Traktat: Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben

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Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben

in der „Loge Zur oberbergischen Treue

Ehrwürdiger Meister vom Stuhl. Geliebte Brüder – in all Eueren Graden... Das Thema meiner heutigen Zeichnung sind Gedanken zu einer Formel, die uns allen sehr bekannt sein dürfte: „Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“ Als fester Bestandteil unseres Rituals, mit dem der Stuhl-Meister die Loge eröffnet, ist er uns schon mehr als oft begegnet.


Ich muss zugeben, dass dieser Satz bei mir – und ich mutmaße, nicht nur bei mir – den Eindruck erweckt, als wenn es sich dabei um ein Paradoxon handeln könnte. Zumindest fühlt es sich so an. Und ich führe dieses Gefühl auf die Spontaneität der Reaktion zurück, die nur eine oberflächliche Betrachtung zulässt. Aber wie jedes Paradoxon birgt auch dieses ein Geheimnis. Denn ein Paradoxon ist so gut wie nie einfach nur ein Widerspruch - viel öfter ein scheinbarer Widerspruch. Die dadurch entstehende intellektuelle Reibungswärme löst bei mir immer wieder Aufmerksamkeit aus. Was, wie ich glaube, gar nicht unabsichtlich geschieht.


Wenn man nämlich dem Impuls zu einer Spontanreaktion so oft ausgesetzt ist, sollte das Spontane irgendwann keine Rolle mehr spielen und langsam einer intensiveren, einer tieferen Auseinandersetzung weichen. Und so stellte sich bei mir irgendwann die Frage ein, in welchem Verhältnis Freiheit und Gesetz zueinander stehen. – Ob sie sich vielleicht sogar widersprechen?

Dem ersten Impuls folgend, möchte ich JA sagen! Gesetzte schränken die Freiheit doch ein – oder? Doch dann müsste man sich als nächstes fragen, was dann dieser Satz in der Tempelarbeit zu suchen hat. Es muss eine andere Antwort geben. Also probiere ich es mal mit NEIN.


Nein, sie sind kein Widerspruch! Was wäre, so mein nächster Gedanke, wenn Gesetz und Freiheit sich bedingen? Das könnte dann zweierlei bedeuten: Erstens, dass Freiheit das Resultat der Gesetze wäre, so wie es das Ritual sagt.


Und zweitens, dass die Freiheit die Voraussetzung für das Gesetz ist. Vielleicht versuche ich mich mal an einer Begriffsklärung. Freiheit, wenn man sie als einen politisch-philosophischen Begriff versteht, wird in der Regel beschrieben als die individuelle Möglichkeit, ohne Zwang zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten auswählen und entscheiden zu können. Der Begriff benennt allgemein einen Zustand der Autonomie eines handelnden Subjekts. – Die Freiheit des subjektiven Handelns.

Das erste Zitat, das mir zum Stichwort Freiheit einfällt, ist das von Rosa Luxemburg, das „Freiheit auch immer die Freiheit der Andersdenkenden ist.“ Meine zweite Idee/Assoziation ist mehr musikalischer Art und stammt aus „Me and my Bobby McGee“ von Janis Joplin.

Dort heißt es: „Freedom is just another word for nothing left to lose…” Auf Deutsch: “Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, nichts mehr zu verlieren zuhaben.”

Nun zum Begriff Gesetz! Unter den ebenfalls unzähligen Definitionen für diesen Begriff fand ich folgenden Gedanken sehr inspirierend: Von seiner Wortherkunft her bezeichnet nämlich der Begriff Gesetz etwas Gesetztes, etwas Festgelegtes. Ein Gesetz ist also im eigentlichen Sinn des Wortes eine Festlegung von Regeln.

Also handelt es sich nicht nur um Gesetze, die eine Gesellschaft organisieren, sondern auch um Gesetze, die die Natur uns vorgibt. Oder um verbindlich festgelegte Regeln, die man selber erschafft, um ein soziales Gebilde zu regeln.

Oder um Gesetzmäßigkeiten, die durch Gewohnheit entstehen.? Oder um einen Verhaltenskodex zwischen Menschen, der auf einer gemeinsamer Zustimmung oder einem individuellen moralischen Wertesystem beruht und den Umgang berechenbarer macht?

Gesetze werden also geschaffen, um aus Individuen ein soziales Ganzes zu erschaffen – d.h. durch sie definiert sich die Gruppe. Schlussfolglich sind sie nur wertvoll, wenn sie auch für die gesamte Gruppe Gültigkeit haben. Denn dann erfüllen sie ihren Zweck.

Ist das aber der Fall, nivellieren sie den qualitativen Level, des jeweils zu regelnden Sachverhalts. Denn um eine soziale Gruppe über allgemein gültige Regeln/Gesetze zu organisieren, muss man sich bei der Suche nach gemeinsamen Nennern am jeweils schwächsten Glied orientieren, was der Grund dafür ist, das gemeinsame Nenner so tief/klein ausfallen. Kleine Anmerkung aus der Soziologie: Dort hat man festgestellt, dass der IQ einer Gruppenentscheidung immer unter dem arithmetischen Durchschnitt die Gehirn-Potenz der einzelnen Gruppenmitglieder liegt. Dennoch sollte der Mensch/Maurer, wenn er sich selbst als soziales Wesen definiert, verstehen, dass das Gefüge mehrere Menschen nur funktionieren kann, wenn es verbindliche Regeln gibt.

Entweder für alle die Selben – oder freiwillig welche mit höherem Maßstab, wenn man ein Beispiel setzen will. In dem Zusammenhang flirrt mir der Begriff Gesetzestreue durch meine Gedanken.

Welchem Gesetz muss man treu sein? - Wie lange? - Wofür? - Und ist „ziviler Ungehorsam“ ein Widerspruch dazu? Eine schwere Frage. Denn während für den einen Zivilcourage nicht weniger als die Einlösung eines moralischen Gesetztes ist, sieht manch andrer bestenfalls eine verbal-moralisch bereinigte Fassung von Gesetzesbruch darin.

Welchen Wert „ziviler Ungehorsam“ hat, wird klar, wenn man sich fragt: Wann würde ich den Gesetzen nicht mehr folgen? Ich für meinen Teil glaube, dass Gesetze, die ohne gesellschaftlichen Nutzen die Freiheit derer rauben, für die sie gemacht sind, keine Existenzberechtigung haben. In schweren Fällen sogar gesetzwidrig sind. Stichwort „Diktatur / Drittes Reich“.

Und wenn man jetzt anfängt historisch zu denken, an Zeiten, in denen den Freimaurern (zu Unrecht) unterstellt wurde, sie würden außerhalb der Gesetze stehen, um sie zu denunzieren. Ja dann bekommt so ein prophylaktisch präventiv abgegebenes Bekenntnis neben seinem pragmatischen Nutzwert auch noch eine historisch kommunizierende Komponente. Auf gut deutsch: Es ist ein Statement!

Ein weiterer Aspekt, der mir plötzlich in den Sinn kommt, ist die Frage, ob innerhalb des Rahmens, den uns das Gesetz steckt, die Freiheit uneingeschränkt ist. Wenn ja, geht also auch darum, sich für den Gesetzesrahmen zu interessieren. Wenn nein, ... dann auch! Dass es in der Formulierung Konjunktiv heißt, „Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben“, deutet für mich auf eine Option hin. Es besteht die Möglichkeit zur Freiheit.


Sie ist aber an mehr als eine Bedingung geknüpft, wobei die „Einhaltung verbindlicher Regeln (auch Gesetze genannt) eine obligatorische Voraussetzung dafür ist. Auch über die rethorisch festgelegte Form von „Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben“, gehen mir ein paar Gedanken durch den Kopf: Wird die Formel doch wie ein Gelöbnis vom Stuhl-Meister für alle anwesenden Brüder gesprochen/gelobt. Als Bekenntnis zur Gesetzestreue? Oder vielleicht doch mehr? Wenn sie aber für eine definierte Gruppe allgemein gültigen Charakter bekommt, ist sie doch so was wie ein Gesetz. Und ist das dann keine Tautologie?

Und ist eine Tautologie nicht (fast) das Gegenteil eines Paradoxon? Oder das übergeordnete Prinzip, die Prinzipien anzuerkennen? Vielleicht sollten wir uns auch mal unsere Vorstellung von Freiheit und ihren Stellenwert in unserem ganz persönlichen Wertesystem überdenken. „Ja ja“, höre ich meinen inneren Pavlow´schen Hund im Bruchteil einer Sekunde bellen, „Freiheit ist eines der höchsten Güter“. Zwar wird sie als ein durch Gesetze beschützter Absolutwert kommuniziert, aber ich glaube, dass es sich eher um ein instabiles Relativum handelt, um dessen Erhalt man sich ständig bemühen muss. Denn sie existiert immer in Relation zu anderen Werten.

Wenn man die Freiheit etwas weniger statisch überhöht betrachtet, wird einem klar, dass weniger die bloße Existenz des Gesetzes für Freiheit sorgt, als nach dem Gesetz zu leben; weil gegenwärtiges Handeln dem zarten Pflänzchen Licht, Wasser und Boden gibt.

Lässt man es, welkt auch die Freiheit. Denn Freiheit ist etwas, das sich auflöst, wenn man versucht es festzuhalten.