Traktat: Im Zeichen des Ungeistes

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Im Zeichen des Ungeistes

Merkwürdige Jahrestage.

28.7.1914 . Der 1.Weltkrieg beginnt mit der Kriegserklärung von Österreich-Ungarn an Serbien. Hervorragend aufgearbeitet vom australischen Historiker Chr. Clark in „Die Schlafwandler. Europa auf dem Weg in den Abgrund“. Er hielt auch kürzlich den Festvortrag zur diesjährigen Salzburger Festspieleröffnung. Seine Kernthese: Dieser Krieg sei keinesfalls unausweichlich gewesen und die Risiken der jeweils verfolgenden Strategien seien in den beteiligten Ländern nicht abgewogen oder adäquat erkannt worden.

1.9.1939.“Um 5.45Uhr wird zurückgeschossen“.(A.H.) Mit diesem Propagandasatz begann der 2.Weltkrieg,gerade 25 Jahre nach dem 1.Fanal.Millionen Männer wurden zum „Kriegsdienst“, besser zum Krieg führen, eingezogen, bspw. auch mein Vater, der gerade ein Jahr verheiratet, noch im September einrückte und erst 1949 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. Die Traumata dieser Generationen blieben sehr lange und sind auf die folgenden Generationen übertragen worden. Zum akuten Schmerz kam das Folgeleid, welches erst jetzt allmählich aufgearbeitet wird.

Die „Zeichen des Ungeistes“ ,wie R.Kriss, der gelehrte Völkerkundler, Regime- kritiker und zum Tode Verurteilter und nach 1945 erster Nachkriegsbürger- meister von Berchtesgaden seine KZ-Erinnerungen nannte, diese Zeichen zu erkennen, zu deuten und zu wandeln ist jetzt unsere humanitäre Aufgabe. Frei, aufbauend, ohne Tabuisierung und Angst. Deshalb arbeiten wir heute in diesem Haus auf dem Kehlstein,1939 als Geburts- tagsgeschenk zum 50. für einen der großen Ver-Führer und Diktatoren gedacht, nicht berücksichtigend, das dieser nicht schwindelfrei war und deshalb nur wenig diese Aussicht genießen konnte.

Wir wollen reflektieren und wiederholt lernen, das unsere fm. Ideale der Menschenliebe, der Toleranz und der Humanität stärker und dauerhafter sind als Rassismus, Machtbesessenheit und Hass.

Wir wollen hier in schwierigen Zeiten unsere fm. Überzeugungen ausdrücken. Wir wollen rechtzeitig uns und unsere Stimmen erheben, um das zu leben was unsere Vätergenerationen uns auf den Lebensweg mitgaben: „Nie wieder“!

Hören wir aus der letzten Arbeit der Bad Reichenhaller Loge vom 9.7.1935 die Abschlußworte: S.1-3 Mitte * * *

Helmut Neuberger, Verlagslektor, promovierte an der LMU München mit der Arbeit “Die Freimaurer und das 3.Reich,Winkelmaß und Hakenkreuz (2001).Er kommt nach seinen Studien zu der Aussage: Die These von der angeblichen „Weltverschwörung“ der „überstaatlichen Mächte“ Judentum und Freimaurerei war ein Element der sog.“Dolchstoßlegende“, mit deren Hilfe weite Kreise des deutschen Volkes die Niederlage Deutschlands im 1.Weltkrieg zu bewältigen versuchten – tatkräftig bestärkt von den ehemaligen Eliten des Kaiserreichs, denen dieser Mythos willkommene Gelegenheit bot, vom eigenen Versagen abzulenken. In Wahrheit war die deutsche Freimaurerei bis dahin mehrheitlich ein Element des preußischen Konservatismus - kaisertreu und über jeden Vorwurf nationaler Unzuverlässigkeit erhaben. Nicht von ungefähr standen die drei Altpreußischen Großlogen, denen die Mehrheit der deutschen Freimaurer angehörte, seit den Tagen Wilhelms I. unter dem Schutz des jeweiligen deutschen Kaisers.

Obwohl die Mehrheit der deutschen Freimaurer keineswegs als Anhänger der Weimarer Republik gelten konnte, gelang es der völkischen und nationalsozialistischen Propaganda, die Freimaurerei mit der Republik zu identifizieren und diese Gleichsetzung im Bewusstsein der eigenen Anhänger und in der Bevölkerung zu verankern. Die deutschen Freimaurer erkannten nicht, dass die Logen nur ein Werkzeug in einem systematischen Propagandakampf waren, sondern hielten die gegen sie gerichteten Kampagnen meist für schlichte Irrtümer, denen mit Aufklärung abzuhelfen wäre.


Als Adolf Hitler am 30.1.1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, reagierten sie mit Ergebenheitsadressen und Anpassungsversuchen an die neuen Machthaber, die bis zur Aufgabe aller freimaurerischen Merkmale und Umwandlung der Altpreußischen Logen in christliche Orden reichten – natürlich vergebens.


Das NS-Regime zog gegen die deutschen Freimaurer alle Register staatlichen Terrors: Die Logen wurden mit einer Flut von behördlichen Maßnahmen systematisch geschwächt und schließlich verboten. Ihr Vermögen wurde konfisziert, ihre Mitglieder diskriminiert, beruflich geschädigt und nicht selten persönlich verfolgt.


Fortsetzung der Abschlussworte vom 9.7.1935: S.3 Mitte bis S. 6 unten ***

Zur Vergegenwärtigung:

1743 wurde in Hamburg die erste deutsche Freimaurerloge „Absalom“ gegründet.1943 hätte die deutsche FM ihren 200. Jahrestag feiern können. Es sollte nicht dazu kommen. Die Einstellung der Nationalsozialisten zur FM war von Anfang an klar definiert, wie der Chefredakteur des „ Völkischen Beobachters“ Alfred Rosenberg schrieb:

…“deshalb darf kein Freimaurer der NSDAP angehören und umgekehrt. Die NSDAP hat der Freimaurerei den Kampf angesagt und Gegensätze dürfen nicht überkleistert, sondern müssen bis zur Entscheidung durchgekämpft werden.“ Die Nationalsozialisten hatten erkannt, dass geistige Freiheit, wie sie die FM verstand, und Totalitarismus einen absoluten Gegensatz bildeten. So sagte Adolf Hitler 1940: “Entweder wir oder die Freimaurerei oder die Kirche. Aber niemals zwei nebeneinander“.


Während die Nationalsozialisten in Deutschland zwei Jahre ab 1933 brauchten, bis sie die Logen erledigt und schließlich 1935 alle geschlossen und jeglichen Freimaurerbesitz angeeignet hatten, dauerte das 5 Jahre später 1938 nach der Eingliederung Österreichs nur noch wenige Tage.

Von ca. 80000 deutschen Freimaurern wurden während der Nazizeit bekanntermaßen 62 ermordet. Noch heute wird gern als Erkennungszeichen und zur Erinnerung an diese Zeit ein Vergissmeinnicht getragen.


Aber die Wege der FM und einzelner Freimaurer waren in der Nazizeit sehr unterschiedlich. Ein Teil der Logen wurde zwangsweise geschlossen. Ein kleiner Teil dagegen hatte „die Seiten gewechselt“ und sich den Nazis als Instrument der Anti –FM-Propaganda zur Verfügung gestellt. Die große Mehrheit löste sich, “zum Wohl der deutschen Volksgenossen „ selbst auf.

Hören wir nun die Abschlussworte der letzten Arbeit vom 9.Juli 1935: S.6-8 ***


Was sind die Lehren, was die Aufgaben, welches die Ziele? Wir sind heute nicht hier um einen Ort, schon gar nicht eine Ideologie zu verherrlichen. Auch Triumphalismus ist nicht unsere Sache!

Weder der Obersalzberg als Urlaubssitz der NS-Herrscher, noch der Kehlstein mit seiner herausragenden Form sind von übergeschichtlicher Bedeutung. 12Jahre NS-Diktatur von 1933-1945 haben wohl blutige Wunden, Mord und Vernichtung, Grauen und Schrecken verbreitet und den 2. Weltkrieg ausgelöst. Auch die FM hat ihren Tribut gezollt. Doch überlebt haben die Freiheit, die Toleranz und das gegenseitige Verständnis füreinander. Deutschland und die Völker Europas wachsen zusammen. Das ist nicht selbstverständlich(!), nicht einfach und immer wieder mit Rückschlägen verbunden.

Einige Beispiele für heutiges fm. Wirken: Unser Br. Marcel Valmy schrieb den Text zur Europahymne mit der Melodie Beethovens, der Ode an die Freude. Er wurde 2004 europaweit ausgewählt. Darin heißt es programmatisch:

 
„Schließt den Bund der Vaterländer, gebt Europa Ziel und Sinn! Knüpft der Freundschaft feste Bänder über alle Grenzen hin! Reißt die Vorurteile nieder, die nur trüben Zeit und Geist! Alle Menschen werden Brüder wo sich Einigkeit beweist!
Schließt den Bund der Menschenherzen wider die Vergangenheit! Allen Irrtum, alle Schmerzen, alle Wunden heilt die Zeit! Wenn wir uns die Hände reichen treu zum wahren Menschentum, werden alle Schatten weichen zu Europas höh`rem Ruhm!
Schließt den Bund der Menschenwürde, die man oft mit Füssen trat! Jeder trag des andren Bürde, sei des andern Kamerad! Hand in Hand lasst uns nun gehen und uns schwören diesen Eid: Leuchtend soll Europa stehen als ein Hort der Menschlichkeit!

Ein weiteres: Die FM ist im Geist der Aufklärung entstanden, wie I. Kant sie definierte, “als Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ .Dies geht nur durch Bildung der Herzen und der Gehirne. Umso bemerkenswerter, das am Fuße des Kehlstein nicht nur ein großes Schulzentrum(mein Arbeitsplatz seit 38 Jahren), sondern auf der Buchenhöhe ein bedeutendes Asthma- und Gesundheitszentrum entstanden ist, das unser Br. Dr. Walter Schütz wesentlich mit initiiert hatte. Die Kraft des Lebens und des Wachstums ist stärker als Gewalt, Zerstörung und Tod.

Ein Drittes: Freiheit, Menschenrechte und Demokratie müssen immer wieder neu erkämpft, erhalten und erweitert werden. Als freie Männer von gutem Ruf arbeiten wir gemeinsam am großen Bau. Die Vereinnahmung der FM in der NS-Zeit hat unbestreitbare Schatten auf unser Tun gelegt.

Dies zu erkennen und zu bekennen steht uns auch heute an.“Allein der Mensch ist im Stande seine Fehler und Irrtümer zu erkennen und zu beseitigen. Er allein kann an der Entwicklung seiner guten Anlagen arbeiten“, heißt es im Ritual. Bewahren wir uns also auch in den Stürmen und Verwirrungen des Lebens die Freiheit und Unabhängigkeit des Geistes.


Und so hören wir immer wieder die Aufforderung und Mahnung:

“ Wehret dem Unrecht wo es sich zeigt, kehrt niemals der Not und dem Elend den Rücken, seid wachsam auf euch selbst!“


Alle Opfer des NS-Regimes – schreibt Rudolf Kriss in seiner Biografie – haben uns damals den Auftrag erteilt, den Ungeist des Nationalsozialismus auszurotten. Dieser Auftrag, diese Verantwortung ermahnt uns zur Wachsamkeit gegen Radikalismus und Totalitarismus in allen seinen Formen.

Wo Intoleranz und Vorurteile, wo Gewalt, Ungerechtigkeit und Ausbeutung herrschen, da sind die Orte der Auseinandersetzung.


Empören wir uns in der Welt und stärken uns in der weltweiten Bruderkette. Bedenket alle: Der Geist überwindet den Ungeist!

Obersalzberg, den 12.9.2014


Recherche,Zusammenstellung,Text: Georg Biernat, Dieter Bobek,Thomas Weber