging.
In folgenden geben wir eine wissenschaftliche Arbeit über diesen Themenkomplex wieder: Ulrike Längle, die Leiterin des Felder-Archivs in Bregenz/Vorarlberg, beschäftigt sich mit der Frage, ob Felders Roman ‚Sonderlinge’ ein Freimaurerroman ist. Zum ersten Mal wurde der Text in dem 2011 im Böhlau-Verlag erschienen Buch ‚Franz Michael Felder (1839 – 1869) – Aspekte des literarischen Werkes' gedruckt.
Frau Längle erlaubte dem Freimaurer-Wiki, ihre Arbeit online zu stellen. Dafür bedanken wir uns sehr herzlich.
Inhaltsverzeichnis
Ulrike Längle: Felders ‚Sonderlinge’ – ein Freimaurerroman?
Freimaurer haben Konjunktur in der Unterhaltungsliteratur: Nach seinem Weltbestseller ‚The Da Vinci Code’ (‚Das Sakrileg’) von 2003 hat der amerikanische Autor Dan Brown 2009 mit ‚The Solomon Key’ einen weiteren Roman auf den Markt geworfen, in dem es um Freimaurer, die amerikanische Verfassung und um eine weltumspannende Verschwörung geht. Felders Roman ‚Sonderlinge’, 1867 in Leipzig als eine von 852 belletristischen Neuerscheinungen dieses Jahres im deutschen Sprachraum erschienen, war bei weitem kein Bestseller, die Auflage lag bei circa 800 Stück. Der Begriff „Freimaurer“ spielte aber sowohl bei der Produktion als auch in der Rezeption des Romans eine wichtige Rolle. Es geht darin nicht um den tatsächlichen, auch damals schon geheimnisumwitterten und von der katholischen Kirche verfemten Bund der Freimaurer, es geht auch nicht um Mitglieder dieser Vereinigung. Der Begriff „Freimaurer“ als Kampfbegriff des Pfarrers und der Dorfgemeinschaft gegen fortschrittliche Andersdenkende und als Bezeichnung für deren Weltanschauung spielt aber in den ‚Sonderlinge’n eine so wichtige Rolle, dass der Roman hier als „Freimaurerroman“ bezeichnet wird, allerdings mit Fragezeichen. Das Erscheinen des Romans im April 1867 fiel zudem in eine Zeit, als einerseits die Bekanntheit Felders im deutschen Sprachraum, andererseits die Hetze gegen ihn im Bregenzerwald zu einem ersten Höhepunkt gelangten. Bei diesen und auch späteren Verfolgungen spielte der Begriff „Freimaurer“ ebenfalls eine herausragende Rolle. Rezipiert wiederum wurde der Roman aber auch von den Freimaurern, ein Thema, das die Forschung bisher kaum beachtet hat, genauso wie eventuell doch vorhandene Beziehungen Felders zur Freimaurerei. Auf all diesen Ebenen soll im folgenden der Freimaurerthematik im Zusammenhang mit den ‚Sonderlingen’ nachgegangen werden.
1. Die Freimaurerthematik im Roman
Der Titel
Ursprünglich waren die späteren ‚Sonderlinge’ schon durch ihren Titel als Freimaurerroman markiert: Am 7. Januar 1863 schrieb Felder an Kaspar Moosbrugger von einer zweiten literarischen Arbeit, seinem „’Dorf-Freimaurer’“,[1] ohne dass diese Titelwahl irgendwie begründet worden wäre. Am 13. Mai schienen ihn bereits Zweifel an der Wahl des Titels befallen zu haben: „Die letzte Zeit her habe ich Arbeit im Felde gehabt, und daher ist mein Dorf-Freimaurer, oder wie er heißen wird, nicht mehr vorwärts gekommen.“[2] Am 22. Mai erfährt man zum ersten Mal etwas über die inhaltliche Ausrichtung des neuen Werkes. „Ich schrieb lange, vor der Kapelle sitzend, an meinem Dorf-Freimaurer [...] den Geistlichen wird der Roman schwerlich gefallen, doch für die ist er auch nicht geschrieben, und doch könnten gerade die am meisten daraus lernen, wenn sie – zum Lernen nicht zu alt wären.“[3] Am 9. Juli schließlich heißt es: „Alles vergeht, nur meine Freude am Dorf-Freimaurer und meine Liebe zu Dir nicht.“[4]
Im Jänner 1864 verwendete Felder dann zum ersten Mal den neuen Titel ‚Sonderlinge’ neben dem alten: „Ich habe die letzte Zeit nur wenig getan, aber viel gelernt und im Jahre 64 werde ich die ‚Sonderlinge’ (Freimaurer) fortsetzen und, so Gott will, vollenden [...].[5] Am 28. April berichtete er Moosbrugger, er habe „das am Freimaurer Zusammengesudelte wieder umgearbeitet“,[6] dann verschwindet der Freimaurer-Titel und wird nie mehr erwähnt. Felder schickte das abgeschlossene Manuskript des ersten Teils im Juli 1865 mit dem neuen Titel ‚Sonderlinge’ an Moosbrugger; in seiner ausführlicher Antwort vom 25. Juli ging dieser ebenfalls mit keinem Wort auf die Freimaurer-Thematik ein.[7]
Warum Felder den ursprünglichen Titel ‚Der Dorf-Freimaurer’ aufgegeben hat, kann nur vermutet werden. Ideologisch war er jedenfalls viel deutlicher markiert als das spätere Sonderlinge. Durch die Titeländerung wird der Fokus auch von der einen Hauptfigur Sepp weg auf eine ganze Reihe von Romanfiguren gelenkt, die als „Sonderlinge“ bezeichnet werden, zu denen Sepp aber ebenfalls gehört. ‚Der Dorf-Freimaurer’ hätte zudem schon im Titel an die Gattung der Dorfgeschichte erinnert, was Felder im Hinblick auf erhoffte größere Publizität durch den neuen, renommierten Verlag in Leipzig vielleicht vermeiden wollte.
Fußnoten: [1] Felder, Werke 5, 46. - [2] Ebd. , 59. - [3] Ebd. , 81. Gemeint ist damals noch der – im Gegensatz zum späteren fanatischen Felder-Gegner Johann Georg Rüscher – als tolerant geltende Dorfpfarrer Alois Stockmayr. - [4] Ebd. , 86. – [5] Ebd. , 109. – [6] Ebd. , 113. – [7] Der Titel Sonderlinge stammt aus einem Zitat von Bentzel-Sternau, das Felder auf Anraten Moosbruggers wieder gestrichen hat :„Laß die Sonderlinge in Frieden, Menschentroß! denn es wäre doch wahrlich sonderbar, wenn das Dorngebüsch mit den Eichstämmen rechten wollte, daß sie einen festen selbständigen Wuchs himmelan treiben.“ (Felder, Werke 7, 129). Felder kam es hier wohl auf das Bild vom „festen, selbständigen Wuchs“ für seine Romanhelden an, die Frage ist nur, ob dieses Motto nicht auch eine unterschwellige politische Botschaft beinhaltete. Karl Christian Ernst Graf von Bentzel(oder Benzel)-Sternau (1767 Mainz – 1849 Mariahalden am Zürichsee) war ein Politiker, „seit 1806 Innenminister im Großherzogtum Baden, 1812 Staatsminister und Finanzminister in Frankfurt“ und „humoristischer Schriftsteller“ (Felder, Werke 7, 129f.) im Stile von Jean Paul. Was Methlagl in seinem Kommentar verschweigt, ist die Tatsache, dass Bentzel-Sternau 1827 gemeinsam mit seinem Bruder vom Katholizismus zum Protestantismus übertrat, was „Aufsehen erregte“ (Badische Biographie I, (Heidelberg 1875), 72f.) und dass er „als liberaler, engagiert für die Demokratie eintretender Abgeordneter“ in die politischen Auseinandersetzungen Süddeutschlands eingegriffen hat. (Artikel Bentzel-Sternau in: Literatur-Lexikon. Hg. von Walther Killy. Bd. 1 (Gütersloh/München 1988), 430). In unserem Zusammenhang nicht uninteressant ist die Tatsache, dass Bentzel-Sternau einen ungedruckten Roman Der Meister vom Stuhle (Badische Biographie, a. a. O., 73) hinterlassen hat. Ob er selbst Freimaurer war, konnte ich nicht eruieren, sein zeitweiliger Dienstherr, der Reichsfreiherr, Erzbischof und Großherzog von Dalberg, war jedenfalls einer.
Die Figur des „Freimaurers“ Sepp
Auch wenn der Roman schließlich nicht mehr ‚Der Dorffreimaurer’ hieß, behielt Felder doch die Überschrift für das dritte Kapitel bei, das „Der Freimaurer“ lautet und in dem einer der Protagonisten, der reiche und fortschrittliche Bauer Sepp, vorgestellt wird, der von den Dörflern und vom Pfarrer als „Freimaurer“ beschimpft wird. Sepp, ursprünglich wie sein Vater ein armer Nagelschmied und sozialer Außenseiter, ist in seiner Jugend in die Schweiz ausgewandert und dort zu Vermögen gekommen, hat sich wieder im Dorf angesiedelt, scheinbar wertlosen Grund aufgekauft und durch Düngen und Arbeit fruchtbar gemacht und ist so noch reicher geworden. Er ist belesen, besitzt Bücher und hält sich einiges auf seine Bildung zugute. Ideologisch ist er ein Aufklärer josephinischen Zuschnitts[8] und Rationalist, kritisch in Religionsfragen, etwa abergläubischen Volksbräuchen gegenüber und lässt nur Vernunft, aber kein Gefühl gelten; seine Erfahrungen haben ihn zum Menschenkenner, aber auch zum Menschenfeind werden lassen. Seine geistige und materielle Unabhängigkeit machen ihn unempfindlich gegen die öffentliche Meinung, sodass er als einziger im Dorf immer offen seine Meinung sagt, ja er fühlt sich seinen Dorfgenossen gegenüber eindeutig überlegen.
Sein Hauptgegner ist der Pfarrer, der ihn in einer Hetzpredigt anprangert und so von den übrigen Dorfbewohnern isoliert, obwohl er ein Wohltäter der Armen ist und ihnen immer wieder mit Geld und Darlehen aushilft. Ausgangspunkt für diese Predigt ist die aufgeklärte Meinung von Sepp über die Hölle, die er für ein von der Kirche erfundenes Schreckensszenario zur Disziplinierung der Gläubigen hält.[9] Er wird beim Pfarrer denunziert, der, ohne seinen Namen zu nennen, eine Predigt gegen ihn hält, die in den Worten gipfelt: „’Wer noch einen Funken Religion hat, der flieht solche Teufelsdiener, solche Brautwerber für des Teufels Großmutter, solche verfluchte Köpfe ärger denn die Pest, denn er weiß, dass sie mit dem Teufel im Bunde stehen."[10] Später fasst Sepp seine religionskritischen Ansichten und seine Erfahrungen mit dem Pfarrer so zusammen: „’Ich glaubte auch zu wissen, woran es fehle; ihre Religion war Form, heuchlerisches Wesen, träge Ergebenheit in Gottes Willen und dummer Aberglaube. Nun glaubte ich dagegen kämpfen zu dürfen, ohne dass ich dem wahren Christentum schaden würde. Und noch jetzt halte ich es für ein schlechtes Zeichen, dass der Pfarrer anderer Meinung war. – Mit jener Predigt hat er mich ausgestoßen aus der Gemeinde, das Band zerrissen, welches mich an die anderen knüpfte, an die, von denen ich Gutes empfangen, denen ich auch Gutes tun wollte.’“[11]
Wichtig in unserem Zusammenhang ist, dass Sepp ein „sogenannter“ Freimaurer ist, dass ihm diese Bezeichnung von seiner Umgebung aufoktroyiert wird.[12] Hildebrand gegenüber hat Felder ausgeführt, was unter einem ausdrücklich als „sogenannten“ bezeichneten Freimaurer zu verstehen war: „[...] hier haben wir einen Emporgekommenen, der nun Fortschritt und Freiheit predigt: einen s g Freimaurer, der ‚schlechte Grundsätze’ aus der bösen Welt hereinbrachte und sich nun bei den altgläubigen Ärmeren sowohl als bei den besitzstolzen Reichen verfeindet macht.“[13]
Felder arbeitet bewusst mit dem Stereotpy des Freimaurers, wie es im Volksaberglauben verankert war. So lässt er das Weberle, eine lächerliche Figur, in einem Wirtshausgespräch über den abwesenden Sepp sein vermeintliches Wissen über die Freimaurer zum Besten geben: „’Freimaurer sind Leute, die an keinen Gott glauben und mit dem Teufel einen Bund gemacht haben.’“, sie bedienten sich einer Geheimschrift und wendeten sich an den „Großmeister“, um mit dem Teufel zusammenzukommen.[14] Sepps Reichtum und sein Glück gelten als untrügliche Indizien: „’Kein vernünftiger Mensch bringt in seinem Leben so ein Vermögen zusammen wie er, der doch vom Bauern nicht mehr verstehen kann als der andere. Er hat ja Glück wie ein Schelm. Und wer noch zweifeln kann, der darf ihn nur reden hören, dann merkt man gleich: der glaubt an keinen Gott, er glaubt an nichts –’ ‚Als an den Teufel, mit dem er ja im Bund ist’, bemerkte Klaus.“[15] Und ist außerdem „halb lutherisch“,[16] wie ihm ebenfalls nachgesagt wird.
Franz, den Sohn des Freimaurers, lässt Felder sinnieren: „Er wusste, dass die vielen Bücher im Hause des Vaters und sein schnelles Reichwerden längst manchen auf wunderliche Gedanken brachte, die im Namen Freimaurer, welcher einen durch unerlaubte Künste und Verbindungen reich Gewordenen bezeichnet, ziemlich deutlich ausgesprochen waren.“[17]
Fußnoten: [8] Walter Methlagl hat in seiner Habilitation kurz auf die „Kritische Verarbeitung von Freimaurer-Motiven“ in den Sonderlingen hingewiesen:„In der Figur des Sepp hat FMF wichtige Aspekte der freimaurerischen Bauernaufklärung zusammengefasst. Der aus der Fremde heimkehrende Sepp war als ‚Maurer’ im Ausland gewesen. Einer der häufigsten Fremdler-Berufe wird hier unmittelbar in eine Freimaurer- und Fortschrittsmetapher, fast Allegorie, umgedeutet. Dazu kommen wichtige Funktionen dieser Figur: Kampf gegen Vorurteil und Aberglauben; künstliche Herstellung von ‚Gold’ durch Sparsamkeit und Bildung; Versuch, einen Kreis von gleichgesinnten Eingeweihten um sich zu bilden (Geheimbundmotiv); selbst das der Freimaurersymbolik zugehörige Läuterungsmotiv durch Feuer und Wasser ist in Sepps rationaler Erläuterung der von den Geistlichen häufig gebrauchten Höllenfeuer-Metapher und in der Lawinen-Katastrophe am Schluß einigermaßen deutlich entwickelt.“ Walter Methlagl, Die Entstehung von Franz Michael Felders Roman „Reich und arm“. Ein Erwartungshorizont. Ungedruckte Habilitationsschrift (Innsbruck 1977), 412. - [9] Felder, Werke 2, 56. Vgl. zur Kritik an der Hölle seit dem 18. Jh. vgl. Georges Minois, Hölle Kleine Kulturgeschichte der Unterwelt. Aus dem Französischen von Peter Dinzelbacher (Freiburg u. a. 2000) (=Herder Spektrum 4778), 121–125. – [10] Felder, Werke 2, 57. – [11] Ebd. , 129. - [12] „Vom Maurersepp aber, dem sogenannten Freimaurer, wußte man schon mehr zu reden.“ Ebd. , 21. – [13] Franz Michael Felder an Rudolf Hildebrand, 3. 3. 1866, Felder, Werke 9, 10. – [14] Felder, Werke 2, 38f. - [15] Ebd. , 39. – [16] Ebd. , 21. – [17] Felder, Werke 2, 306.
Als Sepps Gegenspieler, dem ebenfalls reichen, aber frömmlerischen und rückschrittlichen Barthle, eine Kuh erkrankt, glaubt dieser, dass der Freimaurer Sepp schuld daran sei. Das deckt sich mit den im ‚Wörterbuch des deutschen Aberglaubens’ angeführten vermeintlichen Eigenschaften der Freimaurer.[18] Interessanterweise hat Felder selbst in seine 1863 für Joseph Ritter von Bergmann verfasste Sammlung von Dialektausdrücken des Innerbregenzerwaldes einen Eintrag „Freimaurer“ aufgenommen. Dort heißt es: „Frimurar - Freimaurer, d. h. ein Ungläubiger, Freidenker, Gottesleugner, ein Mensch ohne Religion. Ein Zauberer, der im Bund mit dem Teufel steht.“[19] Es passt zu diesem Stereotyp, dass Felder seinem Helden auch äußerlich einen Hauch von Dämonie verleiht: Sepp ist von dunkler Hautfarbe, dunkelhaarig und meist spöttisch.
Die von Sepp vertretenen aufklärerischen Positionen sind zum Teil die von Felder selbst, allerdings vor der Phase, als er sich öffentlichen Aufgaben, etwa der Gründung der Vereinssennerei, zuwandte. An Hildebrand schrieb er: „Ich glaube dass man hier herum nur im Sepp den ‚Jauko Franzmichol’ (mich) von früher erkennen wird. Dieser war verbittert und muthlos sein Leben war ein thatenarmes sich Hinschleppen von einem Tag in den Andern, und hinter Büchern, die, wie alle alten Klassiker (Zimmermann, Wielands Jugendarbeiten, Klopstok, Gleim u v a) vom Leben abziehen, verkroch er sich immer mehr in sich selbst.“[20]
Sepp wird durchaus kritisch gesehen; die von ihm vertretene Position des „Auerismus“, der blinden Fortschrittsgläubigkeit, muss ebenso überwunden werden wie die von Barthle verkörperte rückständige „Schoppernauerhaftigkeit“,[21] zugunsten eines dritten Weges, den Sepps Sohn Franz, der „junge Freimaurer“,[22] der als Produkt der Erziehung seines Vaters am Romananfang noch ein weltfremder Büchermensch, Weltverbesserer und Besserwisser ist, sich im Laufe des Romans erarbeitet. Franzens Protest gegen den Vater – die ‚Sonderlinge’ sind ja auch ein Roman über Generationenkonflikte – erfolgt im Namen des Gefühls und der Gemeinschaft, es ist in gewissen Sinn auch ein romantischer Protest gegen die die allzu intellektuelle, rationalistische und vor allem den Einzelnen isolierende und über das Dorfkollektiv stellende Aufklärung, wie sie Sepp versteht.
Felder verwendet den Begriff „Freimaurer“ also als Umschreibung für Positionen der Bauernaufklärung, die er zum Teil durchaus selbst vertrat (auch er wollte ja, wie Sepp, „ein Lehrer und Führer seiner Gemeinde“[23] werden), und im Sinne der antifreimaurerischen Vorurteile – in dieser Position verteidigt der Erzähler Sepp allerdings gegen das Dorfkollektiv: „Und doch war der Mann, über den man heute wieder einmal so viel geschimpft hatte, kein Wucherer, kein Dieb und man wusste ihm überhaupt nichts Schlechtes nachzusagen, als dass er keinen Glauben habe und sich um niemand kümmere.“[24]
Sepp wird – im Gegensatz zu Barthle, der am Schluss an seinen Gewissensbissen wegen des Mordanschlags auf Sepp stirbt –, ein Weiterleben vergönnt, allerdings geläutert und gewandelt. Diese Läuterung erfolgt durch die von Barthle mit dem Gewehrschuss des Gemeindedieners ausgelöste Lawine, vor der sich Sepp noch in seine Alphütte retten kann, wo er mit seinem Tod rechnet und Rückschau auf sein Leben hält.
An dieser Stelle nun kommt ein weiterer Bezug zur Freimaurerei ins Spiel: Methlagl hat schon darauf hingewiesen, dass dieses Motiv als Abwandlung der maurerischen Wasserprobe gelesen werden kann.[25] Die dunkle Kammer (hier die kleine Alphütte), die Reinheit (hier symbolisch im Schnee verkörpert), und die Konfrontation mit dem eigenen Tod sind wichtige Elemente bei den Initiationsriten der Freimaurer.[26] Am Ende des Romans erhält Sepp auch einen neuen Namen, wie auch ein Freimaurer nach seiner Aufnahme.[27] Als wichtiges Freimaurersymbol führte Sepp ursprünglich sogar den Hammer und gab Klopfzeichen, wie es bei den Freimaurern der Meister vom Stuhl bei seinen rituellen Tätigkeiten zu tun pflegt.[28]
Kaspar Moosbrugger kritisierte an dem ihm zugeschickten ersten Teil der ‚Sonderlinge’ diese Stelle, die später getilgt wurde: „Wenn die Mariann an dem langsamen Hämmern des Sepp dessen Gedanken errät, so ist dies eine Heldentat, die nur bei den amerikanischen Wilden auch noch produziert werden kann, da dort vorkommt, dass einer aus der Lage und dem Aussehen eines Reisstengels entscheiden kann, wann sein Feind an der Stelle war und welche Richtung er eingeschlagen hat.“[29]
Fußnoten: [18] Vgl. „Bei der Aufnahme geht der F. ein Bündnis mit dem Teufel ein.“ (31) „Was sie anfangen, glückt ihnen, ohne daß sie zu arbeiten brauchen. Sie werden reich, weil sie jeden Abend Geld unterm Kopfkissen finden.“ (39) „Ihre Künste sind groß; sie [...] können Gold machen [...], sie machen [...] das Vieh des Feindes tot..“ (39) Artikel „Freimaurer“ in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Hg. von Hanns Bächtold-Stäubli. Bd. 3, (Berlin, New York 1987), 23-43. – [19] Franz Michael Felder, Wörterbuch der Innerbregenzerwälder Mundart, Felder, Werke 8, 58. – [20] Franz Michael Felder an Rudolf Hildebrane, 28. 5. 1866, Felder, Werke 9, 35. – [21] Franz Michael Felder an Kaspar Moosbrugger, 10. 3. 1863: „Du wirst selbst gesehen haben, daß es im ‚Wald’ Bauern gibt, die hübsch beim Alten bleiben wollen, ich möchte das die Schoppernauerhaftigkeit nennen, es gibt aber auch Fortschrittler, die alles Alte über den Haufen werfen wollen, man könnte das den Auerismus nennen.“ Felder, Werke 5, 53. – [22] Felder, Werke 2, 25. – [23] Ebd. , 51. – [24] Ebd. , 40. – [25] Walter Methlagl, Franz Michael Felders „Reich und arm“, a. a. O. , 412. – [26] „Die Aufnahme in den Freimaurerbund zeigt in Symbolik und Ritual starke Anklänge an die Mysterienform. Die Vorbereitung, die dunkle Kammer als Ausgangspunkt (in den antiken Mysterien die dunkle Höhle!), die Symbole der Zeit, des Todes, der geistigen Wiedergeburt, die symbolischen Wanderungen des Suchenden, der Gedanke der Reinheit (symbolisiert durch die kultische Bekleidung mit dem weißen Schurz), [...] weisen starke Analogien zu den klassischen Initiationen auf.“ Artikel „Initiationsritus“ in: Eugen Lennhoff, Oskar Posner, Dieter A. Binder, Internationales Freimaurerlexikon ( München , 5. Aufl. 2006), 415. - [27] „Eigentümlich war es, daß Sepp immer auch noch einen besonderen Beinamen haben mußte; nachdem er aufgehört hatte, Freimaurer und Sonderling zu sein, war er der Götte geworden.“ Felder, Werke 2, 415. - [28] „Klopfzeichen (Hammerschläge): Symbolische Handlungen und hörbare Signale; mit drei gradspezifischen Klopfzeichen leiten die Hammerführenden die Szenen des Rituals ein.“ Lennhoff u. a., Internationales Freimaurerlexikon, a. a. O., 111. – [29] Kaspar Moosbrugger an Franz Michael Felder, 25. 7. 1865, Felder, Werke 5, 195. Auffallend ist, dass in keinem anderen Werk Felders Hammerschläge vorkommen, obwohl dies eine geläufige bäuerliche Tätigkeit ist, außer im Nümmamüllers, wo der „rote Michel“ hämmert, an einer Stelle, die ebenfalls eine maurerische Anspielung enthält (siehe unten S. ...), und in Aus meinem Leben, wo einmal von den „wuchtigen Hammerschlägen“ des Vaters, der auch Wagner war, die Rede ist (Felder, Werke 4, 37).
Franzens Alpzeit als maurerische Initiation
Franz, der „Sohn des Freimaurers“ und am Romananfang seine Kreatur, befreit sich immer mehr von den rigiden Erziehungsmaximen seines radikal aufklärerischen Vaters. Die wesentliche Etappe dabei ist die Zeit, die er als Alpknecht verbringt, wo er sich unter der Anleitung des Senns und im Kontakt mit den Alpknechten zu einem vollständigeren Menschen und zu einem Mann entwickelt. Diese Zeit fern des Dorfes und in reiner Männergesellschaft – vorher hatte er bezeichnenderweise einen „Mädchenkopf“[30] –, kann als ‚rite de passage’ verstanden werden, als Übergangs- und Initiationsritus in eine andere Welt und somit in Parallele gesehen werden zu freimaurerischen Aufnahmeriten, wo der Adept vom Lehrling zum Gesellen und schließlich zum Meister aufsteigt.
Der Senn, die ideale Menschenfigur im Roman, der keinen individuellen oder Spitznamen trägt, wie alle anderen Romanfiguren, nur die Berufsbezeichnung, beherrscht alle möglichen Tätigkeiten und Handwerke, er ist im Volk verankert und kein Intellektueller. Er ist die Figur, die bei Franzens Initiationserlebnis die wichtigste Rolle spielt, sozusagen sein Führer auf dem Weg zu einem höheren Menschentum – denken wir an Die ‚Zauberflöte’, Mozarts Freimaureroper, in der Tamino sich durch verschiedene Proben menschlich weiterentwickeln muss, bevor er würdig ist, in die Gemeinschaft der Wissenden aufgenommen zu werden. Unter diesem Blickwinkel erscheinen zwei Attribute des Senns in anderem Licht. Felder stattet seine Romanfiguren höchst selten mit Werkzeugen oder ähnlichem aus, umso auffallender ist es, dass der Senn beim ersten Zusammentreffen mit Franz eine große Käskelle in der Hand trägt.[31] Von der Sennkelle zur Maurerkelle,[32] einem typischen Freimaurerattribut, ist es nur ein kleiner Schritt. Auch tragen Sennen traditionell Schürzen, obwohl das im Roman nicht erwähnt wird, und der Schurz ist das wichtigste Requisit der freimaurerischen rituellen Kleidung.[33]
Franz, der vorher völlig isoliert gelebt hat und ohnehin ein Einzelkind ist, lernt auf der Alpe die Integration in ein soziales Kollektiv, er freundet sich mit den vorher von ihm als Bauerntölpel verachteten Alpknechten an, mit denen er gemeinsam arbeitet. Das Wort „Brüder“, ein maurerischer Grundbegriff, fällt hier zwar nicht explizit, praktiziert wird aber ein brüderliches Zusammenarbeiten und Diskutieren zwischen Männern. Beim utopischen Schluss des Romans, dem Einzug des neuen Pfarrers, schreitet in der feierlichen Prozession dann „[d]er Freund [...] neben dem Freunde, der Bruder neben dem Bruder daher“.[34]
Stimmungsmäßige Höhepunkte dieses Alpaufenthaltes sind für Franz die Momente, wenn er auf einem hohen Felsen sitzt, ausdrücklich außerhalb der akustischen Reichweite der Kirchenglocken, also außerhalb des Einflussbereichs der katholischen Kirche: „[...] – dann war’s ihm wie dem Hirten, welcher immer das Schellengeläute des Tieres, das er sucht, zu hören meint. Von den Bergen, den Wäldern, den Strömen – überallher glaubte er sich das zuflüstern, rauschen, jubeln zu hören, was er leider nur in des Vaters engem Hause, in seinen Büchern gesucht hatte. Er war zu weit von anderen Alpen entfernt, um die frohen Lieder ihrer Küher zu verstehen, aber es war ihm, ob alle sängen: ‚Wir sind frei, nur liebevoll wie eine Mutter zwingt uns die Natur, den Willen Gottes zu erfüllen!’ – Jubelnd stimmte er dann ein in die frohen Weisen der anderen, dass es weithin widerhallte.“[35] Nicht eine Bruderkette, freimaurerisches Symbol der Verbundenheit der Menschen[36], aber eine fiktive akustische Kette, in der sich die Stimmen der Küher und die Naturlaute zu einem imaginierten pantheistischen Jubelgesang vereinen, in dem auch noch das Wort „frei“ fällt, ist hier der Moment des höchsten Glückes. Die Assoziation zu Schillers Ode ‚An die Freude’, die dieser 1785 auf Anregung seines Freundes Körner, eines Freimaurers, für die Dresdener Loge ‚Zu den drei Schwertern’ gedichtet hatte, liegt nicht fern. Dass der Mensch in Beziehung zu einer göttlichen Ordnung steht – die Freimaurer hängen dem Gedanken vom Allmächtigen Baumeister aller Welten an –, die Lebensfreude (hier: „Jubel“) stiftet, dieser Gedanke ist auch einem Freimaurer vertraut, genauso wie die Idee von der Menschenliebe oder Brudergemeinschaft.
Der Senn ist auch als Gegenbild zu dem nur der Ratio verpflichteten Sepp gezeichnet, der jedweden bäuerlichen „Aberglauben“ verachtet, wie die Aufklärer, die versuchten, gegen große Widerstände der Bevölkerung Prozessionen und Wallfahrten, das Wetterläuten oder das Benedizieren der Felder zu verbieten. Sepp und der von ihm erzogene Franz verlachen etwa das Verbrennen von geweihten Palmen bei Gewitter oder den Einsatz von geweihtem Dreikönigssalz bei Viehkrankheiten, der Senn belehrt Franz jedoch, dass hier das durch die Religion vermittelte Gefühl positive Wirkung zeigt.[37] Dieser Senn – ebenfalls ein Sprachrohr Felders, der Hildebrand gegenüber bekannte, „[...]der Senn stekt nun einmal in mir obwol man mir das nicht ansehen würde“[38] – besitzt also ein ausgeprägtes Verständnis für die Wirkung von Symbolen, die gerade auch im freimaurerischen Ritus eine besondere Rolle spielen – aber natürlich auch im katholischen. Was Franz auf der Alpe erlebt, ist ein Prozess der Selbsterziehung durch Selbsterkenntnis und damit ein Schritt zur Selbstverwirklichung, beides auch wichtige freimaurerische Tugenden.[39]
Fußnoten: [30] Felder, Werke 2, 115. - [31] Felder, Werke 2, 135. – [32] „Kelle und Schwert: [...] Im schwedischen System der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland erhält jeder Freimaurerritter bei seiner Einkleidung das Werkzeug der K,. und die Waffe des S. Die erklärenden Worte bei der Übergabe bezeichnen die K. als das ‚vornehmste Werkzeug des Maurers, mit dessen Hilfe er die Fugen und Risse seines Herzens gegen die Angriffe des Lasters vermauern und verkitten soll.’[...]“ Lenhoff u. a., Internationales Freimaurerlexikon, a. a. O., 461. – [33] „Schurz, Maurerschurz, Schurzfell, fast in der ganzen Welt die Bekleidung des Freimaurers. Der Schurz (als [sic!] Lammfell) ist das Sinnbild der Arbeit. [...]“, ebd. , 761. – [34] Felder, Werke 2, 421. – [35] Ebd. , 147. – [36] „Bruderkette, Symbol der Verbundenheit, der Brüderschaft der Menschen. Die Aufnahme des Neophyten in den Freimaurerbund wird erst dann zur wirklichen Einweihung, wenn er die geistige B. durch Erleben erfaßt, sich in dieser weiß, auch wenn die Kette äußerlich unvollkommen, ja gesprengt erscheint.“ Lennhoff u. a., Internationales Freimaurerlexikon, a. a. O., 155. - [37] Felder, Werke 2, 142. – [38] Felder, Werke 9, 37. - [39] „Ebenso schwer sind die freimaurerischen Lehrinhalte zu umschreiben, die weniger ein Wissen vermitteln, als zu einem Tun anleiten, das den Freimaurer zur Selbsterziehung und zur Selbstverwirklichung führen soll.“ Abkürzungen, Begriffe, Symbolik. In: Freimaurer. Begleitpublikation des Museums für Völkerkunde und Schweizerischen Museums für Volkskunde Basel (Basel 2. Aufl. 1984), 107.
’Das Goldmacherdorf’ von Zschokke
Werden Sepp die (vermeintlichen) Eigenschaften der Freimaurer von außen zugeschrieben, so gibt es doch ein Indiz im Roman, das für eine tatsächliche Nähe zu den Freimaurern spricht: Er besitzt ‚Das Goldmacherdorf’ von Zschokke. Heinrich Zschokke (1771–1848) war Freimaurer, ein zu Lebzeiten hochberühmter und vielgelesener aufklärerischer Erzähler, Dramatiker, Publizist, Pädagoge und Politiker.[40] In seiner Verbindung von Theorie und Praxis repräsentierte er einen Schriftstellertypus, dem Felder nacheiferte. In seiner 1817 erschienenen und vielgelesenen Erzählung ‚Das Goldmacherdorf ‚propagierte er aufklärerische Ideale. Felder hat die Grundkonstellation für die Sonderlinge übernommen: Oswald, Sohn des Lehrers, kehrt nach jahrelangen Kriegsdiensten in sein Dorf Goldenthal zurück, das inzwischen durch die Schuld der betrügerischen Vorsteher völlig heruntergekommen ist. Er wird Lehrer und kommt in den Ruf, er könne Gold machen und stehe mit dem Teufel im Bunde. Es gelingt ihm, 32 Hausväter, die alle bei ihm Goldmachen lernen wollen, eines Nachts in seinem dunklen Haus zu versammeln. Dort tritt er in glänzender Rittmeisteruniform mit zwei brennenden Kerzen auf und schließt mit den Versammelten einen Pakt auf sieben Jahre und sieben Wochen, in denen sie seinen sieben Geboten gehorchen müssen: Sauberkeit, Arbeit, kein Alkohol etc. Durch seine Maßnahmen (z. B. Unterweisung im Obstbau, Zusammenlegung der Felder, Gründung einer Sennereigenossenschaft) bringt er das Dorf wieder zu Wohlstand und wird Bürgermeister. Gold wird nicht durch Hexerei und Teufelskünste hergestellt, sondern durch intelligente Arbeit und Moral. Am Schluss enthüllt Oswald, dass er in Wirklichkeit ein vom Landesfürsten reich besoldet verabschiedeter Rittmeister ist, der seine Armut nur vorgegeben hat, um im Dorf wirken zu können. Obwohl im ‚Goldmacherdorf’ nie direkt von den Freimaurern die Rede ist, erinnert die Schließung des „Goldmacherbundes“ doch stark an freimaurerische Zeremonien.
Dieses Buch nun erfüllt in den ‚Sonderlingen’ zwei Funktionen: Zum einen fungiert es für den kundigen Leser als Freimaurersignal. Zum anderen ist Das ‚Goldmacherdorf’ das Werk, das Franz als Lebensmodell gedient hat. Auch er wollte ein zweiter Oswald werden, ein Weltverbesserer im Stile eines aufgeklärten Monarchen, und gesteht sich nach der Schlägerei am Alpsonntag ein, dass er gescheitert ist. Aus Enttäuschung will er nun das Buch verbrennen, woran ihn sein Vater Sepp hindert. Daran schließt sich eine Diskussion zwischen Franz und Sepp über das ‚Goldmacherdorf’ an: Sepp bezweifelt, dass die darin geschilderten Ereignisse wahr sein können, Franz, der soeben auf der Alpe die Vorteile des gemeinschaftlichen Handelns entdeckt hat, glaubt nicht, dass ein Mensch wie Oswald überhaupt möglich sei, der als Einzelner eine so heruntergekommene Gemeinde retten könne. Beide, Vater wie Sohn, sind eigentlich desillusionierte Aufklärer, die sich in diesem Moment als an den Widerständen im Dorf Gescheiterte empfinden. Das Freimaurerbuch wird also an dieser Stelle durchaus kritisch beurteilt, als Verführung zu falschem Handeln, und entgeht nur knapp einem Autodafé.
Generell ist es so, dass Felder die Positionen des „Freimaurers“ Sepp im Laufe des Romans immer mehr in Frage stellt. Das ist auch schon Rudolf Hildebrand aufgefallen, der Felder in diesem Punkt sogar brieflich kritisiert hat: „Mir wills sogar scheinen, als stellten Sie den Freimaurer mit seinen berechtigten Ansichten zu weit in Schatten, wie er mir überhaupt im Verlauf der Entwicklung von Franz und Barthle zu sehr in den Hintergrund tritt – man sieht ihn da immer nur spöttisch lächeln und zweifeln, und wendet sich allmälich von ihm ab; warum tritt nicht wider einmal seine Anschauung von den Weltdingen kräftig heraus?[41] Andererseits führt Franz die Ideen seines Vaters auf anderer Ebene weiter: nicht geheime Wohltätigkeit und Belehrung (wie beim „Freimaurer“), sondern gemeinschaftliches Handeln zur Hebung des Wohlstandes und des Gemeinsinns sind die neuen Ideale.
Fußnoten: [40] 1795 reiste er in die Schweiz, die zu seiner neuen Heimat wurde. Er bekleidete hohe Ämter in der helvetischen Republik und bemühte sich in mehreren Zeitschriften zum Teil gemeinsam mit Pestalozzi um die politische Volksaufklärung. Er trat für die bürgerlichen Freiheitsrechte ein, gründete eine gemeinnützige Gesellschaft, eine Freimaurerloge, eine Gewerbe- und eine Taubstummenschule und eine Sparkasse. Seine Ausgewählten Werke erschienen 1825 bis 1828 in vierzig Bänden in hoher Auflage. - [41] Rudolf Hildebrand an Franz Michael Felder, 22. 5. 1866, Felder, Werke 9, 31.
Exkurs: Freimaureranspielungen im ‚Nümmamüllers’
Der erste Hinweis auf Freimaurer findet sich in Felders literarischem Werk schon vor den ‚Sonderlingen’: Im ‚Nümmamüllers’ zitiert der Senn (!) bei einem Besuch maskierter Nachtbuben ein paar Verse aus dem ‚Wälderbuob’ des Bregenzerwälder Mundartdichters Joseph Feldkircher[42] über die Maurer, die als Fremdler im Ausland arbeiteten: „Und gaunz mit Recht hind d'Fründlar-Mä/Lange Hosa über d'Schinkol,/Dinn die vorstaund 's groß' Häxowä,/Do Winkol und do Sinkol./Sie machod, woßt dor Guggar wau!/Viel große Akkord dum Tausod nau/Und kunnt dor Stüo und Meatol/So nau und nau vum Beatol.“[43]
Mit dem “großen Hexenwerk“, das man harmlos als die Maurerkunst begreifen könnte, ist die Freimaurerei gemeint, denn Winkelmaß und Senkblei sind typische Freimaurersymbole.[44] Das wäre ein Hinweis darauf, dass die Fremdler, und speziell die Maurer, die in konservativen Kreisen ohnehin verrufen waren, weil sie fortschrittliches Gedankengut aus dem Ausland in den Bregenzerwald einschleppten, Kenntnisse über die Freimaurerei besaßen oder sogar als Freimaurer galten. Das wiederum gibt dem ursprünglichen Beruf des „Dorffreimaurers Sepp“, der ja in der Schweiz Maurer war, einen realistischen Hintergrund. Informationen über die Freimaurer sind möglicherweise auch über die Fremdler in den Bregenzerwald und so auch zu Franz Michael Felder gelangt.
Eine zweite Freimaureranspielung im ‚Nümmamüllers’ betrifft die Arbeit am Stein als Symbol für die Selbsterziehung: Der „rote Michel“, der als Maurer im Ausland gearbeitet hat und schon durch seine Haarfarbe in die Nähe des „Hexenwerks“ gerückt wird, macht, wie Sepp in großem Stil in den ‚Sonderlingen’, ein unfruchtbares Grundstück durch Entfernen der Steine fruchtbar, aus denen er eine Wuhr gegen das Hochwasser baut. Das wird symbolisch als „’Weltverbesserung’“[45] bezeichnet. Schließlich lädt er einen „schönen viereckigen Stein“ auf seinen Karren und fährt ihn nach Hause. Dann heißt es: „So ein Maurer weiß natürlich, was ein schöner Stein wert ist, an dem man nicht mehr lange zu hämmern braucht; Michel nahm ihn auch pur deswegen mit. ‚Vielleicht’, sagte er, ‚kommt noch eine Zeit, wo man froh ist, wenn man dich hat!’ Ein echter Bauer geht nie ganz leer aus Feld und Wald heim, da gibt es immer etwas aufzulesen und mitzunehmen, denn es ist alles wieder zu etwas gut. Das sieht man an der Natur, die ja sogar aus jeder toten Maus noch etwas zu machen weiß.“[46]
Diese ausführliche Rechtfertigung erregt den Verdacht, dass sich dahinter etwas anderes verbirgt, nämlich eine weitere freimaurerische Anspielung. Tatsächlich steht in der Freimaurerei die Arbeit am Rauhen Stein als Symbol für die Arbeit an der eigenen Persönlichkeit, die der Lehrling leisten muss. Der Kubische oder Behauene Stein hingegen ist das Sinnbild des Gesellen[47] In diesem Lichte kann der Bund, den am Schluss der rote Michel, der Senn, der die Maurerverse zum Besten gegeben hat, und das Schwarzokaspale schließen, das ebenfalls als Fremdler im Ausland war, nicht nur als frühe Ausprägung der später von Felder propagierten Genossenschaftsidee interpretiert werden, sondern auch als ein geistiger Zusammenschluss im Sinne der Freimaurer. Das bedeutet, dass Felder schon vor den ‚Sonderlingen’ in seine scheinbar so realistischen Erzählungen aus dem Bauernleben eine zweite Ebene eingezogen hat, auf der er mit freimaurerischen Symbolen operiert.
Fußnoten: [42] Der 1812 in Andelsbuch geborene Joseph Feldkircher, der später als Geistlicher im Bistum Mainz wirkte, absolvierte seine Gymnasialstudien in Konstanz und verkehrte dort auch im Hause des „edlen Freiherrn von Wessenberg, der bei seiner bekannten Menschenliebe und ausgebreiteten Wolthätigkeit junge Talente zu fördern liebte“ (Joseph Feldkirchers Gedichte in der Mundart von Andelsbuch. Hg. v. Hermann Sander (Innsbruck u. a. 1877), 8f.). Wessenberg war nicht nur bis 1821 Generalvikar des Bistums Konstanz und bedeutender katholischer Reformtheologe, sondern auch Freimaurer. – [43] Felder, Werke 1, 117. In der von Felder selbst beigefügten hochdeutschen Übersetzung lautet diese zweite Strophe: „Und ganz mit Recht haben die aus der Fremde zurückkehrenden Männer Lange Hosen über die Schenkel, Denn diese verstehen das große Hexenwerk, den Winkel und das Senkblei. Sie machen, weiß der Guckguck wo, Viele große Akkorde dem Tausend nach Und kommen durch Stein und Mörtel So nach und nach vom Bettel.“ Ebd. , 448. – [44] „Winkelmaß [...], das stets vom Stuhlmeister als Zeichen seiner Würde getragen wird, bildet auf dem Altar mit Bibel und Zirkel die drei ’Großen Lichter’ [...] der freimaurerischen Symbolik [...]“ Lenhoff u. a., Internationales Freimaurerlexikon, a. a. O. , 907; „Senkblei [...]lehrt die Wahrheit zu suchen und ihr zum Recht zu verhelfen. Mit dem ins Gewissen gesenkten Blei wird die Geradheit und Wahrhaftigkeit geprüft, die die gerade Linie des Bauwerks verbürgt. Das S. gehört zu den sogenannten beweglichen Kleinodien der Maurerei und ist das Zeichen des Zweiten Aufsehers.“ Ebd. , 777. - [45] Felder, Werke 1, 135. – [46] Ebd. , 139. – [47] „Stein, Kubischer (Behauener) [...]ist das Sinnbild des Gesellen; dieser vollendet die Form des vom Lehrling behauenen Steins, so daß dieser in das Fundament des Tempels eingefügt werden kann. Der Geselle muß aber auch, damit er selbst als K. S. im Tempel der Menschenliebe seiner Bestimmung zu dienen vermag, seinen Verstand erhellen, nach Bildung des Herzens und Läuterung der Gesinnung streben.[...] Das Behauen des Steins gleicht der sozialen Selbsterziehung des Menschen, und die Harmonisierung der Steinform erinnert an die Notwendigkeit von sittlichenMaßstäben, ohne die eine soziale Gemeinschaft undenkbar ist. Der K. S. wird so ein Symbol des geläuterten Gesissens, ‚das große soziale Symbol der Freimaurerei.’“ Lennhoff u. a., Internationales Freimaurerlexikon, a. a. O., 804.
2. Die Freimaurer zu Felders Zeiten
Da auch heute über die Freimaurerei viele unklare Vorstellungen herrschen, sei hier eine Definition zitiert: „Die Freimaurer bilden einen ethischen Bund. In ihm vereinigen sich Männer, deren höchste Ideale Glaubens-, Gewissens- und Meinungsfreiheit sind, die sie durch Menschenliebe, Brüderlichkeit, Toleranz und soziales Engagement verwirklichen wollen. Der Name ist abzuleiten von den freien Steinmetzen der mittelalterlichen Bauhütten, die heute von symbolischer Bedeutung sind. Zum Zeichen der besonderen Verbundenheit nennen sich die Freimaurer untereinander Brüder. Sie pflegen rituelle Gebräuche aus alten ehrwürdigen Traditionen im Tempel ihrer Loge. England ist das Mutterland der heutigen Freimaurerei. Am 24. Juni 1717 gründeten vier Londoner Logen die erste Freimaurer Großloge.“[48]
Im Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Freimaurerei „bestand seit dem 18. Jahrhundert eine fast unüberbrückbare Kluft. Die Freimaurerei sah sich von Anfang an Argwohn, Behinderungen und Verfolgungen ausgesetzt.“[49] Da die Freimaurer zu einer deistischen Grundeinstellung neigten, religiöse Toleranz praktizierten und ihre Riten geheim waren, wurden sie 1738 von Papst Clemens XII. in der Bulle ‚In eminenti’ verurteilt und exkommuniziert.[50] Die Kluft verschärfte sich im 19. Jahrhundert, als der Abbé Barruel, der Vater der modernen Antimaurerei, die Freimaurer für den Umsturz der Gesellschaft in der Französischen Revolution verantwortlich machte.[51]
In Italien rührten die Freimaurer, die in Verbindung mit den Carbonari standen, zudem an die politische Existenz des Kirchenstaates. Auf katholischer Seite brach nach der Jahrhundertmitte eine antifreimaurerische Hysterie aus. Es entstanden Zeitschriften und Verbände, um die Freimaurer zu entlarven.[52] 1864, als Felder an seinem ‚Dorf-Freimaurer’ schrieb, gab der (2000 seliggesprochene) Papst Pius IX. einen Anhang von 80 Irrtümern an die Enzyklika ‚Quanta cura’, den sogenannten Syllabus errorum, heraus, dessen deutsche Übersetzung 1865 erschien und der Ausdruck der Spannung zwischen katholischer Kirche und moderner Welt war. Zu diesen „Irrtümern“ zählen Religions-, Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, Zivilehe, Staatskirchentum, Staatsschule, Liberalismus und Freimaurertum, Volkssouveränität und Demokratie, allgemeines Stimmrecht und Souveränität der Nation, Sozialismus und Kapitalismus. Das bedeutete eine „geballte Kampfansage an die moderne Welt, Gegnerschaft gegen die Moderne wurde zum Kriterium der Rechtgläubigkeit.“[53]
Pius IX., der 1870 das Dogma der Unfehlbarkeit des Papstes einführte, verdammte die Freimaurerei insgesamt zwanzig Mal öffentlich[54] aufs heftigste; so auch in einer Allokution vom 25. September 1865, wo er sie als unsittliche und verbrecherische Sekte brandmarkte. Die Freimaurer galten der damaligen katholischen Kirche sozusagen als Fünfte Kolonne des Satans. In Österreich waren die Freimaurer abgesehen von einem kurzen Zwischenspiel 1848 von 1795 bis 1918 verboten. In der ungarischen Reichshälfte wurden sie mit der neuen Verfassung von 1867 wieder erlaubt.[55]
Die katholischen Geistlichen in ganz Europa beschworen damals unablässig das Szenario der bösen Mächte, zu denen Liberale, Juden und Freimaurer zählten.[56] Pfarrer Rüscher und die Bezauer Kapuziner waren keine Einzelfälle, und es war in diesem aufgehetzten Klima kein Wunder, dass ihnen der „moderne“ Franz Michael Felder, der auch noch für das allgemeine Wahlrecht und für Demokratie eintrat, als besonders verworfenes Exemplar erschien.
Fußnoten: [48] Die Definition stammt von der Homepage des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin, in dem sich die Akten der deutschen Freimaurerlogen befinden, die von den Nationalsozialisten aufgelöst wurden. Die Akten gelangten über Rußland schließlich nach Berlin. http://www.gsta.spk-berlin.de/freimaurerbestaende_543.html - [49] Helmut Reinalter, Die Freimaurer (München 2000) (=Beck’sche Reihe 2133), 104. – [50] Vgl. dazu auch Victor Conzemius, Katholische Kirche und Freimaurerei. In: Freimaurer. Begleitpublikation, a. a. O., 30 – 34. – [51] Vgl. Reinalter, Freimaurer, a. a. O., 112ff. – [52] Conzemius, Katholische Kirche, a. a. O., 33. – [53] Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800 – 1866. Bürgerwelt und starker Staat. (München, 6. durchges. Aufl. 1993), 413. - [54] Kurt Baresch, Katholische Kirche und Freimaurerei (Wien 1983), 24. – [55] Vgl. dazu Gustav Kuéss, Bernhard Scheichelbauer, 200 Jahre Freimaurerei in Österreich (Innsbruck Wien 1999) (=Edition zum rauhen Stein, Bd. 2). – [56] Vg. dazu auch Werner Bundschuh, Die „Leibhaftigen“: Freimaurer, Illuminaten und Jakobiner. In: Kultur. Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft. Jg. 4 (1989), Nr. 3, 6 – 8.
3. Die Freimaurerhetze gegen Felder
Felder selbst datiert das Aufkommen des Begriffs „Freimaurer“ als „Wunderwaffe“ für die Ultramontanen auf das Jahr 1866: „Da kam, vor etwa zwei Jahren, als das jedem Denkenden nachgeworfene Wort lutherisch seine furchtbare Spitze verloren hatte, just mit dem jungbrixnerschen Volksblatt und den Nachrichten von Königgrätz – wohl als eine Art Hinterlader für die Ultramontanen – das Wort ‚Freimaurer’ ins Land. Ähnlich einem versengenden Wüstenwinde kam es und wehe dem, der nicht tief genug kroch! Wer den Kopf auch nur noch ein wenig aufzurichten wagte, den traf es, dass man ihn sogleich in ganzen Gerichtsbezirken kannte. Ja, da hörten sie zum erstenmal von einander, alle, die bisher einzeln standen und deren uneigennütziges Wirken sich mancher von der frommen Schar nur zu erklären vermochte, wenn er sie als Söldlinge der teuflischen Freimaurer betrachtete. Gegen diese Landesverräter sofort alles aufzuhetzen war jetzt eine heilige Pflicht, und der Menge, die sie für ehr- und rechtlos Gewordene ansah, schien es ein gutes Werk, so einem Teufelsdiener zu schaden; ein Unrecht dagegen, ihnen irgendwie zu helfen.“[57]
Felder war sich bewusst, dass er in dieser aufgehetzten Stimmung nicht einmal persönlich genannt werden musste: „Die Geistlichen nannten mich einen Verführer des Volkes zum Unglauben, und da man ihnen unbedingt glaubte, so wurden ihre Predigten gegen die Freimaurer und Gottesleugner fast allgemein von Freunden und Gegnern auf mich bezogen.“[58] Dennoch hatte er Anfang April 1867 noch soviel Galgenhumor, dass er sich in einem Brief an Kaspar Moosbrugger mit der langen Liste der gegen ihn erhobenen Beschimpfungen verabschiedete: „Leb wohl mit Gruß und Handschlag Dein gottloser, deutschkatholischer, blutroter, hochmütiger, verführerischer, verkommener, eigensinniger, arbeitsscheuer, vom protestantischen Gelde sich mästender, auf Kosten der Seele berühmter, mit Freimaurern verbündeter, von der Gartenlaube gelabter und verzogener- und honorierter Freund und Schwager Felder“.[59]
Rüscher erhob vor allem den Vorwurf, dass Felder Geld von den Freimaurern erhalte: „Auch wurde gesagt, daß ich für mein Wirken als zweiter Luther, Freimaurer u. d. gl. von den Freimaurern und andern Agenten bezahlt werde. (Pfarrer Rüscher hat, wie ich in den letzten Tagen erfuhr, es mehrfach ausgesprochen, daß ich mein Geld nicht als Schriftsteller, sondern eher auf diese Weise verdiene.)“[60]
Im Frühling 1867, nachdem einerseits Rüscher Felder wegen der Gründung der Handwerkerleihbibliothek von der Kanzel aus attackiert und ihn dann für den Verfasser der von Moosbrugger stammenden, aber anonym erschienenen, in den Augen der Geistlichkeit antiklerikalen ‚Klarstellung der Vorarlberg’schen Partei der Gleichberechtigung’ erklärt hatte, andererseits in Leipzig Hildebrands aufsehenerregender Aufsatz ‚Ein Bauer als Dichter’ und kurz darauf die ‚Sonderlinge’ erschienen waren, in denen ein Kapitel „Der Freimaurer“ überschrieben war, in dem es um eine Figur ging, die, wie oben erwähnt, von den Dörflern mit Felder identifiziert wurde, eskalierte die Situation für den „teuflischen Freimaurer“ derart, dass er nach Morddrohungen gegen ihn und seine Familie Anfang Mai nach Bludenz flüchtete.
Ein knappes Jahr später, nachdem Rüscher im Jänner 1868 behauptet hatte, in Schoppernau gebe es „500 Seelen und darunter 300 Freimaurer“[61] schrieb Felder an Hildebrand wieder in ironischem Ton: „Du hast übrigens noch nicht alle meine Titel und Nahmen angeführt, vielleicht aus Feinheit, sonst hättest Du mich noch nennen können: Großmeister der hiesigen 200 Freimaurer, Verwalter des Handwerkervereins, Erzketzer, Sektenstifter usw.“[62] In den ‚Skizzen aus Vorarlberg’, die 1868 in der ‚Österreichischen Gartenlaube’ erscheinen sollten, spricht Felder noch einmal davon, dass ein Freimaurer „nämlich der Söldling des leibhaftigen Teufels, dem er sich mit seinem Blute verschrieb“ sei und dass die mit diesem Begriff Verfolgten „unter dem grenzenlosen Haß einer ihnen auf den Leib gehetzten bildungslosen, frömmelnden Rotte die Hölle auszustehen hatten.“[63] Ein Jahr später bezeichnete er die Zustände im Bregenzerwald als „wunderbar mittelalterlich“ und das Kesseltreiben gegen die „’Freimaurer, d. h. alle Denkenden“, als weder mit „den neuen Grundgesetzen, noch mit dem Geist unseres Jahrhunderts zu vereinbaren.“[64]
Auch in der Außenperspektive erregte die Freimaurerhetze gegen Felder Aufsehen: So findet etwa der Zürcher Pfarrer Heinrich Hirzel, der Felder im Sommer 1868 besuchte und einen in mehreren Folgen im Feuilleton der ‚Neuen Zürcher Zeitung’ erschienenen Artikel über ihn verfasste, den Kampfbegriff Freimaurer „merkwürdig“: „Früher war lutherisch der das Grausen der gut katholischen Wälder erregende Ketzername. Er verfängt jetzt nirgends mehr. Da aber eine die Einflüsse der Neuzeit bekämpfende Hierarchie in ihren Handierungen eines solchen Namens durchaus nicht entbehren kann, so ist merkwürdigerweise die Bezeichnung ,Freimaurer' zum oft gebrauchten und daher sehr populären Schreckbilde geworden; ein Wort, ganz dazu angetan, der Volksphantasie zum Anhaltspunkt für alle möglichen schlimmen Vorstellungen zu dienen; so daß ,er ist ein Freimaurer' nichts anderes bedeutet als: er ist ein den Fremden und dem Teufel verschriebener Gottesleugner, Antichrist und Sündenknecht.“[65]
Fußnoten: [58] Franz Michael Felder, Kurze Zusammenstellung der jüngsten Erlebnisse im Bregenzerwalde. Felder, Werke 8, 202. – [59] Franz Michael Felder an Kaspar Moosbrugger, 4. 4. 1867, Felder, Werke 6, 32. – [60] Franz Michael Felder an Kaspar Moosbrugger, Auszug aus dem Protokoll, Juli 1867, Felder, Werke 6, 57. – [61] Franz Michael Felder an Kaspar Moosbrugger, 22. 1. 1868. Felder, Werke 6, 116. [62] Franz Michael Felder an Rudolf Hildebrand, 9. 3. 1868. Felder, Werke 9, 258. - [63] Franz Michael Felder, Skizzen aus Vorarlberg. Letzte Fassung. Felder, Werke 8, 243. – [64] Franz Michael Felder, Ein Schattenbild aus dem Bregenzer Walde, erschienen in der Grazer Tagespost, Jg. 1868, Nr. 57 (8.3.), Beilage, Feuilleton. Felder, Werke 8, 251. – [65] Heinrich Hirzel, Franz Michael Felder, der Dichter aus dem Bregenzerwald. In: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 48 (1868), Nr. 248–254 (6. – 12. 9.), Feuilleton. Felder, Werke 7, 504.
4. Felders Beziehungen zur Freimaurerei und zu Freimaurern
Angesichts dieser Fakten stellt sich nun die Frage, was Felder von der tatsächlichen Freimaurerei wusste. Natürlich hat er, wie alle Gebildeten, zahlreiche Bücher von Freimaurern gelesen und auch besessen, z. B. von Klopstock. Lessing, Wieland, Herder, Goethe, Knigge, Auerbach, Heine, Börne und Zschokke, von Robert Burns, Laurence Sterne, Beaumarchais und Sir Walter Scott. Viele dieser Autoren waren Aufklärer, und viele Aufklärer waren Freimaurer. Man kann vermuten, dass Felder dies aber nicht unbedingt bewusst war. In seinen Briefwechseln, den Tagebüchern oder der Autobiographie findet sich kein Hinweis darauf, wann oder wie er mit der Freimaurerei Bekanntschaft machte.
Die wichtigste Quelle dürfte die Tagespresse gewesen sein, in der damals laufend Pamphlete gegen die Freimaurer erschienen.[66] Auch andere Nachrichten finden sich: So brachte beispielsweise die ‚Augsburger Allgemeine', die Felder ungefähr seit 1860 abonniert hatte, 1866 und 1867 unter anderem folgende Berichte: in der Nr. 338 von 1866 „Über das 50jährige Maurerjubiläum des Prinzen Friedrich der Niederlande“, in der Nr. 20 von 1867 eine Besprechung des Buches von Ludwig Rapp: ‚Freimaurer in Tirol’ (Innsbruck: Wagnerische Druck und Universitätsbuchhandlung 1867) und in der Nr. 21 „Beschlüsse der Großloge von Illinois zu Chicago, wonach die Neger aufgenommen werden können“.[67]
Felder hat sich aber auch von sich aus mit Literatur über die Freimaurerei beschäftigt, und zwar schon einige Zeit, bevor er seinen Dorf-Freimaurer zu schreiben begann: Auf einer Rechnung der Rieger’schen Buchhandlung in Lindau vom 15. April 1863[68] stehen für den 29. November 1862 „1 Stolz Mörtel“ um 9 Kreuzer und für den 10. Dezember „1 Schauberg. Handbuch der Freimaurer III.“ zum satten Preis von 4 Gulden 48. Bei letzterem handelt es sich um die ‚Allgemeine äußere und innere Geschichte der Bauhütte’, 1863 bei Huxter in Schaffhausen als dritter Band des ‚Vergleichenden Handbuchs der Symbolik der Freimaurerei mit besonderer Rücksicht auf die Mythologie und Mysterien des Altertums’ (2 Bände, 1861) erschienen.[69] Ob Felder die Bände 1 und 2 besessen hat, kann nicht mehr eruiert werden. Im Band 1 steht z. B. ein Kapitel über die Maurerschürze, die auf ägyptische Kleidungsformen zurückgeführt wird.
Auf der gleichen Rechnung befindet sich auch ein sehr verbreitetes antimasonisches Pamphlet, ‚Mörtel für die Freimaurer’ von Alban Stolz (Freiburg: Herder 1862); 1863 erschien bereits die vierte Auflage. Otto Henne am Rhyn, der St. Galler Staatsarchivar und Freimaurer, nennt ihn den „durch seine Stylübungen in der groben Redeweise bekannte[n] Professor Alban Stolz (die lustige Person in der ultramontanen Literatur)“.[70] Wenn man die kraftvollen Invektiven Pfarrer Rüschers gegen den „Freimaurer“ Felder kennt, verwundert der moderate Ton von Stolzens Schrift. In seinem Vorwort schreibt er, es gehe ihm um Auflärung über das Wesen der Freimaurer, das für ihn in „Mummerei und Spiegelfechtereien“ besteht und die Menschen verführe. Im Gegensatz zu der in Deutschland verbreiteten Meinung, dass von den Freimaurern „alles Schlimme, alle Wühlerei, aller Umsturz in Kirche und Staat“ komme und dass sie „die ganze Welt umsponnen und Alles in der Gewalt“ hätten,[71] glaubt Stolz nicht, dass „die Freimaurer besonders politisch gefährlich oder gar dunkelroth seien. Bei weitem die meisten Freimaurer wollen keine Revolution“.[72] Für die „teufelmäßigste aller Revolutionen, die erste französische“[73] seien sie aber in hohem Ausmaß verantwortlich gewesen. Ihre gegenwärtige Wirkung sei eine andere, sie wirkten wie „ein schleichendes Gift für die menschliche Gesellschaft.“[74] Er erhebt nun fünf Anklagen gegen die Freimaurer: sie umgeben sich mit Geheimniskrämerei, ihre Rituale sind läppisch, sie verschlemmen viel Geld und beeinträchtigen dadurch Familie und Gemeinde, sie bilden eine „bösartige Schmarotzerpflanze im Staat, insofern die Mitglieder nach allen Seiten hin einander unterstützen und befördern“[75] und der fünfte und schwerste Vorwurf: „Einen Freimaurer kann man freilich nicht vergleichen mit einem Löwen, der ein Pferd niederwirft, oder mit einem Elephanten, der einen Baum umreißt – Schleichen und still Benagen liegt den ächten Freimaurern näher, sie gleichen den Engerlingen, weichlichem Gewürm, welches unter den Boden kriecht und Wurzeln abfrißt. Sie zernagen langsam und unmerklich die Wurzel des Christenthums, den Glauben.“[76]
Insgesamt macht Stolz die Freimaurer lächerlich, ja er degradiert sie durch die Ungeziefer-Metapher zu Sozialschädlingen, sie haben einen Anstrich von „Falschheit und Unmännlichkeit“.[77] Felders „Dorf-Freimaurer“ Sepp entspricht diesem Diffamierungsklischee überhaupt nicht, im Gegenteil: Zwar verübt er seine Wohltaten in guter Maurermanier im Geheimen, aber ansonsten ist er ein aufrechter, männlicher, ja geradezu starrer Charakter.
Fußnoten: [66] Für diesen Hinweis danke ich Prof. Helmut Reinalter, Universität Innsbruck. - [67] Diese Titel finden sich in der Rubrik „Literarische Hinweise“ in: Latomia. Freimaurerische Vierteljahrsschrift. 25. Bd. (Leipzig 1866), 348. Im Inhaltsverzeichnis der Gartenlaube hingegen, des „’gott- und liebelosen Freimaurerblattes’ ", wie Felder in den Heilsgeschäften die kirchliche Polemik wiedergab (Felder, Werke 8, 186) findet sich etwa in den Jahrgängen 1861–1864 kein einziger diesbezüglicher Artikel; auch der Herausgeber Ernst Keil war kein Freimaurer. – [68] Felder, Werke 12, 102 - [69] Dr. Joseph Schauberg (1808–1866) war Fürsprech in Zürich, Mitglied der Loge Modestia cum libertate und betätigte sich eifrig als maurerischer Schriftsteller (Lennhoff u. a., Internationales Freimaurerlexikon, a. a. O., 744). Die Rückführung der Gründung des Freimaurerbundes auf das alte Ägypten, die Eleusinischen Mysterien und die Tempelherren, wie es Schauberg in dem von Felder erworbenen Band macht, war jedoch schon damals nicht unumstritten, vgl dazu Otto Henne am Rhyn, Die Freimaurerei in zehn Fragen und Antworten. Zur Aufklärung für das Vok und dessen Freunde (St. Gallen, 3. Aufl. 1865), der sich gegen Schauberg wendet. Zuletzt erschien das Handbuch 1974 in Walluf-Nendeln bei Sändig im Reprint. – [70] Henne am Rhyn, Die Freimaurerei, a. a. O., 48. - [71] Stolz, Mörtel, a. a. O., 7. – [72] Ebd. – [73] Ebd. , 51. – [74] Ebd. , 9. – [75] Ebd. , 18f. – [76] Ebd. , 21f. – [77] Ebd. , 10.
Felders Freimaurerbekanntschaften
Man ist geneigt, die Anschuldigungen gegen Felder, dass er im Solde der Freimaurer stehe oder selbst ein Freimaurer gewesen sei, als bloßen Ausdruck klerikaler Polemik zu verstehen. Felder hatte aber tatsächlich persönliche Bekanntschaften mit Freimaurern. Nachgewiesen werden kann dies in zwei Fällen, und in beiden Fällen ging die Initiative von den Freimaurern aus.[78]
Eugen Andreas Blödt aus Konstanz
Pfarrer Rüscher erhob im Zuge der neuerlichen Hetzkampagne gegen Felder nach der Wahlstörungsaffäre in Schoppernau 1868 den Vorwurf, dieser habe im Sommer 1867 Besuch von einem Freimaurer erhalten, wie der Schneider Natter 1920 berichtete; der Vorwurf sei dem Bezirksrichter Müller aber als „zu – naiv“ erschienen.[79] Dennoch hatte Rüscher recht: Wie aus einem Brief eines gewissen Eugen Andreas Blödt (oder Bloedt), „[s]eit 1859 Obereinnehmer des Großherzoglichen Domänenärars in Konstanz“[80] – viel mehr wusste man bisher über ihn nicht –, vom 27. Juni 1867 an Felder hervorgeht, hatte dieser ihn einige Zeit zuvor besucht. Blödt schrieb: „Meinem Versprechen gemäß erhalten Sie hiermit mein Conterfei. Es schaut zwar finster in die Welt hinaus, demungeachtet scheint im Herzen des Originals die Sonne. Da Sie von den Rittern des Löschhornordens für einen Freimaurer verzollt werden, so übersende ich Ihnen zugleich meine in der hiesigen Zeitung vom 11 Jänner v. J. veröffentlichte Beantwortung der Frage: Worin besteht das Wesen der Frmrei?[81] die mir verschiedene, jedoch ganz unschädliche Angriffe zugezogen hat.“[82]
Blödt hofft auf einen versprochenen Besuch Felders in Konstanz und berichtet, dass seine Familie „mit großem Eifer“ ‚Nümmamüllers’ lese und sich freue, den Verfasser kennenzulernen. Dann heißt es: „Mit inniger Freude gedenke ich der mit Ihnen verlebten Stunden, die ich leider nicht so habe benutzen können, wie es hätte geschehen sollen, weil ich von meiner langen Fußwanderung zu sehr ermüdet war.“ Der Zeitungsartikel, der handschriftlich beilag, enthält eine Passage über die nationale, konfessionelle und Standesgrenzen überschreitende Ausrichtung der Freimaurer, die klar macht, was Felder daran anziehend gefunden haben muss.[83]
Blödt war nun tatsächlich Freimaurer und eine der treibenden Kräfte bei der Gründung der Loge ‚Constantia zur Zuversicht’ in Konstanz, der ersten überhaupt im Bodenseeraum, die im Herbst 1865 ihren Betrieb aufgenommen hat. Von der Gründung 1865 bis 1867 sowie wieder von 1869 bis 1870 fungierte er als deren Meister vom Stuhl.[84] Geboren wurde er 1813 oder1814 in Eisenthal in Baden (heute Stadtteil von Brühl) als Sohn eines Bauern aus Affenthal, war katholisch und hat in Heidelberg Cameralistik studiert.[85] Blödts Herkunft aus dem Bauernstand war vielleicht ein zusätzliches Motiv für sein Interesse an Felder. Was er mit Felder hätte unternehmen wollen, wenn er nicht so ermüdet gewesen wäre, bleibt im Dunkeln, die Übersendung des Artikels deutet aber darauf hin, dass auch über die Freimaurerei gesprochen wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass Blödt versuchen wollte, Felder als Logenmitglied zu gewinnen und deshalb auch auf einen Besuch in Konstanz hoffte, der allerdings nie stattgefunden hat.
Die Eröffnung der Konstanzer Loge als Tochterloge der Großloge zur Sonne in Bayreuth wurde auch als Reaktion auf die schon erwähnte und in der Presse vielfach besprochene päpstliche Allokution gegen die Freimaurer vom September 1865 empfunden,[86] besonders da die Stadt „nächst Freiburgeine[r] der Hauptsitze der ultramontanen Partei“[87] war. Blödt selbst hat in einem Brief vom 6. April 1864 an den Meister vom Stuhl der Loge in Karlsruhe ein treffendes Sittenbild von Konstanz gegeben: „Konstanz ist eine Stadt, die ihrer so lange vereinsamten Lage wegen und bei dem öftern Wechsel, wie er in religiöser und politischer Beziehung darin vorgekommen ist, eine Bevölkerung erzeugen mußte behaftet mit Frömmelei, Aberglauben, Denkfaulheit und Trägheit, gepaart mit großer Genußsucht. Gehegt und gepflegt werden diese schlimmen Eigenschaften von jener hartnäckigen Partei, die überall das Licht der Aufklärung als ein vom Antichrist aufgestecktes verschreit und rastlos alles zu beseitigen strebt, was Nachdenken zu veranlassen geeignet erscheint und Helles in die dunkeln Köpfe bringen könnte. Kanzel und Beichtstuhl werden zu diesem Behuf in einer allem Heiligen Hohn sprechenden Weise mißbraucht. Der ‚Badische Beobachter’, dieser reactionäre Nachtfalter und ultramontane Staubaufwerfer, ist hier sehr verbreitet, hat in hiesiger Stadt sogar mehrere Correspondenten: unter solchen Verhältnissen dürfte unser Vorhaben, hier eine Loge zu gründen, wohl gerechtfertigt sein.“[88]
Der Logengründung vorausgegangen war Ende 1862 die Einrichtung eines „Maurerkränzchens“, ebenfalls unter dem Namen ‚Constantia zur Zuversicht’, mit Sitz im Packraum des Hauses von Ferdinand Halm, der von diesem und seinem Bruder Fritz, einem Maler, „kunstgerecht in einen kleinen Maurertempel mit blauer, von Goldsternen übersäter Decke“[89] verwandelt wurde. Zum Vorsitzenden war ebenfalls Blödt gewählt worden, an dessen Tätigkeit sich der Chronist Heeser erinnert: „Es lächert mich immer noch, wenn ich daran zurück denke, mit welchem Eifer mein Schwager Blödt, unser damaliger Vorsitzender, von seiner Wohnung aus, Torgasse 6, in weißen Handschuhen, mit schwarzem Frack und Cylinder, in Mitte seiner beiden 10- und 12jährigen Söhnchen, die jeder einen großen Blumenstrauß trugen, mit dem Menschenschwarm, der sich gerade aus dem Münster ergoß, unserem Lokale zusteuerte.“[90]
Die Mitglieder waren ehrbare Bürger; man findet unter ihnen Katholiken, Protestanten und Juden; am 2. April 1872 trat sogar ein „Landwirth“ bei, ein Herr Ruppert, der auf der Mainau wohnhaft war.[91] Franz Michael Felder scheint aber nicht unter den Logenbrüdern auf.[92] – So wenig man über die Begegnung von Felder und Blödt weiß, so bleibt doch die Tatsache bestehen, dass Felder das Interesse des Meisters vom Stuhl der ersten Loge im Bodenseeraum erregt hat, sodass dieser sogar eine anstrengende Fußreise zu ihm nach Schoppernau unternommen hat und weitere Kontakte wünschte. Eine bislang ungeklärte Frage ist die, woher Pfarrer Rüscher wusste, dass Felder Besuch von einem Freimaurer bekommen hatte.
Fußnoten: [78] Einem Freimaurer käme schon Felders abgekürzter Name F. M. Felder vertraut vor: Die Freimaurer arbeiten in ihren Schriftstücken, vor allem der Korrespondenz, sehr viel mit Abkürzungen (was dann im Munde des Weberles und im Volksglauben zu einer „Geheimschrift“ wurde, siehe oben S. ...). So bedeutet zum Beispiel ABAW „Allmächtiger Baumeister aller Welten“ (=Gott). Die Abkürzung FM, Felders Vornamen Franz Michael, steht geläufig für „Freimaurer“. Seltsamerweise passt auch Felders biographische Situation in diesen Kontext: Es existiert ein freimaurerisches Notzeichen als Erkennungsmittel im Augenblick höchster Gefahr, bei der die Frage „Wo ist der Sohn der Witwe?“ fällt. Felder nun war (jedenfalls seit dem frühen Tod seines Vaters) der Sohn einer Witwe. Vgl. dazu „Abkürzungen, Begriffe, Symbole“. In: Freimaurer. Begleitpublikation, a. a. O., 107, 113. – [79] „Gleich nach Beendigung dieser dritten Wahl versuchte Bezirksrichter Müller eine Versöhnung zwischen den zwei Hauptgegnern, Rüscher und Felder, zu Stande zu bringen. Felder ließ sich bewegen, mit Müller in den Pfarrhof zu gehen. Rüscher lehnte jedoch schroff ab, unter anderm mit der Begründung, es habe im Sommer Felder von einem Freimaurer einen Besuch erhalten, was aber selbst dem Bezirksrichter zu - naiv erschien.“ In: Josef Natter: Brief an Franz Michel Willam, Schoppernau, 7. 1. 1920. Manus ungedr. Teilweise erschienen in: Vorarlberger Nachrichten, Jg. 1969 (26.4.), 17. Felder, Werke 7, 544. Der Gedankenstrich vor „naiv“ deutet möglicherweise darauf hin, dass Natter ursprünglich „blöd“ hatte sagen wollen. – [80] Methlagl geht der Frage nicht nach, ob Blödt Freimaurer gewesen sei, und fügt lediglich hinzu: „Dieser gehobene Berufsstand läßt darauf schließen, daß er damals schon nicht mehr ganz jung gewesen sein kann. Wurde am 11. 11. 1871 nach Donaueschingen versetzt.“ Felder, Werke 11, 235. – [81] Frmrei = Freimaurerei, gängige maurerische Abkürzung. – [82] Eugen Andreas Blödt an Franz Michael Felder, Konstanz, 27. 6. 1867. Felder, Werke 10, 348. Der Artikel war am 11. 1. 1867 anonym in der Konstanzer Zeitung erschienen. Für diese Auskunft danke ich Norbert Fromm vom Stadtarchiv Konstanz. Dort war nicht bekannt, ob Blödt Freimaurer gewesen ist. - [83] „Der Kern der Frmrei besteht darin, daß sie von religiösem und politischem Glauben, von Stand, Vermögen, Nationalität und sonstigen Zufälligkeiten ganz absieht. Ob der an ihre Pforte Anklopfende Katholik sei oder Protestant, Jude oder Türke, ob er Aristocrat sei oder Democrat, Monarchist oder Republicaner; ob er arm sei oder reich, Deutscher oder Südseeinsulaner: darauf kommt es nicht an, dagegen gilt als entscheidende Bedingung der Aufnahme, daß er ein Mann sei von gutem Ruf, ein Mann, der alle seine Pflichten als Mensch und Staatsbürger gewissenhaft erfülle. Die Frmrei erkennt alle Menschen auf dem ganzen Erdenrund für gleichberechtigt und verpflichtet, sich gegenseitig mit Rath und That beizustehen, ganz besonders aber weist sie diese Pflicht des gegenseitigen Beistandes jenen Männern zu, die sie in ihre Hallen aufgenommen hat. Sie arbeitet an der Verbreitung von Licht und Recht, den 2 Grundpfeilern der menschlichen Gesellschaft, und sucht demgemäß auch das Gefühl der Menschenwürde zu wecken und zu heben. Ihre Angehörigen sind durch das Band der Achtung und der vollständigen Gleichheit mit einander verbunden, sind Brüder im edelsten Sinne des Wortes.“ Felder, Werke 10, 349. – [84] Gustav Riedel, Geschichte der Freimaurerloge Constantia zur Zuversicht im Or[ient]. Konstanz 1865 – 1925. (Konstanz 1926) (mit Foto von Blödt). Das Foto, das Blödt Felder geschickt hat, ist nicht erhalten. – [85] Die Matrikel der Universität Heidelberg. Fünfter Teil von 1807 – 1846. Bearb. von Gustav Toepke. Hg. von Paul Hintzelmann (Heidelberg 1904), 557. – [86] So stand zum Beispiel in der in Leipzig erscheinenden Freimaurer-Zeitung. Handschrift für Brüder, Jg. 27, am 6. 1. 1866 eine Notiz, dass am 22. 10. 1865 als Reaktion auf die Allokution des Papstes in Konstanz eine neue Loge eingeweiht worden sei. – [87] A. Heeser, Geschichte der Loge „Constantia zur Zuversicht“ (Konstanz 1905), 5. - [88] Protokolle und allgemeiner Schriftwechsel 1861–1868 der Loge „Constantia zur Zuversicht“ in Konstanz. FM, 5. 2. K. 62, Nr. 5. Freimaurerakten im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin. Für die Erlaubnis zur Einsichtnahme und Zitierung der Akten danke ich der Großloge von Deutschland in Berlin. – [89] Heeser, Geschichte, a. a. O., 4. - [90] Heeser, Geschichte, a. a. O., 5. Als erster Konstanzer war 1860 der Hotelier Ferdinand Halm Freimaurer geworden, als Mitglied der Loge Leopold zur Treue in Karlsruhe, der 1861 der Fabrikant Gottfried Honegger aus Meersburg und der Kaufmann A. Heeser und 1862 der Steuereinnehmer Eugen Blödt und der Stiftungsverwalter und nachmalige Oberbürgermeister von Konstanz, Max Stromeyer, ebenfalls beitraten. Die Gründer der Loge waren „Beamte, Kaufleute, Ärzte, Apotheker, Offiziere, Künstler, Journalisten, Unternehmer“ (125 Jahre Freimaurerloge Constantia zur Zuversciht 1865–1990. Hg. Von der Freimaurerloge Constantia zur Zuversicht (Konstanz 1990), 7); bis 1871 wuchs sie auf 38 Mitglieder an. 1871 errichtete sie im ersten Stock des Conzilsgebäudes eine Volksküche für die Armen der Stadt. - [91] Allgemeiner Schriftwechsel und Protokolle der Loge, beantwortete Fragen und Verpflichtungen der neuaufgenommenen Logenmitglieder 1865 – 1895. FM, 5.2. K 62, Nr. 6. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin. – [92] Die Akten im Geheimen Staatsarchiv in Berlin enthalten auch die Beitrittsformulare seit 1865.
Friedrich August Eckstein und die Rezeption der ‚Sonderlinge’ durch die Leipziger Freimaurer
Felders zweite Freimaurerbekanntschaft war auch bisher schon bekannt: Bei seinem ersten Besuch in Leipzig besuchte er am Vormittag des 14. August 1867 eine Stunde lang mit Hildebrand den Professor Friedrich August Eckstein, den Rektor der Thomasschule, an der Hildebrand unterrichtete. An Moosbrugger schrieb Felder darüber, im Hinblick auf mögliche Wahlkandidaten: „Jetzt redet man von Eckstein, dem Stuhlmeister der Freimaurerloge, einem Mann, den ich persönlich kenne und der mir einen bedeutenden Eindruck hinterließ.“[93] Auch in sein Leipziger Reisetagebuch schrieb Felder am 24. August fast gleichlautend: „Ein bedeutender Mann schien mir Rektor Ekstein (sic!), bei dem ich wol eine Stunde war, bevor ich zu Hirzeln gieng.“[94]
Die Stadt Leipzig war eines der ältesten und blühendsten Freimaurer-Zentren Deutschlands.[95] Prominente Leipziger Freimaurer waren etwa die Verleger Reclam und Teubner, Alfred Brehm, der Verfasser von Brehms Tierleben, der Klavierfabrikant Blüthner oder der Komponist Lortzing; Hildebrand und Felders Verleger Salomon Hirzel zählten nicht dazu.
Mit dem „bedeutenden Mann“ lag Felder wohl richtig, obwohl Eckstein 1867 noch nicht, wie Methlagl schreibt, Großmeister der sächsischen Freimaurerlogen war.[96] Friedrich August Eckstein wurde 1810 in Halle als Sohn eines Maurers geboren – möglicherweise auch ein Grund für sein spezielles Interesse an Felders ‚Sonderlingen’ –, stammte also, wie Felder, aus einfachen Verhältnissen. Nach dem gleichfalls frühen Tod des Vaters wurde er 1820 in das Waisenhaus der Francke’schen Stiftungen aufgenommen, wo er die Schule besuchte. Eckstein studierte in Halle Philologie und wurde Lehrer;[97] seine Nachrückung zum Direktor der Francke’schen Stiftungen wurde ihm 1851 aus politischen Gründen verweigert, da er liberaler Abgeordneter der Zweiten Preußischen Kammer war (1849–1851 und 1858– 1860) und zudem seit 1834 prominentes Mitglied der Loge ‚Zu den drei Degen’.[98] Eckstein galt als exzellenter Schulmann;[99] 1863 nahm er den Ruf als Rektor der Thomasschule in Leipzig an, deren Neubau er durchführte und die er bis ins Jahr 1881 leitete. Gleichzeitig lehrte er als Außerordentlicher Professor für Pädagogik an der Philosophischen Fakultät der Universität und wurde Vorsitzender der Wissenschaftlichen Prüfungskommisssion für das Höhere Lehramt. Eckstein war „über ein halbes Jahrhundert in der Gymnasialphilologie führend“[100] und hinterließ zahlreiche Publikationen.[101] Er starb 1885; in Leipzig ist eine Straße nach ihm benannt.
Auch seine Tätigkeit als Freimaurer war bedeutend: In Leipzig wurde er 1864 der seit 1805 bis heute bestehenden Loge ‚Apollo’ affiliert, neben ‚Minerva zu den drei Palmen’ und ‚Balduin zur Linde’ der jüngsten der drei Leipziger Logen. Von 1864–1870 und wieder 1872 war er Meister vom Stuhl dieser Loge.[102] In einer Geschichte des Apollo heißt es über Ecksteins Tätigkeit: „’Ein Schulmeister muß Freimaurer sein’ – ein Ausspruch von Friedrich August Eckstein, der sechs Jahre nacheinander Meister vom Stuhl der Loge blieb, und das als ein ‚unermüdlicher Arbeiter, mit Gefühlswärme, feinem Sarkasmus und köstlichem Humor ... Die Folge seiner in diesem Sinne geführten Logenleitung war ein weiteres Blühen des Apollo...’“.[103] 1870 wurde er zum Deputierten Großmeister der Sächsischen Freimaurerlogen gewählt und nahm als solcher am 3. Deutschen Großmeistertag in Hamburg teil.[104] Als Großmeister setzte er sich besonders für die Gründung einer Vereinigten Großloge von Deutschland ein.[105]
Eckstein ist die Schlüsselfigur für die Rezeption von Felders ‚Sonderlingen’ durch die Leipziger Freimaurer. Nachdem Felder Hildebrand von seiner Flucht nach Bludenz berichtet hatte, schrieb dieser ihm am 12. Mai 1867 zurück: „Von da gieng ich zu meinem Rector, Prof. Eckstein, der zugleich Meister vom Stuhl in der Freimaurerloge ist und neulich vor ein paar hundert Freimaurern einen Vortrag über Ihre Sonderlinge in der Loge gehalten hat; er sagte mir, im Nothfall sollte Ihnen die Hülfe der Freimaurer nicht fehlen, er ist sehr erwärmt für Sie.“[106] Soweit der bisherige Kenntnisstand.
Nun findet sich in der wöchentlich in Leipzig erschienenen ‚Freimaurer-Zeitung’ vom 18. Mai 1867 tatsächlich eine Notiz über diesen Vortrag,[107] allerdings ohne Namensnennung Felders: „Die am 6. Mai in der Loge[108] Apollo abgehaltene Monatsarbeit, zugleich Mess-Loge, war von vielen auswärtigen Brrn besucht. Ausser der Aufnahme einiger Suchenden bot die Arbeit einen interessanten Vortrag des Mstr. v. St. Br Eckstein, worin das Leben eines Bauers, welcher als Freimaurer zu leiden hatte, beleuchtet und mit Nutzanwendungen für die Frmrer der Gegenwart begleitet wurde.“[109]
Fußnoten: [93] Franz Michael Felder an Kaspar Moosbrugger, 23. 8. 1867. Felder, Werke 6, 81. - [94] Felder, Werke 9, 198. – [95] „Die erste – hugenottische – Loge gab es schon 1736. Der freie und von den Machtzentren relativ unabhängige Geist dieser Kultur- und Handelsstadt hat in mehr als 250 Jahren mehr als 30 Logen entstehen und wirken lassen. Wesentliche Kulturleistungen in der Stadt sind seit dem 18. Jahrhundert vor allem von Freimaurern initiiert: Das Gewandhaus, das erste Theater, Schulen, der erste Kindergarten, Stiftungen usw., Leipzigs Reichtum an Kunstsammlungen, an hum[an]itären und sozialen Stiftungen, der fast durchweg in städtische Verwaltung übergegangen ist. Freimaurer standen dahinter, die natürlich als Kaufleute auftraten, Künstler, Grundstückseigentümer, städtische Amtsinhaber.“ Otto Werner Förster, Günter M. Hempel. Leipzig und die Freimaurer. Eine Kulturgeschichte, (Leipzig 2008), 11. Vgl. dazu auch Alexander Süss, Leipziger Freimaurer in Wort und Stein, (Leipzig 2009). Für den Hinweis auf dieses Buch danke ich Prof. Helmut Reinalter, Universität Innsbruck. - [96] Methlagl schreibt einmal „Stuhlmeister der sächsischen Freimaurerlogen“ (Felder, Werke 9, 342), einmal „Großmeister der sächsischen Freimaurerlogen“ (ebd. , 360). – [97] Von 1827–1830 studierte Eckstein an der Universität Halle Philologie, unter anderem bei Nietzsches Lehrer Ritschl, und zählte dort zu den „lebendigsten und wohlbeanlagtesten [...] jungen Philologen“ (N. N. Lothholz, „Eckstein, Friedrich August“. In: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 48 (Leipzig 1904), 258). 1831 wurde er Lehrer, 1849 Kondirektor der Francke’schen Stiftungen. Zu Ecksteins Biographie vgl. auch Herbert Schönebaum, „Friedrich August Eckstein“, in: Neue Deutsche Bibliographie, Bd. 4 (Berlin 1959), 304f. und http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_August_Eckstein. - [98] Eckstein war dort von 1854-1863 Meister vom Stuhl und verfasste die Logenchronik bis 1843. – [99] Er erhielt Angebote für das Rektorenamt nach Meissen, Weimar, Görlitz und Gotha. – [100] Neue Deutsche Biographie, a. a. O., 305. – [101] Er besorgte unter anderem Textausgaben zahlreicher antiker Schriftsteller, gab eine lateinische Schulgrammatik heraus und beschäftigte sich mit der Methodik des Latein-, Griechisch- und Deutschunterrichts an der Oberstufe; 1871 erschien sein Nomenclator Philologorum, eine wichtige und zuletzt 2005 nachgedruckte biographische Quelle klassischer Philologen seit dem Humanismus. – [102] Otto Werner Förster, Die Freimaurerloge Apollo i. O. Leipzig. Hg. v. Peter König (Leipzig 2009), 28. - [103] Förster, Die Freimaurerloge, a. a. O., 19. Eckstein war auch Mitglied der von Freimaurern 1776 gegründeten Gesellschaft Harmonie, für die er eine Festschrift zur 100-Jahr-Feier verfasste. Er hielt immer wieder vielbeachtete Vorträge in der Loge, z. B. über Herder, Lessings Ernst und Falk oder Goethes Wilhelm Meister, die zum Teil in der Leipziger Freimaurer-Zeitung veröffentlicht wurden („Bruder Herder“. In: Freimaurer-Zeitung, Jg. 21(1867), Nr. 1, 5. Jan. 1867, 3–6; Nr. 4, 26. Jan. 1867, 25–27 oder „Lessings Ernst und Falk“. In: Freimaurer-Zeitung, Jg. 23 (1869), Nr. 2, 9. Jan. 1869, 9–12; Nr. 5, 30. Jan. 1869, 33–36. 1864 wurde er Ehrenmitglid der Minerva zu den drei Palmen (Matrikel der Freimaurerloge „Minerva zu den drei Palmen“ 1741–1932. Hg. v. Otto Förster, (Leipzig 2004), 57), 1870 Ehrenmitglied der Loge Archimedes zu den drei Reissbrettern in Altenburg (Latomia. Freimaurerisches Jahrbuch für 1872(sic!). 28. Bd. (Leipzig 1871), 215. – [104] Latomia. Freimaurerisches Jahrbuch für 1872 (sic!). 28. Bd. (Leipzig 1871), 215. – [105] „Auch in den folgenden Jahrzehnten war das Leben der Großen Landesloge von Sachsen eng mit der Entwicklung des deutschen Großlogenbundes verbunden; ihr Großmeister Friedrich August Eckstein war ein eifriger Vorkämpfer für die Gründung einer Vereinigten Großloge von Deutschland, die im Jahre 1878 auf der Tagesordnung im Großlogenbund stand.“ Renate Endler, Elisabeth Schwarze, Die Freimaurerbestände im geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Bd. 1 Großlogen und Freimaurerische Stifungen und Vereinigungen. (Frankfurt a. M. u. a. 1994), 210. – [106] Felder, Werke 9, 158. – [107] Von Eckstein gibt es leider keinen Nachlass, in dem sich vielleicht das Vortragsmanuskript erhalten hätte. – [108] In Original ist „Loge“ mit dem rechteckigen freimaurerischen Symbol wiedergegeben. Weitere Abkürzungen bedeuten: Brr = Brüder, Mstr. v. St. = Meister vom Stuhl, Frmrer = Freimaurer. Eine Mess-Loge ist eine Loge während der Leipziger Frühjahrs- oder Herbstmesse, zu der immer besonders viele auswärtige Freimaurer kamen. - [109] „Aus dem Logenleben Leipzig“. In: Freimaurer-Zeitung, Jg. 21 (1867), Nr. 20, 18. Mai 1867, 158.
In den Akten der Loge ‚Apollo’ im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin ist das Protokoll[110] dieser Messloge erhalten. Es handelte sich dabei um eine sogenannte Rezeptionsloge, bei der in einer feierlichen Zeremonie zwei neue Mitglieder, die Herren Tuchmann und Hirschfeld, als Lehrlinge in den Freimaurerbund aufgenommen wurden. Nachdem sie das maurerische Licht empfangen hatten, ging es folgendermaßen weiter: „Hierauf ergreift der S.[ehr] E.[hrwürdige] Br. Eckstein das Wort zum Vortrag. Ausgehend von dem durch die Gartenlaube bekannt gewordenen bäuerlichen Romanschriftsteller aus dem Bregenzer Wald und seinem Roman, analysiert derselbe die in demselben sich vorfindenden und von dem in seinem Dorfe ‚als Frmr.’ bekannten Sepperle vertretenen echt frmrerischen Gesinnungen, beschränkt sich jedoch vorzugsweise auf eine Besprechung der Stellung jenes Sonderlings zu der Kirche und schließt mit der aus dem Besprochenen sich ergebenden Nutzanwendung: An ihren Taten soll und wird man nur die Frmrr. erkennen.“[111]
Anschließend wurden die Neuaufgenommenen über Zeichen und Symbole des 1. Grades belehrt, maurerisch bekleidet und mit dem Logenzeichen versehen. Nach dem Unterschreiben der Verpflichtungen und dem Empfang des Gesetzbuches und des Mitgliederverzeichnisses wurden sie schließlich „maurerisch begrüßt.“
Ob es besondere Gründe hat, dass Felders Name hier nicht fällt, obwohl er durch den Gartenlaubenartikel eindeutig zu identifizieren ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Der Protokollant hat auch die Namen der Protagonisten der ‚Sonderlinge’, Sepp und Barthle, zu einem „Sepperle“ kontaminiert. Wesentlich für unseren Zusammenhang ist aber die Aussage, dass Sepps Ansichten „echt freimaurerisch“ seien. Dass Felders Roman Gegenstand eines Vortrages bei einer Rezeptionsloge wurde, also bei einer Veranstaltung, in der es um den Kern der Sache ging, ist ein starkes Argument für die große Akzeptanz, die Felder auf maurerischer Seite fand. Ob es zu finanziellen Zuwendungen der Loge ‚Apollo’ an Felder gekommen ist, wie Hildebrand in seinem Brief angedeutet hat, kann nicht mehr festgestellt werden, da keine Aufzeichnungen darüber vorhanden sind.[112]
Die maurerische Öffentlichkeit wurde noch einmal auf Felder aufmerksam gemacht, diesmal mit Namensnennung: Am 20. Juli 1867 brachte die ‚Freimaurer-Zeitung’ in der Rubrik „Aus dem Logenleben. Tirol“ einen Artikel über Felders ‚Sonderlinge’ und seine Verfolgung als „Freimaurer“.[113] Es handelt sich dabei um den bekannten und bereits im Kommentarband der Felder-Ausgabe abgedruckten Artikel aus der ‚Augsburger Allgemeinen’ vom 8. Juli,[114] der mit den Worten endet: „So stehts im Lande Tirol. Wer die ‚Sonderlinge’ gelesen hat, dieses trefflich geschriebene Buch eines einfachen, aber klar denkenden, wackern Bauers, der hält es nicht für möglich, das man eine solche Schrift verketzert; aber in Tirol ist alles möglich.“ Felders Schicksal wurde also von den Leipziger Freimaurern als Beispiel für die reaktionären Zustände in Tirol, mit dem Vorarlberg bis 1867 verbunden war, rezipiert.[115]
Möglicherweise als Folge dieser publizistischen Präsenz Felders und seiner ‚Sonderlinge’ in der maurerischen Presse hat der Autor auch Eingang in die 1913 erschienene ‚Bibliographie der freimaurerischen Literatur’[116] gefunden, wo die ‚Sonderlinge’ aufscheinen. Dort findet sich auch ein Hinweis auf die Publikation von Reinhold Taute: ‚Ordens- und Bundesromane. Ein Beitrag zur Bibliographie der Freimaurer’, 1907 in Frankfurt am Main bei Mahlau & Waldschmidt erschienen, eine chronologische Auflistung belletristischer Erscheinungen zum Thema „Freimaurer“. Felders ‚Sonderlinge’ stehen als Nr. 356 zwischen dem Roman ‚Des Rabbi Vermächtnis’ von August Becker (Berlin: O. Janke 1866–1867) und ‚Vermauert’. Eine Erzählung von X. Herzog (Klingenau, 1867).
Über Felder und seine ‚Sonderlinge’ heißt es: „Der vom Hass der Ultramontanen verfolgte, 1869 zu Bregenz (sic!) im 30. Lebensjahre verstorbene Bauerndichter Felder, vertrat die Auffassung, dass das Heil der Menschen in der gegenseitigen Anpassung und dem Zusammenwirken Aller bestehe. Er schildert hier in kräftiger, origineller Sprache mit vielfachen Anklängen an Zschokkes Goldmacherdorf (No. 216) zum Teil eigene Erlebnisse. Der kluge Maurersepp, der in allen Dingen Glück hat und dessen braver Sohn Franz, werden von den befangenen Bauern allgemein als ‚Freimaurer’ bezeichnet, ihnen sind ‚die halb lutherischen’ Freimaurer Leute, die an keinen Gott glauben, denen nichts heilig ist und die mit dem Teufel einen Bund gemacht haben. Der ursprüngliche Titel dieses Romans lautete ‚Der Dorfreimaurer’, woran das 3. Kapitel des 1. Bandes (S. 35–66) mit der Ueberschrift ‚Der Freimaurer’ jetzt noch erinnert.“[117]
Felders ‚Sonderlinge’ haben also ihren Weg zu den Freimaurern gefunden, trotz der Kritik, die Felder an Sepps Anschauungen übte und die schon Rudolf Hildebrand aufgefallen ist. Es ist bezeichnend, dass sich Eckstein in seinem Vortrag in der Loge ‚Apollo’ auf das Verhältnis von Sepp zur katholischen Kirche konzentrierte, denn in diesem Punkt gibt Felder seiner Figur im Roman vorbehaltlos recht. Trotzdem ist die Behauptung gerechtfertigt, dass Felder der Freimaurerei gedanklich nahestand, obwohl er kein Logenmitglied war. Für die Freimaurer war er, wie etwa auch Alexander von Humboldt, ein „Maurer ohne Schurz“. Mit dieser Bezeichnung wird ein Mensch geehrt, „dessen Leben vorbildlich auch den freimaurerischen Idealen entspricht“.[118]
Und zum Schluss noch ein kleines Kuriosum: Die Bearbeitung der ‚Sonderlinge’ durch den friesischen Nationaldichter Waling Dykstra, 1869 bei T. Telenga in Franeker erschienen, nennt sich De ‚Frymitseler fen Jinsenbûren’ (Der Freimaurer von Jinsenbûren), wurde also einem Prozess der Re-Masonisierung unterzogen. Es gibt bislang keinen Hinweis darauf, dass Dykstra selbst Freimaurer war,[119] er war aber in einer ähnlichen Situation wie Felder und wurde von der calvinistischen Staatskirche als Liberaler und Modernist angegriffen.[120] Möglicherweise ist aber der Freimaurer-Titel neben dem speziellen Interesse an der friesischen Sprache ein Grund dafür, daß der Frymitseler in Großbibliotheken in London, Chicago, New York und Washington vorhanden ist.[121]
Fußnoten: [110] Protokolle I, 1858–1867, FM, 5. 2. L 17 Nr. 311 Blatt 199‚Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin. – [111] Der vollständige Text des Protokolls wird in einem der nächsten Jahrbücher des Franz-Michael-Felder-Archivs veröffentlicht. – [112] Felder, der theoretisch bei einem seiner beiden Leipziger Besuche in eine Loge hätte aufgenommen werden können, war sicher kein Mitglied des Freimaurerbundes. Für diese Auskunft danke ich Frau Lange vom Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, die die Matrikeln der drei Leipziger Logen durchgesehen hat. – [113] Freimaurer-Zeitung, Jg. 21 (1867), Nr. 29, 20. Juli 1867, 230. Der Artikel ist als aus den Leipziger Nachrichten übernommen gekennzeichnet. Die Leipziger Nachrichten, Jg. 1867, sind in keiner deutschen Bibliothek nachgewiesen. – [114] Felder, Werke 7, 376. – [115] Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass in der ebenfalls in Leipzig erscheinenden maurerischen Vierteljahresschrift Latomia 1867 in der Rubrik „Literarische Besprechungen“eine Rezension von Ludwig Rapps schon erwähntem Büchlein Freimaurer in Tirol zu lesen war, in der die Hoffnung geäußert wurde, dass sich den Freimaurern „das hermetisch verschlossene Gebiet Tirols“ eröffnen werde, da man beginne, sich dort mit Freimaurerei zu befassen (obwohl in der cisleithanischen Reichshälfte die Freimaurerei damals verboten war, U. L.). „Diesen Erfolg wünschen wir weniger dem Bunde selbst als Tirol“, heißt es weiter, denn die „weise, gemässigte Tendenz des Freimaurer-Bundes“ könne für die Entwicklung der Kulturzustände in Österreich, namentlich in Tirol, von der größten Bedeutung sein. „Bildung, Humanität, Ausgleichung thut dem schönen Lande noth, und diese Güter kann der Bund, wenn er seine Aufgabe recht versteht, bringen und bieten.“ Ludwig Rapp, Freimaurer in Tirol [Rez.]. Innsbruck: Wagnerische Druck- und Universitätsbuchhandlung 1867. In: Latomia. Freimaurerische Vierteljahresschrift. 25. Bd. (Leipzig 1866?), 331. – [116] Bibliographie der freimaurerischen Literatur. Hg. v. August Wolfstieg (Selbstverlag des Vereins Deutscher Freimaurer 1913), Register. Beim dort unter „Felder, Franz Michael“ angegebenen Hinweis auf „Felder: Freimaurerei und Konfessionen.“ in der Zeitschrift der Schweizer Freimaurerlogen Alpina 30/1904, 33–34 handelt es sich um einen Irrtum; der Verfasser ist ein „Br Felder, Luzern“. - [117] Hier zitiert nach dem Reprint Graz 1977, 104f. – [118] Lennhoff u. a., Internationales Freimaurerlexikon, a. a. O., 554. - [119] Für diese Auskunft danke ich Otto Kuipers von Tresoar. Fries Historisch en Letterkundig Centrum. Auch im Falle von Pieter Nicolaas Muller, der 1868 Felder und seine Sonderlinge in den Niederlanden durch einen umfangreichen Artikel in De Gids bekannt gemacht hat, konnte ich bisher keinen Hinweis auf eine Mitgliedschaft bei einer Loge finden. – [120] http://nl.wikipedia.org/wiki/Waling_Dykstra. - - [121] Vgl. dazu Karl Heinz Burmeister, Ulrike Längle, Die Felderrezeption in den Niederlanden. In: Montfort. Vierteljahresschrift für Geschichte und Gegenwart Vorarlbergs. Jg. 42 (1990), H. 2/3, 111–161.
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