Gustav R. Kuéss - Die Vorgeschichte der Freimaurerei
Inhaltsverzeichnis
Die Vorgeschichte der Freimaurerei
im Lichte der englischen Forschung
G. R. Kuess
INHALTSVERZEICHNIS
- Einleitung
- Die englische Forschung und ihre Quellen
- Die Bezeichnungen "Mason" und"Freemason“
- Die Bezeichnung „lodge“
- Die "mysteries“
- Die "Alten Pflichten“
- Das Mason-Wort
- Die "angenommenen" Masons
- Die Londoner "Accepcon”
- Die Geselligkeitslogen
- Der Beginn der "spekulativen" Freimaurerei
- Die Errichtung der ersten Großloge
- Die Pflicht "Gott und die Religion betreffend
- Anmerkungen und Literatur
- “Freemasonry is a peculiar system of Morality, veiled in Allegory, illustrated by Symbols.'
(Englisches Ritual)
Einleitung
Die spekulative Freimaurerei war seit Anbeginn nicht so sehr von äußeren Gegnern als von zwei großen inneren Gefahren bedroht: dem Abgleiten in bloßen Geselligkeitsbetrieb und dem Versinken in Mystizismus. Vor diesen Gefahren kann sie nur bewahrt werden einerseits durch sorgsame Pflege des Rituals und der Symbolik und andererseits durch ständige Besinnung auf ihre ursprünglichen Zielsetzungen, denen sie ihre weltweite Verbreitung und ihren jahrhundertelangen Bestand verdankt.
Wer des Rituals und der Symbolik entraten zu können glaubt, hat ihre wesentliche Funktion nicht erkannt und möchte die Freimaurerei ihres faszinierenden Gewandes berauben, ohne welches sie aufhört, Freimaurerei zu sein. Und wer Dinge in sie hineintragen will, die mit ihr nichts zu tun haben, verdunkelt ihren Sinngehalt und entfremdet sie ihrer eigentlichen Aufgabe. Es hat Zeiten gegeben, in denen dort und da Freimaurer den ursprünglichen Grundgedanken ihrer Institution aus den Augen verloren haben. Die Folge davon waren verderbliche Abirrungen und gegeneinander hadernde .Systeme", welche in Sektenbildungen endeten und die Menschen trennten, anstatt sie zu verbinden. Die Freimaurerei leidet noch heute darunter und wird auch weiterhin darunter leiden, wenn nicht ernstlich darangegangen wird, sich auf die reinen Grundgedanken unseres Bundes zu besinnen.
Eine solche Besinnung auf die Grundgedanken der Freimaurerei hat jedoch zur Voraussetzung, daß
man ihre Entstehungsgeschichte kennt. Erst wenn dies der Fall ist, gewinnt man die untrüglichen
Maßstäbe, mit deren Hilfe man des rechten Weges stets bewußt bleibt. Leider ist es nicht immer leicht,
sich diese Kenntnisse anzueignen. Die Werke unserer großen Historiker') sind meist den Jahren der
Unmenschlichkeit zum Opfer gefallen und fast ganz verschollen, und das Kolossalwerk der englischen
Forscher, die naturgemäß am meisten beigetragen haben, um Licht in den Werdegang der Freimaurerei
zu bringen, ist nicht jedermann zugänglich und erfordert außerdem jahrelanges Studium. Es mangelt
daher vor allem an kurzen, einführenden Darstellungen der englischen Forschungsergebnisse, welche
zu bieten die nachstehenden Kapitel den Versuch unternehmen wollen.
Die englische Forschung und ihre Quellen
Wie alle großen geistigen Bewegungen der Menschheit ist auch die Entstehung der Freimaurerei das
Ergebnis eines Synkretismus, eines Zusammenfließens wirtschaftlicher, politischer und ideologischer
Triebkräfte, die sich in einer gewissen historischen Situation zu einer mächtigen, tragfähigen geistigen
Bewegung vereinigten. Die historische Forschung hat heute mit aller wünschenswerten Sicherheit
festgestellt, daß dies bei der Freimaurerei in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in England der Fall
gewesen ist. Hier hat sich im Jahre 1717 als organisatorische Form die erste Großloge in London
gebildet, die ihrerseits wieder zum Kristallisationspunkt jener geistigen Bewegung wurde, welche wir
heute als Freimaurerei bezeichnen. Diese Gründung hat aber eine Vorgeschichte, die sich bis ins
ausgehende 14. Jahrhundert zurückverfolgen läßt. Sie ist bedeutungsvoll für das Verständnis der
gesamten späteren Entwicklung.
Um die Aufhellung der Geschichte und Vorgeschichte der Freimaurerei haben sich namhafte englische, schottische und irische Forscher und insbesondere die 1886 eigens zu diesem Zweck in London gegründete "Quatuor Coronati Lodge- No. 2076` überaus große Verdienste erworben. Der Loge gehörte seit ihrer Gründung eine stattliche Reihe freimaurerischer Historiker und Fachgelehrter an, denen außerdem für ihre Arbeiten der ganze wissenschaftliche Apparat des Britischen Museums zur Verfügung stand. Ihre in unzähligen Abhandlungen niedergelegten Forschungsergebnisse wurden bei den regelmäßigen Zusammenkünften der Loge dem Mitgliederstab vorgetragen und von diesem einer gründlichen Diskussion unterzogen. Sie erschienen sodann alljährlich im Druck und füllen heute schon mehr als 70 starke Bände.
Man kann wohl sagen, daß kaum ein frmr. Fachgebiet existiert, dem nicht bis in die dunkelsten Quellenbereiche nachgegangen worden wäre.
Als solche Quellen erwiesen sich
- 1. vor allem die sogenannten "Konstitutions-Manuskripte', auch als Alte Pflichten" bezeichnet;
dann
- 2. gefundene handschriftliche "Katechismen"; ferner
- 3. alte Logenprotokolle;
- 4. Parlamentsakte;
- 5. Baurechnungen;
- 6. Stadt-Archive;
- 7. Tagebücher;
- 8. sogenannte "Verräterschriften" und schließlich
- 9. verstreute Nachrichten in profanen Werken und Zeitungen.
Das aus diesen Quellen in mühevoller Kleinarbeit zusammengetragene Material wurde mit der Zeit so
umfangreich, daß einige fachkundige Brüder sich der Mühe unterzogen, es systematisch zu ordnen und
in zusammen Darstellungen den historisch interessierten Brüdern vorzulegen. Hauptsächlich auf diese
Werke sowie auf die am Schluß dieser Schrift angeführte Literatur stützen sich die nachfolgenden
Ausführungen.
Die Bezeichnungen "Mason“ und "Freemason“
In alten Wörterbüchern finden sich gewöhnlich die lateinischen Worte „cementarius" und "lathomus" oder gelegentlich auch "lapicida" und das norrnannisch-französische Wort "masoun". Im 13. Jahrhundert und noch früher, aber auch in späterer Zeit wurde das Wort "cementarius" fast all.gemein gebraucht. In Urkunden der Stadt London um 1281 kommt "latomus" vor, wurde aber auch im 15. Jahrhundert noch verwendet. Der Ausdruck "masoun" oder "mazon" ist bereits im 12. Jahrhundert vorhanden, wurde jedoch häufiger im 14. Jahrhundert angewendet. Die aus dem Jahre 1370 stammenden Steinmetz-Verordnungen von York Minster, welche in englischer Sprache geschrieben sind, verwenden das Wort "masoun". Soweit bis jetzt bekannt ist, kommt das Wort "freemason" erstmalig im Letter-Book H der Stadt London unter dem Datum vom 9. August 1376 vor, als der Gemeinderat nicht mehr wie bisher von den Wahlbezirken, sondern von den "Mysteries“, d. h. von den anerkannten Stadt-Zünften, gewählt wurde. Von dieser Zeit an kommt das Wort "freemason“ in verschiedenen Dokumenten vor, jedoch nie so häufig wie "mason". In den ältesten masonischen Logendokumenten (den sogenannten Konstitutions-Mariuskripten, auf die wir noch zu sprechen kommen werden), die aus der Zeit um 1400 stammen, wird immer nur der Ausdruck "mason", nie "freemason“ verwendet. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden von der Stadt Norwich 12 Männer unter der Bezeichnung "freemason“ zu Vollbürgern (freemen) erklärt, 11 unter der Bezeichnung "roughmason" (Grob-Mason), hingegen 135 unter der Bezeichnung "mason“. In den alten Baurechnungen aus dem 16. Jahrhundert wird meistens das Wort "mason", seltener das Wort "freemason" verwendet. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden manchmal dieselben Personen einmal als "mason“ und einmal als "freemason“ bezeichnet. Bemerkenswert ist auch, daß die Londoner Masons-Organisation in ihren eigenen Urkunden sich zuweilen "Company of masons' und zuweilen "Company of freemasons" nennt. Dasselbe geschah in anderen englischen Städten. In manchen Fällen scheint man jedoch das Wort "mason" als Sammelbezeichnung für alle Steinarbeiter gebraucht zu haben, während man "freemason“ im Gegensatz zu "roughmason" verwendete. In Baurechnungen des 16. Jahrhunderts bezeichnet "freemason" einen Behauer oder Setzer von Freisteinen ("freestone"), was wohl die Bedeutung des Adjektivs "free" erklärt. Unter "freestone" dürfte man einen feinkörnigen Sand- oder Kalkstein verstanden haben, den man nach jeder Richtung hin frei bearbeiten konnte. Ein solcher für feine Bildhauerarbeiten geeigneter Stein war z. B. in Dorset zu finden und als "freemason" wurde wahrscheinlich jener Steinmetz bezeichnet, der diesen "freestone" bearbeiten konnte. Diese Erklärung wird durch den Umstand gestützt, daß 1212 in London "sculptores lapidum liberorum" erwähnt werden und in Baurechnungen des 17. und 18. Jahrhunderts die Ausdrücke "freemason" und "freestone mason" abwechselnd zur Bezeichnung einer und derselben Person Anwendung finden. Ferner war in Schottland, wo es kein solches Freestone-Vorkommen gab, die Bezeichnung "freemason" nicht geläufig. Zwischen "mason" und "freemason" scheint also derselbe Unterschied bestanden zu haben, den wir heute mit den Begriffen "Steinmetz" und "Bildhauer“ verbinden. Die Bezeichnung „lodge“' Die Bezeichnung „lodge" (logia, logge, loygge, luge, ludge) kommt sowohl in England als auch in Schottland vor und scheint in drei verschiedenen Bedeutungen verwendet worden zu sein, die wahrscheinlich drei verschiedene Entwicklungsstadien darstellten: zuerst die Werkstätte der bei einem Bauwerk beschäftigten Masons, dann die Gesamtheit dieser Masons und schließlich eine territoriale Zunftorganisation der Masons. In England sowie auch in Schottland findet sich der Ausdruck „lodge" als Bezeichnung der masonischen Werkstätte, wie solche gewöhnlich bei allen größeren Steinbauten errichtet wurden. Nach den heutigen Kenntnissen wurde in England erstmalig eine Loge in einer Baurechnung aus 1278 erwähnt, und zwar wurden Zimmerleute entlohnt für die Herstellung von Logen (logias) und Wohngelegenheiten (mansiones) für die beschäftigten Masons und sonstigen Bauleute.
Auch späterhin finden sich in den erhaltenen Dokumenten vieler Brücken-, Schloß- und Abteibauten Nachrichten über die Errichtung oder Ausbesserung von Mason-Logen und Werkstätten. Selbstverständlich hat es auch schon vor 1278 Logen gegeben, denn größere Bauwerke haben sicher immer eine größere Zahl von Masons erfordert, die eine eigene Werkstätte brauchten, um darin die Steine behauen und zurichten zu können. Wahrscheinlich haben diese Logen den Masons auch zur Einnahme ihrer Mahlzeiten und zum Ausruhen während der Arbeitspausen gedient, die ihnen der sehr lange mittelalterliche Arbeitstag einräumte. Wahrscheinlich haben sie auch in diesem Arbeits- und Speiseraum ihre handwerklichen Angelegenheiten besprochen und beraten. Später wurden dann in England und Schottland mit "lodge" auch die Gesamtheit der bei einem Bauwerk versammelten Masons bezeichnet. Das Domkapitel des York Minsters hat in den Jahren 1352, 1370 und 1408/09 für die bei diesen Bauten beschäftigten Masons eigene Hausgesetze oder "Ordinances" erlassen, welche das Wort "lodge" in diesem Sinne verwenden. Ebenso wird 1429 bei der Kathedrale von Canterbury von den "masons of the lodge" gesprochen. Aus diesen und anderen Beispielen ist zu entnehmen, daß die bei einzelnen Großbauten mehr oder weniger ständig bestehende „lodge" zu einer Art Gewerbeorganisation geworden ist, welche vom Bauherrn oder dessen Beauftragten Statuten erhielt und Kontrakte einging. Schließlich wird in Schottland das Wort "lodge" zur Bezeichnung einer masonischen Organisation verwendet, welche mit einer ganzen Stadt oder einem ganzen Distrikt verbunden war. So wird z.B. in den sogenannten SCHAW-Statuten aus 1598 und 1599 festgesetzt, daß "Edinburgh in aller Zukunft wie früher die erste und Haupt-Loge in Schottland und Kilwinning wie früher die zweite sein soll“.
Ähnliche Distriktslogen werden auch in anderen schottischen Urkunden erwähnt. Ihre Hauptfunktion scheint in der offiziellen Regelung handwerklicher Aufgaben bestanden zu haben: Festsetzung der Lehr- und Ausbildungszeiten, Zulassung von Lehrlingen und Gesellen, Zuweisung von Steinmetzzeichen (marks), Überwachung der Arbeitsbedingungen usw. Die Logen hatten sich auch um die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Gesellen und Meistern zu kümmern. Weiters hoben sie von ihren Mitgliedern Beiträge und Strafgelder ein, die für fromme Zwecke (Messen, Altäre etc.) und zur Unterstützung in Not geratener Masons verwendet wurden. Endlich oblag ihnen auch, das "Mason-Wort" zu erteilen, worauf wir später noch zurückkommen werden. Da diese schottischen Stadt- oder Distriktslogen ihre Befugnisse von einem königlichen Beamten, dem General-Aufseher und Haupt-Baumeister der königlichen Bauten, erhalten zu haben scheinen, waren sie wahrscheinlich nicht älter als dieses königliche Amt, welches erstmalig im Jahre 1539 erwähnt wird.
In England hingegen treten ständige Gewerbelogen erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf. Die "mysteries" Im Jahre 1356 kam es in London zur Gründung einer masonischen Zunft. In diesem Jahr legten einige Mason-Meister dem Bürgermeister und den Ratsherrn der Stadt London ein einfaches Handwerksstatut zur Genehmigung vor. In der Einleitung zu diesem Dokument begründeten sie ihr Ansuchen mit dem Hinweis, daß ihr Gewerbe bisher nicht "in solcher Weise wie andere Gewerbe" geregelt gewesen sei, woraus zu entnehmen ist, daß dies den ersten Versuch darstellte, eine eigene masonische Gewerbeorganisation in London zu schaffen. Zwanzig Jahre später (1376) bezeugen die Rathausprotokolle, daß die Masons bereits zu den 47 "sufficient mysteries“ von London gehörten, da sie damals zur Wahl von vier Vertretern ihres Gewerbes für den Gemeinderat aufgefordert wurden.
Das Wort "mystery" (mittel-englisch mistere = Gewerbe oder Zunft, vom aItfranzösischen mestier, neufranzösich métier) hat phantasiereichen Freimaurern Anlaß zu mystischen Deutungen gegeben, obgleich es mit geheimnisvollen Dingen oder gar mit "Mysterien" schon rein gar nichts zu tun hat. Unter "mysteries" wurden lediglich alle von den städtischen Behörden anerkannten und registrierten Zunftorganisationen verstanden.
Im Jahre 1472 erhielt die "Hole Craft and Felowship of Masons", die Zunft und Genossenschaft der Steinmetzen, ein eigenes Wappen bewilligt und während der folgenden 200 Jahre kontrollierte und regelte die "London Masons' Company“ - wie sie genannt wurde - das Masongewerbe in London, sah auf sorgfältige Ausführung der Arbeiten, beanstandete Pfuscharbeit und mangelhaften Stein, und schützte ihre Mitglieder vor dem Eindringen auswärtiger oder ausländischer Steinarbeiter.
Neue Lehrlinge wurden in die Liste der Company eingetragen und ausgelernte den Aufsehern der Company vorgeführt, von ihnen geprüft und - wenn gehörig geschult befunden -zu Gesellen erklärt, die später die Bewilligung erhielten, sich als Meister zu etablieren. All dies waren ganz normale Funktionen, wie sie von jeder anderen gewerblichen Zunft ebenfalls ausgeübt wurden, und es ist zu betonen, daß in den Aufzeichnungen der "London Masons' Company" bis 1620 keinerlei Hinweis auf irgendwelche hintergründige "Esoterik" oder Grade oder auch nur einer Loge zu finden ist. Sie war eine reine Handwerksorganisation. Im Jahre 1620 taucht in den Protokollbüchern der Company eine eigenartige Vereinigung innerhalb der Company auf: die sogenannte "Accepcon" oder "Acception", der wir später ein eigenes Kapitel widmen werden.
Die "London Masons' Company" wurde dann durch zwei Ereignisse in ihrem Bestande schwer erschüttert: durch den Ausbruch der Pest im Jahre 1665 und durch die große Feuersbrunst des Jahres 1666. Erstere raffte ein Fünftel der Bevölkerung Londons hinweg und letztere zerstörte zwei Drittel der Häuser und fast 100 Kirchen, einschließlich der St. Paul-Kathedrale. Um in Zukunft eine Brandkatastrophe dieses Ausmaßes unmöglich zu machen, beschloß der Gemeinderat von London, nur die Aufführung von Steinbauten zu gestatten. Dies hatte zur Folge, daß die Stadtverwaltung sich gezwungen sah, eine möglichst große Zahl auswärtiger Bauleute in die Stadt zu ziehen. Zu diesem Zweck wurden den Neuankömmlingen weitestgehende Privilegien angeboten. Die zunftüblichen Beschränkungen des Zuzuges und alle Regelungen bezüglich der strengen Einhaltung der Lehrzeiten und der Verleihung des Meisterrechtes wurden aufgehoben. Ein Gesetz vom Jahre 1667 räumte allen, die sich im Baugewerbe betätigen wollten, auf die Dauer von 7 Jahren oder nötigenfalls noch länger, die gleichen Rechte ein wie den alteingesessenen Vollbürgern. Damit war der "London Masons' Company" praktisch ihre Hauptfunktion, die Gewerbekontrolle, genommen. Daß unter den hierauf massenhaft nach London zuströmenden Bauleuten sich auch viele englische, schottische, irische und vielleicht auch ausländische Masons befunden haben, ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Ebenso, daß sie ihre heimatlichen Gewerbegebräuche mitgebracht und sich zu eigenen Logen vereinigt haben werden. Die Folgen, die sich daraus ergaben, werden noch zur Sprache kommen.
Nach Vollendung des Wiederaufbaues der Stadt und mit dem Schwinden der Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten wanderten viele Bauleute wieder ab und mit ihnen verschwanden auch fast alle ihre kameradschaftlichen Vereinigungen. Die wenigen kümmerlichen Reste derselben tauchen erst wieder am Beginn des 18. Jahrhunderts im Licht der Geschichte auf, als im Jahre 1717 vier Londoner Logen zusammentraten, um die erste Großloge zu bilden. Daß aber seit dem Mittelalter auch in England an verschiedenen Orten Baulogen existiert haben, geht aus einzelnen verstreuten Nachrichten und insbesondere aus den vielen aufgefundenen "Konstitutions-Manuskripten" oder "Alten Pflichten" hervor.
Die "Alten Pflichten"
Im Jahre 1840 wurde von dem englischen Literaturhistoriker James O. Halliwell Museum eine alte, auf Pergament geschriebene Handschrift gefunden und veröffentlicht. Sie entpuppte sich als das wahrscheinlich älteste erhaltene Logendokument, das ehemals zum Bestande der königlichen Bibliothek, der "Bibliotheca Regia“, gehört hat und daher heute in Fachkreisen allgemein als "REGIUS-Manuskript" bezeichnet wird. Die Zeit der Niederschrift dieses Manuskripts läßt sich nur ungefähr bestimmen. Eingehende paläographische Untersuchungen haben zu dem Ergebnis geführt, daß sie um das Jahr 1390 erfolgt sein dürfte. Es stellt jedoch kein Original dar, sondern hat - gemeinsam mit dem sogleich zu besprechenden "COOKEManuskript" - wahrscheinlich eine bis jetzt noch nicht aufgefundene Vorlage gehabt, deren Entstehungszeit etwa um 1360 anzusetzen ist.
Das Regius-Manuscript ist in Form eines Lehrgedichtes abgefaßt, dessen Inhalt sich in folgende Abschnitte gliedern läßt:
- 1. eine kurze, sehr phantastische Entstehungsgeschichte der Kunst Geometrie, welche mit
Masonry gleichgesetzt wird,
- 2. eine Reihe von Vorschriften für Meister, Fellows und Lehrlinge des Mason-Gewerbes;
- 3. Anordnungen betreffend die Abhaltung einer Gewerbeversammlung;
- 4. eine Erzählung der Legende von den 4 gekrönten Märtyrern;
- 5. eine Schilderung des Turmbaues zu Babel;
- 6. eine Aufzählung der 7 freien Künste (in welcher sich arge Verstümmelungen finden, die nur
durch einen verständnislosen Abschreiber verursacht worden sein können);
- 7. religiöse Ermahnungen; und
- 8. eine Belehrung über gute Manieren.
Nach Ansicht unseres frmr. Historikers Wilhelm B e g e in a n n, welche auch von den englischen Forschern geteilt wird, scheint dieses Lehrgedicht von einem Geistlichen verfaßt worden zu sein, der unter Benützung ihm vorliegender älteren Handwerksordnungen und -Legenden und durch Beifügung eigener Gedanken für eine seiner geistlichen Obhut anvertrauten Baukorporation (Loge) einen Leitfaden zusammengestellt hat, mit dessen Hilfe er die Werkleute einerseits zur gewissenhaften Erfüllung ihrer handwerklichen Pflichten anhalten und andrerseits in sittlich-religiöser und gesellschaftlicher Beziehung auf ein höheres Niveau heben wollte. Obwohl die Entdeckung dieses Manuskripts in den Freimaurerkreisen Englands und des Kontinents nicht geringes Aufsehen erregte, dauerte es doch noch 20 Jahre, bis ein neuerlicher Fund die historische Forschung in Schwung brachte. Im Jahre 1861 fand Matthew Cooke ebenfalls in der Handschriftensammlung des Britischen Museums ein Pergamentmanuskript, das bei näherer Untersuchung sich als ein - allerdings in Prosa abgefaßtes -Gegenstück zum REGIUS Ms. erwies.
Auch die Entstehungszeit dieses Dokumentes, das heute allgemein als "COOKE-Manuskript“ bezeichnet wird, läßt sich nicht ganz genau feststellen. Die Urteile der Fachleute schwanken zwischen 1400 und 1425. Wie schon oben beim REGIUS Ms. erwähnt, scheint es mit diesem auf eine gemeinsame Vorlage zurückzugehen, welche um 1360 abgefaßt worden sein dürfte. Das COOKE Ms. will den Nachweis erbringen, daß die Masonry von der vornehmsten der 7 freien Künste, der G e o m e t r i e, herstamme und die älteste Kunst überhaupt sei, da sie vom Sohne L a m e c h ' s, J a b a l, erfunden wurde. Der Text besteht aus zwei Teilen, von denen der erste in 19 Unterabschnitte gegliedert ist, während der zweite ein in sich geschlossenes Ganzes bildet. Dieser zweite Teil dürfte ein dem Verfasser bereits vorgelegenes älteres Schriftwerk gewesen sein, das sicher älter als das REGIUS Ms. (1390) war und vom Verfasser mehrmals als "Book of Charges" (Buch der Pflichten) bezeichnet wird. Der erste Teil hingegen scheint aus der Feder des Verfassers selbst zu stammen und schildert die "Geschichte` der "gemetry“ = "masonry" von den ältesten biblischen Zeiten an. Der zweite Teil, das "Bock of Charges", der uns hier besonders interessiert, behandelt vier Themen:
- 1. die "Ordnung" der "masonry" durch E u k l i d, um sie damit den Kindern großer Herren lehren
zu können; die schließliche Einführung der "masonry" nach England und die Abhaltung gesetzlicher Versammlungen daselbst;
- 2. neun Artikel, die Meister betreffend;
- 3. neun Punkte, die Fellows betreffend;
- 4. Anweisungen zur Leitung der Gewerksversammlungen, zur Verpflichtung der Neulinge, zur
Feststellung und Bestrafung von Verfehlungen, und eine Ermahnung zum regelmäßigen Besuch der Versammlungen.
Es sei ausdrücklich hervorgehoben, daß sowohl das REGIUS Ms. als auch das COOKE Ms. nur Gewerbeangelegenheiten behandeln und keine Spur irgendwelcher Symbolik oder sonstiger spekulativer Zutaten enthalten. (A2) Nachdem durch diese Funde einmal die Aufmerksamkeit der englischen Forscher auf die Bedeutung solcher altmasonischer Handschriften gelenkt worden war, haben sich nun bald deren in überraschend großer Zahl gefunden. Sie sind zwar alle jünger als die REGIUS- und COOKE-Handschriften, gewähren aber dafür wesentliche Einblicke in die sich wandelnden masonischen Verhältnisse des 15., 16», 17. und 18. Jahrhunderts. Jedes dieser Dokumente bildete das geistige und organisatorische Kernstück, einer masonischen Baukorporation oder Loge, wie solche bei den vielen großen Bauten der Krone, der Kirche, des Adels und der Städte in England an verschiedenen Orten entstanden und nach längerer oder kürzerer Zeit wieder verschwunden sind. Sie werden als "Konstitutions-Manuskripte" oder kurz als "Alte Pflichten" (Old Charges) bezeichnet.
Bis heute sind über 100 solche "Alte Pflichten“ bekanntgeworden. Sie bilden eine unerschöpfliche Fundgrube für die Erforschung der Vorgeschichte der Freimaurerei, um deren vergleichende Untersuchung sich besonders Br. Wilhelm Begemann unvergängliche Verdienste erworben hat.
Seinen in Verbindung mit englischen Forschern unternommenen scharfsinnigen und auf philologischer Akribie beruhenden Analysen ist es gelungen, den unschätzbaren Wert dieser alten Logenverfassungen darzutun und sie stammbaummäßig nach Herkunft und abschriftlicher Abstammung zu ordnen, viele von ihnen mehr oder weniger genau zu datieren und nach textlicher Verwandtschaft in "Familien" zu reihen. Auf Grund dieser Arbeiten unterscheidet heute die frmr. Historik:
- a) das REGIUS Ms. (aus ca 1390);
- b) die COOKE-Familie (aus 1. Hälfte des 15. Jahrh.);
- c) die GROSSLOGEN-Familie (aus dem 16. Jahrh.);
- d) die PLOT-Familie (aus dem 17. Jahrh.);
- e) die TEW-Familie (aus dem 17. Jahrh.);
- f) die SLOANE-Familie (aus dem 17. Jahrh.);
- g) die ROBERTS-Familie (aus dem 17. Jahrh.);
- h) die SPENCER-Familie (aus dem 18. Jahrh.);
- i) sonstige Versionen.
Alle diese Dokumente, wie sehr sie sich auch in manchen Einzelheiten voneinander abweichend unterscheiden mögen, weisen im Grunde dieselbe Struktur auf, welche 4 Elemente erkennen läßt:
- 1. eine Aufzählung der Verpflichtungen gegenüber Gott;
- 2. eine quasi-historische Schilderung der Entstehung und Ausbildung der "masonry";
- 3. eine Zusammenstellung der Verpflichtungen der Meister, Gesellen und Lehrlinge,
- 4. ein kurzes Schlußgebet.
Das 1. Element, die Verpflichtungen des Mason gegenüber Gott, wird in der Reihenfolge der jüngeren Versionen durch eine Anrufung der Dreieinigkeit ersetzt (A3).
Das 2. Element, die legendäre Geschichte des Mason-Gewerbes, wird zwar in der Abschriftenfolge immer wieder revidiert und in Einzelheiten abgeändert, erhält sich aber in den Grundzügen bis zum Konstitutionsbuch der ersten Großloge, welches James A n d e r s o n im Auftrage derselben verfaßte und im Jahre 1723 veröffentlichte. Diese durch und durch phantastische Geschichtserzählung, die bis in die Tage der ersten biblischen Menschen zurückgeht, verfolgt offensichtlich den pädagogischen Zweck, den noch recht rauhen und ungebildeten Bauleuten eine möglichst hohe Meinung von dem ehrwürdigen Alter ihres Handwerkes einzuflößen, um sie dadurch standesbewußter, disziplinierter und gesitteter zu machen.
Die Geschichtserzählung selbst, die vom Ursprung oder der "Erfindung" der Geometrie (=masonry) handelt, gibt eine verworrene Tradition wieder, die aus drei Quellen gespeist wurde:
- 1. aus der Bibel, wonach die G e o m e t r i e vor der Sintflut von J a b a l, der das Zelt oder das
Wohnhaus erfunden hat, entdeckt worden sei. Daraus entwickelte das COOKE Ms. die Überlieferung, daß J a b a l der Meister-Mason K a i n ' s beim Bau der Stadt Enoch gewesen ist, der ersten Stadt, welche in der Bibel genannt wird,
- 2. aus J o s e p h u s und den hebräischen Apokryphen, welche ähnliche Erzählungen enthalten. J
o s e p h u s berichtet zwar, daß A b r a h a m den Ägyptern nur Arithmetik und Astronomie gelehrt habe, doch wird er gegen Ende des Mittelalters als Gewährsmann dafür angeführt, daß A b r a h a m den Ägyptern die G e o m e t r i e gebracht habe. Da aber in diesem Zusammenhang auch dem E u k 1 i d, diesem berühmtesten klassischen Vertreter der Geometrie, ein entsprechender Platz eingeräumt werden mußte, griffen das COOKE Ms. und spätere Versionen ohne chronologische Bedenken zu dem Auskunftsmittel, E u k l i d die G e o m e t r i e "erklären` zu lassen, die ihm von A b r a h a m gelehrt worden war.
- 3. aus der klassischen Tradition, wonach H er m es, gleichzusetzen mit dem ägyptischen T h o t
und dem römischen M e r k u r, als Ratgeber der I s i s anläßlich der Nilüberschwemmungen die G e o m e t r i e erfunden habe. Von besonderem Interesse für uns dürfte die Erzählung von den zwei Säulen sein, die im COOKE Ms. und in späteren Versionen eine bedeutende Rolle spielen. Sie haben nämlich mit den uns geläufigen beiden Säulen im Vorhof des salomonischen Tempels nichts zu tun. Die zwei Säulen der masonischen Manuskripte dienen als Mittel, um gewisse erworbene Kenntnisse vor der Vernichtung durch ein göttliches Strafgericht zu bewahren und so der Nachwelt zu überliefern. Schon in den alten hebräischen Überlieferungen ("Vita Adae et Evae") wird von der findigen Stammutter E v a berichtet, daß sie dem S e t h und dessen Brüdern und Schwestern befohlen habe, Stein- und Tontafeln anzufertigen, damit "wenn der Herr unser Geschlecht durch Wasser richtet, die Tontafeln aufgelöst und die Steintafeln dauern werden; wenn aber durch Feuer, so werden die Steintafeln zerfallen und die Tontafeln gebrannt werden". Daraus werden in anderen Versionen die Kinder L a m e c h ' s, welche ihre für die Nachwelt nützlichen Erfindungen auf Säulen einmeißeln.
Auch von Z o r o a s t e r wissen Legenden zu berichten, daß er ähnliche Vorsichtsmaßregeln ergriffen habe. Die Säulengeschichte des COOKE Ms. stellt nun den Versuch dar, diese verschiedenen Legenden dazu nutzbar zu machen, um die angeblich vor der Sintflut" erfundenen" freien Künste über diese störende Klippe hinwegzuretten. Nach der Sintflut werden die beiden Säulen mit den eingemeißelten Künsten auch tatsächlich wieder aufgefunden, die eine von P y t h a g o r a s , die andere von H e r m e s , und jeder der beiden lehrte sodann die Wissenschaften, die er auf seiner Säule vorgefunden hatte. Nach dem COOKE Ms. waren beide Säulen aus Stein, und zwar die eine aus Marmor, die andere aus „lacerus". Letzteres rätselhafte MateriaI scheint seinen Ursprung dem Umstand zu verdanken, daß der Schreiber, der sich dadurch als Abschreiber verriet, das lateinische Wort lateres" (= gebrannte Ziegelsteine) nicht erkannte und es daher mit „lacerus" wiedergegeben hat. Nachdem ihm aber einmal dieser Irrtum unterlaufen war, sah er sich in ein Mißverständnis nach dem andern verwickelt.
Marmor - so schreibt er - sei deshalb für die eine Säule verwendet worden, weil er nicht verbrennen könne, obgleich jeder mittelalterliche Mason sicher gewußt haben dürfte, daß man Marmor zur Kalkerzeugung brennen kann. Für die andere Säule sei Jacerus" verwendet worden, weil er im Wasser nicht untersinken könne, was offenbar ein weiteres Mißverständnis ist. Spätere Versionen, die auf dem COOKE Ms. fußen, übernahmen nun diese Mißverständnisse, die dein jeweiligen Abschreiber immer neue Schwierigkeiten bereiteten. So wird aus „lacerus" in der Folge "latera", „letera", „laterus“ endlich "latornes" und schließlich sogar "saturnus". Derartige Verballhornungen, welche der Forschung willkommene Anhaltspunkte für die stammbaummäßige Einordnung der Konstitutions-Manukripte liefern, finden sich noch mehrere in denverschiedenen Versionen.
Eine von ihnen, nämlich der Name "Peter Gora", ist noch leicht als "Pythagoras" zu agnoszieren. Wer aber unter dem "tüchtigen Mason namens Naymus Grecus" zu verstehen ist, der angeblich beim Bau des Tempels zu Jerusalem mitgewirkt und die Masonry nach Frankreich gebracht haben soll, konnte trotz vielfachen Versuchen bis jetzt nicht befriedigend ermittelt werden. - Während das COOKE Ms. hierauf als 3. Element "Regulationen“ für Meister und Fellows anschließt, schieben spätere Versionen an dieser Stelle zwei neue Elemente ein: eine Anweisung zur Ablegung eines Eides über die Einhaltung der folgenden Regulationen und eine Ermahnung zur Beachtung der "Pflichten".
Die Regulationen bestehen aus Zusammenstellungen handwerklicher Vorschriften. Das COOKE Ms. schreibt sie dem N i m r o d zu, der sie den Masons gegeben haben soll, die er zum Bau der Stadt Ninive entsandt hat. Sie verlangen von den Masons, daß sie ihrem Herrn treu seien, ihre Arbeit genau verrichten und nicht mehr Lohn verlangen sollen als ihnen zukomme; daß sie einander lieben und bei der Erlangung der Kunstfertigkeit sich gegenseitig unterstützen sollen. Sodann folgen Artikel, welche hauptsächlich für die Meister bestimmt sind und angeblich vom englischen König A t h e l s t a n herstammen. Sie besagen, daß der Meister keine höheren Löhne bezahlen soll als durch die Lebensmittelpreise gerechtfertigt erscheint; daß jeder Meister der allgemeinen Gewerksversammlung beizuwohnen habe; daß kein Meister einen Lehrling für weniger als 7 Jahre oder einen Leibeigenen oder einen Verkrüppelten annehmen dürfe usw. Die anschließend für die Gesellen bestimmten Punkte verlangen von diesen, daß sie Gott lieben und die Kirche stärken, ihre Meister und Kameraden unterstützen, für den erhaltenen Lohn ehrliche Arbeit leisten, treu zum Gewerk halten, die Frauen und Töchter der Meister nicht begehren mögen u. dgl. m. Ferner wird neuerlich eingeschärft, daß ein tüchtiger Mason seinen mindertüchtigen Gefährten beizustehen habe und weder die Heimlichkeiten seines Meisters noch was immer er in der Loge hören oder sehen sollte verraten dürfe.
Daran schließen sich noch einige Vorschriften an, welche die Zusammensetzung der Gewerksversammlung, die Verpönung des Diebstahls, die Treue zu König, Meister und Zunft und schließlich die Bestrafung treuloser Masons betreffen. Jüngere Versionen lassen einzelne der angeführten Artikel und Punkte weg und ersetzen sie durch andere, woraus jeweils veränderte örtliche oder zeitliche Arbeitsverhältnisse zu entnehmen sind. - Auf diese Vorschriften und "Pflichten" folgt in fast allen Manuskripten eine Verordnung bezüglich der zu beobachtenden Verschwiegenheit, welche besagt, daß niemand als Freemason zugelassen oder die Gewerbegeheimnisse erfahren dürfe, der nicht vorher einen Verschwiegenheitseid abgelegt habe.
Das 4. Element, ein kurzes Schlußgebet, drückt Gott den Dank der Versammelten aus für die bei den
Beratungen erwiesene Güte und bittet ihn, ihnen auch weiterhin seine Gnade zuteil werden zu lassen.
(A4)
Aus entsprechenden Angaben in mehreren Manuskripten geht deutlich hervor, daß der ganze Text jedem Mason bei seiner Aufnahme in die Loge vorgelesen wurde. Während der Verlesung der "Pflichten" hatte der Kandidat seine Rechte auf das "Buch“ (= die Bibel) zu legen, das ihm von einem der ältesten Masons vorgehalten wurde, um sodann darauf den Eid abzulegen. - Soviel über den Inhalt dieser äußerst interessanten alten Konstitutions-Manuskripte. Sie tragen ohne Ausnahme rein operativen Charakter, bildeten die geistige und organisatorische Grundlage einer örtlichen masonischen Korporation oder Loge, dienten der handwerklichen, sittlichen und sozialen Erziehung der ihr angehörenden Werkleute und sind getragen von einer ausgesprochen christlich-religiösen Mentalität.
Das Mason-Wort
Es fällt auf, daß die englischen Konstitutions-Manuskripte keine Spur eines Hinweises enthalten, daß die englischen Masons geheime Erkennungszeichen oder -worte praktiziert hätten. Hingegen geht aus schottischen Quellen hervor, daß die schottischen Masons am Beginn der Neuzeit ein Erkennungssystem entwickelt haben.
Ein aus dem Jahre 1697 stammender Brief aus Schottland (A5) spricht von einem "Mason-Wort", "welches ein geheimes Zeichen ist, woran die Masons in der ganzen Welt einander erkennen. Sie behaupten, es sei so alt wie Babel, wo sie einander nicht mehr verstehen konnten und sich daher durch Zeichen verständigten. Andere wieder halten es nicht für älter als Salomon. Wie dem auch sei, der es hat, vermag seinen Bruder Mason zu sich zu bringen, ohne ihn zu rufen oder daß jemand das Zeichen bemerkt."
Ein im Jahre 1696 geschriebener Katechismus, der nach seinem Fundort das "EDINBURGH REGISTER HOUSE Ms." genannt wird, deutet an, daß das "Mason-Wort" im wesentlichen aus gewissen Worten, Zeichen, Griffen und Körperstellungen bestanden hat, die zusammen mit „fünf Punkten der Fellowship" den Logenmitgliedern entweder bei ihrer Aufnahme oder in einem späteren Zeitpunkt unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt wurden. Die merkwürdigen „fünf Punkte« werden in diesem Katechismus nur aufgezählt, aber nicht näher erläutert. Hingegen werden sie in einer anderen masonischen Handschrift, dem 1726 - also neun Jahre nach der Gründung der ersten Großlogel - geschriebenen GRAHAM-Manuskript, mit folgender makabren Geschichte in Zusammenhang gebracht: Die drei Söhne N o a h ' s wollten den Schlüssel zu den geheimen Kenntnissen finden, welche ihr Vater mit ins Grab genommen hatte.
Zu diesem Zweck öffneten sie das Grab, nachdem sie vorher übereingekommen waren, falls sie den gesuchten Schlüssel nicht fänden, das erste Ding, auf das sie stoßen würden, als ein Geheimnis zu betrachten. Sie fanden jedoch im Grabe nur den Leichnam ihres Vaters. Als sie diesen an einem Finger ergriffen, ging dieser ab; das gleiche geschah beim Handgelenk und beim Ellbogen. Sodann hoben die Söhne den toten Körper empor und stützten ihn, in dem sie F. an F ..... setzten. Hierauf "sagte einer, hier ist noch Mark in dem Knochen, und der zweite sagte, aber ein dürrer Knochen, und der dritte sagte, es stinkt. So kamen sie überein, es zu benennen, wie es der freien Masonry bis heute bekannt ist." Wenn auch das Mason-Wort später zu "spekulativen" Zwecken Verwendung gefunden haben mag, so ist doch mit Sicherheit anzunehmen, daß es ursprünglich zu rein "operativen", d. h. zu handwerklichen Erkennungszwecken gedient hat. Das Bedürfnis nach einer geheimen Erkennungsmethode entstand speziell in Schottland aus zwei Gründen, nämlich wegen der in Schottland bestehenden Möglichkeit, ungelernte Arbeitskräfte, sogenannte "Cowans", zu beschäftigen, und wegen der Existenz eines masonischen Grades, der in England unbekannt war: des eingetretenen Lehrlings (entered apprentice).
In Schottland gab es viele Steinarbeiter, da dort ein zu Bauzwecken geeigneter Stein reichlich vorhanden war. Andrerseits aber gab es dort verhältnismäßig wenige geschulte Masons (Bildhauer), weil es an dem "Freistein' mangelte, der für ornamentale oder figurale Steinmetzarbeiten Verwendung finden konnte. Demzufolge hätte bei Einstellung von Arbeitskräften eine einfache Leistungsprobe kaum ausgereicht, um einen geschulten Mason von einem ungelernten oder nur angelernten Steinarbeiter, etwa einen "Cowan", zu unterscheiden. Ursprünglich bedeutete "Cowan" einen Trockenmaurer oder Errichter von Steinmauern ohne Mörtel. Später wurde die Bezeichnung im herabsetzenden Sinn auf solche angewendet, welche zwar die Arbeit eines Mason leisteten, ohne jedoch das Handwerk gehörig gelernt zu haben oder hierzu erzogen worden zu sein. Um solche "Cowans“ von den qualifizierten Masons unterscheiden zu können, scheint wenigstens zum Teil der Grund gewesen zu sein, weshalb letztere mit dem Mason-Wort ausgestattet wurden. Sie konnten sich dadurch an jedem Arbeitsplatz sofort als hochqualifizierte Fachkräfte ausweisen. Diese Annahme wird u. a. auch durch ein Protokoll der Mutterloge Kilwinning aus dem Jahre 1707 unterstützt, wo es heißt, "daß kein Mason einen Cowan beschäftigen soll, d. h. (einen) ohne das Wort.“ Ferner kannte das masonische Gewerbe in Schottland die Kategorie eines "eingetretenen Lehlings", während in England der Lehrling zwar von der Zunftorganisation registriert wurde, damit aber noch nicht Mitglied derselben war. In Schottland haben im 17. Jahrhundert (und möglicherweise schon früher) Lehrlinge und "eingetretene Lehrlinge" anscheinend zwei verschiedene Ränge oder Stufen der masonischen Gewerbehierarchie gebildet. Aus dem Jahre 1598 stammende Gewerbestatuten, die sogenannten SCHAW-Statuten, sahen vor, daß die Lehrzeit eines Lehrlings mindestens 7 Jahre dauern müsse und daß - wenn nicht eine besondere Bewilligung vorlag - weitere 7 Jahre zu vergehen hatten, bevor er zum Gesellen gemacht werden konnte.
Während dieser weiteren sieben Jahre wurde der Ex-Lehrling anscheinend in die Gewerbeorganisation aufgenommen und als "eingetretener Lehrling" bezeichnet. Als solcher arbeitete er normalerweise als Gehilfe eines Meisters, konnte aber nach den SCHAW-Statuten auch gewisse Arbeiten auf eigene Rechnung übernehmen. Ein solcher "eingetretener Lehrling", der schon voll ausgebildet war und die Arbeit eines Gesellen leisten konnte, wäre daher imstande gewesen, an Orten, wo man ihn nicht kannte, erfolgreich mit den Gesellen zu konkurrieren und Gesellenlohn zu verlangen. Um dies zu verhüten, wurden die Gesellen mit geheimen Erkennungsmitteln ausgestattet, durch welche sie sich als solche ausweisen und von den "eingetretenen Lehrlingen` unterscheiden konnten. Eine Institution wie das "Mason-Wort" konnte jedoch nur zweckentsprechend funktionieren, wenn sie eine das ganze Land umspannende Organisation zur Voraussetzung hatte. Und in der Tat bezeichnen die SCHAW-Statuten aus 1599, wie wir bereits oben gesehen haben, die Loge zu Edinburgh als die Hauptloge von Schottland "wie vorher", was darauf hindeutet, daß sie schon vor 1599 diese Funktion ausgeübt hat. Auch aus verschiedenen erhaltenen Protokollen schottischer Logen ist zu entnehmen, daß vom Ende des 16. oder beginnenden 17. Jahrhunderts an eine Verbindung und Zusammenarbeit unter ihnen bestanden hat. Für uns ist hier einstweilen die Feststellung wichtig, daß auch das schottische "Mason-Wort“ einen rein gewerblichen Zweck verfolgte und keinerlei "esoterische" oder "spekulative" Hintergründe besaß.
Die Masons waren lediglich verhalten, die intimen Logenangelegenheiten (vor dem Unternehmer), die Erkennungszeichen (vor den Minderqualifizierten) und die handwerklichen oder technischen Kunstgeheimnisse (wie etwa die Sätze der Geometrie oder die Konstruktion eines Gewölbebogens u. dgl.) geheimzuhalten. Die "angenommenen" Masons Hatten die alten Baulogen vorzugsweise aus Leuten bestanden, die das Masongewerbe als Beruf ausgeübt haben, so wurden in Schottland im Laufe des 17. Jahrhunderts von manchen Stadtlogen auch Männer aufgenommen, welche in keinerlei Beziehungen zum Masonhandwerk standen. Sie gehörten gewöhnlich den örtlichen Besitzständen an und zuweilen wurden auch distinguierte Besucher aus anderen Gegenden aufgenommen.
Im allgemeinen nahmen diese gewerbefremden Personen in denLogen den Rang von Ehrengästen ein und es liegt kein Grund zur Annahme vor, daß ihr Erscheinen irgendeinen unmittelbaren Einfluß auf den Charakter oder die Funktionen der Loge ausgeübt hat. So ist aus den Protokollen der Loge zu Edinburgh bekannt, daß schon 1634 eine geringe Zahl von Nichtoperativen aufgenommen wurde. Auch von der Loge zu Aitchison's Haven und Kilwinning sind Berichte erhalten, wonach uni 1670 Nichtoperative Zugang zur Loge gefunden haben. Diese Logen haben jedoch nach wie vor als gewöhnliche Masonlogen weitergearbeitet, haben gewerbliche Regulationen vorgenommen, die üblichen vierteljährlichen Beiträge eingehoben, Gewerbekontrolle ausgeübt und Vergehen bestraft. Meist sind diese Ehrengäste bald wieder verschwunden, ohne in der Loge eine Spur ihrer Anwesenheit zu hinterlassen.
Etwas anders verhielt es sich bei der Loge zu Aberdeen. Sie zählte um 1670 nur 10 Masons und 39
Nichtoperative zu ihren Mitgliedern, darunter Adelige, Kaufleute und Angehörige verschiedener
anderer Handwerke. Die Loge übte zwar immer noch ihre gewerblichen Funktionen aus, setzte aber
bereits spezielle Regulationen für ihre nichtoperativen Mitglieder fest. Die Loge hatte also zu dieser
Zeit begonnen, ihren Charakter etwas zu verändern.
Am deutlichsten läßt sich dieser Umwandlungsprozeß an der alten Edinburger Loge "Mary's Chapel"
verfolgen, deren Protokolle im wesentlichen lückenlos bis 1599 zurückreichen.
Das ganze 17. Jahrhundert hindurch hat "Mary's Chapel" die normalen Funktionen einer Werksloge ausgeübt. Die wenigen Nichtoperativen, welche um 1634 und später als Mitglieder aufgenommen wurden, zeigten nur ein vorübergehendes Interesse an der Loge. Sie wohnten nur wenigen Versammlungen bei und blieben dann wieder aus. Ihre Zahl war nicht groß genug und ihre Anwesenheit dauerte nicht lange genug, um irgendeine Veränderung im Charakter der Loge hervorzurufen. Die Veränderungen, welche darin tatsächlich in der Loge vor sich gingen, hatten hauptsächlich ökonomische Ursachen. Die ersten Anzeichen einer Veränderung im Gewerbecharakter werden in den Protokollen nach 1670 bemerkbar, als "eingetretene Lehrlinge" es ablehnten, sich zu Gesellen befördern zu lassen.
Edinburgh war von einer Reihe unheilvoller Brände heimgesucht worden und der Stadtrat ordnete 1674 an, daß alle neuen Gebäude aus Stein errichtet werden müßten. Dies bedeutete reichliche Arbeit nicht nur für die Bauhandwerker der Stadt, sondern auch für die der näheren und ferneren Umgebung, welche aber der Gewerbekontrolle der Loge "Mary's Chapel" nicht unterstanden, Lehrlinge, welche ihre Lehrzeit beendet hatten, fanden sofort Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten, ohne die Gebühren entrichten zu müssen, die mit der Beförderung zum Gesellen verbunden waren.
Dadurch verlor die Loge ihre präsumtiven Vollmitglieder und mit ihnen ihre Haupteinnahmequelle. Die Loge war natürlicherweise bestrebt, diesem Übelstand abzuhelfen, und erließ 1681 Regulationen, wonach von allen ausgelernten Lehrlingen verlangt wurde, sich innerhalb zweier Monate nach Beendigung ihrer Lehrzeit zur Beförderung zu melden. Von dieser Zeit an datiert die allmähliche Umwandlung der Loge von einer geschlossenen Berufsorganisation geschulter Handwerker zu einer Vereinigung von "Mitgliedern", in welcher die Kopfzahl und die Logenbeiträge wichtiger wurden als die technische Qualifikation der Logenangehörigen. Von 1688 an sind die Protokolle voll von finanziellen Angelegenheiten, Geldverleihungen, Eintreibung von Schulden und Prüfungen von Rechnungen. Die Loge war im Begriff, den Charakter eines Unterstützungsvereines anzunehmen. Zum Überfluß kam noch hinzu, daß im Jahre 1677 eine neue Loge zu Canongate, einem nahe bei Edinburgh gelegenen Ort, gegründet wurde, welche der Jurisdiktion der Edinburger Loge nicht unterstand.
Nicht genug damit, tat sich im Jahre le88 in Edinburgh selbst eine Konkurrenzloge auf, diesmal sogar durch Masons, welche sich von "Mary's Chapel" getrennt hatten. Was dies bedeutete, kann man ermessen, wenn man sich erinnert, daß bis dahin jeder operativen Loge die volle Kontrolle über alle Masons ihres Distrikts zustand. Keine operative Loge konnte funktionieren, wenn sie eine Rivalin auf ihrem eigenen Territorium hatte. "Mary's Chapel" versuchte sich durch Verhängung von Strafen zu wehren, doch die neue Loge ging unbekümmert ihrer Wege und florierte.
Unter solchen Umständen war es begreiflich, daß im Jahre 1726 ein Mitglied der "Mary's Chapel" vorschlug, einige achtbare Handwerker anderer Gewerbszweige in die Loge aufzunehmen, zumal diese bereit wären, pro Mann eine Guinee in Gold für die Armenkasse der Loge zu entrichten. Die Goldstücke waren zwar sehr verlockend, aber die standesbewußte Mehrheit lehnte das Angebot ab. Ein Monat später wurde die Frage in einer Versammlung neuerdings aufgeworfen. Es entspann sich eine so hitzige Debatte, daß der Meister und die Aufseher die Loge verließen. Die fünf Mitglieder, die zurückgeblieben waren, wählten daraufhin sofort einen neuen Meister und nahmen noch am gleichen Abend 7 Männer zu Lehrlingen und gleich auch zu Gesellen auf, von denen keiner ein Mason von Beruf war.
Vier Wochen hernach wurden noch 8 andere Nichtoperative aufgenommen und damit hatte die Loge ihren operativen Charakter vollends eingebüßt. Wie sehr sich die Loge gewandelt hatte, kann aus dem Umstand ersehen werden, daß im ersten Hausgesetz, welches sich die Loge im Jahre 1736 gab, keine einzige Regulation mehr enthalten war, welche das Masongewerbe betraf. Der Übergang zu einer nichtoperativen Loge, deren Mitglieder fast ganz aus "angenommenen" Masons bestanden, war vollständig vollzogen. -Die Loge war zu einem Geselligkeitsverein, zu einem Klub geworden.
Die Londoner "Accepeon“
Über die Anfangsstadien der Umwandlung in England wissen wir direkt nichts, da hier - zum Unterschied zu Schottland - keine entsprechenden Logenaufzeichnungen vorhanden sind. Nur indirekt erfahren wir aus den Papieren der "Londoner Masons' Company", daß innerhalb derselben sich eine Sondervereinigung gebildet hat, welche nichtoperativen Charakter trug. Im Jahre 1620 war die Company eine gewöhnliche Handwerksorganisation zur Kontrolle des Masongewerbes. Die Lehrlinge, welche ihre Lehrzeit beendet hatten, wurden freigesprochen, erlegten die festgesetzten Taxen und wurden damit Mitglieder der "Yeomanry" (Bürgerschaft).
Später konnten sie, falls sie es wünschten, gegen Erlag eines bestimmten Betrages in die "Livery" (Zunft) kommen. Sie alle waren Masons vom Beruf und - abgesehen von den jeweiligen Amtsträgern - setzte sich die Mitgliedschaft der Company aus den beiden Gewerberängen "Yeomen" und "Liverymen" zusammen. Der erste Hinweis auf das Vorhandensein einer Sondervereinigung innerhalb der Company taucht im Jahre 1621 in einer Liste auf, welche acht Namen mit dem Vermerk enthält, daß die angeführten Personen einen bestimmten Betrag gezahlt haben, um zum "Mason gemacht" zu werden (At the makinq of masons).
Das Außergewöhnliche an diesem Vermerk besteht darin, daß die genannten Personen bereits zu den "Liverymen" gehörten, also schon den höchsten Gewerberang der Company besaßen. Daraus geht klarerweise hervor, daß der von ihnen bezahlte "gemachte" Mason etwas anderes gewesen sein mußte als ein normaler Gewerberang. Ferner erscheint im Jahre 1631 in den Büchern der Company eine Rechnungspost über den Besuch einer Versammlung, " . . . bei der Masons gemacht wurden". Weiters haben im Jahre 1650 zwei Männer einen Betrag erlegt für ihre " . . Aufnahme in die Acceptance of Masonry" und zwei der Company nicht angehörende Männer bezahlten die doppelte Gebühr für "coming on the Accepcon", wobei noch zu bemerken ist, daß die beiden letzteren durch ihre Aufnahme in die "Accepcon' zugleich "gemachte Masons" geworden sind, obwohl sie keine Masons vom Fach waren, und daß sie Mitglieder der "Accepcon" wurden, ohne dadurch auch Mitglieder der Company zu werden. Daraus ergibt sich, daß die "Accepcon" eine Institution zur "Machung von Masons" gewesen sein muß. Ursprünglich stellte sie wahrscheinlich eine Art von "innerem Zirkel“ der in ihrem Gewerbe tätigen Masons dar, machte aber um 1650 auch "angenommene" Masons aus Leuten, die weder mit dem Masonsgewerbe noch mit der Company in irgendeiner Beziehung standen. Der berühmte englische Gelehrte Elias Ashmole, der im Jahre 1646 in eine Loge zu Warrington aufgenommen wurde, berichtet in seinem Tagebuch unterm 10. und 11. März 1682, daß er an einer in der Mason's Hall zu London abgehaltenen Loge teilgenommen habe, bei der außer ihm noch einige andere Nichtmitglieder der Masons' Company neben dem Meister und prominenten Mitgliedern der Company anwesend waren.
Diese Tagebuchnotiz legt die Vermutung nahe, daß die erwähnte Loge mit der Londoner "Accepcon" identisch war und diese also noch 1682 sich versammelt hat. Was mit der "Accepcon" nach diesem Zeitpunkt geschehen ist, ist unbekannt. Aus gelegentlichen Hinweisen in profanen Werken, Flugblättern und Zeitungsnotizen kann man jedoch entnehmen, daß die "Accepted Masons" am Ende des 17. und am Beginn des 18. Jahrhunderts in London nicht unbekannt gewesen sind.
Belege, welche bezeugen, daß auch an anderen Orten Englands nichtoperative, d. h. aus "angenommenen Masons" bestehende Logen existiert haben, sind äußerst selten. Nach Ashmole's Tagebuch bestand eine 1646 zu Warrington, nach anderen Nachrichten 1670 eine zu Chester und 1712 eine zu York. Leider wissen wir nichts über ihre Vorgeschichte und ihre weiteren Schicksale. Daß sie hauptsächlich die Geselligkeit gepflegt haben, ist sehr wahrscheinlich.
Die Geselligkeitslogen
Über die Motive, welche Nichtmasons bewogen haben, Zutritt zu denn Werkslogen zu suchen und "angenommene" Masons zu werden, stehen uns bedauerlicherweise keine direkten Aussagen zu Gebote. Die englischen Forscher haben dieser Frage große Aufmerksamkeit zugewendet und versucht, aus den bekannten Neigungen der betreffenden Persönlichkeiten eine ganze Liste ihrer möglichen Motive zusammenzustellen.
Bei dem Altertumsforscher Elias A s h m o l e dürfte die Sache wohl verhältnismäßig einfach liegen. Er interessierte sich für alle Wissensgebiete seiner Zeit, war Astrologe, Alchimist, Rosenkreuzer, Historiker und Sammler und überall zu finden, wo er erwarten konnte, Material für seine Studien zu erhalten. Es ist nicht verwunderlich, daß er sich auch für diese merkwürdigen Logen und ihre sonderbaren Gebräuche interessierte. Der Umstand, daß zwischen seiner Aufnahme im Jahre 1646 und seinem nächsten (und letzten) Logenbesuch im Jahre 1682 volle 36 Jahre verstrichen, läßt aber darauf schließen, daß seine Ausbeute keine sehr bedeutende gewesen sein kann.
Bei anderen scheint die Heimlichkeit, mit der sich die Logen umgaben, die Neugier gereizt zu haben,
hinter deren vermutete Geheimnisse zu kommen. So erwartete der berühmte waliser Dichter Goronwy O w e n in der Freemasonry die sagenhaften Weisheiten der alten Druiden zu finden und der bekannte
Altertumsforscher Dr. William S t u k e l e y sagt in seiner Autobiographie, daß Neugier ihn veranlaßt
habe, sich in eine Loge aufnehmen zu lassen, weil er in ihr Aufschlüsse über die alten Mysterien
erhoffte.
Im 17, Jahrhundert herrschte auch unter den Gebildeten Englands großes Interesse an der Baukunst, da gerade zu dieser Zeit der gotische Stil als ein barbarisches Produkt eines finsteren Zeitalters angesehen und durch das Interesse am romanischen Stil abgelöst wurde. Wie mehrere Nachrichten besagen, wurden in manchen Logen Vorträge und Diskussionen über Architektur und Geometrie gehalten, wodurch sicher interessierte Laien sich veranlaßt fühlten, zu solchen Vereinigungen Zutritt zu erlangen.
Wir können auch annehmen, daß die Logen in der profanen Welt den Ruf genossen, Pflegestätten kameradschaftlicher Hilfe und des Geistes der Brüderlichkeit zu sein ("Gebe, o Herr, daß wir in brüderlicher Liebe und Güte zueinander uns vertragen und bei all unserm Tun allen Menschen Gerechtigkeit widerfahren lassen"!). Solche Oasen in der von politischen und religiösen Kämpfen erfüllten Zeit übten bestimmt eine starke Anziehungskraft auf Menschen aus, welche sich nach Ruhe und Frieden sehnten.
Schließlich dürfte nicht das unbedeutendste Motiv das natürliche Verlangen der Menschen nach Geselligkeit gewesen sein. Das Ende des 17. und der Beginn des 18. Jahrhunderts war in England die Ära der Klubs. Diese geselligen Vereinigungen waren damals so sehr in Mode, daß es nur wenige Tavernen gegeben hat, die nicht wenigstens einen solchen Klub beherbergt haben. Manche Klubs schützten sich vor dem Eindringen unkongenialer Elemente und entwickelten zu diesem Zweck eigene Formalitäten. Wahrscheinlich haben auch operative oder "angenommene" Masons solche Klubs gebildet, mit Gebräuchen, welche ihrem masonischen Charakter entsprachen, und wo sie die Möglichkeit fanden, Geselligkeit zu pflegen, auch Wohltätigkeit zu üben, sich auf ihre Art zu erfrischen (refresh) und nebenbei - ungestört von Frauen - der Leidenschaft des Rauchens und Trinkens zu frönen. Die Logen, welche ihre ursprünglichen Gewerbefunktionen eingebüßt hatten, bestanden als solche gesellige Vereinigungen weiter und aus Verfügungen der Großloge wissen wir, daß der Hauptinhalt der Betätigung mancher Logen bis weit ins 18. Jahrhundert hinein Rauchen und Trinken gewesen ist.
Der Beginn der "spekulativen“ Freimaurerei
Wie wir gesehen haben, wurde in den altenglischen Werklogen dem Neuaufzunehmenden die "Alten Pflichten" vorgelesen und der Verschwiegenheitseid abgenommen. Damit waren die Aufnahmeformalitäten erschöpft. Ein Aufnahmeritual im heutigen Sinne war noch unbekannt. Aus Schottland hingegen sind einige Schriftstücke erhalten, die aus der Zeit zwischen 1696 und 1700 stammen und vermutlich Gedächtnishilfen von Logenmeistern darstellen. Aus ihnen lassen sich Zeremonien rekonstruieren, welche zu dieser Zeit und wahrscheinlich schon vorher in den schottischen Werklogen praktiziert worden sind. Diese Dokumente skizzieren einen Ritus, der zwei Grade umfaßt: "entered apprentice" und „fellow-craft or Master“ ("eingetretener Lehrling" und „Zunftgenosse oder Meister"). Jeder Grad hatte seine ihm allein zukommenden "Geheimnisse" (Mason-Wort) und ein abzulegendes Gelöbnis, woran sich eine Reihe von Fragen und Antworten (ein "Katechismus") schloß.
Auch diese Texte bleiben im Rahmen des rein Gewerblichen und enthalten nichts, was man als "spekulativ" bezeichnen könnte. Aus späteren Dokumenten ähnlicher Art, deren Entstehungszeit in die Jahre 1700 bis 1730 fällt und von denen einige nichtschottischen Ursprungs sind, geht jedoch hervor, daß eine Kombination der beiden Zeremonien, der englischen Zeremonie des Verlesens der "Alten Pflichten" und der schottischen Zeremonie der Erteilung des "Mason-Wortes", stattgefunden hat. Wo und wann diese Verbindung erfolgt ist, läßt sich nur vermuten. Sie hat wahrscheinlich allmählich und schon einige Zeit vorher stattgefunden, bevor sie sich in zufälligen Niederschriften dokumentiert hat. Entweder haben wandernde Masons die englische Zeremonie nach Schottland oder die schottische Zeremonie nach England gebracht. Vielleicht haben die großen Brände in London (1666) und Edinburgh (1674), welche zwecks Wiederaufbauarbeiten einen massenhaften Zustrom auswärtiger Bauleute zur Folge hatten, dazu beigetragen, diese Kombination in die Wege zu leiten.
Nach Vollendung des Wiederaufbaues, als die ortsfremden Bauleute allmählich wieder abwanderten und ihre Logen teils sich auflösten, teils als gesellige Vereinigungen weiterbestanden, in denen die "angenommenen" Masons überwogen, wurde dann die kombinierte Zeremonie von den letzteren beibehalten und für ihre Zwecke durch legendäre, allegorische und "spekulative" Zutaten ergänzt. Aber auch dieser Ergänzungsprozeß ist nur langsam und keineswegs allerorten gleichmäßig vor sich gegangen.
Selbst das erste Konstitutionsbuch der englischen Großloge, welches Dr. James Anderson im Auftrage der jungen Großloge verfaßte und 1723 veröffentlichte, kannte auch nur eine Zeremonie von zwei Graden und enthielt außerdem - zumindest im Hauptteil - keinerlei Hinweis auf irgendwelche Symbolik oder "Esoterik".
Nur im Anhang, wo die Zeremonie der Installierung eines Logenmeisters beschrieben wird, wird gesagt, daß dem neuen Meister seine Pflichten vorzutragen seien, worauf der Großmeister ihm "die Konstitutionen, das Logenbuch und die Abzeichen seines Amtes übergeben soll, nicht alle auf einmal, sondern eines nach dem andern, und bei jedem von ihnen soll der Großmeister oder sein Deputierter die kurze und gewichtige Pflicht vortragen, welche für den überreichten Gegenstand passend erscheinen.“ Dies ist die einzige Stelle in dem ganzen Buch, welche auf die Verwendung einer Symbolik hindeutet, und auch diese weist keinerlei "Mysterien"-Charakter auf.
Mit Recht wird der 3. Grad als das Spezifikum der modernen spekulativen Freimaurerei angesehen.
Aber er taucht erst im Jahre 1730, dem Erscheinungsjahr der Verräterschrift Samuel Prichard's
"Masonry dissected" (Zergliederte Freimaurerei), also erst 13 Jahre nach der Gründung der englischen
Großloge, erstmalig in der freimaurerischen Literatur auf. Die schwierige Frage, ob der Inhalt des 3.
Grades bereits in den zwei ursprünglich bekannten Graden enthalten war und dann nur auf drei Grade
aufgeteilt wurde oder ob er überhaupt erst nach Gründung der Großloge neu hinzugekommen ist, geht
über den Rahmen unserer vorliegenden Studie hinaus. Ihr wurden von der englischen Forschung
tiefschürfende Untersuchungen gewidmet, sie konnte aber trotz aller Bemühungen bis jetzt nicht
eindeutig geklärt werden. Für uns ist hier nur die Feststellung wichtig, daß die Zeremonie des 3.
Grades erstmalig zwischen 1723 und 1730 zur Ausübung gekommen sein muß, daß P r i c h a r d ' s Verräterschrift wahrscheinlich sie erst allgemein bekannt gemacht hat, daß es aber noch bis gegen
Ende des 18. Jahrhunderts dauerte, bis sie von allen Logen angenommen worden ist.
Aber auch mit der Einführung des 3. Grades war die innere Ausbildung der spekulativen Freimaurerei noch keineswegs beendet. Der Entwicklungsvorgang war durchaus nicht einheitlich, die Meinungen geteilt, was zu erbitterten Auseinandersetzungen und zur Aufspaltung in mehrere Großlogen führte. Erst 1813 gelang eine Verständigung und Vereinigung der rivalisierenden Systemrichtungen der "Antients" und der "Moderns" und die endgültige Errichtung der "United Grand Lodge of England".
Erst von diesem Zeitpunkt an kann die ritualistische und symbolische Ausbildung der spekulativen Freimaurerei im Mutterland als beendet betrachtet werden, die 1717 mit Errichtung der ersten Großloge begonnen hat.
0 Die Errichtung der ersten Großloge =
Im Jahre 1717 traten folgende vier Londoner Logen, deren Vorgeschichte uns vollkommen unbekannt ist, plötzlich ins Licht der Geschichte:
- 1. die Loge im Bierhaus "Zu Gans und Bratrost“ in der St. Paul's Church Yard (heute die Loge
"Antiquity" No. 2");
- 2. die Loge im Bierhaus „Zur Krone" in Parkers Lane (1736 erloschen!);
- 3. die Loge in der Apfelbaum-Taverne, Charles Street (heute die Loge "Fortitude and Old
Cumberland No. 12');
- 4. die Loge in der Taverne "Zu Römer und Trauben“ in Channel Row, Westminster (heute "Royal
Somerset House and Inverness Lodge No. 4").
Nach Dr. A n d e r s o n ' s Bericht in der 2. Auflage seines Konstitutionsbuches (1738) fanden diese vier Logen sich am 24. Juni 1717, am Tage Johannes d. T., im Bierhaus "Gans und Bratrost" zusammen, bildeten eine "Grand Lodge pro tempore", wählten einen gewissen Anthony Sayer, "Gentleman", zum Großmeister und beschlossen, in Hinkunft vierteljährliche Zusammenkünfte der Logenbeamten und alljährlich eine Jahresversammlung mit einem „Fest“ abzuhalten. Diese Gründung hat sich in der Folge zweifellos als ein entscheidender Schritt zur Entstehung der spekulativen Freimaurerei erwiesen. Aber seine wirkliche Bedeutung für die Zukunft ist von den Gründern weder vorausgesehen noch gar beabsichtigt worden.
Dafür sprechen mehrere Gründe:
1. Dr. James A n d e r s o n, der in seinem ersten Konstitutionsbuch (1723) an die herkömmliche Form der "Alten Pflichten' anknüpfte und seinem Werk eine pseudo-historische "Geschichte" der Masonry voranstellte, schildert in dieser noch Ereignisse, die sich in den Jahren 1720/21 abgespielt haben, erwähnt aber merkwürdigerweise die Gründung der Großloge im Jahre 1717 mit keinem Wort. Wenn man diese sonderbare Unterlassung etwa dadurch erklären wollte, daß der Verfasser auf dieses für seine weitschweifige "Geschichte" doch grundlegende Ereignis vergessen haben könnte, so widerspricht dem der vom Verfasser ausdrücklich angegebene Umstand, daß die Großloge ein Komitee aus 14 "gelehrten Brüdern" eingesetzt hatte, welche sein Manuskript vor der Drucklegung prüfte und einige Verbesserungen vornahm. Da unmöglich anzunehmen ist, daß auch alle diese 14 gelehrten Brüder das Versehen A n d e r s o n ' s nicht bemerkt haben sollten, bleibt nur die eine Erklärung übrig, daß die Gründer der Großloge dieser Gründung keine solche Bedeutung beigemessen haben, um sie des Erwähnens wert zu finden. Der Ausdruck "Grand Lodge" wurde anscheinend nicht in dem Sinn verstanden, den wir heute unter "Großloge" verstehen, sondern er ist wörtlich zu übersetzen. Man hat darunter eine große Loge gemeint, im Gegensatz zu vier kleinen Logen. Daß die Logen zu dieser Zeit tatsächlich sehr klein gewesen sein müssen, geht aus den hinterlassenen Papieren Dr. William S t u k e l e y ' s hervor. Er schreibt in seinem Tagebuch über seine am 6. Januar 1721 erfolgte Aufnahme: "Ich war die erste Person, welche seit vielen Jahren in London zum Freimaurer gemacht wurde. Wir hatten große Schwierigkeit, MitgIieder genug zu finden, um die Zeremonie auszuführen." Wenn also sogar für eine Neuaufnahme nur schwer die nötigen Mitglieder aufzutreiben waren, wird es verständlich, daß die Logenbeamten das Bedürfnis empfanden, wenigstens vierteljährlich im größeren Kreis zusammenzukommen und wenigstens einmal im Jahr eine große Loge" mit einem Fest zu veranstalten, bei welchem nicht nur ein gemeinsamer "Großmeister" gewählt werden sollte, sondern vermutlich hauptsächlich an ein großes Festmahl gedacht worden ist.
2. Die Gründer der Großen Loge hatten keineswegs die Absicht, den Wirkungsbereich ihrer neuen Organisation über das Weichbild der Stadt London erheblich hinaus zu erstrecken. Auf dem Titelblatt des ersten Konstitutionsbuches (1723) wird zwar nur ganz allgemein gesagt: "Für den Gebrauch der Logen“, aber im Abschnitt über die Pflichten eines Freimaurers heißt es ausdrücklich, daß diese Für den Gebrauch der Logen in London" bestimmt sind. Ebenso hatten die angefügten "Allgemeinen Verordnungen" nur "zum Gebrauch der Logen in und um London und Westminster" zu gelten. An eine Ausdehnung der Jurisdiktion über ganz England, geschweige denn sogar darüber hinaus, hat also kein Gründer auch nur zu denken gewagt. 3. Die Große Loge hat 6 Jahre hindurch Versammlungen abgehalten, ohne daß die Funktionäre es der Mühe wert gefunden hätten, darüber Protokolle oder sonstige Aufzeichnungen zu führen. Erst im Jahre 1723 beginnt ein dicker Folioband, welcher die Aufschrift "Minute Book, Grand Lodge, 1723" trägt und das erste Protokoll, datiert vom 24. Juni 1723, enthält. Zur gleichen Zeit wurde erstmalig ein Bruder zum Großsekretär gewählt. Für ein solches Amt war also bis dahin neben einem Großmeister und zwei Großaufsehern kein Bedarf vorhanden. - Wenn auch mit der Gründung der Großen Loge die Vorbedingung für die Entfaltung der spekulativen Freimaurerei geschaffen war, so muß auch. hier festgestellt werden, daß kein Grund vorliegt, sie in ihren Anfängen als eine "symbolische" zu bezeichnen. Wir haben gesehen, daß im ersten Konstitutionsbuch der Großen Loge (1723) kaum ein Hinweis auf eine Symbolik zu finden ist. Das gleiche gilt aber nicht nur für die folgenden Auflagen (1738 und 1756), sondern auch - was noch schwerwiegender ist - für sämtliche Protokolle der Großen Loge bis 1813. Daß die Gründung der Großen Loge nicht der Initiative spekulativer Freimaurer zuzuschreiben war, geht auch aus der Person des ersten Großmeisters hervor. "Mister Antony S a y e r, gentleman" wird er kurz von A n d e r s o n genannt, und das ist fast alles, was wir von ihm wissen. Die Bezeichnung "gentleman" deutet zwar darauf hin, daß er kein Werk-Mason, sondern ein "angenommener" Mason gewesen ist., aber es ist doch kaum anzunehmen, daß die Spekulativen, falls sie damals schon am Ausbau der spekulativen Freimaurerei gearbeitet hätten, keine bedeutendere Persönlichkeit an ihre Spitze gestellt haben würden, als einen völlig unbekannten Gentleman, der noch dazu nach Ablauf seines einjährigen Großmeisteramtes - Tempelhüter einer Loge wurde und von der Großloge mehrmals finanzielle Unterstützungen erbitten mußte.
Eine schon bedeutendere Persönlichkeit war der nächste Großmeister, George P a y n e, vom Beruf Sekretär der Steuerbehörde, der zweimal zum Großmeister gewählt wurde, 1718-1719 und 1720-1721, und fast 40 Jahre lang in verschiedenen Funktionen ein aktives Mitglied der Großloge gewesen ist. Er stellte die "Allgemeinen Verordnungen" zusammen, welche in das erste Konstitutionsbuch (1723) aufgenommen wurden, und hat sich Verdienste erworben um die Einrichtung der "General Charity“ der Großloge. Trotzdem sein Name in den Protokollen der Großloge immer wieder aufscheint, ist jedoch nicht zu entnehmen, daß er einen besonderen Einfluß auf das spekulative System der Freimaurerei ausgeübt hat.
Dies gilt jedoch sicherlich nicht für den dritten Großmeister (1719-1720), Rev. Dr. John Theophilus D e s a g u l i e r s (1683-1744), Mitglied der Royal Society und Professor der experimentellen Physik. Er scheint es gewesen zu sein, der der Großloge die ersten adeligen Großmeister zugeführt hat , neben denen er mehrmals das Amt des zugeordneten Großmeisters versah. Ihm wäre die geistige und ethische Kapazität zu eigen gewesen, welche für die grundlegende Wendung von der Geselligkeitsloge zur spekulativen Freimaurerei erforderlich war. Die Formulierung der "Pflichten eines Frelmaurers“, welche das Kernstück des ersten Konstitutionsbuches (1723) bilden, scheint zweifellos den Stempel seines Einflusses zu tragen. Die Pflicht "Gott und die Religion betreffend' Gleich die erste dieser "Pflichten", betitelt: "Gott und die Religion betreffend", ist eine Überraschung. Sie beinhaltet etwas im Rahmen der bisherigen Masonry vollkommen Neues, von allen "Alten Pflichten" sich grundsätzlich Unterscheidendes.
Sie, die so oft zitiert und doch so wenig verstanden wurde, sei wegen ihrer Bedeutung für die spekulative Freimaurerei hier nochmals in Erinnerung gebracht: „Ein Mason ist durch seinen Beruf (by his tenure) verpflichtet, dem Sittengesetz zu gehorchen; und wenn er die Kunst (Art) recht versteht, wird er nie ein dummer Atheist noch ein ungläubiger Freigeist (irreligious Libertine) sein. Aber obwohl zu allen Zeiten die Masons verpflichtet waren, in jedem Lande der Religion jenes Landes oder Volkes anzugehören, welche es immer sein mochte, so wird es doch jetzt für zweckmäßig gehalten, sie nur zu der Religion zu verpflichten, in der alle Menschen übereinstimmen, ihre besonderen Meinungen aber ihnen selbst zu überlassen; das ist, gute und treue Männer zu sein, Männer von Ehre und Rechtschaffenheit, durch welche Benennungen und Glaubensansichten sie sich auch unterscheiden mögen; dadurch (whereby!) wird die Masonry der Mittelpunkt der Vereinigung und das Mittel, treue Freundschaft unter Personen zu stiften, welche sonst in ständiger Entfernung von einander hätten bleiben müssen.“'
Diese schlichten Sätze sind oft und von den verschiedensten Gesichtspunkten aus kommentiert worden. Mit Recht wurde bemerkt, daß sie stark abweichen von der christlich-religiösen Grundhaltung, von der ausgesprochen konfessionellen Mentalität der alten Werklogen, und daß sie den Versuch unternehmen, einen uralten Traum der Menschheit zu verwirklichen: Durch Absehen von allem Trennenden das alle Menschen Verbindende in den Vordergrund zu stellen. Mit Recht wurde bemerkt, daß diese schlichten Sätze die großen Prinzipien der Toleranz, der Humanität und der Geistesfreiheit zum Fundament der menschlichen Gemeinschaft machen wollen. Aber kaum in seiner vollen Bedeutung wurde gebührend gewürdigt, daß alle einleitenden Sätze dieser Pflicht' nur dazu dienen, um in dem letzten Satz zu gipfeln; daß alle in den einleitenden Sätzen erhobenen Forderungen nur Mittel sind, um die Erreichung des im letzten Satz aufgestellten Zieles zu ermöglichen: Treue Freundschaft unter Menschen zu stiften, welche sonst ständig entfernt voneinander bleiben müßten.
Gerade dieser letzte Satz aber, welcher den Brudergedanken aufgreift, der in den alten Werklogen gepflegt wurde, ihn jedoch nun auf die ganze Menschheit ausdehnt und zum letzten und höchsten Ziel der Masonry erklärt, bildet die Quintessenz der spekulativen Freimaurerei, durch die sie sich von allen anderen menschlichen Vereinigungen prinzipiell unterscheidet. Mit der Aufstellung dieses Hochzieles schlug die Geburtsstunde der spekulativen Freimaurerei. Ihm gegenüber werden alle Rituale, Symbole, Allegorien oder "Mysterien" zu wandelbaren Hilfsmitteln für die Annäherung an das letzte und unverrückbare Hochziel: die allmenschliche Brüderlichkeit. Und dieser Gedanke der allumfassenden Brüderlichkeit war es vor allem, der es zuwege brachte, daß der Bund der regulären Freimaurer, über Rassen-, Klassen-, Nationen-, Konfessionen-, "System'“- Schranken und über Jahrhunderte hinweg, aus kleinen, unscheinbaren Londoner Geselligkeitsvereinen heraus, heute den Erdball umspannt und tatsächlich ein brüderliches Band um Millionen Menschen schlingt, welche sonst einander fremdgeblieben und ferngestanden wären.
Mit der Aufstellung dieses Hochzieles endete die Vorgeschichte der Freimaurerei und ihre eigentliche
Geschichte begann.
Wir stehen noch am Anfang derselben. -
ANMERKUNGEN
- 1) Vgl. G. R. Kuéss, Die großen deutschen Historiker der Freimaurerei, Akazien-Verlag Alfred
Buß, Hamburg 1959.
- 2) Die wissenschaftlich edierten Texte des REGIUS Ms. und des COOKE Ms. siehe: Knoop,
Jones and Hamer, The Two Earliest Masonic MSS., Manchester 1938. Deutsche Übersetzungen in: Wilhelm Begemann, Vorgeschichte und Anfänge der Freimaurerei in England, Berlin 1909.
- 3) Das sogen. "ABERDEEN-Manuskript" aus 1670 beginnt z.B. mit folgendem "Gebet vor der
Versammlung":
"Die Macht des Vaters im Himmel mit der Weisheit des glorreichen Sohnes und der Gnade und Güte des hl. Geistes, dieser drei Personen in einem Gott, seien mit uns bei unserem Beginnen und verleihen uns die Gnade, uns selbst zu beherrschen, auf daß wir in jenem Segen leben mögen, der nie enden soll. Amen."
- 4) Ein solches Schlußgebet, dessen Wortlaut für uns von Bedeutung zu sein scheint, sei hier
angeführt:
"O glorreicher Gott, der Du der Oberste Baumeister des Universums bist, gebe uns, Deinen Dienern, daß wir fest und bedacht sein mögen und uns immer der heiligen Dinge erinnern, die wir auf uns genommen haben, und uns bestreben, einander zu unterweisen und zu unterrichten in Verschwiegenheit, auf daß nichts Unerlaubtes oder Ungesetzliches geschehe, und daß dieser, Dein Diener, der jetzt im Begriffe ist, ein Mason zu werden, ein würdiges Mitglied sein möge. Gebe, o Gott, daß er und wir alle wie Männer leben, die an das große Ziel denken, für welches wir geschaffen wurden, und gebe uns Weisheit zu planen- und Führung bei all unserm Tun, Stärke, um aufrecht zu bleiben bei allen Schwierigkeiten, und Schönheit, um jene himmlischen Wohnungen zu zieren, wo Deine Güte wohnt. Gebe, o Herr, daß wir in brüderlicher Liebe und Güte zueinander uns vertragen und bei all unserm Tun allen Menschen Gerechtigkeit widerfahren lassen, Barmherzigkeit üben und demütig wandeln mit Dir, unserem Gott, auf daß wir schließlich zu Mitgliedern des himmlischen Jerusalem werden. Amen."
- 5) Enthalten in den sogenannten PORTLAND-Manuskripten.
LITERATUR
Dr. James Anderson, The Constitutions of the Free-Masons, containing the History, Charges, Regulations etc. of the most Ancient and Right Worshipful Fraternity. Erste Auflage: London 1723; zweite Auflage: London 1738. Ars Quatuor Coronatorum, being the Transactions of the Quatuor Coronati Lodge No. 2076; London, seit 1886, über 70 Bände. Dr. Wilhelm Begemann, Vorgeschichte und Anfänge der Freimaurerei in England; Berlin 1909/10. Vorgeschichte und Anfänge der Freimaurerei in Schottland; Berlin 1914. Dr. Chetwode Crawley, Caementaria Hibernica; Dublin 1895--1900, 3 Bände. Robert F. Gould, The History of Freemasonry; London 1882-1887, 6 Bände. William J. Hughan, Origin of the English Rite of Freemasonry; Leicester 1925. Knoop, Jones and Hamer, The Early Masonic Catechisms; Manchester 1943. Early Masonic Pamphlets; Manchester 1945. Douglas Knoop and G. R. Jenes, The Genesis of Freernasonry; Manchester 1949. (Eines der besten neuen Werke.) H. Poole and F. R. Worts, Old Charges of Masons; Leeds 1935. Samuel Prichard, Masonry Dissected; London 1730. (Viele Auflagen und Nachdrucke.) Henry Sadler, Masonic Facts and Fictions; London 1887. W. J. Songhurst and G. W. Speth, Quatuor Coronatorum Antigrapha; Margate 1889 - 1913, 10 Bände. J. T. Thorp, Masonic Reprints; Leicester 1907-1919, 2 Teile.
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